Patrick Rabe

Eines Nachts in Hamburg Langenhorn

 

Als Satan sein Billigbier auf die Straße reiherte, weil Donald Trump die US-Wahl verloren hatte, geschah es. In einem Affenzahn raste Cat Stevens um die Ecke, der Bob Dylan in einem Rollstuhl schob. Cat Stevens trug einen Turban mit einem Diadem daran, weite Sufi-Klamotten und Jesuslatschen, Bob Dylan trug einen zerknautschten, schwarzen Strickpullover und hatte mittlerweile ein völlig eingefallenes Gnaddelgesicht, das selbst eingegleischte Bob-Dylan-Fans noch in apallische Schocks hätte versetzen können. Dass der Meister mittlerweile wie eine eingetrocknete Rosine aus der Muppetshow aussah, mit einer krausen Wischmoppperücke, die man nur bei genauem Hinsehen noch als seine echten Haare identifizieren konnte, wusste wirklich niemand. Sie hatten nach dem ganzen amerikanischen Wahlstress mal wieder das Bedürfnis, sich auszutoben. Wie es große Stars so machen, flogen sie dafür in eine Welt, die sie für unecht hielten, und in der sie meinten, wie die Barbaren alles zertrümmern zu dürfen. Das musste man ihnen doch gönnen. Andere gingen ja auch in die Disco und freakten dort ab.

 

Diesmal hatten sie sich Hamburg Langenhorn ausgesucht. Cat war sich sicher. Auf sein Smartphone starrend sagte er zu Bob: „Bob, ich bin mir wirklich sicher. Diesen Ort hier gibt es gar nicht. Das ist eine täuschend echte Computeranimation.“ Bob in seinem Rollstuhl antwortete: „But I was so much older then, I’m younger than that now.“ Cat sah ihn besorgt an: „Du meinst also wirklich, dass das hier auch wieder die echte Welt ist, und kein Holodeck?“ „So to say.“ knarzte Bob in absichtlich falschem, deutsch klingenden amerikanischen Englisch. „Aber, Bob. Es kann doch keine Orte geben, die Langenhorn heißen. Das heißt auf Englisch Longhorn. Bob, das haben sich doch irgendwelche Greenhorns beim Kiffen ausgedacht.“ „Äh.“ sagte Bob, um schon mal einen deutschen Umlaut zu üben, und hustete umständlich. „Das heißt also, Bob, wir können jetzt hier nicht „Heidi, Klara, Peter, Almöhi und der Rollstuhl“ spielen? Ich dachte, ich könnte so endlich meinen Hass auf Jesus Christus abreagieren, und dich einfach im Rollstuhl als Klara irgendwelche Treppen runterschubsen, zusehen, wie du dir alle Knochen brichst, laut lachen, und einfach ganz schnell abhauen, weil du ja morgen wieder lebst. In einer unechten Welt muss das doch möglich sein.“ „Ich war von Anfang an dagegen.“, sagte Bob in perfektem Deutsch. „Leider saßen wir ja schon im Flugzeug, als du mir diesen Vorschlag unterbreitet hast. Und ich hoffte inständig, dass das nur an der Höhenluft liegt. Denn du hattest ja wirklich keine Drogen genommen. Ich dachte zwar auch, hoffentlich wird das dann im Zuge des Jetlags nicht noch schlimmer, aber ich hoffte und betete.“

 

