Monika Jarju

Ein blauer Roller (1)

Die leere Terrasse vor der weißen Orangerie, grüne Kugelrobinien unter einem Klang weißer Musik, der Park ist menschenleer. Es ist angenehm warm, die Sonne scheint, ein blauer Roller lehnt an der Jalousie. Ich suche mir eine Bank, lehne mich zurück und lausche dem Rauschen der Kaskaden. Das Plätschern der Wasserspiele erzählt mir von einer Zeit, als die Stadt noch geteilt und der Park wie ein Grenzland war. Ich schließe die Augen, der Park wird mir nun sichtbar in meiner Erinnerung. Geschirr klappert, Zeitungen rascheln, Kinder lachen, ich höre eine vergessene Melodie. Es müssen Geräusche aus meinem früheren Leben sein. Oft habe ich hier gesessen, in Anzeigen nach einem vollkommenen Leben gesucht und Leute beobachtet, die mir wie Inseln erschienen.

Da ist dieser junge Mann, der mit einer Ratte auf seiner Schulter spazieren geht. Eine freundliche Ratte, die nicht nach ihm schnappt, wenn er ihr Fell krault. Er redet unentwegt auf sie ein, während ein Flugzeug dröhnend den Park überfliegt und jemand über einen Abfalleimer gebeugt im Unrat der Zeit wühlt. Und jener Mann mir gegenüber auf einer Bank, dünn und fahl. Er kostet seinen Hunger aus einer schäbigen Plastiktüte, die prall mit speckigen Prospekten gefüllt ist. Fiebrig zieht er sie raus, faltet gierig Programme auf, probiert ihren Hochglanzgeschmack. Dome, Kirchen, Konzerte verleibt er sich ein, Blatt für Blatt. Er steckt sie zurück in die Völlerei der Tüte, gänzlich ausgehungert. Auf der Terrasse sitzt ein Mann aus Fleisch, aus Blut, wie ein Lachen. Ich wünsche mir, die Ratte würde in die Tüte springen und die Ränder des Mangels annagen, während er einen leichten Ton dirigiert, ich Milchkaffee serviere und die Sprachlosigkeit des Mannes sich in die Musik hinein bewegt. Eines Tages verließ ich den Park, die Erinnerungen nahm ich mit.

Ich öffne die Augen, während ein blauer Roller in den Seitengang einbiegt, hinter den Büschen verschwindet, kurz darauf erscheint und um eine Platane kurvt. Der Junge auf dem Roller wirft mir ein Lächeln zu. Ich stehe auf und gehe weiter in Richtung der Wassertreppen. Krokodile sitzen auf Sockeln, es sind zwei, und steinerne Knaben sitzen auf den Krokodilen. Ein Schmunzeln durchzieht ihre harten Mäuler. Wie gerne würde ich ein Krokodil vom Stein befreien, doch es lässt sich nicht an seiner grauen Farbe packen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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