Jahreswechsel. Jedes Jahr dasselbe. ‚Was wir das neue Jahr mir bringen?‘, überlegt Helene. Wünsche hat sie viele. Sie will im Juni oder Juli ans Meer fahren. Sonne pur. Am Strand liegen. Die Seele baumeln lassen. Corona besiegt haben. Uneingeschränkt sich bewegen können. Mit Freunden treffen. Andere berühren, ohne Angst sich anstecken zu können. Davon träumt Helene.
Vor ihrem Fenster bewegen sich Nebelschwaden wie unruhige Geister. Auf dem Tisch steht eine heißt Suppe. Die Uhr auf der Anrichte ist stehen geblieben. „Macht nichts“, sagt Helene. ‚Ist nicht der reicher der zeitlos lebt?‘, fragt sie sich und stochert in ihrer Suppe herum.
Kahle Äste klappern an die Scheibe. Sie beobachtet den Nebel, der nicht mehr gemächlich am Fenster vorbei zieht, sondern sich vom Wind treiben lässt. Helene steht auf und schließt die Vorhänge. Sie mag nicht zusehen, wenn Naturgewalten außer Kontrolle geraten.
Wieder am Tisch sitzend hofft sie, dass sich der Winter in diesem Jahr gnädig zeigt. Ihr sind erfrorene Amseln in Erinnerung, die wie weggeworfen im Park lagen.
Helene hat sich vorgenommen, weniger rückwärts zu schauen, sondern mehr im Hier und Jetzt zu leben. Sie ist noch am Üben. ‚Das Jahr hat erst angefangen“, beruhigt sie sich und hört ein Klingeln an der Wohnungstür. ‚Wer kann das sein? Ich erwarte keinen Besuch‘, überlegt sie und geht zur Tür. Davor steht ihr Nachbar Terence.
„Hallo Helene.“
„Hallo Terence. Was kann ich für dich tun?“
„Kann ich reinkommen?“
„Bei mir ist nicht aufgeräumt.“
„Das macht doch nichts. Darf ich trotzdem reinkommen?“
Helene zögert. Schließlich lässt sie Terence eintreten.
„Magst du eine heiße Suppe?“, fragt sie.
„Wenn es dir keine Umstände macht. Gerne.“
Helene geht in die Küche und kommt mit einer vollen Suppentasse zurück.
Während er die Suppe genießt, erzählt er, dass es sich den Start ins neue Jahr besser vorgestellt hat.
„Was ist passiert Terence?“
„Heute Morgen war ich in einem Unfall verwickelt. Mein Auto hat einen erheblichen Blechschaden.“
„Und dir? Dir ist hoffentlich nichts passiert? Gab es Verletzte? Um Gottes willen, Terence. Das ist ja furchtbar.“
„Es gab nur Blechschaden. Mein Wagen wurde in eine Reparaturwerkstatt gebracht. Von der komme ich gerade.“
„Und?“
„Ich muss mit 1000 bis 1500 € Reparaturkosten rechnen.“
„Ein ganz schönes Sümmchen …“
„Das ich nicht habe“, unterbricht Terence und legt seinen Löffel zur Seite. “Ich dummer Esel hätte besser aufpassen müssen.“
„Passiert ist passiert,“, sagt Helene. Es hätte schlimmer ausgehen können.“
„Das stimmt. Weiß du, wenn ich zum Jahresende nicht meinen Job verloren hätte, wäre alles halb so schlimm. Corona hat mir finanzielle Sicherheit genommen.“
„Das tut mir leid.Iich meine das mit dem Auto und mit deiner Arbeit“, bedauert Helene.
„Deine Suppe schmeckt gut, Helene.“
„Magst du einen Nachschlag?“
„Wenn du mich so fragst … gerne.“
„Die Restsuppe reicht für uns beide.“
„Wie geht es dir Helene?“
„Ich war gerade dabei, darüber nachzudenken was ich vom neuen Jahr erwarte. Auf dem heutigen Kalenderblatt steht: UND WIEDER ALLES AUF ANFANG. WIR STAUNEN.“
„Staunen? Über was“, fragt Terence.
„Ich verstehe den Spruch so. An jedem Jahreswechsel wiederholen sich bestimmte Rituale. Es werden gute Vorsätze gemacht wie zum Beispiel abnehmen, die Hoffnung nicht aufgeben, im Hier und jetzt leben, authentisch sein und so weiter.“
„Und, Helene, hast du dir für das neue Jahr aus was vorgenommen?“
„Ich will im Frühsommer ans Meer fahren. Ich will in diesem Winter keine erfrorenen Vögel sehen, ich will meine Haare wachsen lassen. Ich will viel erleben und wenig bereuen müssen und noch viel mehr.“
„Ganz schön viel, was du dir vorgenommen hast“, meint Terence. „Meinst du, du schaffst die Liste abzuarbeiten?“
„Nein ganz bestimmt nicht. … Um zurück auf deinen Blechschaden zu kommen. Ich könnte dir finanziell unter die Arme greifen.“
„Das würdest du tun?“
„Ja, das würde ich tun. Ich hatte bei meiner Aufzählung einen Vorsatz vergessen.“
„Und welcher ist das?“
Der Vorsatz lautet, anderen zu helfen. Und bei dir fange ich an, diesen Vorsatz einzulösen. Mit irgendwas muss man ja anfangen.“
Beide sehen sich in die Augen und lachen.
„Corona wird uns eher zusammenschweißen als trennen“, erklärt Helene.
Terence ist fassungslos. Es dauert einen Moment, bis er was sagen kann. Schließlich sagt er: „Deine Uhr ist stehen geblieben, soll ich sie aufziehen.“
„Mach das. Zeit, die stehen bleibt, ist eine verlorene Zeit.“
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.01.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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