Jürgen Berndt-Lüders

Quintessenz eines Mannes, der nicht Jürgen Berndt-Lüders ist

Ich beginne meinen Erfahrungsbericht ohne alle erziehungsbedingten Hemmungen mit dem Wort Ich. Denn ich habe diese Erfahrungen gemacht, und wenn die hier geschilderten Meinungen zwar erst einmal nur meine Meinungen beschreiben, bin ich mir doch sicher, dass sie allgemeinverbindlich für den Menschen des 21. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung gelten.

Ich war noch keine zehn Jahre alt, als ich in der Schule die ersten Ansätze über das Wesen des Menschen lernte. Der Krieg war erst wenige Jahre her, und die Lehrer vermittelten uns Schülern das, was sie selber einmal gelernt hatten: Der Mensch ha            t Verstand und das Tier seinen Instinkt. Der Mensch handelt nach den Ergebnissen seiner Überlegungen und Erfahrungen, und das Tier nach dem, was ihnen von ihren Vorfahren mitgegeben wurde. Die Tiere handeln sozusagen programmiert und der Mensch je nach Situation. Sicherlich wendet er von Fall zu Fall seine Erfahrungen an, denn das erspart ihm sich ständig wiederholende Überlegungen, die doch immer wieder zum gleichen Ergebnis führen. 

Der Mensch handelt aber auch nach seinen Trieben. Der stärkste Trieb ist der Selbsterhaltungstrieb. Wenn es darum geht, Mittel anzuwenden, die das Leben erhalten, wird der Mensch sich immer dafür entscheiden. Tut er dies nicht, ist er krank. Der zweitstärkste Trieb ist der Geltungstrieb. Der Mensch will anerkannt sein. Er will geachtet, ja vor anderen bevorzugt sein. Der dritte Trieb sollte der Sexualtrieb sein. Menschen wollen ihre Gene weiter geben. Sie wollen, dass sich ihre Persönlichkeit nach dem Tode fortsetzt. 

Irgendwann begriff ich, dass dies nicht alles sein konnte. Ich erinnere mich, dass ich mich fragte, weshalb Ländergrenzen manchmal auch Meinungsgrenze ist. Auf der deutschen Seite waren  alle Bewohner Nazis gewesen, und auf der französischen Demokraten. Die hatten doch schon damals genügend Informationen, aus denen sie sich eine Meinung bilden konnten. Hatten die aus Angst vor Repressalien ihren Regierungen nach dem Mund geredet?

Später dann, als ich nach Berlin zog, mich unter jungen Leuten bewegte und feststellte, dass die unter der vorherigen Generation litten, weil die so strenge moralische Maßstäbe anlegten. „Das tut man nicht“, hieß es, oder, „mach du erstmal...“ usw. Warum hatten wesentlich weniger junge Leute solche Vorstellungen? Ich hatte damals noch keine Erklärung dafür. Jugend hat keine Tugend, hieß es. Aber später, als die jungen Leute zur bestimmenden Generation gehörten und wesentlich mildere Urteile über manche Straftäter gesprochen wurden, und die jüngste Generation politisch uninteressiert schien? Was war dafür die Ursache? Handeln nach Erfahrungen? Machten denn nicht alle dieselben Erfahrungen? Warum wurden dann zu unterschiedliche Rückschlüsse daraus gezogen? Richteten sich diese eher nach dem, welche sie breits gestern aus ähnlichen Vorgängen gezogen hatten? 

War jeder Straftäter das arme Opfer seiner Herkunft, so wie ich einst von meinesgleichen gelernt hatte, oder hatten die ihre Haltungen nur in Abwehr der früher vorherrschenden Bewertungen von Straftaten gebildet? Ich nahm mir vor, an jedem Tag  neu zu überdenken, ob das, was ich gestern vertreten hatte, auch heute noch galt, jeden Vorgang einzeln zu bewerten.

Ich bin doch kein Gewohnheitstrottel, dachte ich.

Ich erinnere mich, dass ich um 1980 herum mit einem katholischen Geistlichen, dem Verwandten meiner damaligen Ehefrau darüber diskutierte. Er sah die Regeln und Gebote von Institutionen wie der Kirche als ultimative Erkenntnis an, die einem den Lebensweg unverbesserbar und paraktikabel vorgab. Hatten denn nicht führende Geistliche um das Jahr 1200 herum die Frau als die Ursache allen Fehlverhaltens der Männer gesehen?  Nur weil die Männer auf „dumme Gedanken“ kamen, wenn sie den richtigen Frauen begegneten? Die eigene Triebhaftigkeit konnte das nicht sein, denn Gott hatte doch den Mann nach seinem Vorbild geschaffen.

Mal vom  Hexenwahn ganz zu schweigen.

