Es ist schon komisch,
Früher als ich noch spindeldürr war
Haben mich die Leute immer
gefragt ob ich magersüchtig bin
Und als ich’s dann war
hat’s niemand bemerkt.
Bist du magersüchtig? Was für
eine komische Frage, sowas sagt doch keiner laut!
Naja, auf jeden Fall,
habe ich mich Hals über Kopf reingestürzt, in das Nicht-Essen
Kalorien zählen, Sport bis Mord, ein Tee zu Abend, vielen Dank.
Nein, ich habe schon gegessen und nein, ich bin auch nicht auf Diät,
Ich esse gesund.
Also gesund ist an 129 Kalorien am Tag nichts,
Aber das muss ja keiner wissen.
Am liebsten wollte ich so dünn
sein, dass ich verschwand.
Der Spiegel hing voll mit motivierenden
Sprüchen und Ideal-Körper-Aussichten;
Schnell weg gepackt,
wenn freitags mal wieder die Putzfrau vorbeischaut.
Was ein
anstrengendes Leben, sich ständig mit trockenem Toast quälen
und am besten schon beim Essen mit den Sit-ups anfangen.
Und dann dieser
ständige Selbsthass,
Furchtbar lästig.
Da dank ich mir
doch die liebe Bulimie!
Meine Rettung, nach all der Knechterei, dem
Verzicht und der Disziplin.
Endlich konnte ich aufatmen.
Bei
Bulimie kann man ja essen soviel man will und noch mehr,
Bis man fast
platzt und dann greift man eben zur Zahnbürste.
Natürlich um
den Gallengeschmack wegzuputzen,
denn gut schmeckt das nicht.
Ja,
tatsächlich fühlt sich wenig gut an am Erbrechen,
aber
irgendwann ist einem nach dem Essen einfach schlecht.
Da ist es leicht
einfach kurz zu verschwinden, so wie bei einer Raucher-Pause,
Fünf
Minuten Magenleeren, statt fünf Minuten Lungenbrötchen.
Das
lässt sich auch super in den normalen Alltag integrieren,
fünf
Minuten hat man immer und auffallen tut es kaum.
Es ist fast wie ein
richtiges Hobby.
So nach dem Motto: und was machst du in deiner
Freizeit?
Gründlich abkotzen, damit die Hose auch nach einem Kilo
Eis noch passt und du so?
Und wie jeder weiß- ein Mal kotzen am
Tag, hält die Fettröllchen fern!
Liebe Bulimie, ich bedanke
mich auch dafür,
dass du mir gezeigt hast, was es heißt sich
so richtig gehen zu lassen
-eine Eigenschaft, die ich noch viel
gebrauchen sollte in meinem Leben.
Ich habe durch dich auch einen meiner
Lieblingskünstler entdeckt,
als ich laut das Radio laufen
ließ, damit ich ungestört und geschützt
von den Ohren
meiner Familie,
mich allabendlich der Kloschüssel widmen konnte.
Eine Sache hast du aber echt vermurkst finde ich:
Wenn ich nach
meiner Speiseröhrenkur in den Spiegel geguckt habe,
Sah ich nicht
mehr aus wie ich.
Ich sah eine blasse, ausgelaugte Person mit Kotze an
der Lippe
und Tränenspuren auf den Wangen.
Denn so
erleichternd und einfach es sich auch manchmal angefühlt hat,
den
einfachen Ausweg zu nehmen, wenn man mal wieder die Kontrolle verloren
oder sich bewusst vollgestopft hatte,
Hat auch mit der Bulimie ihren
Preis.
Sie tut zwar erst so als sei sie deine beste Freundin,
aber
sie macht dich hässlich und schwach.
Sie beherrscht deine Gedanken,
bis dein Kopf nur noch abwechselnd Ernährungspläne,
bunte Karotten vor dem Essen und Sportroutinen ausspuckt.
Das ist auf
Dauer etwas eintönig, finde ich.
Aber, Bulimie, du bist echt
hartnäckig.
Frisst dich in die Seele von uns Menschen und
verankerst dich tief in unseren Abgründen,
Baust Dir dort ein Nest
und machst es dir bequem.
Manchmal schläfst du ein bisschen,
lässt uns in Frieden
und wenn wir grade denken, dass wir uns selbst
jetzt ein bisschen mehr lieben
und unser Körper perfekt unperfekt
ist,
wachst du auf, trittst einmal kräftig um dich, zur
Begrüßung.
Dann schickst du böse, zerstörerische
Gedanken in unser Hirn
und sendest uns alte, längst vergessen
gewähnte Erinnerungen und Unsicherheiten zu,
um an unserer
Selbstsicherheit zu rütteln.
Dank dir konnte ich lange an keinem
Spiegel vorbeigehen ohne zu weinen.
Ich habe mich seit ich sechzehn war
nicht mehr gewogen.
An die Konfirmation von meinem Bruder habe ich
keinerlei Erinnerung,
abgesehen von der Tatsache, dass ich mir den Bauch
am Buffet vollschlug
und dann die ganze Nacht über der
Schüssel verbrachte.
Ich lechze verzweifelt nach der Anerkennung
von Männern
und habe mich deshalb mehrmals emotional und
körperlich missbrauchen lassen.
Bis heute kann ich nicht, egal wie
schlecht es mir geht,
sei es wegen Alkohol oder Drogenüberdosis
oder einer einfachen Magendarmgrippe,
mir nicht den Finger in den Hals
stecken,
ohne in einen Strudel von Erinnerungen und unkontrollierbarer
Verzweiflung zu rutschen.
...
Du bist doch keine so gute Freundin,
glaube ich.
Ich glaube, ich stelle dich besser in einer Reihe
neben die Alpträume, Ängste und Wutmonster.
Um dir hoffentlich
das nächste Mal mit Schild und Schwert in beiden Händen
zu
begegnen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.02.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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