Andre Wegmann

Ocean of tears

Beständig peitschte der Regen in sein, durch mattes Straßenlaternenlicht beleuchtetes, leichenblasses Gesicht. Seine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Stein und er begann zu frieren, als der kühle Wind ihn immer erbarmungsloser malträtierte. Jegliches Zeitgefühl war ihm abhanden gekommen, er wusste nicht wie lange er schon auf dieser Straße lief, vorbei an vereinzelten Schaufenstern, in denen er sein eigenes Spiegelbild nicht wiedererkannte und entlang an Graffiti Dekorationen unter einem vernebelten, düsteren Himmel.
Er war geschlagen und zerstört und konnte nicht sagen, was er fühlte. Er war der Schatten seiner selbst und diese zum Wahnsinn treibenden Gedanken krochen beharrlich und gnadenlos unter seine Haut und füllten ihn aus. Das Kreuz des Verlustes erschien ihm als zu schwere Last und drohte ihn unter sich zu begraben. Verschwommen und weit weg hörte er mahnend die Stimme eines Freundes. Hätte er doch nur auf ihn gehört, aber dafür war es jetzt zu spät. Ein harter Blitz schoss in sein Herz, als er vor seinem geistigen Auge plötzlich ihre sinnlichen Lippen sah, die sich den seinen langsam und einladend näherten. Damals, und es kam ihm vor als wäre es erst gestern, war er zutiefst bereit gewesen sich selber zu verlieren, für nur einen so verhängnisvollen und warmen Kuss.
Geräusche rissen ihn aus seinen Erinnerungen als er ein verfallenes Fabrikgebäude passierte, vor dem sich ein fetter, fremdländisch wirkender, Obdachloser mit seinem hässlichen, heruntergekommenen Köter an einer brennenden Tonne erwärmte und dabei, wie ein Schwein grunzend, von einem Stück Fleisch abbiss. Angewidert weitereilend fiel sein Blick ein kurzes Stück weiter auf einige Ratten, die aus versifften Mülltonnen herauskrochen und verschimmelte Essensreste in ihren Pfoten hielten. Der Wind heulte seine Jeremiaden immer lauter. Die Atmosphäre war unbehaglich und kalt, so beklemmend wie an dem Tage als er das letzte Mal mit seinen Händen durch ihre schwarzen Locken fuhr und es bereits ahnte, dass ihr warmer, betörender Duft ihm nie wieder einen hinreißenden Schauer über den Rücken jagen würde. Seine Erinnerung schwenkte zum gestrigen Abend, als er seine Verzweiflung, seinen Zorn, Schmerz und Hass am Erzengel Raffael, den er sich als Baum vorzustellen versuchte, in brutaler Weise entlud. Solange bis er vor physischer Erschöpfung am Boden kroch. Doch wenn du fällst fängt dich niemand auf und so lag er dann nachts in seinem Bett und hörte das Blut in seinen Venen, schwarz und flüsternd wie der Regen auf der Straße. Aber es gab kein Heilmittel gegen den Schmerz, keinen Schutz vor dem Regen und so sehr er auch die Göttin der Gerechtigkeit um Erlösung von den Ketten des Krieges und des Schmerzes dieser Liebe bat, sie lachte ihm nur ins Gesicht und tadelte ihn dafür, dass 9.te Gebot missachtet zu haben und den Teufeln der flammenden Begierde verfallen zu sein.
Und während es am Himmel anfing zu blitzen und laut zu donnern betrat er die hohe Brücke am Rande der Stadt, auf der sich seinen müden Augen, als er den Blick senkte, das Bild eines gewaltiges Ozeans der Tränen, bedrohlich und doch einer unwiderstehlichen Anziehungskraft besitzend, darbot. Der Sensenmann erschien vor seinem geistigen Auge, streckte seine Hand aus und suggerierte ihm schmeichelnd eine Assoziation an Romeo und Julia und versprach mit beruhigender Stimme ihn zum Märtyrer der Liebe zu krönen, sollte er erst mal tief in sein himmlisches Leiden eingetaucht sein und seine zerbrechliche Seele fallengelassen haben. Entschloßen heute Nacht für die Liebe zu sterben kletterte er über die Absperrung und schloss die Augen, als ein gewaltiger Donnerknall erschallte und die Welt für einen Augenblick den Atem anzuhalten schien....
Vom grellem Lärm aufgeweckt, schnellte er unter einem Aufschrei blitzartig empor. Er saß aufrecht im Bett und blickte schweißgebadet und mitgenommen auf den Wecker, der unerbittlich seine monotonen, lauten Alarmsignale von sich gab bis er schließlich zum Schweigen gebracht wurde. Es war 07:07 Uhr, eine zarte Hand legte sich besorgt und beruhigend auf seinen Rücken und blonde lange Haare fuhren federartig über seine Haut als er in einen gefühlvollen Kuss versank und danach erleichtert, an die Frau neben ihm gekuschelt, noch ein bisschen weiterschlief.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Der Stieglitz hat ´ne Meise: Gedichte von Jana Hentzschel



Aus dem Wald in die Pfanne ... Tief unterm Büschel Gras versteckt, mit einem Blatt noch abgedeckt, beobachtet ein Pilz im Wald so manch befremdliche Gestalt. Sie schlurfen, ein paar trampeln auch, in Stiefeln und 'nem Korb vorm Bauch, das scharfe Messer in der Hand, den Blick zum Boden stets gewandt. Ein Freudenschrei, ein scharfer Schnitt, so nehmen sie Verwandte mit; und der versteckte Pilz, der weiß, im Tiegel ist es höllisch heiß. So brutzeln aber will er nicht! Da bläst ein Sturm ihm ins Gesicht, es rauscht und wirbelt ringsherum, schon bebt der Wald - ein Baum fiel um. Genau auf seinen Nachbarn drauf. Das ändert seinen Denkverlauf: "Welch übles Ende: Einfach platt! Da mach' ich lieber Menschen satt." Drum reckt er sich aus dem Versteck, er will jetzt plötzlich dringend weg: "Vergesst mich nicht! Ich bin gleich hier und sehr bekömmlich, glaubt es mir."

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