Ingrid Bezold

Das Leuchten des Bösen

Das Leuchten des Bösen 

*Teamwork*



Das neunjährige Mädchen schrie erbärmlich, als die Häscher ins Haus kamen, um ihr die Mutter zu entreissen und sie nur einen Tag  danach öffentlich als Hexe, an einen Pfahl gebunden, auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.
Die vermeintliche Hexe war ein liebevoller Mensch. Sie achtete mit aller erdenklicher Fürsorge auf das Wohl ihres einzigen Kindes. Doch in manchen dunklen Stunden war sie auch unbeherrscht und in sich verloren, hantierte mit allerlei Salben und Kräutern, die Kranken halfen. Flüche und Verwünschungen, die sie nur gelegentlich und in dem Glauben an Gerechtigkeit aussprach, wurden Wirklichkeit. Und bildhafte Vorhersehungen, die sie öfter in Tag- und Nachtträumen befielen, trafen kurz darauf und fast immer ein. Das sprach sich schließlich herum. Manche Leute bewunderten die merkwürdige Frau im Viertel, aber die meisten mieden sie, oder begegneten ihr mit offener Ablehnung - sogar Hass.
Man sah sie oft lange in der Sonne mit dem Kind zur Seite vor der Tür des alten Hauses stehn. Das Mädchen hieß Gitta. Das Tier, das die Frau ständig fest an die Brüste gedrückt hielt,  hatte keinen Namen. Es war nur ein Tier von vielen: schwarz, mit weissem Bauch und grünen Augen. Es rannte ihr noch treu nach, als die Häscher schon ins Haus stürmten. Und lief auch noch voller Unruhe zwischen Menschenleibern umher, als auf dem Marktplatz der Feuerhaufen längst erloschen war.Erst viel später kam es zum vertrauten Haus zurück, aber niemand ließ es dort ein. Es legte sich draußen, vor der Tür, nieder - trauerte jammernd und starrte immerzu ins schwach erleuchtete Innere, wo das Kind nun ganz allein war - ohne die Mutter. Es war, als würden sie stumm einander brauchen: Mädchen und Tier. Trösten wollte man sich aber dann doch allein: zumindest das Mädchen - nicht das Tier, draußen, in der Kälte. Es schlich sich irgendwann fort, kam aber wieder zum Haus zurück - nach vielen Tagen noch. Bis sich die Tür nach drinnen schließlich unverhofft öffnete....


Jahre danach:

Eines nachts war sie einfach da.
Die Katze.
Draußen war es bitterkalt. Rauhreif hing über der Straße, auf der ich heimwärts ging. Ich griff in die Manteltasche und kramte den Haustürschllüssel hervor.
Plötzlich jaulte es aus der dunklen und zugigen Toreinfahrt, nebenan. Zwei grünfunkelnde Augen starrten mich durchdringend an. Eine dicke, schwarze Katze mit weißem Bauch hockte auf dem kalten Vorsprung der Treppe.
Ein gehöriger Schrecken fuhr mir durch die Glieder. Weniger wegen der gespenstisch leuchtenden Katzenaugen, als vielmehr wegen meiner Unvorsichtigkeit, ihr beinahe auf den buschigen Schwanz zu treten. Die Katze sprang zur Seite und belauerte mich abwarend.
Ich öffnete die Tür, hielt sie fest, zündete das Flurlicht an, sagte: " Eigentlich kann ich Katzen nicht ausstehen...kann ja noch werden. Und wenn´s dir da draußen zu ungemütlich ist, und du nichts Besseres vorhast, kannst du die Nacht deine Pfoten an meinem Ofen ausstrecken."
Die Katze spitzte die Ohren, kniff die von Licht geblendeten Phosphoraugen, leckte sich leicht verlegen die Vorderpfote. Anscheinend traute sie mir nicht. Sie machte auch keine Anstalten, näher zu kommen. Hockte nur da, auf der Steintreppe und zwinkerte mich mit gesundem Misstrauen an.
" Bist´n wählerisches Sensibelchen. Na schön, dann bleib halt draußen."
Im Nachbarhaus klappte scheppernd eine Tür. Die Katze sprang, wie vom Blitz getroffen in den Hausflur, suchte instinktiv Schutz zwischen meinen Hosenbeinen.Ihr Leib zitterte erbärmlich. Sie spähte ängstlich nach draußen und ihre Augen öffneten sich schreckensweit.
Was hatte sie nur?
Katzen waren mir nie besonders sympathisch. Ihre bevorzugte Beute: Mäuse hingegen schon. Das schien sich gerade ins Gegenteil umzukehren. Das jammervolle Schutzbedürfnis des Tieres kroch mir durch Mark und Bein, hoch, ins Herz: schon flogen sämtliche Vorurteile im säuselnden Abendwind davon. Ich beugte mich zu dem zitternden Fellbündel nieder, streichelte es behutsam. Das Zittern des Tieres ließ etwas nach. Die grünen Augen hefteten sich flehend an mich.
Ich hob sie in meinen Arm und kraulte ihren breiten Nacken, während ich beruhigend auf sie einsprach. "Hier krümmt dir keiner ein Haar. Nur die nebenan können dich nicht leiden, stimmts? Ist ja auch kein Wunder...die Leute da, ziehn lieber mit ´ner Horde zähnefletschender Kampfköter um die Häuser...Groß wie Kuhbullen, die Kläffer!"
Die Katze jaulte, als wollte sie zustimmen. Sie schmiegte sich, in Brustnähe wühlend noch mehr an und schnurrte beruhigt. Ich ging ins Haus, setzte die Rumtreiberin vorsichtig in die Ofenecke, schob etwas Holzkohle ins Ofenloch - und allmählich schlingerte wohlige Wärme durchs Zimmer.
Frische Milch hatte ich keine im Haus, aber Dickmilch wird´s auch tun, dachte ich - unwissend, dass Rumtreiber gerade auf Dickmilch ganz wild sind.
Ausgehungert machte sich die Katze über die Milch her. Danach leckte sie sich ausgiebig Pfoten, Fell und sogar den buschigen Schwanz. Schließlich legte sie sich dösend am Ofen nieder und streckte zufrieden alle Viere von sich. Ihr nassglänzendes Fell trocknete zusehends. Es knisterte sogar elektrisierend, dort drüben, am Ofenloch. Ich hatte Sorge, das knisternde Haar würde in Rauch und Flammen aufgehen, aber das Fell stellte sich nur auf, als würde es sich von selbst striegeln und glätten. Nicht das kleinste Feuer entzündete sich, trotz gefährlicher Nähe des Tieres zum von Funken umflirrten Ofenloch.
Alles war friedlich und gut.
Eine Weile später ging ich zu Bett.
Die Stille im Haus kam mir merkwürdig und heute gefühlt ganz anders, als sonst, vor. Selbst meine ´Untermieter´- die gelegentlich eifrig in Keller und Fluren wuselnden Hausmäuse schienen zu spüren, dass in dieser Nacht nicht mit ihnen gespaßt wurde - dass da etwas war, das ihnen an den Kragen wollte. Unerklärliches, nichts Greifbares, hatte im Ganzen irgendwie vom Haus Besitz ergriffen.
Ich horchte in das Zimmerdunkel. Die Katze schien in Schlaf versunken zu sein. Kaum hörbar strich ihr Atem aus der Ofenecke herüber. Ich zog die Decke höher. Zählte mich in den Schlaf. Eine Maus...Zwei Mäuse...Fünf...Hoppla, nur noch vier...Eine war für die Katze.

