Iris Feller

Die Hochzeit meines besten Freundes

Es hatte mich im wahrsten Sinne des Wortes vom Hocker gehauen, als mein bester Freund Stefan mich anrief und mir freudestrahlend erzählte, dass er am kommenden Wochenende heiraten wolle und ich seine Trauzeugin sein sollte. Ich konnte es nicht fassen. Stefan, der ewige Junggeselle, wollte heiraten, und das, ohne mich vorher zu fragen! Unfassbar! Wo wir uns doch seit dem Sandkasten kennen und seitdem auch die dicksten Freunde waren. Von der kleinen zweimonatigen Romanze, die wir vor zig Jahren hatten mal ganz zu schweigen. Und ich dachte, na toll, jetzt heiratet er irgendeine, die er gerade kennen gelernt hat und nicht mich, wo ich doch nun wirklich die älteren Rechte hatte! Nicht, dass ich guter Hoffnung war, dass es – oh Wunder – diesmal funktioniert hätte. Nein, ich war einfach aus Prinzip entsetzt. MEIN allerbester Freund heiratet eine wildfremde Person und er hat es noch nicht einmal für nötig befunden, mir diese Person FRÜHZEITIG vorzustellen. Schließlich musste er mir doch die Gelegenheit geben, sie wegzuekeln... Na ja, das war jetzt nicht nett. Aber war es nicht mein Recht, sie loswerden zu wollen? Denn wenn er schon heiraten will, dann doch wohl mich! Schließlich haben wir uns beide verändert, die sogenannten wilden Jahre waren ja mehr oder weniger vorbei. Warum also hätten wir es nicht noch einmal versuchen sollen? Aber nein! Er hat es gewagt, eine andere mir vorzuziehen. Na warte, dachte ich, und war wild entschlossen, die Hochzeit zu sabotieren.

Am Donnerstag vor der Hochzeit flog ich also nach Berlin und – kaum am Flughafen angekommen – stürzte sich Stefan auch schon auf mich. „Oh Claudimäuschen,“ – ich hasste es immer wenn er mich so nannte – „ bin ich froh, dass du da bist! Du glaubst ja gar nicht, wie fertig ich bin!“ „Tja, es hat dich ja wohl keiner gezwungen zu heiraten, oder?“ grummelte ich. Aber er hatte den eifersüchtigen Ton in meiner Stimme überhört und knuddelte mich ohne Ende und ich dachte schon, ich müsste ersticken. Ja, aber so war Stefan. Früher, der große Bruder, den ich immer wollte, Und jetzt? Nun, der Mann, den ich immer wollte? Kommt Zeit, kommt Rat, dachte ich. „Wo ist denn die Glückliche?“ fragte ich scheinheilig. Aber da kam sie schon angerauscht, sie hatte nur kurz das Auto geparkt, während Stefan schon losgedüst war. Das war also Silvia. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Stefan hatte sich so ein Blondchen angelacht. Ich wusste gar nicht, dass sich Stefan in den paar Monaten, in denen wir uns nicht gesehen hatten, sooo verändert hatte. Eigentlich stand er mehr auf den intelligenten, bodenständigen Typ. Aber Silvia schien das krasse Gegenteil zu sein. So zuckersüß und hingebungsvoll. Bah, da konnte einem ja nur schlecht werden. Allerdings konnte man sich ganz gut mit ihr unterhalten – wenn man von dem Gekicher mal absieht. Aber ich habe ihr zugute gehalten, dass sie gerade mal zwanzig war. Dennoch kam sie mir irgendwie unwirklich vor. So lieb und unschuldig konnte doch niemand sein, also wo war der Haken?

Obwohl Stefan im Vorfeld darauf bestand, dass ich die paar Tage bei ihnen verbringen sollte, habe ich mich doch lieber in einem Hotel einquartiert. Denn diese Turteltäubchen die ganze Zeit um mich zu haben, wäre doch unerträglich gewesen. Natürlich habe ich Stefan das nicht so gesagt, sondern die Ausrede vorgeschoben, dass ich ihnen nicht den ganzen Tag im Weg sein wolle, wo sie doch bestimmt noch Einiges für die Hochzeit zu erledigen hätten.

Am Donnerstag Abend holte mich Stefan ab, um mit mir eine Art Junggesellen-Abschied zu feiern. Ich war schließlich nicht nur seine beste Freundin, sondern irgendwie auch der einzige Freund. Denn durch seinen Job als Reporter, der ihn oft monatelang in wer weiß was für Gegenden führte, hat es keiner seiner Kumpels lange mit ihm ausgehalten. Denn Freundschaften müssen auch gepflegt werden. Aber ich war ja eine treue Seele, mich wurde er nicht los. Außerdem hatte ich ja den gleichen Job und mit meinen Freundinnen aus Schulzeiten hatte ich kaum noch Kontakt. Daher waren wir beide wie Seelenverwandte, dachte ich jedenfalls.

Der Abend fing richtig nett an. Zuerst haben wir uns in einem China-Restaurant häuslich niedergelassen. Natürlich platze ich vor Neugierde, wie, wann und wo er Silvia kennen gelernt hatte. „Auf dem Friedhof“ sagte er. „ Ich war auf der Beerdigung ihres Opas. Als sie auch dort auftauchte – wir waren dann zu zweit – hat es mir die Sprache verschlagen. Dieser, dieser wunderschöne Engel...“ Ich musste unwillkürlich die Augen verdrehen, aber hoffte trotzdem er würde es nicht sehen, denn offensichtlich war er wirklich total verliebt. „Was hast du auf der Beerdigung ihres Opas zu suchen?“ fragte ich und riss ihn damit aus seiner Schwärmerei. „Claudia“ ... oh, er sagte Claudia, nicht Claudimäuschen, also musste jetzt etwas Ernstes kommen. Ich lauschte also gespannt ... „Es ist wirklich unglaublich, aber Silvias Opa, Werner Jansen ...“ „DER Werner Jansen?“ fragte ich erstaunt. „Der Schokoladenbaron? Der Milliardär? Der Einsiedler, den man seit zwei Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hat und der seine Geschäfte nur noch über Mittelsmänner getätigt hat? Der ist doch vor ein paar Wochen friedlich entschlummert, oder nicht?“ „Genau der!“ nickte Stefan zustimmend. „Aber was hattest du denn mit ihm zu schaffen? Irgendeiner Story wegen?“ „Nein, überhaupt nicht. Als ich ihm begegnete, wusste ich gar nicht, wer er war. Ich bin mit Toby“ – das war Stefans Promenadenmischung – „durch den Wald gestapft und irgendwo mitten im Nichts tauchte diese kleine Blockhütte auf. Da diese Blockhütte aber mit diversen Kameras und einem hohen Zaun ausgestattet war, hat mich das neugierig gemacht. Also habe ich einfach mal geklingelt.“ Ich war platt, Stefan als Klingelmännchen. „Das glaube ich dir nicht. So etwas traue ich selbst dir nicht zu. Wieso klingelst du da einfach? Da hätte ja wer weiß wer hausen können!“ „Ich war eben neugierig – wie Reporter halt so sind – und musste es einfach wissen. Ich klingelte also und ein Butler öffnete mir die Tür. Hör auf zu grinsen, Claudia! Das ist kein Quatsch!“ Ich konnte nicht anders, ich musste Stefan auslachen. Klar, eine Blockhütte im Wald und ein Butler. Das war doch wirklich Schwachsinn. Aber Stefan beharrte darauf und erzählte weiter, dass der Butler ihn und Toby tatsächlich hereinließ. Und in der Blockhütte traf Stefan dann auf Herrn Jansen, der allerdings kreideweiß im Bett lag. Der Butler, Ferdinand Krüger, erklärte Stefan, dass Herr Jansen einen inoperablen Gehirntumor habe und höchstens noch ein paar Wochen leben würde. Da er aber keinem der Raffzähne, also seiner Familie, das Schokoladenimperium vermachen wollte, sollte sein Zustand geheim gehalten werden. Denn der Grund, weshalb er zum Einsiedler wurde, war der, dass er befürchtete, dass ihm seine Familie nach dem Leben trachtete. Schließlich sei vor zwei Jahren schon ein Mordanschlag auf ihn verübt worden, den man allerdings, um Aktienverluste zu vermeiden, der Öffentlichkeit verschwiegen hatte. Die polizeilichen Ermittlungen, die durch die Geheimhaltungspflicht nur schleppend vorankamen, ergaben daher auch keine Ergebnisse. Das war also der Grund, weshalb Werner Jansen sich die ganze Zeit versteckt hielt. Aber jetzt, aufgrund Herrn Jansens tödliche Krankheit, schien ja wohl das Warten der sogenannten Raffzähne ein Ende zu haben.

