Rita Hassing

Das Collier

Die Operation war gerade beendet. Die beiden OP-Schwestern Ines Novak und Hilke Mayer saßen nun zusammen im Schwesternzimmer, machten sich Kaffee, unterhielten sich über die Herz-Operation, die für alle recht anstrengend gewesen war. „Dr. Schneider war wieder mal gut in Form!“, ließ Schwester Hilke verlauten und blickte dabei in Schwester Ines ozeanblaue Augen. Sie wollte wissen, wie Ines auf diesen Satz von ihr reagierte. Es war bekannt, dass der junge und gutaussehende Chirurg Dr. Johannes Schneider ein Auge auf Schwester Ines geworfen hatte. Auch Ines musste das mittlerweile wissen. Doch jedes Mal wenn Dr. Schneider ihr Avancen machte oder mit ihr flirtete, blieb sie kühl und abweisend. Auch jetzt gab sie lediglich ein „Kann schon sein“ von sich. Tatsächlich war der charmante Arzt Dr. Schneider ihr egal. Vielmehr lag ihr an dem erst seit kurzem in der Klinik arbeitenden Neurochirurgen Dr. Carsten Wagner. Er war, wie auch Dr. Schneider, ein großer, schlanker Mann, aber er hatte nicht so breite Schultern wie dieser, sondern wirkte eher dünn und etwas schlacksig. Gerade dachte Schwester Ines an ihren neuen Schwarm und musste lächeln. „Du denkst an Dr. Wagner!“, erriet Schwester Hilke ihre Gedanken. Schwester Ines errötete. Doch sie machte eine wegwerfende Handbewegung, sagte: „ Was du gleich immer denkst!“ und nahm verlegen einen tiefen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.

Als Schwester Ines das Schwesternzimmer verließ, stieß sie im Flur ausgerechnet mit Dr. Wagner zusammen. „Oh, Entschuldigung...“ stammelte sie und schaute zu Boden. Dr. Wagner blickte sie an, lächelte. „Ich hätte ja auch besser aufpassen können“, sagte er dann. „Ich war viel zu schnell unterwegs.“ Schwester Ines wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie schwieg. Schaute immer noch zu Boden. Dr. Wagner nahm all seinen Mut zusammen. „Ich wollte Sie schon lange mal etwas fragen, Schwester Ines“, sagte er. Jetzt blickte Ines zu ihm auf, sah ihm direkt in seine blau-grauen Augen. ‚Er sieht verdammt gut aus mit seinen kurzen, pechschwarzen Haaren. Und er hat so schöne lange, dünne Finger...’, dachte sie. „Hätten Sie vielleicht Lust am Samstag Abend mit mir Essen zu gehen?“, fragte er in ihre Gedanken hinein. Schwester Ines erwachte aus ihren Tagträumen, schaute ihn wie hypnotisiert an. Dann zeichnete sich ein Lächeln um ihre schön geschwungenen Lippen. „Ja, gerne, Dr. Wagner“, sagte sie. Der junge Arzt erwiderte ihr Lächeln. „Das freut mich sehr, Schwester Ines. Dann hole ich Sie gegen sieben Uhr von zu Hause ab, wenn Sie damit einverstanden sind.“ „Ja, ich bin einverstanden“, erwiderte sie und konnte ihr Glück kaum fassen.

Es war schon Abend und Dr. Schneider und Dr. Wagner hatten diesmal Nachtdienst. Wieder einmal stand eine Operation an. Eine Blinddarmoperation. Für Dr. Schneider, der die OP durchführen sollte, war es ein Routineeingriff. Schwester Ines und die OP-Schwester Anna, die mit ihren 40 Jahren schon zu den älteren in der Klinik zählte, waren dabei, alles für die OP vorzubereiten. Plötzlich öffnete sich die Tür zum OP-Saal und Dr. Schneider betrat den sterilen Raum. Er war vorschriftsmäßig gekleidet und trug bereits Haube und Mundschutz. Die Operation sollte gleich beginnen; Schwester Ines und Schwester Anna sollten ihm dabei zur Hand gehen. Doch bevor es losging, nahm Dr. Schneider Schwester Ines beiseite und sagte zu ihr in ruhigem Ton: „Schwester Ines, kommen Sie bitte nach der Operation in mein Sprechzimmer.“ Schwester Ines erschrak innerlich. Was konnte Dr. Schneider von ihr wollen? Hoffentlich war es nichts Unangenehmes. Äußerlich blieb Ines ruhig. „Alles klar“, sagte sie schlicht, aber ihre Gedanken kreisten weiterhin um das bevorstehende Gespräch mit Dr. Schneider.

