Horst Lux

MAREIKES WELT 7 - Logik


    

 

      Früher Samstagabend. Ich fühle mich allein zu Haus. Alles ist ruhig, selbst das Techno-Musik-Festival oben im Zimmer des Ältesten hat anscheinend seinen Abschluss gefunden. Wohlige Ruhe ist eingekehrt.
Schnell mal ein YouTube Programm eingeschaltet. Toll, einige Opernarien bekomme ich da gleich offeriert. Oh - wie lange hab ich das schon nicht mehr genießen können.
Andrea Bocelli und Ana Maria Martinez singen »Brindisi« das bekannte Duett aus La Traviata.
              Ich schließe die Augen, höre mit innerer Begeisterung den wundervollen Stimmen zu, erlebe diese Komposition auf eine ungewohnte Art auf dem Drehstuhl meines Arbeitszimmers sitzend und bin ganz einfach glücklich.

      Denke ich. Aber denken ist eine Sache, die Realität eine andere. Vor meinem Zimmer auf der Treppe ein lautes, nicht enden wollendes metallisch klingendes Gepolter.
Als ich mich aufraffe, um nachzuschauen, geht auch schon die Tür auf. Ein kleiner Alu-Roller wird hineingeschoben, oder besser gesagt: hineingeworfen! Ihm folgt eine völlig aus der Puste geratene Mareike, wie Ihr Euch sicher schon denken könnt.
»Pappi!«, nun folgt erst einmal ein heftiges Schniefen und eine Taschentuch-Benutzer-Orgie, weil ihr Näschen ziemlich feucht aussieht.
»Pappi, kanns du mir den heilmachen? Da is was geklemmt in das Rad, so’n oller Faden oder so.«
»Warum um Himmels willen, schleppst du das Ding hier ganz nach oben? Ich hätte den doch unten repariert.« 
Ich schüttle meinen Kopf.

»Ja? Unten? Du? Wann denn, Pappi? Mein Faahrad hat schon ganz lange ein Platten vorne. Da hast du auch gesagt, ich mach das. Un nu kann ich aba nich mehr warten. So!«

     Schuldbewusst senke ich meinen Kopf und bin ganz erstaunt über so viel weibliche Logik, die hier schon zum Ausdruck kommt. Ich nehme mir also ein kleines Werkzeug und befreie Mareikes Roller von den Fädchen, die sich um die Achse gewickelt haben.
          Währenddessen höre ich weiter den tollen Stimmen zu, die mir aus den Lautsprechern entgegenschallen. Mareike schaut auf den Monitor, sieht den beiden Künstlern zu, die dort auf der Bühne des Colosseums in Rom agieren. Dann fragt sie plötzlich:
»Du Pappi, verstehst Du eintlich, was die da singn? Ich kann das gar nich versteh’n.«

      Na, ich bin des Italienischen auch nicht so mächtig und muss ihr gestehen, dass ich es auch nicht verstehe. 
»Aber darauf kommt es doch nicht an, Liebes. Es geht hier um die Musik. Den Wohlklang der Töne, die schönen Stimmen der Menschen. Ich finde das sehr schön.«

Mareike schaut mich minutenlang an. Nickt dann mit dem Köpfchen und sieht wieder auf den Monitor. Meint dann: »Das is ja auch schön. Aba die Musik von Thomas is auch schön, die mag ich lieber.«

      Jetzt kommt die Stelle in unserer Diskussion, in der es brenzlich wird und die Meinungen konträr aufeinanderprallen. Und ob Techno-Musik eines Ältesten nun schön ist, darüber streiten sich in den Familien schon seit Jahren Eltern und Kinder.

»Ach weißt Du, Mareike, auf jeden Fall ist sie hübsch laut, nicht wahr? Und das findest Du also gut? Das ist aber nicht gut für die Ohren!« Nachdenklich sieht Mareike mich an, fasst sich ein Herz und dreht den Lautstärkeregler an den Lautsprechern auf die höchste Stufe. Dann schreit sie -weil sie mein schmerzverzerrtes Gesicht sieht - zu mir hinüber:

»Un nu? Is das nu nich mehr schön? Das muss doch laut sein. In den Konzertsaal is das doch auch laut, oda?«
     Ich stürze zum Rechner und nehme Botticelli einfach die Möglichkeit, weiterzusingen. Befreit lasse ich mich dann in meinen Stuhl fallen, als Mareike mir tröstend über den Kopf streicht:

»Pappi, weiß Du was? Du hass doch gestern gesagt: Ich muss nicht auch den neusten Wagen fahren, weil Herr Müller den fährt, wir bleiben bei unsan alten! 
Siehst Du Pappi, ich mag eben das und Du magst das, is doch einfach, nich?«

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.11.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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