Klaus Buschendorf

Ein Freundesdienst

Was wäre, wenn …

Geschichten zur Geschichte

 

3. Ein Freundesdienst

Nein, das wollten sie nicht. Ritter verstecken sich nicht vor der Schlacht, auch wenn sie nur wenige sind. Und sie entschuldigten sich schon jetzt für dieses unehrenhaftes Handeln, das sie nur auf Geheiß ihres Königs und seiner ausgedachten List in die Weinberge ziehen ließ. Murrend verbargen sich sechzig gepanzerte Ritter am linken Rande des Marchfeldes nördlich von Wien. Dann stellten sich die leichten Reiter in der vordersten Linie auf, dahinter die schweren Ritter, an der rechten Seite deckten die Bogenschützen der Kumanen die Flanke, ungarische Verbündete, noch heidnischen Glaubens – doch Rudolf musste alle Verbündete nutzen, die er bekommen konnte. Seine Wahl zum König des Reiches hatte Ottokar nicht anerkannt, der böhmische König, der stärkste Kurfürst, der selber die Wahl gewinnen wollte, aber vor fünf Jahren unterlag. Er hatte wohl vergessen, dass es üblich war, nie den stärksten Fürsten zum König zu wählen. Nur eine Schiedsrichterrolle gestanden ihm die Großen zu in ihren Streitigkeiten, einen wirklichen Führer wollten sie nicht. So hoben sie Rudolf von Habsburg aus dem Aargau auf den Thron, ungefährlich für die Herzöge aus Sachsen, Schwaben oder Bayern. Nur der ungestüme Ottokar aus Böhmen wollte sich dem unausgesprochenen Brauch nicht fügen, selber Krone, Zepter und Reichsapfel besitzen, die aus den Zeiten Karls des Großen stets in Aachen vergeben wurden. Er sei doch der Vornehmste im Reich, sei doch schon König der Böhmen, ihm stände die Krönung zu, nicht jenem kleinen Grafen. Das hier war schon sein zweiter Krieg gegen den Emporkömmling. Auch er hatte nun Verbündete, aus Brandenburg und selbst aus dem fernen Polen. Er pfiff auf den sechzehnjährigen König der Ungarn auf der anderen Seite, auf den sechzigjährigen Grafen Rudolf, er stand in Saft und Kraft seiner zweiundvierzig Jahre und wollte es allen schon zeigen, wem die Krone im Reich gebührt. Er gab den Befehl zum Angriff und sechstausendfünfhundert schwere Ritter preschten vor.

Die leichten Reiter Rudolfs erlitten große Verluste. Bald kämpften nur noch einzelne von ihnen. Nun trafen Ritter auf Ritter. Und die Kumanen schossen ihre Pfeile ab, mancher Ritter wurde getroffen, ohne vorher sein Schwert ziehen zu können. Dennoch – langsam aber sicher gewannen Ottokars Scharen das Feld. Da stürzte Rudolfs Pferd, Verwirrung um ihn herum. Ein Freund sah das Malheur, half Rudolf auf ein anderes Pferd. Aufatmen in Rudolfs Reihen und er gab das verabredete Signal. Aus den Weinbergen brachen die sechzig Ritter in des Feindes Flanke. Ottokar wollte mit einem Richtungswechsel seiner Reserve in deren Rücken kommen – seine eigenen Reiter deuteten dies als Flucht. Rudolf setzte noch eins drauf: “Sie fliehen! Sie fliehen!“ rief er aus Leibeskräften. Seine Mitkämpfer fielen in den Ruf ein. Ottokars Ritter, schon erschöpft von drei Stunden Kampf, wandten die Köpfe. Was sie sahen, war schwer zu deuten – Tumult und Rudolfs Ritter an der Seite, zum Teil auch hinter ihnen – das war zu viel. Zunächst einzelne, dann immer mehr von Ottokars Streitern suchten das Schlachtfeld zu verlassen. Am Abend erkannte eine Gruppe steirischer Adliger Ottokar. Sie erinnerten sich seiner geringschätzenden Behandlung, seiner Anmaßungen, als sie noch seine Gefolgsleute sein mussten. Sie übten Rache und kannten keine Gnade. Könige wurden in jenen Zeiten gefangen genommen, Ottokar erfuhr diese Achtung nicht.