Cat sah Bob nachdenklich an. Schlagartig war er nüchtern. Und sie standen mitten im November in total verrückter, viel zu dünner Kleidung mitten in Hamburg Langenhorn an irgendeiner irre langen Straße. „So. Cat.“, sagte Bob. „Und jetzt organisiere mir ein Franzbrötchen. Aber ein bisschen fix. Ich habe Hunger wie ein Hog und das jetzt. Nicht erst in 2000 Jahren. Und guck nicht wieder so komisch. Und bitte nicht jetzt googeln, ob es Franzbrötchen wirklich gibt. Die gibt es. Wenn man seit über 50 Jahren Welttourneen macht wie ich, dann weiß man, was es in welchen Ländern um welche Uhrzeit gibt. Und Franzbrötchen ist Plundergebäck. Das heißt hier aber so. Und ist mit Zimt.“ Cat fiel alles aus dem Gesicht. Die Nase zuerst. „Das bestell ich hier aber nicht. Das erinnert mich an „Cinnamon Girl“ von Neil Young, der uns ja alle schon vor dem Zimtmädchen gewarnt hatte, und das wurde dann ja auch nochmal durch diese Metalversion von Pete Steele bestätigt.  Da ist diese eindeutige Warnung als Subtext drin: „Bestellt bloß nichts mit Zimt. Sonst geht die Welt unter.“!“ Bob rollte Jahwe-mäßig mit den Augen. „Cat.“, sagte er. „I’ve been the son. I’ve been the father. I’ve been the fool. I’ve been the hill. Die Welt geht nicht unter. You never figured out, how long you have to live. Fahr mich jetzt zu der Tankstelle dahinten, und dann bestellst du mir ein Franzbrötchen. Oder ich mache es selber.“ „Bob“, sagte Cat, „Wieso glaubst du, dass es an einer Tankstelle um…“, Cat sah auf seine Armbanduhr, „ 2 Uhr 30 Nachts europäischer Zeit an einer Tankstelle Franzbrötchen gibt?“ Bob seufzte. „Cat. Weil das eine Nachttanke ist, und die nachts backen. Für die bescheuerten Deutschen hier, die nachts um halb drei ein Franzbrötchen essen möchten.“

 

„Aha.“. Wie so manches Mal schon früher, hielt Cat Stevens, der beschloss, sich in der Tankstelle ausweisgemäß wieder Yusuf Islam zu nennen (Sein ursprünglicher, echter Name war Steven Georgiou), Bob Dylan für einen total grenzwertig Verrückten. Das musste so sein. Es bestätigte sich ja einfach immer wieder. Nur alleine, wer mit einer solchen Bruchstimme noch freiwillig auf eine Bühne geht, muss doch einen Sockenschuss haben, der nicht mehr heile wird. Und ihm war ja klar, dass Bob auch sehr empfindlich zuschlagen konnte. Das Boxtraining in seinem eigenen Boxclub war ja kein Fake gewesen. Und im Rollstuhl saß er eben auch keineswegs. Leise vor sich hin betend schob Cat Stevens Bob Dylan die Straße hinunter in Richtung des goldenen Lichtes der Tankstelle. Unterwegs überlegte er sich, welcher Gott hier zweckmäßig sein konnte. War es Allah? Jahwe? Jesus? Odin? Buddha? Oder eine Choclate Box? Man wusste es nicht so genau. Während er Bob dort entlang schob, bekam er wieder gute Laune und beobachtete, wie Bob sich erst in einen Klumpen Rosinen, dann in einen Steinhaufen und dann in den Almöhi verwandelte. Das überzeugte ihn vollends davon, dass das hier doch wieder keine echte Welt war. Er lachte meckernd, geradezu mekkant, und machte in Tanzschritten mit dem Rollstuhl einige bedenkliche Schlenker und Drehungen. „Cat, pass bitte auf!“ sagte Bob mit unendlich genervter, schlechtgelaunter Stimme. „Ich falle gleich aus dem Rollstuhl.“ „Ja.“ Sagte Cat mit schneidend drohender Stimme. Das will ich ja auch. Ich schmeiß dich gleich im Rollstuhl auf die Straße, und gucke zu, wie du von einer 7-Tonner überfahren wirst. Dann tanze ich laut lachend um deine zermanschten, sterbliche Überreste und fliege wieder in meinen orientalischen Moslemhimmel.“ Bob seufzte. Was sollte man da machen? Er wusste es nicht.

