Wolfgang Küssner

Für die Insel - 2. Teil

Ein Sänger wurde im Interview vom Jornalisten gefragt, ob der Eindruck eventuell täusche, aber es würde so aussehen, als sei nur noch eine kleine Anzahl großer Tenöre auf den Bühnen zu erleben. Die sehr bescheidene Antwort: Ihre Wahrnehmung ist absolut richtig. Wir sind nur noch sehr wenige. Von der kleinen Anekdote zur etwas umfangreicheren Geschichte. Hier heißt es jetzt, das Reisegepäck für die Insel mit den Lieblingsstücken des Klassik-Genres zu komplettieren. Zweiter Teil:

Wer den Film Tod in Venedig von Luchino Visconti gesehen hat, wird eine Musik im Kopf behalten haben: Das Adagietto aus der Sinfonie Nr. 5 von Gustav Mahler. Sehr langsam. Pianissimo. Besinnlich, fast entrückt. Auch ohne die beeindruckenden Bildes des Films.

Beim Einstieg in die Klassik erweist sich häufig der Gesang als das größte Moment der Gewöhnung, Überwindung; ganz besonders im Fall hoher Frauenstimmlagen. Von Robert Schumann gibt es diverse Duette, z.B. das Wiegenlied op. 78 Nr. 4 für Sopran und Bariton oder auch Mezzosopran und Bariton. Zur Einstimmung. Ein weiches, warmes, zartes Wiegenlied. Für die schönsten, süssesten Träume.

Ein Musikfilm begeisterte seit 1994. Sein Titel: Farinelli. Der Film thematisiert die Geschichte des erfolgreichen Kastraten Carlo Broschi, genannt Farinelli. Im 17. bis frühen 19. Jahrh. wurden junge Sänger mit besonders feinen Stimmen vor der Pubertät einer Kastration unterzogen, um die Reinheit der Stimme zu erhalten. Counter-Tenöre unserer Tage sind durch Veranlagung und Technik in der Lage, im besonders hohen Stimmbereich zu singen. Doch zurück zu Farinelli. Ein genialer Soundtrack, auch wenn die Stimme des Protagonisten für den Film synthetisch hergestellt wurde. Musikgeschichte. Für einen ersten Eindruck: Track 1 – die Arie Son qual nave ch`agitata.

Wenn er unterwegs ist, sollte man besser nicht schlafen, sehr wachsam sein. Die Rede ist von Mackie Messer. Getextet hat es Bertolt Brecht, komponiert Kurt Weill. Mackie, dem man nichts nachweisen kann, schleicht durch Die Dreigroschenoper. Das Musikstück entstand 1928 und basierte auf The Beggar´s Opera von John Gay und Johann Christoph Pepusch, 200 Jahre früher uraufgeführt. Die Moritat von Mackie Messer ist das am häufigsten gecoverte Stück aus der Dreigroschenoper. Legendär die Aufnahme mit Lotte Lenya von der Premiere 1928. Klingt vielleicht ein wenig dünn; bleibt jedoch eine tolle Interpretation und deshalb hier genannt.

Der wohlbeleibte italienische Tenor Luciano Pavarotti wurde einst nach dem schönsten Kompliment gefragt, das ihm je unterbreitet wurde. Anwort: Er wollte nach einem Konzert das Haus durch den Bühnenausgang verlassen, als ihm eine Frau entgegengestürmt kam, die Tür vor den Kopf schlug und sich mit den Worten entschuldigte: Oh! Entschuldigung. Ich habe sie übersehen. - Das nächste Lied stammt von Ludwig van Beethoven, trägt den italienischen Namen In questa tomba oscura (WwO.133) und wurde von Pavarotti mit Begleitung durch das Philharmonia Orchestra wunderschön interpretiert. Wem das eventuell etwas zu warm und schön daherkommt, es geht schließlich um ein kaltes Grab, dem sei empfohlen, sich das Lied vom Bariton Dietrich Fischer-Dieskau gesungen, anzuhören; nur vom Klavier begleitet.

