Hella Schümann

Mit dem Orchester unterwegs

Bin mit der Philharmonie hier gelandet und hatte fast zwei Stunden Zeit für mich. Es ist dunkel, 18:30 Uhr und es regnet. Meinen Schirm vergaß ich im Bus, es musste alles schnell gehen, weil wir in einen Stau geraten waren und die Musiker nun zu spät zur Probe kamen. Eigentlich wollte ich mal nicht fotografieren, wegen dem Wetter und der Dunkelheit, doch erst guckte mich ein geflügeltes großes Schwein so traurig an, da konnte ich nicht widerstehen und dann sah der Boden so traumhaft schön aus in der Nässe. Pfützen, Tropfen, Schaufenster-puppen sind zurzeit meine Motive. Ich stehe also vor dem Geschäft wo draußen meine Lieblingsschaufensterpuppen ausgestellt sind. Endlich kann ich sie mal ohne Scheibe davor knipsen. Bei mir zu Hause durfte ich im Geschäft nicht fotografieren. Als ich gerade meinen Apparat hochhielt, schießt eine Verkäuferin aus dem Laden und will wissen, was ich mache. Nun ist es ja nicht so, dass die Schaufensterpuppen in der Kamera verschwinden, wenn es klick macht, aber es ist verboten, sie zu fotografieren. Warum? Sie weiß es nicht und führt mich ins Geschäft. Die Dame dort verbietet es auch, erst als ich ihr erkläre, was ich daraus mache, nämlich Kunst, da sagt sie: „Nächstes Mal kommen Sie vorher zu mir und fragen.“ Habe ich da was falsch verstanden? Ist nicht ein Schaufenster öffentlich? Das ist doch kein Geschäft von Joob oder Armani, da würde ich nicht das Schaufenster fotografieren, dann könnten sie ja denken, ich wolle die Mode kopieren.

Nun sitze ich in einem Restaurant das aussieht wie ein Cafe und esse Kartoffelspalten mit einem leckeren Dipp. Der Kellner duzte mich, das fand ich sehr schön, denn es wirkte so vertraulich. Danach trank ich einen Cocktail, der Bananaboat hieß. Ich hatte mir den Platz am Kamin ausgesucht, das Feuer flackerte, eine Kerze brannte und der Tisch wackelte. Die Stühle waren mit weißen Hussen überzogen und das erinnerte mich an eine andere Geschichte: Ich saß einmal in einem Cafe mit mehreren Frauen und einem jungen Mann. Dieser Junge Mann hatte einen Reinigungszwang und er erzählte von zu Hause: Bevor er in die 6-wöchige Kur ging hatte er seine Möbel mit weißen Tüchern abgedeckt, damit sie nicht voll staubten. Bis dahin fand ich das noch ganz normal, doch ein paar Tage später fragte zufällig einer, ob er allein lebt. „Nein“, sagte er, „ ich wohne mit meiner Oma zusammen.“ Nun stellte sich heraus, dass die Oma in der Wohnung mit den zugedeckten Möbeln wohnte. Uns blieb ein großes Fragezeichen.

Das Konzert beginnt, ich sitze ganz oben unterm Vordach und sehe, dass der Konzertmeister eine Tonsur hat. Ich weiß nie, was auf dem Programm steht, aber ich bin ja auch nicht von der Presse. Es hört sich nach Puccini an. Meine Freundin, die mir die Karten besorgt hat, meinte, der Dirigent sähe aus wie ein Mafiosi, von hier oben jedenfalls wirkt er recht harmlos. Die Akustik ist wie ein klarer Frühlingsmorgen, hell, licht, kühl. Die Sopranistin schwingt ihren Rock herein, elfengleich, allerdings als schwarze Elfe. Der Tenor singt mit verschränkten Armen beim Duett. Seine Töne klingen ein wenig metallisch während ihre wie Samtperlen in den Raum kullern. Es wird bravo gerufen, allerdings ist der Tenor beliebter. Ich mag Sie lieber. Links oben stehen die Leute vor ihren Stühlen. Können sie im Sitzen schlechter hören oder sehen? Ich glaube der Sänger macht jetzt einen Striptease, erst öffnet er das Jackett und dann nimmt er die Fliege ab.

Es gibt Jubel für den Sänger und fürs Orchester, es war aber auch großartig.

In der Pause frage ich dummerweise, ob ich im Konzertsaal mal die leeren Stühle fotografieren darf. Nein, das ist verboten. Wegen Spionage, oder hat der Architekt (Innenarchitekt)gepfuscht? Als ich mal ein Geländer anfasse, bewegt es sich. Darum vielleicht? Komisch, dass sie keine Argumente haben. Später fotografieren ganz viele Leute.

Der Sänger und die Sängerin sehen wie Models aus, wie sich alles ändert, früher gab es oft sehr dicke Sänger und man sagte, dann haben sie mehr Volumen in der Stimme. Ich habe das nie geglaubt und als dann die ersten zierlichen und kleinen Japanerinnen mit gewaltiger Stimme Puccini schmetterten wusste ich, ich hatte Recht.

Die Sängerin erscheint nach der Pause im anderen Gewand, weißer Rock und kupferfarbenes Oberteil. Ich freue mich schon auf das hohe c. Und dann, leicht wie eine Feder aber laut und kraftvoll schwingt sie das hohe c in den Raum, man denkt, sie kann noch höher singen und ich weiß, wie viel Angst die meisten Sänger vor diesem Ton haben. Sie bringt ihn so selbstverständlich, als wäre es irgendein Ton in der Reihe der 12.

Es war für mich, da ich ja mal den Traum hatte Opernsängerin zu werden, ein wunderbarer Abend.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.08.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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