Da springt Emilia plötzlich auf, rennt zum Hörer und bricht in
Tränen aus. Was ist hier los? Sie eilt zum Fenster und zündet sich
eine Zigarette an. Eine „Stress-Zigarette“. So viel weiß ich
mittlerweile auch.
Unsicher schwenkt ihr Blick in meine Richtung.
Einmal nur traue ich mich Emilia fragend anzuschauen, hoffend auf eine
einleuchtende Erklärung. Keine Antwort für mich. Es mag daran
liegen, dass ich sie nicht hören kann - Klingt einleuchtend - .Allerdings
kann ich das Lippenlesen inzwischen schon ziemlich gut und dennoch: Keine
Antwort für mich. Sie war noch nie diejenige, die viel redet. Also
brauche ich mir wohl nicht allzu viele Sorgen um sie machen.
Nachdem sie nun endlich die fürchterlich stinkende Zigarette
ausgedrückt hat, setzt sie sich neben mich auf die Couch. - Sie
könnte ein Taschentuch für ihre triefende Nase gebrauchen. - Ohne
auch nur ein Wort zu sagen, zeigt sie mir, dass sie nun meine Nähe
braucht. Wie könnte ich anders, als meiner Mutter in einem traurigen
Augenblick beizustehen. Vielleicht möchte ich lieber gar nicht wissen,
was passiert ist. Also lehne ich mich einfach an sie und tröste sie mit
meiner Umarmung.
Nach einer ganzen Weile springt sie auf. - Was
ist jetzt schon wieder los? - Sie sprintet ins Badezimmer, packt hektisch ihre
Tasche... Sie gibt mir mein Lieblings-Kuscheltier und nimmt mich mit; aus dem
Haus und ab ins Auto. Hier, auf dem Beifahrersitz, saß ich schon lang
nicht mehr. - Aber wo fahren wir hin? - Ich kann mich noch genau an meine
erste Fahrt mit dem Auto erinnern. In diesem Moment war ich so aufgeregt. Ich
wusste damals nur eins: Es geht in mein neues Zuhause. Doch wie konnte ich es
mir vorstellen? Wie würde mein neues Leben wohl aussehen? Ja, es war der
Tag meiner Adoption. Meine neue Mama hatte mich zuvor bereits besucht und wir
wussten direkt, dass wir zueinander gehörten.
Huch! Wir
scheinen am Ziel angekommen zu sein! Ein bedauerlicher Blick zierte Emilias
Gesicht und sie zeigte aus dem Fenster des Autos. Wir sind zum Arzt gefahren.
Jetzt kann ich ihren Trübsal nachvollziehen. Oftmals endeten Arztbesuche
mit mir nicht sonderlich glücklich. Verbände: unangenehm, Spritzen:
furchtbar, mein Verhalten: nicht auszuhalten! Vielleicht sollte ich ihr zu
liebe dieses eine Mal mein bestes Benehmen vorzeigen. Okay, ich lasse es
über mich ergehen und mache sie stolz. Immerhin hat sie schon so viel
für mich getan. Auf geht’s!
Zum Glück mussten wir
unsere Zeit heute nicht im Wartezimmer verschwenden. Durch die
Eingangstür ging es am Tresen vorbei und direkt in ein Behandlungszimmer.
- Was ein Glück! - Der Arzt schreitet durch die Tür. Die
Formalitäten klärt Emilia für mich. Noch bin ich nicht alt
genug dazu. Zum Schluss fragt der Arzt sie noch einmal nach meinem
Geburtsdatum. Das bringt mich wieder dazu in die Vergangenheit
zurückzugreifen. Wenn ich an mein Geburtsdatum denke, dann muss ich lange
nachdenken und das zählt nun wirklich nicht zu meinen Stärken. Aber,
liebe Leserschaft, ich kann euch Folgendes sagen: Ich müsste mittlerweile
zehn Jahre alt sein. Oder elf!
Damals, als ich adoptiert wurde,
war ich kein Baby mehr. Ich lebte gemeinsam mit meinen Brüdern auf einem
Bauernhof. Dort durfte ich aber nicht bleiben und so bin ich bei Emilia
gelandet. Seitdem war mein Leben auch viel unbeschwerter. Ich musste mich nie
wieder beim Essen beeilen, damit ich satt werde oder mich darum bemühen
beim Spielen mitmachen zu dürfen. Emilia und ich sind immer ein Team. -
AUTSCH! - Der Arzt hat mir eine Spritze verpasst! Bestimmt wird es eine
Impfung sein. Ständig kreisen meine Gedanken, in meinem Kopf wimmelt es
nur so von Tagträumen. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass
Zuhören nicht meine größte Fähigkeit ist.
Und schon wieder wirft Emilia mir einen traurigen Blick zu. Sie nimmt mich in
den Arm und drückt mich ziemlich fest. Wie ich bereits sagte: Wir sind
ein Team. Meine Mutter leidet mit mir und steht mir bei. - Irgend-, Irgendwie
wird mir ganz schummrig im Kopf! - Sie streicht mir liebevoll über den
Kopf und gibt mir einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. - WAS ist hier
los? - Tief schaut sie mir in die Augen, fängt bitterlich an zu weinen
und gesteht mir, wie viel ich ihr bedeute. Oh! Emilia, du bist das Beste, was
mir je passiert ist! Ich danke dir für alles und werde immer für
dich da sein! Doch sag mir bitte endlich, was los ist! Mein Kopf wird schwer.
Langsam sinkt mein Körper zu Boden. Meine Glieder lassen sich nicht mehr
heben. Wie müde ich doch bin. So ein Arzttermin stresst mich. Lass uns
zurück nach Hause fahren und auf dem Sofa kuscheln. Das würde mich
jetzt glücklich machen.
Emilia senkt ihre Stirn vorsichtig
an meine. Unsere Köpfe berühren sich und zum ersten Mal in unserer
gemeinsamen Geschichte fällt mir auf, wie viel größer sie doch
ist. Trotz all der Unterschiede zwischen uns, sind wir Partner fürs
Leben. Wie komisch es doch ist, dass sie nur Haare auf dem Kopf hat; auch
Schnurrhaare hat sie keine. Alles wirkt so verschwommen. Dort oben sehe ich
ein heller werdendes Licht. Was ist hier los? Da schaut sie mir wieder tief in
meine Augen. Emilia! Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich lie...
Ende
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Der Beitrag wurde von Indra Seidler auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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