Patrick Rabe

I can't breathe

„I can’t breathe“,

und warum der Gedanke der Leibeigenschaft so schädlich ist.

ein Essay von Patrick Rabe

 

 

Seit einigen Jahren finde ich den Gedanken von amerikanischen, und teils auch deutschen Evangelikalen, das Eigentum von Jesus Christus zu sein, total befremdlich. Bob Dylan singt es auch: „I’m the property of Jesus“. Wenn man dieses Wort mal etymologisch untersucht, wird es noch erschreckender. In „Property“ steckt zum Beispiel „Prop“, also „Kulisse“. Bin ich also ein Teil der Kulisse, in der die höheren und niederen Mächte ihr blutiges Theaterstück aufführen? Wer hat mich eigentlich gefragt, ob ich da Bock drauf habe? Das Wort „Property“ genau hergeleitet, bedeutet „Möbelstück, das glänzt, und auf das sein Besitzer stolz ist, und mit ihm angibt“. Was ist das bitte für ein durchgeschallerter Gedanke, und was für eine Definition vom Menschen!? Wo bleibt da noch die persönliche Würde?  Nicht umsonst schreiben viele der heutigen Protestierenden rund um den Globus „I can’t breathe“ (Ich kann nicht atmen) auf ihre Plakate und auf Wände.

 

Immerhin thematisiert Dylan auf derselben Platte (Shot of Love) auch die beunruhigende Seite all dessen (In „The groom’s still waiting at the altar“). Da singt er: „Ich sehe Menschen herumstehen wie Möbelstücke (Furniture)“. Ein bisschen versöhnt mit diesem ganzen „Property of Jesus“-Kram hat mich die Erkenntnis, woher es kommt. Nämlich aus der Bewegung der schwarzen Sklaven Amerikas. Diese waren ja Christen geworden und nutzten die Botschaft und Kraft des Evangeliums für ihren Befreiungskampf. Das kann ich bis dahin gut nachvollziehen, und es ist auch biblisch (Auch ihre Identifikation mit Mose und den Israeliten in Ägypten). Jedoch war es danach den Farbigen offensichtlich nicht möglich, sich wirklich als Freie, und von Christus Befreite zu begreifen. Sie konnten sich nur abermals als „Eigentümer“ eines neuen, dafür aber gnädigeren Herrn begreifen. Das ist aber nicht das, was die Bibel sagt. Wir sind als Christen keine „Eigentümer“ von Gott oder Christus, sondern wir sind zur Freiheit und liebevollen Gottesbeziehung befreite Kinder Gottes. (Die Bibel spricht von Söhnen und Töchtern). Und welchen Stellenwert diese haben, und auch, wie der Vater (im Himmel) mit ihnen umgeht, finden wir im Gleichnis vom verlorenen Sohn beschrieben. Dort steht Folgendes:

 

„Da ging er (der vom Vater weggegangene Sohn) in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!  Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich einem deiner Tagelöhner (in dem Fall Feldarbeiter, die Bibel nennt sie an anderer Stelle „Knechte“, manche Übersetzungen übersetzen dies mit „Sklaven“) gleich!  Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.  Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.  Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!“ (Lukas 15)

 

Wir finden hier, und auch später in den Briefen, nichts von dem Gedanken, nach der „Umkehr“ ein Sklave oder gar Besitzstück Gottes zu sein, oder sein zu müssen.  Im Gegenteil. Die Briefe sprechen von einem in Liebe und Langmut getragenen Hineinwachsen in Gottes Wirklichkeit. An einer Stelle sagt Paulus: (in Galater 5) „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!  Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.  Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen.  Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen.  Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“

 

„Beschneidung“ meint hier nicht nur die Beschneidung der Penisvorhaut, die gläubige Juden an ihren Söhnen vollziehen, sondern auch die Selbstbeschneidung in der Fülle der Freiheit und Einheit mit Gott. Dies ist natürlich streng genommen dasselbe, denn die traditionelle Beschneidung ist ein Symbol für die Demut, die man vor Gott haben soll, und für das sich zurücknehmen zugunsten des Geistes Gottes. Dies ist jedoch für einen Menschen, der eine wirkliche, spirituelle Umkehr vollzogen hat, also tief im Herzen ehrlich bereut hat, und aus eigener, tiefster Erkenntnis heraus seinen Lebensweg korrigiert hat, nicht mehr nötig. Nämlich weder eine Beschneidung am Leib, noch eine Beschneidung im Geiste.  Denn er hat diesen Schritt seelisch getan. Nun kann er in Freiheit mit Gott zusammenleben. Dieses meint Paulus hier.

