Claudia Savelsberg

Eine kleine Hunde-Dame erzählt ihr Leben

Gestatten, dass ich mich vorstelle. Ich bin eine kleine Hunde-Dame, ein Parson-Russell-Terrier, und ich heiße Kiwi. Die meisten Menschen finden diesen Namen lustig, weil es eine Frucht gibt, die auch Kiwi heißt. Das interessiert mich als Hund natürlich nicht, und für mein Frauchen ist es die Hauptsache, dass ich auf diesen Namen höre und gleich komme, wenn sie mich ruft.

So, und jetzt erzähle ich meine Geschichte. Aufgepasst! Die ersten fünf Jahre meines Lebens waren nicht schön; denn ich war bei einem Züchter, der uns Hunde nicht gut behandelt hat. Dann kamen Leute aus einem Tierheim und haben mich und meine Kollegen dort raus geholt. „Sicherstellung“ nennen die Menschen das. Dann kam ich zu einer Pflegefamilie, bei der ich mich aber nicht wohl gefühlt habe. Aus Angst und Unsicherheit saß ich fast den ganzen Tag in meiner Hundebox und traute mich nicht raus. Da brachte mich die Familie zurück ins Tierheim.

Eines Tages kam eine große schlanke Frau, die mich kennenlernen wollte. Sie war nett, und ich hangelte mich gleich an ihrem Hosenbein hoch. Sie beugte sich zu mir runter und streichelte meinen Kopf. Das war sehr angenehm. Dann wollte sie mir mir Gassi gehen, aber ich wollte nicht und wurde richtig bockig. Die Frau war aber sehr geduldig und lieb. Sie sprach lange mit den Leuten vom Tierheim, dann nahm sie mich mit zu sich nach Hause. Sie war wohl jetzt „mein Frauchen“, wie die Menschen es nennen. Damit wusste ich aber nichts anzufangen; denn ich hatte noch nie eine enge Bindung zu einem Menschen gehabt.

Nervös und aufgeregt erkundete ich mein neues Zuhause. Es roch so gut nach Hund. Das Frauchen hatte nämlich einen Hund gehabt. Er war vor kurzem gestorben, weil er alt und krank war. Das Frauchen war bestimmt traurig, dachte ich, aber jetzt hatte sie ja mich. Ich würde an ihrer Seite sein und sie trösten Eine große Aufgabe für einen kleinen Hund, aber ich würde das schaffen.

In meinem bisherigen Leben hatte ich nicht viel von der Welt kennen gelernt. Wenn ich mit Frauchen spazieren ging, erschreckten mich vorbeifahrende Autos, und ich sprang zur Seite. Ich hatte sogar Angst vor einer dicken Krähe, die am Wegesrand saß. Die Geräusche der Waschmaschine und des Haarföns waren mir unheimlich, und ich versteckte mich unter dem Bett. Das Frauchen war sehr geduldig mit mir und schimpfte nie. Auch nicht, als ich vor lauter Aufregung einmal in die Wohnung pinkelte.

Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, an dem wir beide zum ersten Mal in den Wald gingen. Das war vielleicht aufregend. Ich kannte das alles ja noch nicht. Überall roch es so interessant, und ich sprang einfach ins Unterholz, um dort eine Spur zu verfolgen. War das ein Spaß. Das Frauchen ging derweil weiter, aber als ich merkte, dass sie sich schon recht weit von mir entfernt hatte, rannte ich doch vorsichtshalber schnell zu ihr hin. Sie freute sich, das habe ich gleich gemerkt. Ich ließ mich von ihr auch wieder anleinen, und wir beide gingen stolz nach Hause.

Leider habe ich in meinem Leben nicht viel gelernt, weil sich ja nie ein Mensch richtig um mich gekümmert hat. Die Kommandos wie „Sitz!“ oder „Platz!“ kenne ich nicht. Meinem Frauchen ist das egal, sie zwingt mich nicht mehr dazu, solche Dinge zu lernen. Andere Sachen habe ich sehr schnell gelernt. Wenn Frauchen aufsteht und den Wohnungsschlüssel in die Hand nimmt, dann weiß ich, dass wir spazieren gehen. Wenn sie die Kühlschranktüre öffnet, dann flitze ich hin und schaue das Frauchen ganz lieb an. Meist gibt es dann ein kleines Stück Fleischwurst für mich. Das habe ich auch schnell gelernt. Abends macht Frauchen den Fernseher an und setzt sich aufs Sofa. Ich recke meine Vorderpfoten zum Rand des Sofas, und sie hebt mich hoch. Eigentlich kann ich allein raufspringen, aber ich finde es einfach schöner, wenn sie mich hebt. Frauchen weiß das auch, sie ist ja nicht blöd. Dann schaut sie mich an und sagt: „Kiwi, du bist ganz schön schlau.“ Ja, ich glaube, dass ich wirklich schlau bin. Ich habe viel gelernt, und ich habe mein Frauchen auch schon ein bißchen erzogen. Aber das muss jetzt unter uns bleiben.

Die meisten Menschen finden mich „niedlich“ oder „süß“ oder „putzig.“ Das liegt wohl daran, dass ich ein kleiner Hund bin. Aber die vergessen doch, dass auch ein kleiner Hund vom Wolf abstammt. Da muss ich als Parson-Russell-Terrier mal zeigen, was ihn mir steckt an Instinkten; denn nur „niedlich“ ist auch blöd für einen Hund. Als ich am Wegesrand die Witterung einer Feldmaus aufnehme, hechte ich kühn auf das Mauseloch und buddele mit meinen Vorderpfoten wie wild. Dann steckt ich meine Schnauze in das Loch und grunze aufgeregt. Das Frauchen freut sich und lobt mich überschwänglich. Dann begegnen wir einem Gespann mit vier Huskies, das an uns vorbeifahren will. Ich bleibe stehen, richte mich zu voller Größe auf, angespannt von der Nasenspitze bis zur Spitze meiner Rute. Dann verbelle ich die Huskies laut und entschlossen. Das Frauchen ist stolz auf mich, streichelt meinen Kopf und sagt: „Kiwi, meine Kleine, du hast ganz allein vier große Hunde in die Flucht geschlagen.“ Ich weiß auch, warum sie so stolz auf mich ist. Als sie mich aus dem Tierheim geholt hat, war ich ein kleiner unsicherer Hund, jetzt bin ich eine selbstbewußte kleine Hunde-Dame, die den Instinkten ihrer wölfischen Vorfahren folgt. Jetzt habe ich auch begriffen, was ein „Frauchen“ ist – der Mensch, dem ich vertrauen kann. Das macht mein Frauchen glücklich. Und ich bin glücklich, dass ich an der Seite meines Frauchens endlich ein richtiges Hundeleben führen kann.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.08.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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