Klaus Buschendorf

Oh, heilige Einfalt

Was wäre, wenn …

Geschichten zur Geschichte

 

4. Oh, heilige Einfalt

Sie waren etwa gleichaltrig, die beiden Männer, die sich in Konstanz begegneten. Kommt einer aus einer alten Herzogsfamilie mit einem als Sohn armer Leute in solcher Runde zusammen, ist das schon außergewöhnlich in jener Zeit. Aus Luxemburg stammte der Eine und war durch Heirat König von Ungarn und durch Wahl König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation geworden. Noch mehr Titel vereinigte er auf sich, aber sie spielten in der Begegnung auf dem Konzil kaum eine Rolle. Er hatte dem Anderen einen wohlwollenden Brief geschrieben, später wird man diesen als Geleitbrief bezeichnen, darin spricht er von seinem Schutz und bittet alle, denen er auf seiner Reise begegnen wird, ihm gutes Obdach und gutes Essen zu geben und auch sonst alles für seine weitere Reise zu tun. Dieser Andere zeichnete sich schon in früher Jugend durch Fleiß und Streben nach Wissen aus. Der kleine Ort Hustinec im Böhmischen wird später die Grundlage für seinen Familiennamen liefern. Da hat er schon Tausende Menschen durch Predigten in vielen Kirchen begeistert. Inzwischen war er Rektor der ersten Universität des Reiches geworden, der Karls-Universität von Prag. Als solcher zog er in die Stadt, in der König Sigismund das Schisma der Katholischen Kirche überwinden wollte. Denn es stritten drei Päpste darum, als der einzig wahre Papst zu gelten, einer aus Avignon, ein anderer in Rom und ein dritter, der noch in den Landen herum zog, weitere Anhänger zu finden. Für die Suche nach der einzig wahren Lehre  brauchte Sigismund den besten Gelehrten seiner Zeit, Jan Hus, dessen Anhänger in Böhmen und Mähren ihn vergötterten. Aber zunächst wollte er einen neuen Papst. Er fühlte sich als Diplomat, Kriegskunst war nicht seine Sache. Einen Kreuzzug verlor er vor achtzehn Jahren in der Schlacht von Nikopolis gegen das Osmanische Reich. Die Donau trug die Schiffe der geschlagenen französischen Ritter zurück, viele waren es nicht, die ihre Heimat wieder sahen. Nun wollte er die Christenheit wieder einigen, ehe es zu einem neuen, dann siegreichen Kreuzzug kommen konnte.

Mit Diplomatie wollte er die Kurie einigen, die beginnende Häresie in Böhmen zum Nutzen für Reformen beenden. Die brauche die Kirche, so sprach der ganze Klerus, doch jeder Kardinal meinte anderes. Nur, dass sie sich nicht gegen sie selber richteten, darüber waren sie sich einig. Am 03. November 1414 traf Jan Hus in Konstanz ein und predigte seine Lehren von der Unmittelbarkeit des Glaubens an Gott, der keine Priester und Päpste brauche. Nach drei Wochen war das den Kardinälen zu viel, sie verhafteten ihn und verlangten im Verhör, dass er seine Lehren widerrufe. Am 24. Dezember 1414 traf Sigismund in Konstanz ein und war sehr zornig über den Wortbruch. Mehr tat er nicht. In den Verhören sprach er zu Jan Hus wie die Kardinäle – doch Jan Hus nahm nichts zurück. Am 06. Juli 1415 fällte das Konzil sein Urteil über den „hartnäckigen Ketzer“ Hus. Er sei nicht einsichtig, damit der Geleitbrief nichtig, er müsse für sein Seelenheil verbrannt werden. Das Urteil wurde am gleichen Tag vollstreckt. Er ward an einen Pfahl gebunden, das Feuerholz um ihn aufgerichtet, ein altes Weiblein legte noch ein kleines Reisigbündel hinzu. Dazu muss man wissen, dass im Verständnis der Zeit der Feuertod den Sünder von seinen Verfehlungen reinigen und ihn den Weg in den Himmel und das Paradies zum ewigen Leben ermöglichen sollte. „Oh, heilige Einfalt!“ sollen die letzten Worte von Jan Hus gewesen sein, gerichtet an die alte, fromme Frau.