 

Das erneute sich beschneiden (lassen), und im Judentum gibt es ja eine ganze Reihe von „Beschneidungsfesten“, z.B. Jom Kippur, ist eigentlich eine Rückkehr in die geistige Unmündigkeit und Knechtschaft. Christen vollziehen solche Schritte (natürlich in der Regel nicht körperlich!!!) an sich meist aus der Angst vor dem Zorn und der Ungnade Gottes. Das ist dann aber aus meiner Sicht eine Sache mangelnden Vertrauens.  Wenn Gott mir gnädig ist, darf ich auch unperfekt sein, und „fallen“. Ein reifer Mensch steht nach einem Fall einfach wieder auf und verarztet seine verletzten Körper-und Seelenteile. Denn er weiß, dass Gott seine Gnade und Liebe nicht von ihm genommen hat.

 

Die Frage, die ich heute stelle, in einer Zeit, in der eine Zurücknahme unserer Expansionen schon sinnvoll erscheint, auf jeden Fall eine Zurücknahme der kapitalistischen Expansionen und der damit verbundenen Ausbeutungen der Ressourcen von Mensch, Tier und Umwelt, ist, wie man „Umkehr“ heute deuten und leben muss und sollte. Ich glaube – auch aus eigener, leidvoller Erfahrung – dass eine Denke und Lebenspraxis, die einen zum willfährigen Sklaven, Diener oder Knecht eines Gottes macht, der Realität des heutigen Menschen nicht mehr gemäß ist, und zu entsprechenden Gegenbewegungen und Rebellionen führt, erst im Inneren, und dann im Äußeren. Wer sich selber als Sklave definiert, wird auch ab irgend einem Punkt sein eigenes Inneres versklaven, und dann nach und nach auch seine Mitmenschen. Im Endpunkt führt eine solche Geisteshaltung stringent zu ihrem Gegenteil, nämlich zu dem Wunsch, alles und jeden in der näheren und ferneren Umgebung zu unterwerfen und zu beherrschen.

 

Dieser Philosophie hat der Kapitalismus mit seiner immensen Ausbeutung von Menschen, Tieren und Pflanzenwelt, der Verschmutzung der Erde und seinen Kriegen und imperialistischen sowie kolonialistischen Tendenzen lange Jahrhunderte gehorcht, und uns damit in die Bredouille gebracht, in der wir heute sind. Was wir heute überall erleben, in unserem eigenen Land und auch weltweit, sind Sklavenaufstände. Die Natur und die Tiere rebellieren. Menschen, die in unwürdigen und zurückgestellten Positionen gelebt haben, stehen auf und protestieren. Und auch in den Seelen regt sich Wut, Zorn und Protest. Dies alles ist wichtig, richtig und gesund. Es ist ein Ausdruck des „Sich-Aufrichtens“ des viel zu lange Unterdrückten und Geknechteten. Es weiter zu unterbinden, und die Aufständischen erneut mit Lügen, Bestechungsgeschenken, gesellschaftlichen Vorteilen und noch mehr Konsum ruhig zu stellen, weiter zum Mitmarschieren auf dem falschen Weg zu bringen, und einfach weiter zu machen, wie bisher, wäre ein fataler Fehler. Wenn wir und die Verantwortlichen in Gesellschaft, Wirtschaft, Religion und Politik das tun, wird uns das in ein Fiasko nicht gekannten Ausmaßes führen.

 

Der Corona-Virus mit seinen massiven Erkältungs-und Atemwegseinschnürungssymptomen, aber auch die Art, wie wir auf ihn mit social distancing und dem paranoiden Maskentragen reagieren, sind Ausdruck für das darunterliegende Problem. Eine tiefe innere Erkältung, und ein Ersticken an unserer Lieblosigkeit, der Unfähigkeit, Gefühle zeigen zu können und der Versklavung unserer Selbst und unserer tiefsten und echtesten Bedürfnisse.

 

Was wir brauchen, ist ein „Ja“ zu uns selber. Was wir brauchen, ist innere Wärme. Was wir brauchen, ist das Leben dürfen von innerem Feuer und Leidenschaft, die sich auch ungekünstelt und unverstellt Ausdruck verschaffen darf. Was wir brauchen, ist das ehrliche Stehen zu uns selber, und das Ausleben unserer ganzen Persönlichkeit. Was wir nicht mehr brauchen, ist ein Gottesbild von einem uns hassenden, unterdrückenden und reglementierenden Gott, der uns zwischendurch immer wieder Liebesversprechungen macht, und uns dann erneut in die Abhängigkeit und Sklaverei führt.

 

 

 

© by Patrick Rabe, 26. August 2020, Hamburg.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.08.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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