Doch es kam alles anders. Herr Jansen wusste sehr wohl, dass sein Imperium ohne ihn den Bach runtergehen würde, denn seine Brut war überhaupt nicht an der Firma interessiert, sondern einzig und allein an dem Vermögen, das der alte Herr über Jahrzehnte angehäuft hatte. „Ich hatte Ferdinand bereits beauftragt, mir jemanden, den er für vertrauenswürdig hält, zu bringen, damit ich ihm mein Vermögen übereignen kann. Wenn schon meine Firma früher oder später durch Misswirtschaft meiner Brut Konkurs anmelden muss, soll wenigstens mein Privatvermögen weiter existieren.“ Als Herr Jansen das sagte, wurde Stefan wohl etwas flau im Magen, jedenfalls musste er sich setzen. „Aber Sie können doch nicht ihr gesamtes Vermögen einem Fremden geben. Wie soll das gehen? Außerdem, so schlimm kann ihre Familie doch nicht sein.“ „So, kann sie nicht? Diese Bestien wollten mich umbringen! Wer genau das war, weiß ich zwar nicht. Aber es würde mich nicht wundern, wenn sie es alle zusammen geplant hätten.“ Herr Jansen war für seinen Zustand richtig laut geworden. Er musste als gesunder Mann ein wirklich typisches Familienoberhaupt gewesen sein. Selbst im Angesicht des Todes war er noch respekteinflößend. „Mein Entschluss steht fest! SIE werden mein Vermögen bekommen!“ Wenn Stefan nicht bereits auf einem Stuhl gesessen hätte, wäre er spätestens jetzt umgefallen.


Am nächsten Tag beorderte Ferdinand den Familiennotar Dr. Schubert sowie einen ganzen Ärztestab zu Herrn Jansen. Schließlich sollte die Vermögensübereignung nicht dadurch anfechtbar gemacht werden, dass irgendeiner der Familie behaupten konnte, Herr Jansen sei nicht zurechnungsfähig gewesen. Die Vermögensübereignung wurde nun notariell beurkundet. Eine Bedingung war allerdings daran geknüpft. Stefan sollte auf jeden Fall zu Herrn Jansens Beerdigung kommen, damit wenigstens einer dort anwesend sein würde. Denn Herr Jansen befürchtete – wohl zurecht – dass keiner seiner Familie dort auftauchen würde.

Dann war es soweit. Stefan stand vor dem Sarg und konnte es immer noch nicht fassen, dass er jetzt ein reicher Mann war. Natürlich stand er dort alleine – vom Pfarrer und den Sargträgern mal abgesehen. Bis SIE kam. Silvia, der Engel, sein Engel.