 

In einem Mordstempo bog Cat Stevens jetzt auf den Tankplatz der Tankstelle ein und schoss geradezu auf die Glastür zum Tankenshop zu. Bob setzte noch an zu einem „Cat, da trägt man jetzt Mas…“, aber es war schon zu spät. Die automatische Tür ging auf und Cat raste mit Bob im Rollstuhl direkt vor die Ladentheke der Tanke. Erstaunt konstatierte Bob, dass dort Schorsch Kamerun stand. Schorsch Kamerun konstatierte entsetzt, dass da Bob Dylan und Cat Stevens in „seine“ Tanke gerast kamen. Mit allem hatte er gerechnet. Nur damit nicht. Er hatte wirklich geglaubt, er könnte in der Corona-Zeit einfach mal eine gemütliche Pause von seiner Punk-Künstler-Tätigkeit machen und in einer Tankstelle in einer Spießergegend, wo ihn keiner kannte, als Tankwart arbeiten. Er war schon völlig perplex darüber gewesen, wie viele Langenhorner ihn eben doch kannten, und war alleine schon deswegen dazu übergegangen, den vorgeschriebenen Mundschutz zu tragen, aber ab da war es wieder leisure (legere)gewesen. Keiner erkannte ihn. Er rechnete die 1, die 2 und die 3 ab, tankte Autos, Trucks und riesige SUV’s mit nicht biologisch abbaubaren, stinkenden Super-Benzin voll, lachte sich über Elektroautos kaputt, kiffte hinter der Tankstelle, und trank manchmal das Bier, das er da verkaufen sollte, selber aus, wenn Nachts lange keine Kundschaft kam.

 

Und dann geschah das völlig Unerwartete. Cat Stevens kam in voller Orientalenmontur – sogar mit Turban- in seine Tankstelle gerast und schob Bob Dylan, der ein erschreckend zerknittertes, miesgelauntes Gesicht hatte, im Rollstuhl in seine Tanke (die er natürlich nur als Winterjob betreute.). Kurz fragte er sich, ob er jetzt „Shining“, „Gremlins 1“ oder „Es geschah am hellichten Tag“ nachspielen sollte, oder lieber doch die in Amerika geläufige Version davon mit Jack Nicholson, die „The pledge“, bzw. „Das Versprechen“ hieß. Aber das war eine Überlegung zuviel. Mit total derbem, englischen Akzent sagte Cat Stevens: „Hande hoach. Das ist ain Uberfall! Intsch Allach! Das ist der islamische Schdaad.“ Schorsch erzitterte und wurde zu einer bewegungslosen Eisfigur mit starrem, wächsernen Maskengesicht. „Sie mussen hier Masken tragen!“, sagte er in falschem deutsch-türkisch. „Tun wir doch.“, sagte Cat Stevens, nun plötzlich ganz jovial auf britische  Höflichkeit umschwenkend, und in fast akzentfreiem Deutsch. „Ich habe meine Yusuf-Islam-Maske auf, und mein Freund hat seine Bob-Dylan-Maske auf.“ „Aha.“, sagte Schorsch Kamerun genervt. Ein bisschen was von diesem Blödsinn kannte er ja auch aus der deutschen Promiszene, aber das war ihm jetzt eindeutig zu viel. Das ausgerechnet Cat Stevens und Bob Dylan so durchgeschallert sein konnten, zu glauben, dass man sie nicht zweifelsfrei erkennt, wenn sie vor einem stehen, war auch ihm zu dämlich. „Was möchtet ihr denn haben?“ fragte er deswegen kackfrech. „Whiskey, Irish Stew, oder einen Tritt in den Arsch?“ Bob hatte die Schnauze voll. Völlig unerwartet stand er aus dem Rollstuhl auf und sagte entwaffnend unhöflich: „Isch möschte ain Fransbrötschen und ainen Coffee to go. Aber ain bisjen zaggisch, du Nahzi.“ Schorsch Kamerun entwich sein Blut aus dem Schädel, und völlig eingeschüchtert taumelte er zum Ofen, holte ein soeben fertig gebackenes Franzbrötchen vom Blech, steckte es in eine Tüte, holte wie narkotisiert noch einen Coffee to go, drückte beides Bob Dylan in die Hand und murmelte: „Sie kriegen das umsonst, Mr. Dylan.“ „Danke.“, sagte Bob Dylan höflich. „Wissen sie eigentlich, was mein bürgerlicher Name „Zimmerman“ auf deutsch bedeutet? Schorsch Kamerun stammelte schüchtern: „Äh, das IST doch deutsch, Mr. Dylan.“ „Ja.“, sagte Bob Dylan mit seinem denkbar fiesesten Grinsen. „Das genau ist der Trick.“ Dann ging er kopfschüttelnd mit seinem Franzbrötchen und dem Kaffee aus der Tanke und ließ Cat Stevens einfach vor der Theke stehen. Als er aus dem Tankstellenshop herausging, sah er noch aus den Augenwinkeln, wie ein weißer Kleinbus in einem Affenzahn auf das Tankstellenglände fuhr. Einmal kurz sah er sich um, obwohl ihn das an Lots Frau und seinen eigene Songzeile „She don’t look back“ erinnerte. Er meinte kurz zu sehen, wie bärtige Männer mit Maschinengewehren aus dem Kleinbus – natürlich von VW – sprangen, und in die Tanke rannten. Aber das war sicherlich eine Halluzination wegen des Jetlag.