Die Operation war gut und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Draußen war bereits die Dunkelheit hereingebrochen und heller Mondschein fiel in die hohen großbögigen Fenster der Klinik. Schwester Ines hatte jetzt Feierabend. Doch ihr stand noch das Gespräch mit Dr. Schneider bevor. Nervös zog sie in der Umkleidekabine ihre Schwesterntracht aus und schlüpfte in ihre blaue Jeans und ihren roten Lieblingsbaumwollpulli. Dann nahm sie ihre schwarze Lederhandtasche und machte sich auf den Weg den langen, kahlen Flur entlang zu Dr. Schneiders Büro. Dr. Schneider erwartete sie schon. Er saß hinter seinem hellen, modernen Schreibtisch und rauchte gerade eine Zigarette als es an der Tür zweimal klopfte. „Bitte herein“, ertönte seine noch sehr jugendlich klingende Stimme und Schwester Ines trat ins Zimmer. Dr. Schneiders Gesicht hellte sich auf als er die hübsche, junge Krankenschwester vor sich erblickte. Sie war eine kleine und zarte Person, hatte eine schöne schlanke Figur. Ihr schulterlanges, blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie wirkte beinahe wie ein junges Schulmädchen. „Sie wollten mich sprechen, Dr. Schneider“, sagte Ines nüchtern und es klang eher wie eine Feststellung als eine Frage. „Ja, richtig“, antwortete Dr. Schneider in seiner ruhigen Art. „Setzen Sie sich doch“, wies er ihr mit der Hand den Stuhl gegenüber seinem Schreibtisch an. Schwester Ines setzte sich, schlug ihre schönen, schlanken Beine übereinander, blickte ihn fragend an. Dr. Schneider fuhr sich nervös mit der Hand durch sein kurzes blondes Haar; er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette bevor er sie dann in dem kristallenen Aschenbecher auf seinem Schreibtisch zerdrückte. „Ich...“, begann Dr. Schneider zögernd. Dann räusperte er sich und versuchte es auf andere Art und Weise. „Sie werden sicher bemerkt haben, Ines, dass Sie mir nicht ganz gleichgültig sind...“, sagte er schließlich und beobachtete Schwester Ines dabei genau. Schwester Ines wich seinem Blick aus, schaute an ihm vorbei. „Nein... Ich meine, ich habe es schon bemerkt“, begann sie langsam. Dr. Schneider zog die oberste Schublade von seinem Schreibtisch auf, holte eine dunkelblaue Schatulle hervor. „Es ist ein Geschenk für Sie, Ines“, sagte er und reichte es ihr über den Schreibtisch hinweg. „Machen Sie es bitte auf!“, bat er. Zögernd nahm Schwester Ines die Schatulle entgegen, legte sie behutsam auf ihren Schoß. Sie wagte es kaum, das Geschenk zu öffnen. Vorsichtig hob sie den Deckel von der Schatulle und ein strahlendes Goldcollier mit einem funkelnden grünen Smaragd kam zum Vorschein. Schwester Ines wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sicher, es war ein wunderschöner und bestimmt auch ein sehr teurer Schmuck, aber gerade deshalb konnte sie ihn doch nicht annehmen. Sie konnte seine Liebe nicht erwidern. „Ich kann das Geschenk nicht annehmen, Dr. Schneider...“, sagte Ines und diesmal schaute sie in das erwartungsvolle Gesicht des jungen Arztes, das sich daraufhin zu verzerren begann. „Und warum nicht?“, fragte er und in seiner Stimme hörte man tiefe Enttäuschung. „Ich empfinde einfach nicht dasselbe wie Sie. Es tut mir leid...“, antwortete sie und senkte den Kopf. Dr. Schneider hatte sich derweil wieder etwas gefasst. „Ist es wegen Dr. Wagner?“, fragte er Ines, merkte aber sogleich, dass ihn das eigentlich gar nichts anging. Ines hielt den Kopf gesenkt, antwortete ihm nicht. „Entschuldigung“, warf Dr. Schneider schnell ein. „Das geht mich natürlich nichts an.“ „Ich sollte jetzt gehen...“, sagte Ines und erhob sich von ihrem Stuhl. Wortlos legte sie die Schatulle auf den Schreibtisch und verließ ohne sich nochmal umzudrehen das Büro.