Gegen zwei Uhr früh erwachte ich.
Es raschelte im Zimmer...! Aber das Rascheln ebenfalls anders als sonst, wenn Mäuse wuselnd durchs Haus flitzen, oder es im Gebälk knarrt. Ein Fenstervorhang schaukelte, wie von flauer Nachtluft, draußen, angehaucht...Das konnte eigentlich nicht sein, denn alle Fenster waren geschlossen - dachte ich...Jetzt aber stand der Mond groß und fast voll vor´m weitoffenen Fenster und senkte sein Licht ins raschelnde Raum-Dunkel.
Das Geraschel hob zum Scharren an - nein, zu einem schlurfähnlichen Geräusch - gerade so, als würde ein Mensch schwerfällig durch´s Zimmer gehn.
Ich horchte nervös und angestrengt in die laute, schaurige Stille. Da war es wieder: jenes Schlürfen...!Der Vorhang schwang hin und her - und jemand durchlief das schwarze Zimmer...Ich schnellte hoch und kniff die sich langsam schärfenden Augen.
Plötzlich eine Stimme: leise und säuselnd - direkt an meinem Ohr.
" Du bist wie ich" wisperte es. "Komm"...
Ich sprang ganz auf, wirbelte erschrocken herum. Aber ich sah niemanden. " Wer ist da?!" rief ich mit drohender und trotzdem bebender Stimme.
Nichts rührte sich.
Die Stimme schwieg, das Schlurfen verstummte und der Fenstervorhang stand augenblicklich still, als hätte jemand seine eisige Hand daran gelegt.
Barfuß durcheilte ich das Zimmer. Blendend stürzte sich Tageshelle in den Raum. Ich gewöhnte mich allmählich und öffnete die verkniffenen Augen noch leicht ängstlich.
Nichts. Niemand da.
Alles wie immer und am alten Platz.
Die Katze döste eingerollt vor dem kalt gewordenen Kachelofen. Sie hob kurz und behäbig ihren schneeweißen Bauch, streckte die Vorderpfoten weit vor, das Hinterteil aufwärts - gähnte ausgelassen. Leckte noch zwei- dreimal an ihren Tatzen und sackte wieder dahin, wo der Platz wohl noch warm von ihr war. Völlig harmlos, das Tier. Dennoch: funkelnd, beinah unnachgiebig starrten mich ihre Augen an. Das reinste Flunkern und Täuschen: diese Augen sind nicht schläfrig..! Sie durchbohrten mich geradezu mit schärfsten Klingen und ungeahnter Kraft!
Dann plötzlich ganz anders...Das würdige, wohlige Schnurren des Tieres bezähmte meine innere Unruhe. Mehr noch: es hypnotisierte mich geradezu! Die Smaragdaugen des Tieres zwangen mich zurück, ans Bett, drückten mich nieder, zwangen zum Liegenbleiben. Schreckensstarr konnte ich lediglich den Kopf seitwärts drehen. Und was ich sah, beruhigte mich ganz und gar nicht...Und irgendwie dann doch...Die funkelnden Augen sprangen mich fast an, durchdrangen mich auch mit wohlwollenden Blicken. Mein fast tauber Leib konnte nicht mehr reagieren.
Ich wollte mich aufrichten, wollte aufstehn, um die Lichtflamme zu löschen schaffte es aber nicht. Unter größter Kraft - und Willensanstrengung hob ich meinen bleischweren Leib. Zuerst die Beine...Ganz langsam...Meine Blicke krochen zeitlupenähnlich in die Ofenecke. Dort erhob sich nun ebenfalls die Katze. Sie schlich würdevoll, fast angeberisch zur Tür hin. Dabei ließ sie mich keine Sekunde lang aus den Augen...Grauenvoll und zugleich magisch fesselnd: ihr vornehmes Getue und sanftes Schreiten, zur Türe hin...Ein Sprung, hoch zum Licht, um es zu löschen. Dunkelheit. Alles wieder in Schwarz versunken. Doch durch die Schwärze kamen wieder ihre Augen: die großen, grünen Funkelnden. Unergründlich, unerbitterlich kamen sie näher und näher - direkt auf mich zu. Nein, sie schwebten völlig losgelöst über mich hin, umtänzelten mich halb kreisend und halb zur Wut treibend!
Schweiss rann mir in dicken Bächen von der heissen Stirn. Das Herz raste so, als würde es gleich platzen oder stillstehn - explodieren, oder anhalten, weil ich nicht wusste, ob am Ende Angst, oder betörendes Schaudern siegen würde.
Die säuselnde Stimme hob erneut an. " Du bist wie ich...Komm zu mir!"
Ich konnte nicht sprechen, konnte kaum atmen - aber aufstehn und gehen konnte ich endlich wieder. Nicht aus eigener Kraft, sondern weil es jemand von außen befahl...Wie ein willenloses Geschöpf streckte ich die Arme vor, um die grünen Katzenaugen zu erreichen...Wie ein belohnter Schatzsucher öffnete ich die schweißnassen Hände und fand die grünen Smaragdaugen darin...Ja, flirrendhellen Edelsteinen gleich, fielen sie mir in die Hand...Überirdisch schön anzusehn.
Dennoch schrie ich auf vor Entsetzen!
Bin ich etwa verrückt geworden?
Hatte mich das Tier endgültig um den Verstand gebracht und in den Wahnsinn getrieben?
Was geht hier vor???