Aber diese Gedanken traten nur periodisch auf.  Das änderte sich, als ich Anke begegnete, einer jungen Frau aus einem völlig anderen Kulturkreis. Wir sprachen die gleiche Sprache, aber waren unterschiedlich aufgewachsen und hatten verschiedene Rückschlüsse aus den gleichen Erlebnissen gezogen. Sie war hochintelligent, ich konnte mich also nicht damit herausreden, dass sie zu dumm sei, um meinen Gedanken folgen zu können. Weshalb war sie so völlig anders als ich? Eine Frage der Mentalität? Klar, aber war die Mentalität denn angeboren? War die Mentalität jedes Einzelnen nicht auch das Produkt seines Werdegangs?

Ihre Andersartigkeit  faszinierte mich. Ich hatte doch beschlossen, Überlegungen, die in andere Richtungen gingen als meine, nicht zu blockieren, auch wenn dies nicht meine Richtung war. So erzählte sie mir, dass sie, bevor sie Dreißig würde, noch Mutter werden wolle. Sie und ihr Bruder waren zu zweit gewesen, und auch sie wollte am liebsten einen Jungen und ein Mädchen zur Welt bringen. Sie „holte“ sich Felix und Rebekka von mir, ohne mich jedesmal darauf hinzuweisen, dass jetzt die Stunde des Eisprungs, der Empfängnis gekommen sei. 

Ich liebe meine Kinder, und werde immer für sie da sein.

Im Laufe der Jahre und des Zusammenseins mit der Familie läuterte ich und nahm eine feste, aber unverkrampfte Haltung an. Ich brauche keine Richtlinien, keine fremden Vorschriften, was das Menschsein betrifft.

Fazit

Weshalb also denken und fühlen die Menschen so unterschiedlich, obwohl sie den gleichen Geschehnissen ausgesetzt sind wie andere? Weshalb bewerten sie dann diese  anderen negativ? „Du bist negativ, weil ich einen Schuldigen brauche?“ Was läuft da ab im Menschen?

Ich brauche verdeutlichende Beispiele. Am besten solche, die ich selbst erlebt  und womöglich noch frisch in Erinnerung habe. Gerade eben fuhr ich mit dem Fahrrad, und ich habe bemerkt, was ich sehr häufig bemerke, an das ich mich aber gewöhnt habe, weil es mich sonst belasten würde. Wäre ich je Opfer eines Unfalls geworden, der auf solche Beispiele fußt, hätte ich mich wohl nie dran gewöhnen können: Autofahrer blinken häufig nicht vor dem Abbiegen.

Ich besitze meinen Führerschein bereits seit über 50 Jahren. Ich blinke automatisch, bevor ich anfange, die Fahrtrichtung zu ändern. Andere tun das nicht. Das ist für Radfahrer und Fußgänger sehr gefährlich. Viel gefährlicher als für andere Autofahrer. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir das Nichtblinken anderer aufgefallen ist, wenn ich mit dem Auto unterwegs war.

Ich habe das Blinken als Fahrschüler akzeptiert, weil wir damals autoritäre Entscheidungen Über-uns-Stehender sehr viel widerspruchsloser hingenommen haben als dies heute der Fall ist. Wir haben auch mitten in der Nacht vor der roten Ampel angehalten, auch wenn wir wussten, dass dort kein Blitzer installiert war. Dagegen haben wir oftmals gegen Anordnungen nicht-staatlicher Personen opponiert. Alles Spießer! Heute wird häufig nur das berücksichtigt, was man selber für sinnvoll hält, weil es für einen selbst gefährlich sein könnte. Andere interessieren wenig.

Diese Abläufe, die wir selber durchführen bzw. veranlassen, werden so automatisiert, dass wir uns kaum noch dran erinnern können, obwohl sie gerade eben geschehen sind.  Wir speichern sie in unserem Genpool ab.

Ich las kürzlich den Bericht eines Ethnologen, der mit einem Mitglied eines der letzten indigenen Völker am Amazonas in einer offenen Savanne unterwegs war. Der sah links und rechts in großen Entfernungen Tiere das Gras abweiden. Ein paar Sekunden lang versuchte er, diese Tiere  mit lockeren Handbewegungen von der Weide zu pflücken, wohl weil er sie essen wollte. Dieses Ernten links und rechts von den nahen Bäumen war tief in seinen Funktionen abgespeichert und wurde gleichzeitig als positiv wahr genommen. Wäre es um gefährliche Tiere gegangen, hätte er wohl ganz anders reagiert, obwohl die in sicherer Entfernung waren.

Diese Prägungen sind in Gensträngen abgespeichert. Bis vor Kurzem war man sogar der Meinung, dass sie sich  unabdingbar über Generationen hinweg weiter vererbten. Heute wissen wir von der Epi-Genetik. Dort sind zwar alle Körperfunktionen und –Eigenschaften angelegt, werden aber abgeschaltet, wenn sie temporär oder absolut nicht benötigt werden. Der Indio aus meinem Beispiel wird wohl nie wieder Gnus und Antilopen von der Savanne pflücken wollen. Aber er wird noch lange über sich selber lachen, wenn er in ähnliche Situationen gerät. Er hat da eine positive Erfahrung  gemacht. Wäre dagegen ein Buschmann aus Südafrika im Urwald am Amazonas links und rechts auf Raubtiere in großer Nähe gestoßen und hätte er sie als weit-entfernt eingeschätzt,  hätte er sicherlich neben dieser Erfahrung noch eine Menge Angst abgespeichert. Das ganze Amazonasgebiet wäre ihm plötzlich suspekt gewesen.