Dr. Schneider war auf dem Weg ins Ärztezimmer. Als er es betrat, stellte er fest, dass es leer war. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und ging auf den Schrank mit seinem Spint zu, öffnete diesen mit seinem speziellen Schlüssel. Dann griff er in seine weite Kitteltasche und holte die Schatulle mit dem Goldcollier hervor. Gerade war er dabei den Schmuck in seinem Spint zu verstauen, als es an der Tür klopfte und Schwester Hilke aufgeregt ins Zimmer trat. Dr. Schneider hielt in seiner Bewegung inne und sah Schwester Hilke fragend an. „Was gibt´s, Schwester Hilke?“ „Ein dringender Notfall, Herr Doktor! Es ist jemand mit einem akuten Herzinfarkt eingeliefert worden.“ „Ich komme!“, sagte Dr. Schneider alarmiert. Eilig legte er die Schatulle in seinen Spint, verließ das Ärztezimmer und rannte den Flur entlang bis zur Notaufnahme. Schwester Hilke schaute ihm hinterher. In all der Aufregung und Hektik hatte Dr. Schneider vergessen, seinen Spint wieder abzuschließen. Schwester Hilke ging auf den Spint zu, öffnete ihn vorsichtig. Sie sah die Schatulle und war allzu neugierig was da wohl drin sein könnte. Schließlich konnte sie nicht widerstehen. Sie griff nach der schönen blauen Schatulle und nach einigem Zögern öffnete sie sie. Das hübsche Goldcollier mit dem grünen Smaragd funkelte ihr entgegen. So etwas Schönes hatte Schwester Hilke noch nicht gesehen, geschweige denn jemals besessen. Verstohlen blickte sie sich im Ärztezimmer um. Schließlich steckte sie die Schatulle mit dem Goldcollier in eine ihrer großen Taschen. Dann schloss sie den Spint wieder wie zuvor und schlüpfte unbemerkt und von niemandem gesehen aus dem Zimmer. Sie hatte jetzt Feierabend während für Dr. Schneider und Dr. Wagner die Nachtschicht begann.

Als Schwester Hilke gegen 19 Uhr zu Hause ankam – sie war wie immer mit der Straßenbahn gefahren -, war ihr Mann schon dabei, das gemeinsame Abendessen zuzubereiten. Es gab Steaks mit selbstgemachter Kräuterbutter, dazu einen Salat. Hilke schnupperte. „Hm, riecht das gut!“, lobte sie ihren Mann Sebastian Mayer und schaute ihm über die Schulter zu wie er geschickt die Steaks in der Pfanne wendete. Sebastian wandte ihr seinen Kopf zu und lächelte. „Ja, wenn es eines gibt, was ich braten kann, dann sind es Steaks. Setz dich doch; ich bin gleich fertig!“ Hilke folgte seinen Worten, setzte sich an den kleinen, eckigen Küchentisch und beobachtete liebevoll ihren Mann von der Seite. Er war mittlerweile ein bisschen untersetzt, aber das störte Hilke nicht. Sie fand ihren Mann schön so wie er war. Sebastian Mayer war 34 Jahre alt, vier Jahre älter als Hilke. Er war mittelgroß, hatte kluge braune Augen und kurze braune Haare. Mittlerweile waren er und Hilke zwei Jahre verheiratet und es waren glückliche Jahre gewesen. Hilke fiel auf, dass sie noch immer ihren Mantel anhatte und ihre Handtasche lag auf dem Küchentisch. Sie zog den Mantel aus, hängte ihn an die Garderobe im Flur, kam zurück in die Küche. Dann griff sie nach ihrer weißen Lederhandtasche, die immer noch auf dem Tisch lag, öffnete sie und zog die dunkelblaue Schatulle mit dem Goldcollier darin, heraus. „Schau mal, Sebastian, was ich mir heute gekauft habe!“, rief sie und hielt stolz das Collier mit dem schönen grünen Smaragd in die Höhe. Ihr Mann, der noch dabei war die Steaks zu braten, drehte sich zu ihr um; er erblickte den funkelnden Schmuck in den Händen seiner Frau und es verschlug ihm die Sprache. „Ist das nicht ein wunderschönes Goldcollier!