Barbara Cordes

Marina

Marina

Sie ist eine hübsche, selbstbewusste junge Frau. Schwarze Zigeuneraugen strahlen aus ihrem Gesicht. Zur Zeit ist sie gerade dabei, mit ihrem Mann ihr neues zu Hause einzurichten. Ein schönes Einfamilienhaus mit vielen Zimmern. Sie sagt, die braucht sie für die späteren Kinder. Na, dann lass ich mich mal überraschen, wann das erste dieser Zimmer bewohnt ist.
Ich kann mich gut an die wunderschöne Zeit mit ihr erinnern.
Bei Ihrer Geburt ging es schon turbulent los. Sie war mein Erstes und ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukam. Das Baby wollte ich, ihr Vater allerdings noch nicht. Also musste nachgeholfen werden. Die Pille wurde weggelassen, doch er merkte es. Die Kondome piekste ich heimlich an, aber nichts passierte. Ich gab meine nicht ganz fairen Versuche auf und siehe da, so ein Verhüterli kam mir zur Hilfe und ging ganz von alleine in die Brüche. Es folgte eine störungsfreie und schöne Schwangerschaft. Ich kam mir toll vor mit meinem dicken Bäuchlein, in dem es zappelte und knuffte. Mir war schon klar, das irgendwann das wieder raus musste, was reingekommen war. Je näher dieser Tag rückte, je unruhiger wurde ich. Etwas Angst stellte sich ein und eine unsichere Frage setzte sich in meinem Kopf fest. Sie war so unglaublich, dass ich mich nicht traute sie offen auszusprechen, doch irgendwie wurde ich sie nicht wieder los. Es war der 4. November, ein regnerischer, grauer Tag. Mein Rücken schmerzte. Waren das die gefürchteten Wehen? Ja sie waren es. Die, immer noch offene, Frage drängte sich mehr und mehr in den Vordergrund. Nur wem sollte ich sie stellen?
Dann ging es plötzlich ganz schnell. „Ich kann das Köpfchen sehen,“ sagte meine Hebamme, und nach einer meiner größten Kraftanstrengungen war sie da: meine Tochter Marina.
Jetzt muß ich diese Frage stellen, schließlich geht es jetzt um das Leben meines Kindes. Ich nahm allen Mut zusammen und fragt: „Wo ist das andere Ende geblieben?“ „Die Nachgeburt kommt gleich“; entgegnete die Hebamme, die damit beschäftigt war dieses kleine, schreiende Bündel zu wiegen und zu messen. „Nein, sie verstehen nicht, ich meine nicht die Nachgeburt, sondern das andere Ende, es muß doch mit rausgekommen sein?“ Die Hebamme legte mir behutsam das kleine Mädchen in den Arm. Süß war sie, schwarze Knopfaugen sahen mich an. Ob sie mich schon sehen kann? Hören doch ganz bestimmt noch nicht! Also noch mal diese Frage stellen, bevor mein Kind es doch noch mitkriegt: „Ich meine das andere Ende von dem Kondom, das damals gerissen war?“ So, jetzt war es raus. Die Frau, die meine Tochter auf die Welt geholt hatte, drehte sich schnell um und ich sah, wie ihre Schultern zuckten und ihr Körper förmlich bebte. Sie lachte und hatte Mühe es mir nicht zu zeigen. Gott war mir das peinlich. Nur gut, das mein Baby noch nicht hören konnte, oder vielleicht doch?
Marina entwickelte sich hervorragend. Ihre Kinderjahre waren unbeschwert und ohne große Komplikationen. Sie wurde von Jahr zu Jahr hübscher, und ich immer stolzer. Mittlerweile hat sich noch Andreas zu uns gesellt. Er ist der kleine Bruder von Marina. Ein Wonneproppen, bei dessen Geburt ich mir peinliche Fragen verkniffen hatte.
Marina entwickelte mit Hilfe ihres Vaters eine sportliche Leidenschaft. Bowling. Sie trainierte viel und hart. Ihr Ehrgeiz brachte dann mit 7 Jahren einen ersten Durchbruch. Die Einladung zu einem wichtigen Turnier in Hamburg. Unsere Tochter war völlig aus dem Häuschen. Kurz bevor es losging in Richtung der Hansestadt meinte sie ganz wichtig: „Mama, jetzt geht ein Traum von mir in Erfüllung; Ich kann endlich mal mit der Reeperbahn fahren.