 

Seelnruhig ging er die Straße weiter herunter. Fröhlich begann er, sein Franzbrötchen zu mampfen, und nahm ab und zu einen Schluck Kaffee. Nachdem er ca. 100 Meter weit gegangen war, hörte er einen ohrenbetäubenden Knall. Eine Explosion. Er sah sich nocheinmal um. Die Tankstelle brannte lichterloh. Trümmer flogen durch die Luft und landeten rechts und links von ihm auf der Straße. Ungerührt ging er weiter. Er grinste. „Feinde fallen rechts und links von mir, aber deine Hand schützt mich.“,  zitierte er aus den Psalmen. Zuletzt flog noch ein völlig verkokelter Rollstuhl im hohen Bogen über seinen Kopf hinweg und krachte vor ihm auf die Straße. Bob blieb kurz stehen, betrachtete ihn, ging um ihn herum, und latschte weiter in Richtung Hamburg Fuhlsbüttel, wo er vorhatte, das nächste Flugzeug nach Amerika zu nehmen und nie wieder auf Verrückte wie Cat Stevens zu hören. Dennoch wollte er kurz wissen, ob Cat okay war. Er angelte sich sein Smartphone aus der Tasche seiner schäbigen schwarzen Strickjacke und wählte Cats Nummer. Cat ging ran. „Where are you, my friend?“, fragte Bob. „In heaven.“, sagte Cat gutgelaunt. „Sie haben hier sogar einen Geldautomaten und eine irre Hotellobby.“ „Das, lieber Cat, ist das Heidbergkrakenhaus.“, sagte Bob. „Ich habe es mir ja auf Google und anderen Servicen genau von innen und außen angeguckt, als du mir sagtest, du wollest nach Langenhorn. Liegst du bequem?“ „I lie, where I lie.“ sagte Cat Stevens mit fröhlicher Stimme.  Bob schüttelte den Kopf, machte sein Smartphone aus und ging auf der toten Straße, über der die Wolken weinten, weiter Richtung Flughafen Fuhlsbüttel. Seine Traurigkeit machte ihn heiter, denn er wusste, dass er immer noch dem Tambourine Man folgte. Es war weder Bruce Langhorne (bei diesem Gedanken lachte er glucksend, im Bewusstsein, wo er hier war), noch ein Ufo, wie die Byrds und viele andere glaubten. ER war es. Der an jenem Kreuz gehangen hatte. Er hatte ihn, Bob, noch nie enttäuscht. Jedenfalls nie länger als einen Abend mit Cat Stevens und Schorsch Kamerun lang. Ein Gulli öffnete sich, Bob Dylan stieg hinein und ging um 27 krumme Ecken herum an der Nase von Janis Joplin, dem Mercedes Benz und den Kaufhausgeschädigten vorbei, die ein Frühstück bei Tiffany‘s einnahmen, ignorierte die Mission Bells und das Hotel California und ging ganz leisure (legere) eine breite, barrierefreie Behindertenauffahrt wieder hoch, stieg ohne zu bezahlen ins Flugzeug und fing an, sich in die Rolle von Peter Falk in “Der Himmel über Berlin“ hineinzuversetzen. Den ersten Teil, wohlgemerkt, der in Amerika „Wings of Desire“ heißt.

 

 

© by Patrick Rabe, 10. November 2020, Hamburg.

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