„Mann Stefan!“ sagte ich. „Ich weiß nicht, ob ich dich beneiden oder bedauern soll!“ „Wie meinst du das?“ fragte Stefan unsicher. „Na ja, ich frage mich allen Ernstes, warum Silvia auf der Beerdigung ihres Opas aufgetaucht ist. Bestimmt nicht, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, oder? Schließlich hätte Herr Jansen Silvia bestimmt erwähnt, wenn sie vielleicht doch ein Fünkchen Liebe für ihn empfunden hätte, oder?“ Wenn Blicke töten könnten, würde ich jetzt Herrn Jansen Gesellschaft leisten. „Du bist wohl übergeschnappt!“ fauchte Stefan mich an. „Oh ja, ich weiß, sie ist ja ein Engel.“ konterte ich. „Aber überleg doch mal. Warum sollte sie zu seiner Beerdigung gehen? Warum sollte sie dir schöne Augen machen? Du bist fast zwanzig Jahre älter! Nicht, dass das heutzutage ein Problem wäre. Aber auf der Beerdigung ihres Opas, den sie angeblich geliebt hat, einen fremden Mann anzubaggern, das macht mich halt stutzig. Dich etwa nicht? Oh Stefan, musst du verknallt sein!“ Ich wusste nicht, wie ich Stefan die Augen öffnen sollte. Aber jetzt wusste ich, was mich von Anfang an bei Silvia gestört hatte. Dieses Unwirkliche an ihr, diese Süße und Anhänglichkeit. Das schien mir schon zu Beginn eher gespielt zu sein. Jetzt kombinierte ich natürlich, warum. Wahrscheinlich hatte sie den Auftrag von der Familie bekommen, das Vermögen zurückzuholen, egal wie. Also hat sie sich an Stefan rangemacht. „Das würde Silvia nicht machen.“ schmollte Stefan. „Ich habe sie schließlich schon längst darauf angesprochen, dass Herr Jansen mir erzählt hat, es sei ein Mordanschlag auf ihn verübt worden und dass er seine Familie im Verdacht hatte. Sie war damals gerade achtzehn geworden, als es passierte. Die bohrenden Fragen der Ermittler gingen ihr sehr nahe. Denn schließlich habe sie ihren Opa doch gerngehabt und konnte es nicht fassen, dass die Familie verdächtigt wurde. Sie sei dann von zu Hause ausgezogen, um einen räumlichen aber vor allen Dingen auch emotionalen Abstand von den Geschehnissen zu bekommen. „Als ob sie ein Unschuldslamm gewesen wäre!“ maulte ich „Wer’s glaubt, wird selig!“ Ich war kaum imstande, Stefan meine Angst um ihn klarzumachen. Was, wenn Silvia diejenige war, die ihren Opa töten wollte, um ihren Eltern und damit langfristig auch ihr selbst den Geldsegen zu sichern? Schließlich war sie damals ja schon achtzehn. So jung und unschuldig ist man da auch nicht mehr. Ich war in Panik. Wie rette ich MEINEN Stefan? Aber wenn ich nun doch falsch lag, dann würde ich sein Lebensglück zerstören. Ich war in der Zwickmühle. „Ich muss ein bisschen Frischluft schnappen und das alles verdauen.“ sagte ich zu Stefan und verkrümelte mich. Es muss eine Lösung her, dachte ich. Ich sollte ein wenig in der Familienchronik der Jansens recherchieren. Schließlich war ich Meister im Ausgraben von dunklen Geheimnissen. Es musste etwas geben. Es musste einfach! Denn Stefan durfte auf keinen Fall etwas zustoßen!

Wie gut, dass ich mein Laptop immer und überall mit hinschleppe. So quälte ich die Tastatur die ganze Nacht und grub tatsächlich einige alte Zeitungsartikel aus. Es war zehn Jahre her, als die Enkelin des Schokoladenbarons mit blauen Flecken, Schürfwunden und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Kleine konnte oder wollte oder durfte jedoch nicht sagen, wie es passiert war, so dass es als Unfall zu den Akten genommen wurde. Da Herr Jansen nur eine Enkelin hatte, konnte es sich also nur um Silvia handeln. Ältere Aufzeichnungen waren nicht zu finden. Dafür aber neuere. Vor acht Jahren brannte der ganze Ostflügel des Herrenhauses ab. Die Polizei vermutete Brandstiftung, aber die Familie beharrte darauf, dass Silvia mit ein paar Streichhölzern spielte und dadurch das Feuer versehentlich ausgebrochen sei. Die „Unfälle“ häuften sich. Mal stürzte der Vater von der Leiter, mal bekam die Mutter einen Stromschlag. Natürlich alles versehentlich. Die Familie dementierte, dass irgendeine Absicht dahinter stand. Dann vor zwei Jahren der Mordanschlag auf Opa Jansen. Er war mit seinem Rolls Royce unterwegs, als er in die Leitplanken donnerte. Es wurde behauptet, dass Herr Jansen eingenickt sei. Allerdings war es dann schon erstaunlich, dass er nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus plötzlich spurlos verschwand. Warum hätte er das tun sollen, wenn es NUR ein Unfall war, den keiner absichtlich herbeigeführt hatte? Aber es waren einfach keine Details zu diesem „Unfall“ zu finden.