Die Diplomatie Sigismunds brachte zuwege, dass ein neuer Papst gewählt wurde. Dass man den gar nicht brauche, wurde nicht mehr erwähnt, das Konzil aber solle über dem Papst stehen. Das war also alles, was die „böhmische Häresie“ zum Konzil beitragen konnte – und auch das wurde in der Folgezeit bald vergessen. Zu Reformen kam es nicht, doch die späteren „Hussitenkriege“, begonnen und geführt von den enttäuschten Anhängern des Jan Hus, brachten viel Leid zunächst über Böhmen und Mähren, dann auch in angrenzenden Landen. Trotz blutiger Niederschlagung blieben die Grundsätze der Hussiten lebendig und fanden rund hundert Jahre später ihren neuen Ausdruck mit Luthers Worten auf dem Reichstag in Worms vor Kaiser Karl, den V. Luther kam der neu erfundene Buchdruck zu Hilfe und er fand Fürsten als Bundesgenossen, die wenn auch zu ihrem eigenen Vorteil, der Kirche Macht beschränken wollten. Das „freie Geleit“ wurde diesmal eingehalten, Luthers Worte waren schon zu sehr in das Bewusstsein des Volkes gedrungen und Kurfürst „Friedrich, der Weise“ von Sachsen entzog Luther dem späteren Zugriff nach dessen Ablauf und brachte ihn heimlich auf die Wartburg. Das Ziel jedoch wurde auch nicht erreicht. Nur eine Spaltung der Kirche stand am Ende – die Reformen des Konzils von Konstanz sind heute noch nicht geschehen.

Was ist die Bilanz von Sigismund? Seinen Kreuzzug hat er verloren, weil er auf die französischen Ritter hörte – sie wollten unbedingt „die Ersten am Feind“ sein. Eigentlich sollten schwächeren Hilfstruppen aus Siebenbürgen und der Walachei die Schlacht eröffnen, denn ihnen vertraute Sigismund nicht. Er behielt Recht. Als die Ritter nur langsam vorankamen, flohen sie, viele Kämpfer ohne Schwertstreich. Die Schlacht ging verloren. In Konstanz traf er zu spät ein. Unter seinem Schutz hätte Jan Hus predigen können, ohne die Gefahr einer Verhaftung durch die Kardinäle. So aber nahmen diese ihm das Heft aus der Hand. Sie wollten keine Reformen gegen sich selbst. Die Messen waren gesungen, er konnte nur noch in ihr Lied einstimmen. Kaiser ist er später noch geworden – zu einem Kreuzzug unter seiner Führung kam es nicht mehr.     

Heilige Einfalt – das alte Weiblein, das jeder Predigt blindlings folgte, aber auch die Naivität des Jan Hus, der glaubte, mit Beharrlichkeit und der Begeisterung von Menschen hinter sich die Mächtigen seiner Zeit überzeugen zu können. Sigismund besaß die Macht, doch er folgte seinen französischen Rittern – und verlor die Schlacht. In Konstanz kam er zu spät, da hatten die Kardinäle die Weichen schon gestellt – gegen die Reform. Die Papstwahl konnte er noch gestalten – dabei sollte es doch gar keinen Papst mehr geben! Am weitesten kam Luther, unterstützt vom Buchdruck, dem Volk und einigen Fürsten. Doch auch er blieb stecken. Über die Kirchenspaltung kam er nicht hinaus.

Oh, heilige Einfalt! Wie bekommt man sie nur in den Griff? Was wäre, wenn Kaiser Sigismund konsequent gehandelt hätte?

Klaus Buschendorf                                                                                                     03.05.2020

Teilstück aus „Was wäre, wenn“, erschienen beim BoD-Verlag in Norderstedt, November 2020Klaus Buschendorf, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.06.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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