“ Zum Glück konnten die Betreuer diese Fahrt verhindern. Zwei Jahre später machte Marina das erste mal mit der Liebe Bekanntschaft. Er hieß Fred. Ein niedlicher, properer Junge. Auch Fred war ganz hingerissen von seiner Eroberung. Es verging kein Tag, an dem er nicht vor unserer Tür stand und seine Liebste zum Spielen abholte. Die beiden gingen dann immer Händchen haltend los. Doch eines Tages widerfuhr Fred das, was schon Millionen Männern vor ihm passiert ist: Er wurde betrogen. Heimlich hatte Marina einen anderen Jungen kennen gelernt. Sie wusste nur noch nicht, ob das auf Dauer was werden würde. Also erst mal beide warm halten. Schließlich war der Neue schon 12. Fast erwachsen, dachte sich meine Tochter. So kam es dann auch wie es kommen musste. Dieses Versteckspiel drohte aufzufliegen als Marina sich von Arne (so hieß der Neue), von zu Hause abholen ließ. Ganz Gentlemanlike setzte er sich ins Wohnzimmer und wartete auf seine Angebetete, die noch mit unserem Hund auf Gassitour war. Plötzlich flog die Tür auf. Entsetzt stürmte sie zu mir in die Küche und rief: “Mama, Mama du musst mir helfen, Kred kommt mir in die Fere. Er wartet draußen.“
Ich hatte alle Mühe mein Lachen zu unterdrücken. Natürlich half ich.
Mit der Zeit begriff Fred, das es aus war. Er besuchte uns nie wieder. Arne entpuppte sich als
Festere Beziehung. Es kam die Zeit, in der ich anfing und mir Gedanken machte über die Verhütungsmöglichkeiten meiner Tochter. In vielen Gesprächen bot ich ihr an, mit zum Frauenarzt zu gehen und die Pille verschreiben zu lassen. Marina versprach, wenn es nötig würde, sie war jetzt 13, mit mir diesen wichtigen Schritt zu tun.
Es war ein wunderschöner Sommerabend. Wir saßen mit Freunden gemütlich bei einem Bier auf dem Balkon. Ich sah von weitem unsere Tochter von ihrer Verabredung kommen. Mich beschlich ein seltsames Gefühl. Sie kam zu uns und strahlte ganz besonders. Da war was in diesem Blick. Mein Herz wollte fast stehen bleiben. Ich folgte ihr ins Kinderzimmer.
Die Barbiepuppe vom letzten Weihnachten lag auf ihrem Bett, zugedeckt von unzähligen Kleidungsstücken, die dem kritischen Spiegel nicht standgehalten hatten.
Marina umarmte mich und sagte: „Ich bin ja so glücklich, Arne hat mit mir geschlafen“ Es war, als hielt jemand die Welt an. Sie nahm doch noch keine Pille. Um Gottes Willen, sie ist erst 13. Als das Mädchen mein entsetztes Gesicht sah, setzte sie hinzu: „Du brauchst dir keine Sorgen machen. Wir haben ein Kondom benutzt“. Mir fiel diese peinliche Frage von damals wieder ein und ich musste daran denken, das so etwas nicht immer hält, schließlich stand der lebendige Beweis vor mir. „Wir haben auch getestet ob es gehalten hat. Wir haben es hinterher mit Wasser gefüllt. Glaub mir Mama, da ist kein Tropfen rausgekommen.“
Jetzt hatte ich wieder eine Frage: Können Neugeborene hören?
Die nächsten Schritte waren klar. Frauenärztin, Pille, Standpauke der Ärztin. Ich war etwas beruhigter. Wenigstens keine Folgen.
So gingen die nächsten drei Jahre ins Land. Aus meinem unschuldigen Kind wurde ein hübscher, lebensbejahender Teenager. Die Jungen lagen ihr zu Füßen und sie genoss es. Wenn in der Disco nebenan, irgendwo eine Traube junger Leute stand, war meine Tochter garantiert mittendrin. Es war herrlich: diese Unbeschwertheit . Irgendwann fragte ihre Oma sie, ob sie denn keine Angst um ihren guten Ruf hätte. „Nee Oma, da brauch ich keine Angst mehr drum zu haben, der ist sowieso schon futsch.“
Die Schulzeit ging zu Ende. Marina hatte ein Vorstellungsgespräch bei einer Baufirma, bei der sie eine Lehre als Bauzeichnerin anfangen wollte.
Natürlich bot ich ihr an, sie dorthin zu bringen. Als wir durch unsere Strasse fuhren und an dem Geschäft vorbeikamen, in dem Sanitäranlagen verkauft wurden, sagte sie ganz ernst: „Eins kann ich nicht verstehen, die haben da so schöne Badezimmer und man sieht dort nie jemanden duschen.“ Vor Lachen trat ich auf die Bremse und nach einigen, verständnislosen Minuten, stimmte Marina in mein Lachen ein. Sie hatte wieder einmal erst gesprochen, bevor sie nachdachte.
Es gesellte sich ein neuer Mann an ihre Seite. Welch ein Zufall. Auch er hieß Arne. Er war ein lieber, netter, anständiger junger Mann. Es wurde eine schöne dauerhafte Beziehung. Die gemeinsame Wohnung richteten die beiden sich gemütlich ein. DLRG, Tanzen, Katastrophenschutz und vieles mehr bestimmten ihr Leben, damals und wie heute.
In einem schönen August bestellten Arne und Marina mich zu ihrer Hochzeitsplanerin. Ich war sehr stolz und dankbar für dieses Vertrauen. Das mußte eine Traumhochzeit werden.