Nachdem sich Herr Jansen also in die Einsamkeit geflüchtet hatte, kehrte Ruhe ein. Seit zwei Jahren schien also nichts mehr passiert zu sein. Also seit zwei Jahren, nachdem Silvia von zu Hause ausgezogen war. Na, wenn das mal kein Zufall war, dachte ich. Ich druckte alle Informationen aus und wollte am nächsten Morgen zu Stefan fahren und ihn mit diesen Ungereimtheiten konfrontieren. Frei nach dem Motto „Lass bloß die Hände von dieser Familie!!!“

Dann klingelte es. Silvia stand vor der Tür. Ich weiß nicht, warum Stefan in ihr einen Engel sah. ICH sah das Grauen. Silvia flehte mich jedoch an, sie hereinzulassen. Na gut, dachte ich mir, ich bin stärker als sie, soll sie doch versuchen, mich umzubringen. Ich werde das schon zu verhindern wissen. „Ich weiß, dass du mich verdächtigst, Stefan nur wegen des Geldes – unseres Familienvermögens – zu heiraten. Er hat es mir erzählt. Aber das ist nicht wahr! Ich will ihn beschützen.“ Da staunte ich nicht schlecht. „Wem willst du das denn erzählen? Ich schleuderte ihr die ausgedruckten Seiten vor die Füße. „Wie war das mit den ganzen Unfällen? Wer hat den Brand gelegt? Wer wollte Opa Jansen umbringen? Du weißt schon, der Autounfall?“ „OPA!“ schrie sie mit tränenerstickter Stimme. „Klar, alles hat Opa getan, einschließlich den Mordanschlag auf ihn selbst!“ brüllte ich zurück. „Du verstehst gar nichts!“ wimmerte sie weiter. „OPA IST NICHT TOT!“ Nun hatte sie mich da liegen. „Was soll das heißen, er ist nicht tot? Stefan und du, ihr wart doch auf seiner Beerdigung. Er war doch todkrank.“ stammelte ich. „Nein! Das war alles eine Farce. Die Krankheit, die Vermögensübereignung, die Beerdigung. Alles nicht wahr!“ „Jetzt verstehe ich wirklich nichts mehr. Was sollte das ganze denn?“ „Opa hatte schon vor Jahren einen Großteil des Vermögens durchgebracht. Er hatte eine große Schwäche für Wahrsager und investierte viel Geld in von ihnen empfohlene, jedoch haarsträubende Unternehmungen. Ferdinand war sein Haus- und Hoforakel, von wegen Butler, Opa vertraute ihm blind. Ferdinand hatte Opa auch den Floh ins Ohr gesetzt, dass wir ihn umbringen wollten, um an sein Vermögen zu kommen. Aber warum sollten wir das wollen? Papa leitete doch sowieso schon die Firma, weil Opa viel zu beschäftigt war, irgendwelchen Hirngespinsten nachzujagen. Ferdinand behauptete, dass ICH das Böse sei, das seinen Sohn dazu anstachelte, ihm nach dem Leben zu trachten und daher vernichtet werden müsse. Ich war gerade zehn als Opa mich die Treppen herunterstieß.“ Sie hatte Tränen in den Augen. Silvia wusste allerdings nicht genau, wer das Feuer gelegt hatte, aber sie hatte auf jeden Fall NICHT mit Streichhölzern gespielt und sie hatte auch ihren Eltern nichts angetan. Sie konnte allerdings nicht sagen, ob es Herr Jansen oder Ferdinand war. Sie könne sowieso nicht mehr unterscheiden, wer von ihnen überhaupt wer war, sagte sie. Sie seien irgendwie eins. „Und wer wurde da beerdigt?“ „NOCH niemand.“ „Was meinst du damit?“ Mir wurde angst und bange.

