Aleksandar Gievski

Bartenhofs Lieblinge

 

Die Hundezüchter mit ihren Hundeshows gingen mir eigentlich am Arsch vorbei. Nur habe ich es zu meinem Geschäft gemacht, diesen Leuten ein guter Partner zu sein. Sie zahlten unglaublich gut, wenn man ihnen das brachte was sie haben wollten und ich kam gut rum dabei. Ich war im ganzen Land unterwegs, um mir Haustiere anzusehen, die, mit irgendeinem besonderen Merkmal, aus der Masse heraus stachen. Aus irgendeinem Grund entwickelte ich ein besonderes Gespür dafür, was die Züchter haben wollten und nach was ich Ausschau halten sollte. Doch, wenn ich ehrlich sein soll, suchte ich einfach nur nach Anomalien. Deswegen bin ich mit dieser Zuchtsache nie richtig warm geworden. Aber das Geld stimmte und die Tatsache ließ mich über vieles hinweg sehen. Bis zu diesem Tag, als ich den Gipfel der Perversität sehen musste und mir schwor, mit diesen Leuten nichts mehr zu tun haben zu wollen und, in Einzelfällen, gegen sie zu sprechen.

Es verschlug mich in ein Dorf, nahe der Stadt Innsfall, namens Castlerock. Das Dorf lag auf einem Hügel und von mehreren Aussichtspunkten konnte man wunderbar über die darunter liegende Stadt sehen. Eigentlich ein schöner Ort. Ein großer Vorort, der in die Jahre gekommen war. Nicht runtergekommen. Es bedürfte nur mal wieder eine Auffrischung. Mit den zahlreichen Spielplätzen und den Fußgängerzonen wurde bei der Gestaltung besonders auf Familienfreundlichkeit geachtet. Der Kontrast zu der Stadt Innsfall war so sichtbar wie schwarze Schrift auf weißem Papier.
Ich fuhr durch eine dicht bebaute Siedlung mit hunderten von Reihenbungalows, die in den Siebzigern erbaut worden waren. Die Straßennamen sind botanischen Ursprungs. Zwischen dem Butterblumen-, Schneeglöckchen- und Narzissenweg, musste ich den Tulpenweg Nr. 37 finden. Was nicht so einfach war, denn mein Navi führte mich dreimal um demselben Block. Als ich merkte, dass der Tulpenweg nicht mit dem Auto erreichbar war, parkte ich und ging zu Fuß in das Labyrinth aus Gärten und Wegen.
Nach einer kurzen Wanderung stand ich schließlich vor der gesuchten Haustür. Die Sonne verschwand langsam hinter den Häusern im Westen und hinterließ in der abendlichen Dämmerung dunkle Schatten. Dadurch wirkten die Häuser auf den beiden Seiten wie endlose Spiegelbilder von dem Haus vor dem ich stand.
Zuerst zögerte ich. Mir gefiel die Atmosphäre nicht, die das Haus umgab. Doch dann hielt ich es für Einbildung und stieg die drei Stufen zur Tür hinauf und klingelte. Ein kleiner Mann mit braunem und fettigem Haar öffnete mir die Tür. Er wirkte irgendwie schäbig, trotz seines legeren Anzugs den er trug. Darum fiel es mir schwer, sein Alter einzuschätzen. Mitte fünfzig, aber sicher bin ich mir bis heute nicht. Er hätte auch jünger sein können.

„Guten Abend“ sagte ich, „Mein Name ist Patrick Siegel. Ich habe angerufen.“

„Ja, ja, natürlich. Ich habe sie schon erwartet. Mein Name ist Martin Bartenhof. Kommen Sie doch herein.“

Ich stand einen kurzen Moment im Flur und überlegte, ob ich anstandshalber die Schuhe ausziehen sollte. Doch ein Blick auf den dreckigen Boden reichte aus, den Gedanken schnell wieder zu verwerfen. Wir gingen durch den Flur ins Wohnzimmer. Ein bekannter und übler Geruch stach mir in die Nase. Ich habe schon etliche Hundebesitzer besucht und jedes Mal fällt mir dieser Geruch auf. Es war nicht schwer die Quelle zu lokalisieren. Im ganzen Zimmer waren offene Hundefutterdosen verteilt. Einige nur zum Teil aufgegessen und die Reste über den Boden zerstreut. Dadurch wurde jeder meiner Schritte von dem klebrigen Boden zurück gehalten.

„Setzen Sie sich doch.“ bot mir Herr Bartenhof an. Aber bei dem Anblick der Couch machte ich mir Sorgen für immer auf dem Polster kleben zu bleiben.

„Danke, Herr Bartenhof, aber ich hatte eine lange Fahrt und bin froh wenn ich meine Beine ein bisschen beanspruchen kann.“

Er bot mir auch was zum trinken an, aber auch das lehnte ich dankend ab. In dieser Umgebung und dem miesen Duft der hier herrschte, hätte ich nicht einmal eine ungeöffnete Flasche angenommen, geschweige denn aus einem Glas getrunken.
Er ließ mich für den Moment allein und ging in ein angrenzendes Zimmer. Ich stellte mich vor die Terrassentür und schaute in den Garten. Dieser war mit einer hohen Hecke eingegrenzt und sah sehr verwahrlost aus. Nicht ein Grashalm war zu sehen. Der Boden war ein niedergetrampelter Matschhaufen. Riesige Spuren haben sich in die Erde eingegraben und haben das Gras raus gerissen. Löcher waren ausgebuddelt worden in denen man Leichen hätte begraben können. Es erinnerte mich an ein Hühnergehege.
Ein lauter Schlag ließ meine Aufmerksamkeit wieder in den Raum richten. Es kam aus dem Keller. So schnell wie es aufgetaucht war, war es auch schon wieder verschwunden. Im selben Moment kam Herr Bartenhof durch die Tür und hatte den Hund in den Armen, den ich mir anschauen wollte.

„So, da bin ich wieder. Und das hier ist Skole.“, sagte er.

„Haben Sie das auch gerade gehört?“

„Oh, darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen. Das ist nur mein treuer Freund Harko. Ich habe ihn in den Keller gesperrt. Er mag Fremde nicht so besonders.“

„Der muss ja so groß wie eine Kuh sein, wenn er so einen Lärm machen kann.“

„Da haben Sie Recht. Ein durchaus gelungenes Exemplar.“

Seine Antwort irritierte mich, aber ich wollte nicht weiter darauf eingehen.
„Was haben wir denn da.“ sagte ich und ging näher an Herr Bartenhof heran. Der Anblick ließ mich für einen Augenblick erstarren. Was Herr Bartenhof in den Armen hielt, lässt sich nur schwer beschreiben. Es hatte Ähnlichkeiten mit einer nackten Ratte, welche man in die Länge gezogen hat. Die Nase war spitz und die Augen waren klein. Die Haut war schuppig und hatte tiefe Risse. Das einzige was noch an einen Hund erinnerte waren die beweglichen Ohren und der wedelnde Schwanz. Ich beugte mich ein stückweit vor, um dem Ding ins Gesicht zu schauen. Was ich augenblicklich bereute. Das Ding fletschte die Zähne und entblößte zwei Reihen messerscharfer Zähne, die aussahen wie ein Sägeblatt mit dem man einen Baum fällen könnte und obendrein schienen es noch doppelt so viele zu sein, wie bei einem normalen Hund.
Ich ging einen Schritt zurück und wusste nicht was ich über das Ding sagen sollte.

„Was steckt denn da alles drin?“, fragte ich, weniger des Interesses, sonder mehr um meinen Eckel Luft zu verschaffen. In den letzten Jahren habe ich viele kuriose Geschöpfe gesehen, aber das übertraf bei Weitem alles.

„Überwiegend Dackel. Es hat lange gedauert und hat harte Arbeit gebraucht, um dieses Resultat zu erreichen. Die richtigen Gene zu finden war sehr anstrengend. Jahre der Misserfolge wurden letztendlich doch belohnt. Ist er nicht wunderschön?“

Auf diese Frage hatte ich keine Antwort. Herr Bartenhof streichelte das Ding liebevoll, als ob es ein kleiner süßer Pekinese wäre und sah es mit großen Augen an. Mir war zum Kotzen zu Mute. Ich wollte einfach nur verschwinden.

„Herr Bartenhof, es tut mir leid, dass ich ihre Zeit so lange in Anspruch genommen habe, aber das ist leider nicht wonach ich…“

Ein Krachen. Bersten von Holz. Etwas Großes. Etwas Gewaltiges sprang die Treppen herauf. Ich stand da wie versteinert. Aus dem dunklen Treppenbereich kam eine Abscheulichkeit heraus. Ein muskelbepacktes Monstrum. Auf vier Beinen und nackt. Die Füße sahen aus wie gespreizte Hufe. Es war größer als ein Bernhardiner und sein riesiger Kopf war eine Mischung aus Wolfshund und Schwein. Die Haut war weiß und borstig. Sein Maul so groß, dass ein Eimer darin Platz finden konnte und voll mit Zähnen die wie gebrochene Steine aussahen. In diesem Ding war viel vereint, aber was mir bis heute noch das blanke Entsetzen durch die Adern schießen lässt, sind seine Augen. Als es sich zu mir umdrehte und mich ansah konnte ich es sehen und vielleicht sogar auch spüren. Ein Stück von einem Menschen.

„Keine Angst Herr Siegel, der tut nichts. Der will nur spielen.“

Oder mich fressen.

„Was zur Hölle ist das?!“

„Das ist Harko. Komm her Harko und begrüße unseren neuen Freund.“

„Nein!“

Ich machte einen kurzen Satz zur Seite, um mich hinter Herrn Bartenhof zu verstecken. Dabei kam ich mit meiner linken Hand zu nah an Skole. Mit einer kleinen aber schnellen Bewegung schnappte er nach mir. In dem Bruchteil einer Sekunde war mein kleiner Finger verschwunden.
Ich konnte nicht mehr. Panik überkam mich. Ich griff nach dem Hebel der Terrassentür, öffnete sie, rannte raus und schlug sie hinter mir zu. Wie vom Teufel gejagt lief ich los. Es war gerade noch hell genug, um den Löchern auszuweichen. Am Ende des Gartens sprang ich, ohne darüber nachzudenken, Kopf voraus in die Hecke schwamm durch sie hindurch. Die Äste zerkratzen mir die Hände und das Gesicht. Aber das war mir egal. Ich musste einfach nur weg von diesem Ort. Als ich auf der anderen Seite auf den Weg klatschte, blieb ich nicht lange liegen. Meiner Orientierung folgend, rannte ich weiter und suchte mein Auto. Ich glaube noch gehört zu haben wie Glas zersprang, als ob eine gewaltige Bestie durch eine geschlossene Terrassentür raste. Doch als ich im Auto saß war alles ruhig.
Es dauerte länger als gedacht, bis ich aus dem Viertel raus fand und auf der Hauptstraße in Richtung Innsfall fuhr. Erleichterung überkam mich, als ich den Hügel hinab fuhr und die Lichter der Stadt vor mir sah. Einen Erleichterung, die nicht lange anhielt. Etwas Schweres landete auf dem Autodach. Ich hatte keine Zweifel was da oben, direkt über mir war. Dieses Mistvieh muss in dem Wäldchen neben der Straße, auf einem Baum hockend, auf mich gewartet haben.
Ich verriss das Lenkrad und schwankte auf die andere Spur. Nur gut, dass nicht so viele Autos unterwegs waren. Wie ein Betrunkener steuerte ich den Berg hinab, direkt auf die Brücke zu. Ich bekam das Auto wieder unter Kontrolle, aber mir kam nicht in den Sinn stehen zu bleiben. Ich musste die Sache jetzt und für allemal beenden. Mit Entschlossenheit gab ich Gas. Abwartend bis die Fahrbahn frei war, zog ich die Handbremse und lenkte stark nach links. Die Reifen blockierten und der Wagen drehte sich um hundertachtzig Grad. Mit einem abrupten Stopp gegen den Bordstein, hob sich mein Wagen auf einer Seite, einen halben Meter, in die Luft. Wenige Sekunden harrte er so aus und fiel wieder auf alle viere. Aus dem Beifahrerfenster sah ich, im orangenen Licht der Straßenbeleuchtung, wie weiter draußen ein großer Schatten ins Wasser fiel.

Die Polizei und ein Krankenwagen kamen. Ich konnte die Polizei dazu überreden, nachdem mir die Hand bandagiert wurde, mit mir in die Wohnsiedlung zu kommen und Herrn Bartenhof persönlich kennen zu lernen, denn meine Geschichte klang ihnen doch sehr unglaubwürdig.
Als wir ankamen stand die Eingangstür weit offen. Ich befürchtete schon, dass das passieren würde. Herr Bartenhof und seine Missgeburten waren verschwunden.
Wir betraten das Haus. Das Glas der Terrassentür war zerbrochen. Es stank immer noch schrecklich. Die Polizisten begannen das Haus zu untersuchen. Im Keller wurden sie schnell fündig. Dieses Ding, welches mich jagte, hatte sein eigenes Zimmer und es war erschreckend. Alles war kurz und klein geschlagen und zu einem 1,50m hohen Schlafplatz, aus Müll, Knochen und Exkrementen aufgetürmt worden. Auf der gegenüberliegenden Seite flackerte ein Fernseher. 

Mir reichte es und ich hatte genug gesehen. In der Zwischenzeit waren mehr Polizisten aufgetaucht, die die Nachbarschaft durchkämmen sollten und die Nachbarn befragen. Als ich draußen stand und eine Zigarette rauchte, hörte ich zwei von ihnen sich unterhalten. Sie sprachen darüber, dass alle Nachbarn aus dem Tulpenweg verschwunden waren. Teilweise waren einige Türen nicht abgeschlossen und sie fanden auch Kampfspuren in den Häusern.
Ich drehte mich um und sah durch das Haus in den Garten, der von Polizeistrahlern nun beleuchtet wurde.

Löcher so groß, dass man Leichen darin begraben könnte.

Ende

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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