2.
Einige Tage danach kam Sören nach achtwöchiger Seefahrt heim. Die Katze, die ihm seltsamerweise sofort auswich, mochte er auf Anhieb nicht. Beide belauerten sich misstrauisch, irgendwie auch abwartend. Das Tier hockte im Kücheneck, während Sören und ich alsbald zu Abend aßen. " Gitta, schaff mir das Vieh vom Hals", schnarrte Sören, " es ist mir nicht geheuer." " Ist doch nur eine harmlose Streunerin", beruhige ich ihn. Und:"Also, ich mag sie inzwischen."
Wo wir auch hingingen, von der Küche ins Wohnzimmer, oder von dort aus ins Schlafzimmer: überallhin folgte uns das Tier und beobachtete uns unablässig aus sicherer Entfernung.
Sören war nach langer Zeit auf See hungrig nach Liebe und Zärtlichkeiten. Ich nicht weniger. Wir schlossen recht bald die Schlafzimmertür hinter uns - doch die Katze war schon drinnen. Sören hatte das Tier nicht bemerkt - ich aber schon.Es saß da im Zimmereck- starrte und starrte uns völlig reglos - nein, starrte mich durchdringend an - während Sören mich verlangend und wild küsste und wir hintenüber in unseren Lustrausch fielen.
Das ohrenbetäubende Fauchen der Katze bemerkten wir nicht. Erst, als sich ein schwarzer, haariger Klumpen wild auf mich stürzte, erschrak ich. Im gleichen Moment spürte ich den stechenden Schmerz der blutenden Kratzspuren auf meiner Brust.
Sei´s drum - im Feuertanz der Leidenschaft vergaß ich alles um mich herum. Wie betäubt sog ich Sören´s Küsse ein und wand mich stöhnend unter seinem heissen Körper. Berauscht riss ich ihn mit hinein ins Inferno der Gefühle. Glühend suchte ich seinen Blick und erstarrte, als er mich aus kalten, smaragdgrünen Augen musterte. Nichts mehr von Sehnsucht, Zärtlichkeit und Liebe war da zu erkennen. Nur grelles Gift.
Als ich mich losreißen wollte, hielt er mich mit haarigen Pranken umklammert und sein gellendes Lachen drang durch die Nachtschwärze. Hilfesuchend streifte mein Blick durch das Rauminnere.
Wo war die Katze?
Nebenan, dort, auf der Bank am Kachelofen saß sie und leckte an ihrem weißen Bauch. Sie hob den Kopf und schwarze, leere Augenhöhlen starrten mir entgegen.

( c ) Ralph Bruse & Ingrid Bezold

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.11.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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