“ Hilke war voller Begeisterung. Mittlerweile hatte sich Sebastian wieder etwas gefasst. „Woher hast du das Geld für etwas derartig Teures?“, fragte er Hilke misstrauisch. „Oder hast du vielleicht einen Liebhaber?“ Hilke erschrak, dass ihr Mann sie derartig verdächtigte. „Nein, nein!“, rief sie entsetzt. „Ich habe das Geld gespart!“ Doch Sebastian blieb misstrauisch. „Das glaube ich dir nicht!“, sagte er aufgebracht. „So gut verdienst du ja nicht, dass du großartig für sowas sparen könntest. Und von meinem Geld, das ich als Gas-Wasser-Installateur verdiene, können wir uns sowas Teures auch nicht leisten! Also woher hast du das Geld?“ Hilke wich dem bohrenden Blick ihres Mannes aus, schaute auf das Goldcollier, das vor ihr auf dem Tisch lag. „Ich...“, begann sie und ihr Blick blieb auf das Collier gerichtet. „Ich habe etwas Geld von meinen Eltern bekommen.“ Sebastian schaute sie noch immer ungläubig an. „Warum geben dir deine Eltern so viel Geld?“, fragte er weiter und sein Blick blieb unnachgiebig auf Hilke geheftet. „Ich habe doch bald Geburtstag, wie du weißt. Und das Collier ist sozusagen mein Geburtstagsgeschenk“, entgegnete Hilke mittlerweile bleich geworden. „Deine Eltern haben´s doch auch nicht so dicke“, sagte Sebastian und schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie haben etwas für mich sparen können...“, log Hilke weiter und ihr Kopf blieb gesenkt. Sie konnte ihrem Mann nicht in die Augen blicken. „So, so“, machte ihr Mann nur. Dann sagte er: „Das Essen ist jetzt fertig. Nur leider ist mir der Appetit gründlich vergangen...“

Dr. Schneider hatte bei dem akuten Herzinfarkt eine Not-OP durchführen müssen. Die OP war schwierig gewesen, aber letztendlich doch gut verlaufen. Der Patient, ein älterer Herr, befand sich jetzt im Aufwachraum. Er war stabil und schien auf dem Weg der Besserung. Dr. Schneider beschloss nach dieser doch recht anstrengenden Operation erst mal einen starken Kaffee im Ärztezimmer zu sich zu nehmen und eine Kleinigkeit zu essen. Als er seinen Spint aufschließen wollte, um seine Butterbrotdose zu holen, merkte er, dass dieser bereits geöffnet war. Hatte er etwa vergessen seinen Spint abzuschließen? Dann fiel ihm voller Entsetzen die Schatulle mit dem Goldcollier ein. Er durchwühlte den ganzen Schrank, konnte die Schmuckschatulle aber nirgends finden. Dabei war er sich sicher, dass er sie in den Spint gelegt hatte! In Dr. Schneiders Kopf arbeitete es angestrengt. Wer konnte das Collier genommen haben? Zum Ärztezimmer hatten eigentlich nur die diensthabenden Ärzte Zutritt. Sonst niemand. Plötzlich stand für Dr. Schneider fest, dass nur Dr. Wagner das Goldcollier an sich genommen haben konnte. Nur er selbst und Dr. Wagner hatten zur Zeit Nachtdienst, sonst war kein Arzt da. Natürlich gab es noch das Pflegepersonal, die Schwestern und Pfleger, aber diese hielten sich normalerweise niemals im Ärztezimmer auf. Für sie gab es das Schwesternzimmer. Es konnte also nur Dr. Wagner gewesen sein. Dr. Schneider entzürnte sich vor Wut und sein Gesicht lief dunkelrot an. Er musste Dr. Wagner zur Rede stellen. Sofort. Eilig verließ er das Ärztezimmer und hastete wehenden Kittels den Flur entlang zu Dr. Wagners Büro.   