Und jetzt ist eine Sopran-Stimme fällig. Nicht irgendeine, die der grandiosen Jessey Norman. Sie singt das Ave Maria von Franz Schubert. In deutscher Sprache, vom Klavier begleitet. Das Lied heißt eigentlich Ellens Gesang III Hymne an die Jungfrau D. 839, Op. 52 Nr. 6. Nun wissen Leser:innen es genau. Mit dem Begriff Ave Maria weiß allerdings auch jeder Kundige, was gemeint ist. Interpretiert wird dieses Kunstlied von vielen großen Stimmen. Instrumentalversionen sind auch verfügbar. Ich bleibe bei Jessey Norman.

Noch einmal soll es um Gesang gehen; konkret um Orchester und Gesang. Gesang heißt im konkreten Fall: Alt-Stimme und und Männerchor. Das Werk trägt den Namen Rhapsodie für eine Altstimme, Männerchor und Orchester op. 53 und stammt aus der Feder von Johannes Brahms (1869). Der Text kommt aus Johann Wolfgang von Goethes Harzreise. Zwölf bis maximal fünfzehn Minuten lohnende Aufführungsdauer. Das in c-Moll beginnende Werk endet durch die Altstimme und den hymnischen Männerchor in C-Dur. Berührend, versöhnlich.

In Konzert- und Opernhäusern darf nicht gepfiffen werden. Auch die beste Pfeife bringt einen schrägen, aber keinen reinen Ton hervor. Wenn ich die Klaviersonate in D-Dur für vier Hände KV 381 von Wolfgang Amadeus Mozart höre, fällt es mir zumindest im ersten und dritten Part schwer, nicht Luft durch die gespitzten Lippen zu pressen. Vielleicht geht es Hörer:innen ja ähnlich. Musik bereitet auch Spaß.

Für die Oboe, einem Holzblasinstrument, ist hin und wieder auch der symphatische Spitzname, Primadonna der Blas-Instrumente zu hören. Ähnliche Vorläufer hat es schon 3000 Jahre vor unserer Zeit gegeben. Ihren Urspung im engeren Sinne hat die Oboe in der französischen Barockmusik des 17. Jahrhunderts. Reine, klare, warme Töne. Ausgesprochen virtuos zu spielen. Doch was sollen die vielen Worte. Eine der schönsten Kompositionen für dieses Instrument stammt von Wolfgang Amadeus Mozart. Titel: Oboenkonzert C-Dur KV 314. Darf hier auf keinen Fall fehlen.

Und weil er klanglich begeistern kann, gleich noch einmal Wolfgang Amadeus Mozart. Übrigens eines seiner letzten Kompositionen aus dem Jahr 1791, einen Monat vor seinem Tod vollendet. Konzert für Klarinette A-Dur KV 622. Das ca. 30 minütige Werk besteht aus folgenden drei Sätzen: Allegro, Adagio (auf vielen Musiksamplern, als Filmmusik häufig zu hören) und einem Rondo/Allegro. Das Adagio (langsam) wäre ein Muss, und in meinem Gepäck.

Mit einer Romanze möchte ich die Auflistung meiner für die Insel ausgewählter Kompositionen fortsetzen. Genauer Titel: Romanze für Violine und Orchester in F-Dur op. 50. Der Komponist: Ludwig van Beethoven, vermutlich 1789 zu Papier gebracht, doch erst 1805 veröffentlicht. Eine Einladung zum Träumen.

Der französische Komponist Erik Satie (1866-1925) hat mit seinem Schaffen die Neue Musik und den Jazz beeinflusst. Besonders bekannt drei 1888 für Klavier solo geschriebene Gymnopédies; die Nr. 1 ist bei Einsteigern in die Welt der Klassik, also bei jenen, die die Hürde genommen haben, sehr beliebt; deshalb die Nennung hier.