Marina war besessen von dem Gedanken, von ihrem Papa an den Altar gebracht zu werden. Nach längerem Suchen, fand sie eine wunderschöne alte Dorfkirche, deren Pastor mit diesem Brauch vertraut und auch einverstanden war. Selbst beim Kauf ihres Brautkleides durfte ich beratend an ihrer Seite sein. Sie erfüllte sich einen Traum in Weiß. Ich musste an meine eigene Hochzeit denken. Das Geld war knapp. Wir heirateten nur Standesamtlich, mit einer kleinen Feier bei uns zu Hause. Ich hatte kein weißes Kleid. Und doch war ich seelig.

Dann kam der große Tag. Alle Vorbereitungen waren abgeschlossen. Der Saal der Tanzschule, in der die Feier stattfinden sollte, war wunderschön geschmückt. Das Büfett stand und sah sehr gut aus. Wir hatten uns mächtig ins Zeug gelegt. Marina saß bei mir zuhause, ganz aufgeregt. Eine Friseuse hatte ihr den Schleier schon aufgesteckt. Süß sah sie aus. Wir hatten noch etwas Zeit. Wir beide, ganz allein, vor ihrem großen Schritt. Ich glaube, das waren die innigsten Augenblicke. Gemütlich wurde gegessen und geplaudert. Langsam wurde es Zeit, das Brautkleid anzuziehen, den weiten Rock über die Reifen zu richten.. Die lange Schleppe wurde mit 4 Haken am Rückenteil des Kleides befestigt. Wunderschön stand sie da. In unserer kleinen Stube. Eigentlich wollte ich nicht weinen. Nein, eigentlich nicht.
Ein stolzer Papa führte seine kleine Tochter zum Traualtar und übergab sie dem Mann ihres Lebens. Es waren ergreifenden Momente. Momente in denen ich an die Fahrt mit der Reeperbahn, an Kred der ihr in die Fere kam und an den Sanitärhändler denken musste, in dessen schönen Badausstellungen nie jemand duschte.




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.09.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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