Energisch und bestimmt klopfte Dr. Schneider an Dr. Wagners Bürotür. Er wartete nicht auf ein „Herein!“ des Kollegen, sondern stürmte ohne Halt und Zögern ins Zimmer. Dr. Wagner, der gerade dabei war Büroangelegenheiten zu erledigen, blickte von seinem Schreibtisch auf. „Dr. Schneider, was kann ich für Sie tun?“, fragte er freundlich und legte seinen Kugelschreiber aus der Hand. Dr. Schneider trat näher an den Schreibtisch heran. Sein Gesicht war immer noch puterrot. „Das fragen Sie noch?!“, erwiderte er ärgerlich. Dr. Wagner schaute ihn verblüfft an. „Ich weiß wirklich nicht, worum es geht, Dr. Schneider. Klären Sie mich bitte auf!“, sagte er in ruhigem Ton. „Tun Sie doch nicht so! Sie wissen ganz genau worum es geht!“, rief Dr. Schneider aufgebracht. „Also, wenn Sie mir nicht sagen wollen, um was es eigentlich geht, dann verlassen Sie bitte mein Büro. Ich habe noch eine Menge zu erledigen“, sagte Dr. Wagner bestimmt und wandte sich wieder seinen Schreibangelegenheiten zu. Dr. Schneider schäumte vor Wut. „Geben Sie´s zu, Dr. Wagner! Sie haben das Goldcollier an sich genommen!“, brüllte er seinen Kollegen an. Dr. Wagner schaute wieder von seinem Schreibtisch auf, machte ein fragendes Gesicht. „Was denn für ein Goldcollier?“ „Das, was in meinem Spint war natürlich!“, rief Dr. Schneider und näherte sich weiter dem Schreibtisch. „Tut mir leid, Dr. Schneider. Ich weiß nichts von einem Collier in Ihrem Spint“, entgegnete Dr. Wagner. Dr. Schneider kam seinem Kollegen immer näher bis er ganz dicht vor diesem stand. „Sie haben es gestohlen! Nur Sie kommen in Betracht!“ „Dr. Schneider, bleiben Sie bitte ganz ruhig! Ich versichere Ihnen, dass ich Ihr Collier nicht genommen habe“, sagte Dr. Wagner und er war bemüht ruhig und sachlich zu bleiben . „Das können Sie mir nicht erzählen, Dr. Wagner! Sie sind außer mir der einzige Arzt, der sich im Ärztezimmer aufgehalten haben könnte. Nur Sie und ich haben Dienst!“ „Sind Sie sicher, Kollege, dass Sie das Collier nicht irgendwo anders hingelegt haben?“, warf Dr. Wagner ein. „So sicher wie das Amen in der Kirche!“, entgegnete Dr. Schneider beharrlich. „War Ihr Spint denn nicht abgeschlossen?“, fragte Dr. Wagner weiter. Jetzt schaute Dr. Schneider doch ein wenig betroffen. „Nein leider, ich hatte es in der Eile wohl vergessen...“, musste er zögernd zugeben. „Dann hätte also praktisch jeder das Collier an sich nehmen können“, stellte Dr. Wagner stirnrunzelnd fest. „Das Pflegepersonal hat gar keinen Zutritt zum Ärztezimmer...“, wandte Dr. Schneider ein. „Was nicht heißt, dass nicht doch jemand vom Pflegepersonal dort gewesen sein könnte“, widersprach Dr. Wagner. „Nein, Dr. Wagner, ich glaube Ihnen kein Wort! Sie haben das Collier an sich genommen und jetzt wollen Sie es auf das Pflegepersonal abschieben! Aber nicht mit mir! Ich werde mich an die Klinikleitung wenden! Ich werde mich über Sie beschweren, Sie gemeiner Dieb!“

Gleich im Laufe des nächsten Tages wurde Dr. Wagner denn auch zum Klinikleiter Professor Dr. Brockmann gerufen. Die Sekretärin im Vorzimmer des Klinikchefs erwartete ihn schon, meldete ihn sogleich an. Als Dr. Wagner das große helle und modern eingerichtete Büro seines Chefs betrat, war er durchaus nervös und er versuchte sich innerlich gut zuzureden. Schließlich hatte er nichts verbrochen, auch wenn es momentan vielleicht so aussah. Professor Dr. Brockmann musste ihm einfach glauben, dass er mit dem Diebstahl nichts zu tun hatte! Der Klinikchef war ein Mann Ende 50, klein und schwer. Er hatte volles, gelocktes graues Haar und kleine graue Augen, die hinter seiner dunklen Hornbrille um vieles größer wirkten. An seinen Händen trug er Goldringe und –kettchen. Als Dr. Wagner eintrat, war er gerade dabei sich eine Pfeife zu stopfen. Ohne von dieser aufzublicken, sagte er: „Guten Tag, Dr. Wagner. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Er wies mit der Pfeife in der Hand auf den freien Sitz gegenüber des Schreibtischs. Dr. Wagner nahm auf dem harten, nur wenig gepolsterten Stuhl Platz und heftete seinen Blick auf Professor Dr. Brockmann, der mittlerweile seine Pfeife gestopft hatte und nun dabei war, sie etwas umständlich mit einem Streichholz anzuzünden. Danach wedelte er mit dem Streichholz bis es aus war und nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, stieß den Rauch durch Mund und Nase aus. „Nun, Dr. Wagner, ich denke Sie wissen bereits weshalb ich Sie zu mir gerufen habe“, begann er schließlich und blickte Dr. Wagner aus ernsten Augen an. „Ja, ich kann es mir denken“, entgegnete Dr. Wagner. „Es geht wohl um das gestohlene Goldcollier von Dr. Schneider.“ „Das ist richtig“, bestätigte der Klinikleiter. „Nur Sie und Dr. Schneider hatten gestern Nachtdienst. Nur Sie beide hatten Zutritt zum Ärztezimmer“, fuhr Professor Dr. Brockmann fort und beobachtete den beschuldigten Arzt aus aufmerksamen Augen. Dr. Wagner wurde mit einem Mal aschfahl im Gesicht und das Herz fing heftig an zu rasen. „Ich war es aber nicht, Professor Dr. Brockmann! Ich habe das Collier bestimmt nicht an mich genommen!“, beteuerte er. „Nur Sie können es aber gewesen sein!“, wandte der Klinikchef ein und nahm einen weiteren Zug aus seiner Pfeife. „Was ist mit dem Pflegepersonal?“, fragte Dr. Wagner. Doch der Klinikchef winkte ab und hielt beharrlich an seiner Meinung fest. „Ich bitte Sie, Dr. Wagner. Die halten sich doch nicht im Ärztezimmer auf. Was sollten sie dort auch“, sagte er. „Es muss aber jemand vom Pflegepersonal gewesen sein, denn ich war es definitiv nicht!“, verteidigte sich der junge Arzt. Professor Dr. Brockmann, der bisher ruhig geblieben war, wurde mit einem Mal böse. „Geben Sie´s doch wenigstens zu, Mann und beschuldigen Sie nicht andere unschuldige Menschen!“, sagte er laut und sein Gesicht begann sich vor Wut zu verzerren. „Aber wenn ich´s doch nicht war, Herr Professor! Sie müssen mir das glauben!“ „Ich muss Ihnen gar nichts glauben, Wagner! Und ich werde es auch nicht! Für mich ist die Situation eindeutig. Sie waren es und kein anderer!“ „Sie irren sich, Professor...“, rief Dr. Wagner verzweifelt. Weiter kam er nicht. Professor Dr. Brockmann schnitt ihm das Wort ab. „Seien Sie still, Wagner! Ich glaube Ihnen kein Wort! Sie sind fristlos entlassen! Eine Kündigung lasse ich Ihnen zukommen! Sie können sofort nach Hause gehen!“ Er wies mit der Hand zur Tür. „Ich bin wirklich unschuldig“, startete Dr. Wagner einen letzten aussichtslosen Versuch. Professor Dr. Brockmann atmete tief ein, schien sich langsam wieder zu beruhigen. „Es tut mir leid, aber die Situation ist für mich nunmal eindeutig. Nur Sie können das Collier aus dem Spint von Dr. Schneider entwendet haben. Gehen Sie jetzt bitte, Dr. Wagner! Es ist alles gesagt.“ Dr. Wagner erhob sich folgsam von seinem Stuhl. Wortlos, mit hängendem Kopf verließ er das Zimmer.

Der Himmel über der Klinik war grau, aber einige mittägliche, warme Novembersonnenstrahlen drangen durch die großen Fenster in Dr. Schneiders Büro und schufen eine freundliche und helle Atmosphäre. Der junge Arzt saß an seinem großen, mit allerlei Akten und Unterlagen übersäten Schreibtisch, rauchte eine Zigarette, die ihm aber heute nicht so recht schmeckte. Er stand auf, ging zu einem der hellen Schränke, öffnete eine Schranktür. Zum Vorschein kam eine noch fast volle Flasche Kognak und einige passende Gläser dazu. Dr. Schneider nahm die Flasche und ein Glas, ging damit zurück an seinen Schreibtisch und schenkte sich, immer noch stehend, ein. Dann nahm er einen großen Schluck von dem goldbraunen Getränk, merkte wie es brennend seine Kehle herunterrann. Es folgte ein weiterer Schluck, aber er war nicht mehr ganz so feurig. Dr. Schneider setzte sich in seinen Schreibtischsessel und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er musste klaren Kopf behalten. Der nächste Zug an der Zigarette schmeckte schon etwas besser. Er strich den Aschekegel an einem kristallenen Aschenbecher ab und stützte nachdenklich das Kinn in seine Hand. Die Sache mit dem Collier ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Warum hatte Dr. Wagner ihn bestohlen oder war es vielleicht doch jemand vom Personal gewesen? Aber wenn ja, wer? Die Stirn in Falten ging er in Gedanken alles noch einmal ganz genau durch. Plötzlich schlug er sich mit dem Handteller gegen die Stirn. Ihm war der Einfall gekommen, dass ja Schwester Hilke gesehen hatte, wie er gerade dabei gewesen war, die Schmuckschatulle in seinem Spint zu verstauen. Und in der Eile des eingegangenen Notfalls hatte er dann vergessen, den Spint abzuschließen. Auch das musste Schwester Hilke gesehen haben. Er, Dr. Schneider, hatte eilig das Ärztezimmer verlassen und die Schwester war alleine zurückgeblieben. Aber hatte Schwester Hilke tatsächlich die Schatulle mit dem Goldcollier an sich genommen? War ihr das zuzutrauen? Dr. Schneider hatte sich immer gut mit der OP-Schwester verstanden und er wünschte, sie würde ihm mitteilen, dass sie es ganz gewiss nicht gewesen war. Aber würde er ihr das glauben? Plötzlich sprach alles gegen Schwester Hilke und für Dr. Wagner. Ohne zu zögern, nahm Dr. Schneider sein Telefon in die Hand, wählte die Nummer der Krankenhauszentrale. „Ja, schicken Sie bitte OP-Schwester Hilke Mayer sofort in mein Büro“, wies er die Mitarbeiterin in der Zentrale an und legte auf.

