Tau hat sich in Gräsern und Schilfhalmen verfangen, seine Tropfen
glitzern im ersten Morgenlicht. Glatt wie ein Spiegel liegt der See vor mir.
Feuchte Luft liegt wie leichter Nebel auf dem Wasser. Das
Bootshaus am anderen Seeufer ist kaum zu erkennen. Ein weißer Reiher
schwebt mit langsamen Flügelschlag vorbei. Ein wenig später folgt
ein zweiter. Beide Vögel schwingen sich lautlos hinauf zum hellblauen
Himmel und ziehen vor dem weißen Halbmond vorbei.
An
langen Stangen, die weit aus dem Wasser ragen, ist ein Fischernetz befestigt.
Zwischen den Stangen hängt es durch. Die Reihe von spinnwebdünnen
Dreiecken zieht sich in den See hinaus. Dahinter schwimmen Kormorane auf der
glatten Wasserfläche, gut erkennbar an ihren langen Hälsen.
Plötzlich entschließen sie sich aufzufliegen. Vom Zentrum
des Schwarms schwimmt ein jeder nach einer anderen Richtung, schlägt mit
den Flügeln und kämpft sich aus dem Wasser. In einer langen Reihe
flattern sie dicht über dem Wasser davon.
Ich atme tief ein. Es
liegt ein leichter Blütenduft in der Luft und ein wenig riecht es nach
See. Es ist ruhig hier am Ufer. Nur das Krächzen einer Krähe aus der
Ferne und das leise Meckern eines Schafes vom Bauernhof am anderen Ufer sind
zu hören.
Dann rauscht es plötzlich. Ich sehe mich um und kann
mir nicht erklären, woher dieses Rauschen kommt. Es verstummt. Dann
erklingt es noch einmal. Und verstummt erneut. Wieder und wieder, in
unregelmäßigen Abständen ertönt dieses Rauschen. Es
erinnert mich an Brandungsrauschen. Doch woher soll das kommen an diesem
stillen Morgen an diesem kleinen See? Es ist kein technisches Geräusch.
Es kommt nicht vom Wasser vor mir, nicht vom anderen Ufer, nicht aus der
Siedlung. Wenn es ertönt, kommt das Rauschen von links. Doch dort ist nur
Seeufer und Wald.
Ich wundere mich und gehe langsam auf den
glatten, feuchten Steg hinaus. Als ich am Ende des Steges stehe, liegt der
ganze See vor mir. Keine Welle bewegt das Wasser.
Einige
Blesshühner schwimmen in der Ferne. Es ist still. Ein Raubvogel zieht
über dem Wald seine Kreise und nähert sich dem Ufer. Die
Blesshühner schwimmen zusammen und bilden bald einen einzigen dunklen
Fleck auf dem Wasser. Plötzlich schlagen sie aufgeregt mit den
Flügeln. Welch eine Aufregung! Der Raubvogel kommt näher, das
Gewimmel der Blesshühner wird wilder. Und dann höre ich es wieder,
dieses gewaltige Rauschen! Es sind die Blesshühner, die durch ihren
Flügelschlag und das Spritzen auf dem Wasser dieses Rauschen erzeugen.
Der Raubvogel dreht ab. Das Rauschen verstummt und die
Blesshühner verteilen sich wieder ruhig schwimmend. Als sich der
große, schwarze Vogel erneut nähert, wiederholt sich das
Schauspiel.
Ich bin fasziniert. Aus einzelnen, wehrlosen kleinen
Vögeln machen die Blesshühner einen großen, wimmelnden Schwarm
und verwirren damit den Raubvogel. Er kann durch das Gewimmel kein einzelnes
Huhn erkennen und greifen. Als der Raubvogel erfolglos zu anderen Revieren
abdreht, verlasse auch ich den stillen See, in mir eine warme Freude über
dieses fesselnde, lehrreiche Naturschauspiel.
Diesen Beitrag empfehlen:
Mit eigenem Mail-Programm empfehlen
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Susanne Radlach).
Der Beitrag wurde von Susanne Radlach auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.11.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Wenn Liebe bleibt: Lyrik der Zeit
von Rainer Tiemann
In den letzten Jahren ist einiges passiert. Unerwartet viele Menschen flohen
vor Krieg und Terror aus ihren Ländern nach Europa, um dort Schutz zu
suchen. Die USA wählten nach Obama einen neuen, unberechenbaren
Präsidenten. All das hat die Welt nicht sicherer gemacht.
Wohl dem, der weiß, wohin er gehört, der liebt und geliebt wird um seiner
selbst willen. Denn nur der kann die Zukunft meistern, wenn Liebe bleibt. Das
ist ein Credo des Leverkusener Autors Rainer Tiemann. Aktuelle Themen von
heute wurden in „Wenn Liebe bleibt“ lyrisch aufbereitet. Mögen Liebe und
schöne Erlebnisse Menschen Glück, Trost und Hoffnung geben in unsicheren,
sich verändernden Zeiten.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an: