Niklas Götz

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Neulich hat mich mal wieder die Lust nach Abenteuer überkommen, nach Aufregung, Spannung, Action und einen richtig guten Adrenalinkick. Ich rollte mich aus meinem Bett Schrägstrich Büro Schrägstrich Esstisch, sammelte meine Ausrüstung und machte mich auf den Weg zu der letzten großen Herausforderung, die sich uns im bequemen 21. Jahrhundert noch stellt: das Busfahren.

Natürlich wird es immer Menschen geben, die so etwas verharmlosen und als alltäglich abstempeln. Das sind allerdings oft die gleichen Leute, die bei Aldisupermarktkassen cheaten. Sie platzieren das Gemüse strategisch zwischen anderen Produkten, weil sie ansonsten zu langsam zum Einräumen sind.

Nein, Busfahren ist der neue Extremsport dieser Pandemie, eigentlich nur noch vergleichbar mir Rollator-Downhill-Racing und Hochseetretbootfahren. Einsteigerfreundlich ist er nicht. Wer kein Abo hat, der ist auf sich auf sich alleine gestellt. Busfahrer sind nun Wesen aus einer anderen Welt, die man nur noch aus der Ferne betrachten darf. Ihre Gesichter kennen wir nur schemenhaft, ihre Geldzählmaschinen sind nur noch Legenden und doch vertrauen wir dieser grauen Eminenz der Strasse. Wer ein Ticket will, muss nun die Bürgersteige durchforsten wie sonst auf der Suche nach Rauschmitteln. Man kann dann nur darf hoffen, dass der Automat auch Kreditkarten oder zumindest 10€ Scheine nimmt. So kommt Nervenkitzel, wenn man feststellt, dass kontaktloses Zahlen hier noch Zukunftsmusik ist. Desinfektionsmittel, von manchen Mediziner zärtlich bis erotisch Desi gennant, stellt sich bereits hier als unerlässlich heraus. Dabei hat der Höllentrip noch gar nicht angefangen.

Bereits an der Haltestelle deutet sich an, was in der Schaukelkiste auf einen wartet. Es gibt den selben Andrang von abenteuerlustigen Extrempendlern wie immer, die gleiche Unruhe, aber nun versucht jeder, noch einen Zentimeter mehr Abstand von all den zwielichtigen Mitreisenden zu halten, mit denen man sich schon seit Monaten den Bus teilt. Es ist plötzlich so, als wären alle zu dem Typen mutiert, der sonst immer lautstark mit sich selbst über die Ethymologie des Wortes “Pfirsich” diskutiert. Anstatt in die kollektive Unruhe einzustimmen, sollte der erfahrende Pandemiebusreisende seine Beobachtungsgabe mit Maskenbingo trainieren. Beliebte Felder sind: Standard-Blau-Papier, Marke Eigenbau, Müllsack-Kopfkondom, FFP3 oder das Modell “Sheeple”, das mit subversiven Konvertierungsbotschaften zum Widerstand auffordert. Wer eine Reihe oder Spalte füllt, darf den Vierersitz beanspruchen und alle mit dem Argument des gebührenden Abstands von dort verscheuchen. Bonuspunkte gibt es für sogenannte Kiemenatmer. Diese immer häufiger anzutreffende Unterart des homus pandemicus hat die Nasenatmung aufgegeben und kann seinen Virusknebel deswegen adrettt unter das Riechorgan klemmen. Obwohl sie nicht sonderlich scheu ist, sollte ein gebührender, respektvoller Abstand von dieser nächsten Entwicklungsstufe gehalten werden.

Beim Einstieg in die Strassenraumkapsel muss auch das neue Sicherheitskonzept bedacht werden. Anstatt sich bereits beim Ausstieg der Insassen aggressiv hineinzuquetschen, um gerade noch den letzten noch nicht klebrigen Sitzplatz zu ergattern, wird stattdessen die “FLUTSCH”-Methode angewendet. Dies steht für “Fluchen, lachen, umfallen, tanzen, stinken, chatten und husten”, allesamt Aktivitäten, die die Mitfahrer so irritieren, abschrecken oder am Verstand ihres Gegenüber zweifeln lassen, dass sie die Flucht ergreifen man einfach er an ihnen vorbeikommt. Mit dem Betreten des Kontaminationsraums ist das Ziel auch bereits fast erreicht. Brillenträger werden die kommenden Minuten ohne ihr Augenlicht verbringen müssen, was als produktive Meditationsauszeit über die Vorzüge von Kontaktlinsen genutzt werden kann. Wer es geschafft hat, eine möglichst luftige Ecke des Menschenpresssacks zu ergattern, hat gute Chancen, nach einer halben Stunde Flachatmung anzukommen, ohne das Gefühl zu haben, sofort in Quarantäne gehen zu müssen. Bonuspunkte gibt es dafür, den ein oder anderen Mitfahrern mit den Augen zuzulächeln. Social distancing mus ja nicht zwingend bedeuten, kalt zu sein.

Zum krönenden Abschluss wird der Haltesignalknopf sinnlich mit dem Ellenbogen liebkost, die Türen springen auf, verheißen reine Luft, und mit einem Weitsprung aus dem Bus kann auch die Bankräubermaske das Gesichtsfeld wieder verlassen. In diesem Moment ist es erlaubt, ein triumphales Selfie zu schießen und sich selbst zu applaudieren. Das war vielleicht nur der Gang zum Supermarkt, aber dennoch eindeutig der Höhepunkt der Woche. Trotz aller Widrigkeiten hat man sich dem Abenteuer gestellt und der Versuchung widerstanden, sich komplett abzukapseln und sich vom Internet bemuttern zu lassen. Wer dies überstanden hat, weiß, aus welchem Maskenstoff er genäht ist.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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