Horst Lux

MAREIKES WELT 10 ----- Wünsche

      Schauderhaftes Herbstwetter. Es regnet. Nein, das ist zu zahm ausgedrückt – es gießt in Strömen. Ich stehe am Fenster, schaue in das trübselige Wetter hinaus. Ein grau-nebliges Einerlei, irgendwie legt sich diese graue Stimmung auch aufs Gemüt.
Plötzlich geht die Sonne auf. Eine herrliche, farbenfrohe und liebliche Sonne, der dieses Wetter anscheinend nichts anhaben kann. Mitten in meinem Arbeitszimmer steht nämlich die kleine Mareike! Fröhlich kichernd, ganz entgegen ihrer sonstigen polterigen Art, ist sie leise ins Zimmer geschlichen. Dann dieses silberhelle Lachen, das alle Wolken auf einen Schlag vertreibt. Es ist wirklich eine helle und lachende Sonne wie aus einem Bilderbuch.

     »Pappi«, sie spricht mit einer ungewohnten Ernsthaftigkeit weiter, »Pappi, kann ich dich mal stör’n?«
Nun, da diese Störung Licht in mein Arbeitszimmer bringt, sage ich - auch ziemlich ungewohnt: »Aber gern, Schätzchen!«
»Pappi, du warst doch auch ma klein, nich?«

Ich lächle erstaunt, nicke dann bestätigend.
»Aber ja doch! Alle Menschen fangen mal ganz klein an. – Warum fragst du?«
 Mareike trippelt voller Ungeduld von einem Beinchen auf das andere. Dann platzt sie mit der weltumspannenden Frage heraus:

»Hattst du damals, als du klein waast, auch schon ein’n gaaanz-super-großen Lieblingswunsch?«
     Ich sehe das Töchterchen etwas verständnislos an. Erinnerungen steigen auf – mehrere Tausend Wochen alt.
»Ach, weißt du Mareike. Jeder Mensch hat einmal einen Lieblingswunsch.«
»Du Pappi, was waa denn damals dein Lieblingswunsch?«

     Ich muss wirklich nachdenken, eigentlich könnte ich ja viele aufzählen. Wünsche in der Kinderzeit waren wirklich kaum zu zählen. Dann irgendwann bleibe ich bei dem Herzenswunsch hängen, der sich leider nie erfüllte.
»Hm, mir ist er wieder eingefallen! Als ich fünf Jahre alt war - also so alt wie du heute - wollte ich immer ein Meerschweinchen haben. Ich hatte mir auch schon einen Namen ausgedacht: Knautschi!«
Mareike lacht hell auf. »Was für ein lustiger Name!«

»Ja, nicht wahr? Doch leider blieb Knautschi wirklich ein Wunsch. Wir hatten damals in unserer kleinen Wohnung keinen Platz für ein Tierchen.«
Mareike schüttelt ihr Köpfchen. Bedauernd schaut sie mich an. »Ja, das is aba schade. Da warst du sicher traurig, nich Pappi?«
Ich nicke. »Ich denke schon, ist schon so lange her.«

In der Erinnerung sind die Bilder von damals wieder da. Komme dann ganz nebenbei ins Grübeln. Mareike sieht mich an, will noch etwas loswerden, schweigt dann aber doch. Nach einer Weile dann:
»Ich geh dann mal wieda, Tschüss, Pappi!« Und damit war der Sonnenschein wieder fort. Ich bleibe mit meinen Gedanken und dem trüben Wetter wieder allein.

      Am späten Nachmittag zeigt sich im Westen ein leichtes Abendrot, meine Stimmungskurve steigt wieder in ungeahnte Höhen. Ich bewundere gerade diese himmlische Röte, da steht Mareike plötzlich wieder neben mir, etwas atemlos. Sie ist wohl die Treppe herauf gestürmt.
»Na, mein Schatz, möchtest du mal wieder stören?«
Sie lächelt mich spitzbübisch an:
»Nee, Pappi, aba ich hab dir was mitgebracht. Hab mein Spaaschwein geplündert. Mutti hat mich komisch annegekuckt, als ich ihr das gesagt hab’, aba dann hat sie gelacht!«

Nun bin ich aber doch überrascht. Was haben die beiden Frauen sich da ausgedacht? Mareike stellt einen Pappkarton auf meinen Schreibtisch. Aufgeregt und mit großen Augen sieht sie mich an. 
»Nu mach schon auf!«

Na ja, ich will der Kleinen den Spaß nicht verderben.
Ich nehme den Karton, öffne ihn und lasse ihn vor Schreck fast gleich wieder fallen!
Mit einem lauten Quietschen kommt mir ein wolliges weißbraunes Etwas entgegen, bei dem man das Vorder- und das Hinterteil kaum auseinander halten kann. Ein lautes Auflachen des Töchterchens bringt mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Pappi, das is dein Knautschi! Freust du dich?« 

       Freust du dich? hatte das Töchterchen gefragt. Ich konnte nur verstört nicken. Später, viel später fällt mir dann jedoch ein, dass Mareike sich vor einigen Wochen auch solch ein Wollknäuel gewünscht hat! Aus einem damals wichtigen Grund mussten wir ihr es abschlagen.

Und nun? Zur Zeit haben wir beide jedenfalls keinen Lieblingswunsch mehr offen ...

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Mit dieser letzten Episode sind die Geschichten um die kleine Mareike vorläufig beendet. Vielleicht haben diese kleinen Erzählungen ein wenig dazu beigetragen, solch ein Verhältnis zwischen Vater und Töchterchen im Kindergartenalter aufzuhellen. Wenn Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten in irgendeinem Familienleben aufgetreten sein sollten, sind sie gewollt!
Aber:
Mareike gibt es nicht, gab es nicht. Sie ist ein Produkt meiner Einbildung, mit etwas Fantasie in Szene gesetzt. Denkbar, dass die eine oder andere kleine Episode aus der Zeit meiner eigenen Kinder Anstösse gegeben hat. Möglich ist bekanntlich alles ...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.11.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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