Soweit die allgemeingültigen Fakten. Nun die von mir unter Kenntnis z. B. oben geschilderter Punkte erkannten Zusammenhänge:

Wir Menschen bilden uns ein, unsere Entscheidungen rational unter vollem Einsatz unseres unbelasteten Großhirns zu treffen. Das ist nicht richtig. Unsere abgespeicherten Prägungen steuern uns, ohne dass wir diese Entscheidungen relativieren. Denn wir sind das Produkt der immer noch andauernden Evolution der Menschheit.

Niemand bestreitet, dass dies bei Tieren so ist. Der Mensch soll aber die perfekte „Krone der Schöpfung“ sein. Das ginge nur, wenn es einen Schöpfer gäbe. Die Wissenschaft geht aber davon aus, dass alles Leben aus einer gemeinsamen Urzelle entstanden ist, egal, wie diese entstanden ist. Hat die Wissenschaft recht, entwickeln wir uns ständig weiter. Demnach müsste es in der Vergangenheit einen Stand gegeben haben, nach dem wir heute leben, der aber heute nicht mehr den Erfordernissen entspricht, den wir also dringend ändern müssten.

Hier wieder eine meiner Erfahrungen, aus denen ich Rückschließe ziehe:

Seit relativ kurzer Zeit arbeite ich mit einer Visa-Kreditkarte. Damit erledige ich meine Einkäufe im Supermarkt. Einmal im Monat verrechnet meine Bank den Soll-Betrag mit meinem Guthaben auf dem Girokonto. Zweimal nun kaufte ich bei US-Software-Unternehmen, wo ich mit Kreditkarte zahlen musste, denn in den USA ist diese Zahlungsart  oft Bedingung.

Drei mir unbekannte Riesen hatten nun meine Kreditkartennummer. Der Supermarkt-Mitarbeiter beginge quasi wirtschaftlichen Selbstmord, wenn er meine Kreditkarte betrügerisch verwendete, also wird  bei den US-Unternehmen das nun folgende Leck zu suchen sein.

Ich bekam eine Mail von Ebay, wo ich seit Jahren nicht mehr gekauft habe. In der Mail wurde mir die Lieferung eines angeblich von mir bei Ebay gekauften Gegenstandes angekündigt, zahlbar per Kreditkarte, deren Nummer angeführt wurde. Ich rief bei Ebay an und ließ die angebliche Bestellung stornieren. Die Kreditkarte  sperrte meine Bank.

Tags darauf tauchte der Betrag trotz Sperrung auf meinem Kreditkarten-Konto auf. Belastet von PayPal. Ich erfuhr, dass ich diese Belastung nach Umbuchung auf mein Girokonto zurück holen kann.

Ich habe nicht gewusst, wo die Risiken einer Kreditkarte liegen. Ich weiß es jetzt. Wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, von Ebay die Mail zu bekommen, hätte ich irgendwann auf die Belastung auf meiner Kreditkarte gestarrt und auf  den kriminellen  Kapitalismus geschimpft.

Oder anders: Wenn hier in der ehemaligen DDR so viele verzweifelt feststellen, dass die Einkünfte sinken und die Kosten steigen, woran dann die Regierung schuld ist, der man kriminelle Absichten unterstellt, dann kann ich nur sagen: Leute, ihr hättet euch vor dem Beitritt erkundigen müssen, was alles passieren kann.

Es geht euch wie dem Buschmann, der plötzlich mit unerwarteten, noch nicht programmierten Gefahren konfrontiert wird und ab sofort alles Negative auf diesen Umstand schiebt. Oder wie dem Radfahrer, der plötzlich nicht mehr weiß, ob ihn der nicht-blinkende Autofahrer gleich von Fahrrad kickt, weil er geradeaus fährt, oder ob er gleich abbiegt und den Weg freigibt.  Und dem Autofahrer, der sich fragt, weshalb denn der Radfahrer nicht flott weiter fährt anstatt zu „wackeln“, was den unberechenbar macht.

Auch die Unternehmen, die Kreditkarten entwickeln und Firmen, die Kreditkartenzahlungen bevorzugen, weil Bargeld immer eine Menge zusätzliche Kosten und Gefahren verursacht.

Überprüfe immer alle Bedingungen, die sich aus  dem Umgang mit anderen Menschen ergeben, und überprüfe sie neutral und lass dich nicht von deinen Sympathien und Aversionen leiten.

 

 

 

 

 

 

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