Horst Lux

KÜCHENGEPLAUDER

Küchen hatten auf mich schon immer etwas Anheimelndes. Im Grunde genommen gehört eine Küche zum wichtigsten Raum einer Wohnung, sie ist sozusagen die Zentrale eines Hauses. Hier wird über die gute oder schlechte Laune der Bewohner mit entschieden, da das leibliche Wohl unzweifelhaft das Hauptanliegen der Familie ist.

Ich erinnere mich an die Küche meiner Großmutter, die ich etwa im Alter von 5 Jahren bewusst kennenlernte. Ein riesengroßer Raum mit drei Fenstern, mehrere Schränke in unterschiedlicher Größe sowie ein riesiger Tisch, der immer mit einer Wachstuchdecke belegt war. Der Fußboden bestand aus roten Ziegelsteinen, die zweimal jährlich mit roter Farbe (Caput mortuum) überstrichen wurde. Die vorherige Generalreinigung brachte die gesamte Küche in einen unwahrscheinlichen Glanzzustand, der eigentlich nicht notwendig war, weil Großmutter stets sehr großen Wert auf Sauberkeit in ihrem Reich legte!

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich diese große Küche jemals ohne Menschen gesehen habe. In der Küche traf sich die Verwandtschaft, hier wurde die Nachbarschaft empfangen, hier wurden Neuigkeiten ausgetauscht, manchmal auch Klatsch verbreitet. Am Küchentisch Sassen wir manchmal mit bis zu zehn Personen bei einer Mahlzeit zusammen. Wir ließen uns das gut vorbereitete Essen schmecken, die leckere Suppe, eine gute Hauptmahlzeit und auch das Dessert in mannigfaltiger Form. Selbst in den Tagen des Krieges, als alles fehlte und der Mangel das Hauptprodukt war, - hier in Großmutters Küche war immer etwas zu bekommen. Der Himmel mag wissen, woher oft diese Köstlichkeiten kamen! Vielleicht lag es an den guten Beziehungen zur alten dörflichen Familie außerhalb der Stadt?

Da hing tatsächlich noch eine Anzahl von Dauerwürsten zwischen den Deckenbalken der Küche, während darunter in einem Eck kleine Wäsche trocknete, ebenso wie auch an der umlaufenden Stange des gewaltigen Kohleherdes. Dessen Backofen brachte oft die wundersamsten Brote und Kuchen ans Tageslicht! Auf dem Herd köchelte immer eine Emailkanne mit Kaffee, das war aber selten genug Bohnenkaffee, sondern eine Art geröstete Gerste, die dann als Kaffee fungierte.

Das Geschirr, das Großmutter in der Küche benutzte, war sicher kein Meissener Porzellan. Es war Steingut in einer blaugrauen Farbe.

Aber wir liebten Omas Tassen und Teller, vielleicht auch deswegen, weil es stets mit Inhalt versehen war. Brot war immer vorhanden, auch in den schwierigen Kriegstagen, Fleisch brachte Großmutter oft mit, wenn sie ihre Verwandtschaft in den Dörfern besuchte. Kartoffeln und Gemüse kamen aus dem eigenen Garten. So kann ich mich nicht erinnern, bis zum Ende des Krieges trotz der minimalen Zuteilung auf den Lebensmittelkarten jemals gehungert zu haben!

Die wöchentliche Badeprozedur während meiner Besuchswochen bei der Großmutter war allerdings nicht unbedingt eine Sache, die ich liebte. Da war eine große Zinkwanne, die aus irgendeiner Versenkung plötzlich auf dem Boden stand, ein Waschkessel mit heißem Wasser stand bereits auf dem Herd, dieses wurde dann in die Wanne geschüttet, diese dann mit kaltem Wasser aufgefüllt. Der kleine Junge - ich - bekam dann die Übermacht der Erwachsenen zu spüren, mit Zeter und Mordio ging es sodann in die Wanne und damit zu Werke! Ich spüre die Seife(!) heute noch in den Augen. (von wegen Duschgel und Badezusatz).

So war es  in der alten Küche, hier wurden während der Arbeit Lieder gesungen, abends Spiele mit der ganzen großen Familie gespielt - es war einfach eine Zeit, die ich nie vergessen werde, auch nicht missen möchte!

Und heute? Unsere Küche ist voller Geräte, elektrisch und elektronisch gesteuert. Zu jedem der unzähligen Geräte gehört vorher natürlich das eingehende Studium der Betriebsanleitungen in 17 Sprachen.

(Du weißt schon: Füge bitte Nippel A in Loch B zum expandieren des ausgehenden Seitenflügels zum openmachen der Doorsegments. usw.)

Jedenfalls ist es stets das Neueste vom Neuen, immer upgedatet auf dem letzten Level! Die Küche ist super-hyper-extra-modern, nur reden kann man dort nicht mehr, viel weniger noch singen. Die Wäsche trocknet im Trockner, das vorgefrostete Essen wartet im Gefrierschrank. Es gibt vorbildliche und moderne zwei-Minuten-Mahlzeiten direkt aus der Microwave, zum Sitzen beim Essen ist die Zeit zu knapp, es wäre ein unermesslicher Luxus, sich solch unproduktiver Tätigkeit hinzugeben. Man muss ja gleich wieder los, die Arbeit wartet. Da die Gerichte fast fertig sind, muss niemand mehr bei der Zubereitung singen. Da legt man schnell eine Mp3 ein und in 11 Minuten gestoppter Zeit steigt man dann in das Auto, das abfahrbereit wartet oder man rennt eilig zur Bushaltestelle, um den Bus ja nicht zu verpassen. Das wäre ein unvorstellbares Chaos, denn eine Verspätung würde unser Chef nicht dulden, der gerade nach einem zweistündigen Geschäftsessen mit seinen Partnern das Restaurant »Gambrinus« verlässt.

Ach ja, das Bad, das hätte ich fast vergessen. Wir haben natürlich ein modernes Bad mit Whirlpool und allen Schikanen. Ist schließlich der einzige Ort, an dem wir mal 15 Minuten ohne Hetze für uns sein dürfen. Sind noch Fragen offen?
Gewiss, wir hatten nichts von dem in unserer Jugendzeit, das heute modern ist, manches gab es noch gar nicht. Und doch hatten wir viel mehr! Wir hatten noch ein Wertgefühl, das Atmosphäre, Geselligkeit und fröhliches Leben beinhaltete.

Großmutter hätte nicht verstanden, was damit gesagt werden sollte. Aber sie hatte in ihrem Reich, in ihrer Küche eines, das heute vielen Menschen nicht mehr bekannt ist: Sie war glücklich in aller Bescheidenheit - und wir mit ihr.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.12.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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