Claudia Savelsberg

Auf den Hund gekommen!

Anja hatte einen Irischen Wolfshund, seine Widerristhöhe betrug 79 Zentimeter, und er wog 56 Kilo. Anja liebte große Hunde nun mal. In einem Augenblick geistiger Umnachtung hatte sie ihm den Namen Iwan  gegeben. Keine gute Wahl; denn der Name förderte nicht gerade vertrauensbildende Maßnahnmen zwischen einem Wolfshund und Menschen, die großen Hunden mit Skepsis begegneten.

Anjas beste Freundin Silke hatte einen Mops, der auf den Namen Olli hörte, meistens jedenfalls. Der Kleine hatte ein Schultermaß von 30 Zentimetern und wog 8 Kilo. Iwan und Olli verstanden sich prächtig, und die beiden Freundinnen amüsierten sich köstlich, wenn das ungleiche Hundepaar durch den Garten tobte. Als Silke für ein paar Tage ins Krankenhaus musste, fragte sie Anja, ob sie Olli in dieser Zeit zu sich nehmen würde. Anja stimmte sofort zu, entschloss sich allerdings, die täglichen Spaziergänge mit Olli und Iwan getrennt zu machen; denn der Mops konnte bei der schnelleren Gangart des Irischen Wolfhundes schwer mithalten.

Wenn Anja mit Olli unterwegs war, wurde sie immer wieder angesprochen. Fremde Menschen beugten sich zu Olli runter, wollten ihn streicheln. Alle fanden den kleinen Hund „niedlich“, „putzig“ oder „süß.“ Anja konnte es bald nicht mehr hören. Hätte sie für jedes „niedlich“, „putzig“ und „süß“ fünf Euro bekommen, dann wäre sie auf Lebenszeit finanziell saniert, dachte sie bisweilen ironisch.

Als Silke wieder zuhause war, erzählte ihr Anja davon. Die Freundin lachte schallend: „Aber das ist doch nix Neues für mich. Was glaubst du, wie oft ich angesprochen werde. Auch von Männern.“ Anja echote: „Von Männern??“ Sie war seit acht Monaten Single und auf der Suche nach einem neuen Partner. „Mich hat noch kein Mann angesprochen, wenn ich mit Iwan unterwegs bin. Dabei ist er doch so schön und lieb. Wieso wirst du angequatscht und ich nicht?“ Silke grinste: „Ach mein Schatz, manchmal bist du etwas dusselig. Das ist doch ganz einfach. Ich hol' jetzt 'ne Flasche Prosecco, und dann erkläre ich es dir.“

Sie verschwand in der Küche und kam mit einer Flasche Prosecco und zwei Gläsern zurück. Die Freundinnen prosteten sich zu, dann legte Silke los: „Männer haben nun mal einen Beschützerinstinkt. Den hatten sie auch schon in der Steinzeit, denk ich mal. Klar?“ Anja nickte. Silke redete weiter: „Du bist eine selbstbewusste Frau. Das sieht man dir an. Und eine selbstbewusste Frau weckt keinen Beschützerinstinkt.“ Anja nahm schmollend einen großen Schluck Prosecco. „Dann hast du auch noch Iwan an deiner Seite. Mal ehrlich – der Hund signalisiert doch, dass er dich beschützen kann. Da fühlt sich doch ein Mann überflüssig. Deshalb wirst du nie angesprochen. Glaub' es mir.“

Silke nippe an ihrem Prosecco, Anja schaute apathisch in ihr Glas und dachte an ihren Iwan. Silke setzte zum Schlussplädoyer an: „Ein kleiner Hund wie mein Olli ist eben niedlich und süß und weckt den Beschützerinstinkt. Wenn die Frau den schon nicht weckt, dann wenigstens der Hund. Hauptsache, der Mann hat was zum Beschützen. Logisch oder?“ Anja lachte: „Ja, die Kerle sind wirklich allesamt einfach gestrickt.“

Die Freundinnen kicherten wie die Teenager und plauderten weiter über kleine und große Hunde und über Männer. Die Flasche Prosecco war leer, und sie hatten einen Plan entwickelt. Anja sollte sich Olli einfach mal ausleihen, vielleicht würde sie dann endlich von einem Mann angesprochen.

Anja war schon fast eine Stunde mit Olli unterwegs, dummerweise hatte sie ihre neuen Schuhe angezogen und sich darin eine Blase gelaufen. Für heute reichte es, leicht humpelnd trat sie den Rückweg an.

Plötzlich sprach ein Mann sie an: „Kann ich Ihnen helfen?“ Normalerweise hätte Anja auf diese Frage kess geantwortet „Nein, danke. Mir ist nicht zu helfen“, aber sie besann sich im letzten Moment auf ihre Mission und lächelte den Mann kokett an: „Ich hab' was am Fuß. Können Sie mich nachhause bringen? Es ist nicht weit.“ Der Mann zeigte sich fürsorglich: „Haken Sie sich einfach bei mir unter, ich bring' Sie heim.“ Vor der Haustüre bedankte sich Anja geradezu überschwänglich: „Das war wirklich nett von Ihnen. Darf ich Sie als Dankeschön mal zu einem Kaffee einladen?“ Seine Antwort kam prompt: „Gern. Morgen um 15 Uhr im Stadtcafé?“ Anja nickte. Das klappte ja prima, dachte sie. Olli sei Dank.

Zur Verabredung im Stadtcafé nahm Anja Olli vorsichtshalber mit. Von wegen Beschützerinstinkt und so. Der nette Mann lobte ihn auch gleich: „Was für ein hübscher niedlicher Hund. Kleine Hunde muss man einfach mögen. Große Hunde sind nicht mein Ding.“ Anja lächelte süß-sauer und dachte an Iwan, der zuhause auf dem Sofa lag und auf sein Frauchen wartete.

Die Chemie zwischen Anja und diesem sympathischen Mann stimmte auf Anhieb, sie unterhielten sich lange und angeregt über viele interessante Themen, plauderten locker aus ihrem Leben und lachten viel. Olli lag unter dem Tisch und döste friedlich vor sich hin. Es war ein angenehmer Nachmittag, beim Abschied tauschten sie die Handy-Nummern aus; denn sie wollten sich unbedingt wiedersehen.

Gut gelaunt ging Anja nachhause, wo sie von Iwan schon schwanzwedelnd begrüßt wurde. Sie gab ihm ein getrocknetes Schweineohr, und er verzog sich auf seine Decke.

Anja dachte nach. Dieser Mann hatte ihr erzählt, dass er noch nicht geschieden war. Kein Problem. Seine zwei Teenager-Töchter wohnten bei ihm. Damit konnte sie leben. Er war begeistert von Olli, damit begann das Problem. Sie musste ihm schonend beibringen, dass Olli nicht ihr Hund war. Dann musste sie ihm irgendwann beichten, dass sie ihr Leben mit einem Irischen Wolfshund namens Iwan teilte, der absolut keinen Beschützerinstinkt weckte.

Sie beobachtete Iwan, der genüßlich sein Schweineohr zerlegte: „Was soll ich machen, mein Kleiner? Der Kerl ist sehr nett, aber er mag keine großen Hunde. Wenn er dich sieht, ergreift er bestimmt sofort die Flucht … !“ Iwan hüllte sich in Schweigen. Anja lächelte ihn geradezu verliebt an: „Weißt du was, Iwan? Mit dir bin ich wirklich auf den Hund gekommen!“ Iwan rülpste. Das tat er immer, wenn er ein Schweineohr verspeist hatte.

 

 

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