Zwölftausend Böhmen sollen die Schlacht nicht überlebt haben. Rudolf ließ Ottokars Leichnam einbalsamieren und dreißig Wochen lang in Wien zur Schau stellen. Er zog langsam nach Böhmen, hielt oft an und sprach mit vielen Adligen. Mit Ottokars Witwe Kunigunde schloss er Frieden, seinen siebenjährigen Sohn Wenzel übergab er dem Markgrafen von Brandenburg zur Vormundschaft und übertrug ihn für fünf Jahre die Verwaltung Böhmens. Das unterschied ihn von Ottokar – er suchte den Ausgleich, zog die Adligen auf seine Seite. Kärnten, die Steiermark, Österreich und Krain wurden so zu den Stammländern der habsburgischen Dynastie, Wien zu ihrer Hauptstadt. Kaiser ist er nie geworden, zwei Krönungstermine in Rom platzten, die Päpste starben zu schnell hintereinander. Doch seine Nachkommen stellten mit wenigen, kurzen Unterbrechungen alle Kaiser bis 1806. In Böhmen erlebten die Premysliden unter Ottokars Sohn Wenzel noch eine kurze Blüte. In den nächsten Generationen fehlten die männlichen Nachkommen. So verschwanden sie aus der Geschichte. Böhmen blieb ein Königreich im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ bis zu dessen Ende 1806.

Ottokar hatte alle Voraussetzungen, an diesem 26. August 1278 die Schlacht zu gewinnen. Zwar führten beide Seiten etwa 30.000 Bewaffnete ins Feld, aber seinen sechseinhalbtausend Rittern standen nur viertausendfünfhundert Rudolfs gegenüber. Hinzu kam dessen Pech, in einem entscheidenden Moment vom Pferd zu stürzen. Doch neben ihm focht ein Freund, der ihm half. Einen solchen hätte auch Ottokar gebraucht, als er am Abend ins Blickfeld seiner Feinde geriet. Sie hätten seine Freunde werden können, als er vorher in der „kaiserlosen Zeit“ sich das verwaiste Babenberger Erbe nahm, Kärnten, die Steiermark und Österreich. Doch er versäumte, die dortigen Adligen für sich zu gewinnen. So musste er nach Rudolfs Königswahl diese als königliche Lehen herausgeben und in der Schlacht erleben, dass seine ehemaligen Gefolgsleute besonders hart gegen ihn kämpften. Rudolf handelte anders. Er gestaltete die Schlacht mit Ideen und erfuhr mehr Loyalität seiner Kampfgefährten. Nach seinem Sieg vermittelte er Ehen zwischen seinen und Ottokars Kindern. Man sieht in Rudolfs Verhältnis zu den Menschen die spätere „weiche österreichische Art“, die in der frühen Neuzeit zum geläufigen Spruch führte: „Andere führen Kriege. Du, glückliches Österreich, heirate.“

Ottokar verlor. Und vielleicht hinge heute statt des habsburgisch/preußischen Adlers der böhmische Löwe im Bundestag. Kann man das wissen? Geschichte ist nicht korrigierbar. Was wäre anders gekommen, wenn Ottokar mit den menschlichen Eigenschaften Rudolfs ausgestattet gewesen wäre?

 

 

Klaus Buschendorf                                                                                                     26.04.2020

       

Teilstück aus „Was wäre, wenn“, erschienen beim BoD-Verlag in Norderstedt, November 2020Klaus Buschendorf, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.06.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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