Zwischen dem Tod seiner Eltern (Vater 1885, Mutter 1887) brachte der französische Komponist Gabriel Fauré sein Requiem op. 48 für Sopran, Bariton, vier- bis sechstimmigen Chor und Orchester zu Papier. Der letzte Teil dieses Werkes trägt den Titel In paradisum. Hervorragend geeignet, um nach stressigen Momenten zu entspannen. Bitte versuchen.

Bei dieser Ansammlung hervorragender Musik ließe es sich lange auf der einsamen Insel aushalten. Vielleicht würde in dieser Zeit sogar Weihnachten stattfinden. Da darf sein Werk natürlich nicht fehlen: Das Weihnachtsoratorium BWV 248, ein sechsteiliges Oratorium für Solisten, gemischten Chor und Orchester. Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage... .von Johann Sebastian Bach. Leser:innen sehen, durch die Auswahl bin ich auf fast alle Momente des Lebens vorbereitet; Klassik ist keineswegs lebensfremd.

Vielleicht haben die ausgewählten Kompositionen überzeugen können, dass klassische Musik nicht hinter einer Hürde stecken bleiben sollte, man diese Musik durchaus auch ohne großes Verständnis genießen kann. Klassik kann nämlich nicht nur auf einsamen Inseln Spaß bereiten. Und das die Komponisten durchaus auch Spaß bei ihrer Arbeit hatten, zeigen nicht nur drei kleine, ausgewählte Musikstücke: Mozart, Sextett Ein musikalischer Spaß KV 522 für zwei Hörner und Streicher; die Sinfonie Nr. 94 G-Dur von Joseph Haydn, auch als die mit dem Paukenschlag (bitte nicht erschrecken) bekannt; das Duetto buffo di due gatti, auf gut Deutsch: Humoristisches Duett für zwei Katzen von Gioachino Rossini; komponiert für zwei Soprane oder aber Sopran und Alt.

Nach dem musikalischen Spaß nun ein musikalischer Scherz bzw. ein lustiges Komponisten-Rätsel:

Eine Wirtin in Wien wies einen zimmersuchenden Studenten mit folgender Begründung ab: „Mei, mit dem letzten Musik-Studenten haben wir so ein Pech gehabt! Er kam zwar beethövlich an, wurde aber schon nach kurzer Zeit sehr mozärtlich zu meiner Tochter. Dann brachte er ihr einen Strauss, nahm sie beim Händel und führte sie mit Liszt über den Bach in die Haydn. Dort dachte er: Wer nicht wagnert, nicht gewinnt. Deshalb wurde er immer reger, konnte sich nicht mehr brahmsen, und so haben wir heute einen Mendelssohn und wissen nicht wohindemith.“ (12 Namen von Komponisten können maximal entdeckt werden. Nicht entdecken konnte ich den Verfasser dieses Textes.)

Klassik-Kenner:innen werden Namen von Komponisten vermissen, andere Werke, als die hier genannten, zu ihren eigenen Favoriten wählen. Das ist gut so. Hier geht es um meine ganz persönliche Auswahl, vielleicht um Appetithappen, ein paar Anregungen. Und hören kann man diese und andere Titel natürlich auch, z.B. auf YouTube, oder bei anderen Anbietern, unter Eingabe der kursiven Texte. Viel Spaß.

Eine Komposition darf für die Reise auf die Insel auf keinen Fall vergessen werden: Johannes Brahms, Ein deutsches Requiem (nach Worten der Heiligen Schrift op.45). Dabei denke ich nicht an Musik für die letzten Atemzüge auf der Insel. Im Gegenteil. Wenn ich den 2. Satz aus diesem Werk höre, die Schläge des Schicksals, den Text: Denn alles Fleisch, es ist wie Gras... Das berührt mich so intensiv, dass ich danach mehrere Tage nicht schlafen kann. Ergo – einsame Insel - wenn ich nicht schlafe, kann ich gut wachen, laufe nicht Gefahr, das vielleicht nachts vorbeischwimmende, mich rettende Schiff zu verpassen. Um Nachschub zu holen: Für die Insel.

August 2020

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