Bettina Forst

Vorlese-Geschichte für den Sommer

Conny konnte nicht schlafen. Sie drehte sich von einer Seite zur anderen, aber es half nicht. Sie konnte einfach nicht einschlafen. Es war viel zu warm und zu stickig imZimmer. „Was für eine Affenhitze“, hatte heute ihr Vater gestöhnt. Und ihre Mutter hatte genickt und gesagt: „Ja, es ist so heiß wie in der Sahara.“
 
Dabei war sie noch nie in der Sahara. Conny natürlich auch noch nicht. Letztes Jahr waren sie alle in den Bergen, da hatte es geregnet wie aus Eimern. Nicht jeden Tag, aber doch ziemlich oft. Conny konnte sich gut daran erinnern, dass sie in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal im See schwimmen war. Da sie noch nicht schwimmen konnte, durfte sie natürlich nur mit ihren schweinchenrosa Schwimmflügeln und dem quietschgelben Gummientengürtel um die Hüfte ins Wasser. Wie peinlich, dachte Conny und wurde noch jetzt rot im Gesicht. „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“, hatte ihr Vater immer gesagt, aber so ganz überzeugt klang das nicht, als er sich jeden Morgen die Gummistiefel anzog und mit einem Stockschirm bewaffnet loszog, frische Brötchen zu holen.
 
Diesen Sommer wollen sie in den großen Ferien ans Meer. Darauf freute Conny sich schon. Sie lag in ihrem Bett, schloss die Augen und stellte sich das Meer vor. Wasser bis zum Horizont, Wasser und Wellen und Wogen so weit man gucken kann. Ein großes Schiff mit vielen Passagieren an Bord, das einmal um die Welt fährt. Es hat gerade den sicheren Hafen verlassen und sticht in See. Das Horn tutet so laut, dass Conny es bis in ihr Schlafzimmer hören kann.
 
Dann gibt es auf dem Meer natürlich auch ein kleines Segelboot, das auf den Wellen schaukelt mit einem bunten Fähnchen oben am Mast. Conny nimmt ein Fernglas und staunt. Ja, tatsächlich, das Boot trägt ihren Namen und heißt „Conny“. Sie lacht, hebt ihre Arme hoch und winkt der „Conny“ zu, und der Kapitän winkt zurück. Und wer sitzt da neben dem Kapitän? Conny guckt noch einmal durch das Fernglas. Das ist doch ... ja, das ist doch ihr großer Bruder!Ihr großer Bruder hatte verkündet, dass er in den Sommerferien in die Schule gehen will. Da hatten alle stark gestaunt. In die Schule? Und das auch noch freiwillig in den Ferien? „Ja“, hatte er bestätigt, „ich gehe in die Segelschule und mache meinen Segelschein. Und surfen will ich auch. Einen Surfkurs mache ich auch mit.“
 
Conny stand auf und lief in die Küche. Sie hatte Durst, öffnete den Kühlschrank und trank eine kühle Apfelschorle. Das tat gut. Dann ging sie leise in ihr Zimmer zurück. Da hatte sie plötzlich eine Idee! Conny kramte im Schrank. Da irgendwo ganz unten in der Schublade musste sie doch sein. Und da war sie, ihre kleine Luftmatratze. Man brauchte nur den Stöpsel zu ziehen und schon pumpte sich die Luftmatratze von ganz allein auf. Conny nahm ihre Luftmatratze und ihr Kopfkissen unter den Arm und schlich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Die Balkontür stand wegen der Hitze offen. Ihr Vater hatte vorhin beim Abendessen gesagt: „Wir lassen ruhig die Balkontür etwas auf, damit wir frische Luft bekommen.“ Als ihre Mutter ihm einen ängstlichen Blick zuwarf, zwinkerte er mit den Augen und sagte: „Keine Angst, uns wird schon keiner klauen. Und sollte jemand hier einsteigen wollen, dann kommt er nicht weit. Wir haben ja Hasso.“ Hasso war kein Hund, sondern die Alarmanlage, die losbellte wie ein wütender Schäferhund.
 
Conny wollte gerade hinaus auf den Balkon, da stutzte sie plötzlich und blieb stehen.Da war doch etwas! Und schon fiel ihr ein greller Lichtstrahl ins Gesicht. „Ach, du bist es“, flüsterte ihr großer Bruder erleichtert und schaltete die Taschenlampe aus. Ihr großer Bruder hatte also die gleiche Idee gehabt. Conny breitete ihre Luftmatratze aus und legte sich neben ihren Bruder. Beide verschränkten die Arme hinter den Kopf und guckten in den Sternenhimmel. Nach einer Weile sagte Conny: „Ich will in den Ferien auch etwas lernen.“ „So?“, fragte ihr Bruder ungläubig, „ na, was willst denn lernen? Willst du etwa lernen, wie man eine richtige Sandburg baut? Das kann ich dir sagen: Eine richtige Sandburg hat eine Zugbrücke und einen Wassergraben. Deine Burg braucht auch einen Aussichtsturm für den Wachposten, und eine Burg hat natürlich auch ein großes Tor und ...“ „Nein, nein“, unterbrach ihn Conny und schüttelte den Kopf, „ich will schwimmen lernen.“ Es entstand eine kurze Pause. Schließlich sagte ihr großer Bruder anerkennend:„Na, das ist doch mal eine gute Idee. Du wirst bestimmt eine echte Wasserratte. Dann können wir ja bald zusammen schnorcheln gehen.“
 
Der große Bruder hielt inne und fuhr fort: „Ich sag dir, Conny, das ist wirklich toll! Was man unter Wasser alles sehen kann! Große blaue Fische, kleine grüne Fische, schwimmende Muscheln ...“ Conny war begeistert und fragte: „Kann man unter Wasser auch ein Seepferdchen sehen?“ Der große Bruder überlegte kurz: „Klar, Seepferdchen gibt es da auch. Die sind aber ziemlich scheu. Wenn du mit deinen Händen und Füßen herumzappelst, kommen die Seepferdchen nicht und galoppieren schnurstracks auf den Wellen auf und davon.“
 
Conny hörte still zu und freute sich schon. In drei Tagen fuhren sie also endlich ans Meer. Sie würde Muscheln sammeln, schwimmen lernen und tatsächlich ein richtigesSeepferdchen sehen. Jetzt sah sie am Himmel oben ganz dicht neben dem Mond auf einmal einige Sterne aufblitzen. „Guck mal, siehst du das?“, fragte sie ihren großen Bruder mit aufgeregter Stimme und zeigte mit ihren Fingern auf die Sterne, „da oben leuchtet ein Seepferdchen am Himmel“. Ihr großer Bruder suchte die Sternzeichen am Himmel ab und sagte: „Ich sehe nur den großen Wagen mit der langen Deichsel. Und da vorn, da sehe ich auch die Venus, den Morgenstern.“ Aber Conny hörte das gar nicht mehr. Sie war schon eingeschlafen und saß in einer herrlichen Kutsche, die von sieben Seepferdchen gezogen schwerelos über das Meer dahin glitt. Bunt glänzende Fische wedelten freudig mit der Flosse, ein Delfin schwamm neben der Meereskutsche her, tauchte fröhlich auf und ab und Conny lachte im Traum. Das wird ein schöner Sommer!

Bettina Forst, bettinaforst@web.de

Zum Anhören: Tanja Esche liest meine "Geschichte für den Sommer ", https://www.tanjaesche.de/hoerbarBettina Forst, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.07.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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