„Ein befreundeter Privatdetektiv hatte herausgefunden, wo Opa untergetaucht war. Das war aber nicht alles, was er mir erzählte. Er hatte ein Gespräch zwischen Opa und Ferdinand mitgehört. Es war unfassbar. Opa und Ferdinand hatten vor, einer zufälligen Person das Vermögen zu übereignen, so zu tun als ob Opa todkrank sei und sterben müsse, diesen Mann dann umzubringen und unter seinem Namen das immer noch beachtliche Restvermögen unbeobachtet von Familie und Justiz zu verprassen. Es war für sie ein Wink des Schicksals, dass Stefan zufällig bei ihnen aufgetaucht war.“ „Stefan ist ja wohl im Vergleich zu deinem Opa ein Küken. Wie wollten die das denn hinbekommen?“ „Opa hat bisher immer alles hinbekommen. Er würde auch hier keine Probleme haben. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass ich ebenfalls auf der Beerdigung auftauchen würde. Denn um Opa habe ich seit ... seit das damals alles passiert ist, einen großen Bogen gemacht.“ „Das heißt also, wenn du nicht zur Beerdigung gegangen wärst und Stefan sich nicht in dich verliebt hätte, würde er jetzt in Herrn Jansens Grab liegen?“ „So ist es, Claudia.“ „Aber was machen wir denn jetzt? Diese Geschichte glaubt uns doch niemand!“ „Stefan würde mir glauben, oder nicht?“ „Was nützt uns das?“ fragte ich, während meine Knie bedenklich schlotterten. „Wir müssen ihnen zuvorkommen!“ Ich glaubte nicht, was ich da hörte. Hatte dieses zarte, blonde Engelchen gerade vorgeschlagen, die Gefahr aus dem Weg zu räumen, das heißt, Herrn Jansen und Ferdinand umzubringen? „Was willst du mir denn damit sagen?“ fragte ich vorsichtshalber noch einmal nach. „Wir könnten Opa umbringen, denn schließlich ist er ja eh schon offiziell beerdigt. Ferdinand wäre dann noch ein Problem. Aber ihn könnten wir ja mit Opa zusammen begraben. Dann ist Stefan sicher. Und wir auch.“ „Und wer beschützt UNS – Stefan und mich – vor dir, du kleine Hexe?“ dachte ich mit Entsetzen. Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als es an die Tür klopfte. „Sie sind es!“ kreischte Silvia. „Sie wollen uns loswerden, damit ihr Plan funktionieren kann.“ Die Tür wurde aufgeschlossen – wieso hatte da jemand mitten in der Nacht einen Schlüssel von meinem Hotelzimmer – und da standen sie im Türrahmen. Zwei für ihr Alter ziemlich kräftig gebaute Männer. Ein Blick zu Silvia und ich wusste, ja, sie waren es tatsächlich. Das Funkeln in ihren Augen schnürte mir die Kehle zu. Es war klar, dass Silvias Panik nicht gespielt war. Die beiden hatten wirklich vor, uns umzubringen. Um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, trugen sie sogar Handschuhe. Es gab ein unglaubliches Handgemenge, die halbe Einrichtung musste zu Bruch gegangen sein. Aber offensichtlich schien das niemanden im Hotel zu stören. Dann fielen Schüsse.

Ich heulte wie ein Schlosshund, als mein bester Freund Stefan wie geplant am Samstag seine Silvia heiratete. MEIN bester Freund. Aber nun gut, wenigstens lebt er, dachte ich. Silvia zwinkerte mir – ihrer Mitverschwörerin – zu.

Nachdem uns nämlich die beiden Leichen zu Füßen lagen und wir herausfanden, dass sie keine Ausweise bei sich trugen, schworen wir, der Polizei nicht zu sagen, um wen es sich handelte. Wir wollten stattdessen behaupten, dass es Einbrecher gewesen seien, die uns angegriffen hätten. Im Handgemenge sei dann deren Waffe losgegangen und hätte halt nicht uns, sondern die Angreifer getötet. Wir mussten dann mit zur Polizeiwache. Aber in dem Hotelzimmer hätten wir sowieso nicht bleiben wollen. Wir wurden verhört, das heißt, eigentlich nur höflich befragt. Wie abgesprochen, blieben wir bei unserer Einbruchsgeschichte, und warum sollte die Polizei uns beiden eigentlichen „Opfern“, die doch so gerade eben mit dem Leben davongekommen waren, keinen Glauben schenken?

„Außerdem“ sagte Silvia später zu mir „ist es schon ganz praktisch, ZUFÄLLIG eine Pistole bei sich zu haben, wenn man in NOTWEHR jemanden erschießen möchte...“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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