Zehn Minuten später saß Schwester Hilke dem jungen Chirurgen Dr. Schneider in seinem Büro gegenüber. Sie wirkte unsicher und blass und der Arzt bemerkte es sofort. „Möchten Sie eine Zigarette?“, fragte er Hilke und hielt ihr sein Zigarettenpäckchen entgegen. Schwester Hilke hob abwehrend die Hand. „Nein, danke“, sagte sie bestimmt. „Ich habe mir das Rauchen vor einem halben Jahr abgewöhnt.“ Dr. Schneider lächelte ihr zu. „Sehr lobenswert.“ Er zündete sich seine Zigarette mit einem schweren silbernen Feuerzeug an, nahm einen tiefen Zug, stieß den Rauch durch Mund und Nase aus. „Leider habe ich das bisher nicht geschafft“, sagte er und heftete seinen Blick auf Schwester Hilke, die daraufhin langsam den Kopf senkte. „Sie wissen weshalb ich Sie zu mir gerufen habe?“, fragte er ohne sie aus den Augen zu lassen. Er wollte genau beobachten wie sie reagierte. Schwester Hilkes Gesicht nahm eine rötliche Farbe an. Sie hielt den Blick gesenkt. „Nein, ich weiß nicht warum...“, sagte sie zögernd. Dr. Schneider beobachtete sie scharf. „Ich glaube Sie wissen es sehr wohl“, entgegnete er. „Aber ich werde Ihnen trotzdem auf die Sprünge helfen. Es geht um das Goldcollier, das gestohlen wurde.“ „Aha...“, war alles, was Schwester Hilke hervorbrachte. „Bitte sehen Sie mich an! Stimmt es, dass Sie es waren, die das Collier an sich genommen hat?“, stieß Dr. Schneider hervor. Schwester Hilke wagte nicht, den jungen Arzt anzusehen. „Sehen Sie mich an habe ich gesagt!“, wiederholte er diesmal lauter. Gehorsam hob Schwester Hilke den Kopf, sah ihm in seine intelligenten grauen Augen. „Nein, natürlich habe ich das Collier nicht an mich genommen“, beantwortete sie seine Frage. „Aber Sie haben genau gesehen wie ich es in meinen Spint legte. Sie haben gesehen, dass ich den Schrank in aller Eile nicht abschloss!“ „Ich habe gar nichts gesehen...“, widersprach Hilke. „Ich glaube Ihnen kein Wort! Und ich werde meinen Verdacht der Klinikleitung mitteilen!“ Ein Zucken fuhr durch Schwester Hilke und in ihrem Blick standen plötzlich blankes Entsetzen und Verzweiflung. „Bitte nicht, Dr. Schneider! Das können Sie mir doch nicht antun!“, rief sie. In dem ansonsten netten Gesicht des Arztes stand jetzt Wut. „Und ob ich das kann! Sie werden es schon sehen!“ „Bitte nicht, Dr. Schneider! Es tut mir ja alles so leid!“ Der junge Arzt hob fragend die hellen blonden Augenbrauen. „Sie geben also zu, dass Sie das Collier entwendet haben!?“ Jetzt konnte Schwester Hilke nicht mehr länger an sich halten. Sie hielt die Hände vor´s Gesicht, brach in lautes Schluchzen aus. „Ja, ich geb´s zu, Herr Doktor! Ich war´s! Ich hab´s genommen! Und es tut mir wirklich leid! Bitte, bitte melden Sie es nicht der Klinikleitung! Sie kriegen das Collier ja wieder!“ „Trotzdem muss ich...“ versuchte Dr. Schneider einzuwenden. Doch er wurde unterbrochen. „Nein, bitte nicht, Dr. Schneider! Ich würde meine Stellung hier als OP-Schwester verlieren und noch schlimmer, ich würde nie wieder eine andere Stellung als OP-Schwester finden! Das können Sie doch nicht wollen! Wir haben uns doch immer so gut verstanden, Dr. Schneider.“ Der junge Arzt dachte nach. Dr. Wagner war ihm immer im Wege gewesen. Vor allem wegen Schwester Ines, die Dr. Wagner ihm vorzog. Wenn es dabei bleiben würde, dass man Dr. Wagner des Diebstahls bezichtigte, würde er ihn endlich los sein. Und Schwester Ines würde wahrscheinlich auch nichts mehr mit Dr. Wagner zu tun haben wollen. Das war seine Chance den lästigen Konkurrenten loszuwerden. „Dr. Schneider...?“, ertönte plötzlich eine helle Stimme wie von weit her und riss den jungen Chirurgen aus seinen kühnen Gedanken. Hilke hatte aufgehört zu Schluchzen. Sie blickte den Arzt erwartungsvoll an. „Also gut, Schwester Hilke“, sagte Dr. Schneider ohne sie anzusehen. „Ich werde die Klinikleitung nicht darüber informieren, dass Sie das Collier an sich genommen haben. Sie geben es mir zurück und damit wäre das zwischen uns erledigt.“ Die Züge in Schwester Hilkes Gesicht entspannten sich. Erleichtert atmete sie aus, blickte dem Arzt dankbar in die Augen „Vielen Dank, Herr Doktor! Ich verspreche Ihnen auch, sowas wird nie, nie wieder vorkommen.“ „Das hoffe ich sehr“, sagte Dr. Schneider und lehnte sich in seinen Schreibtischsessel zurück. „Allerdings... Sie müssen damit klarkommen, dass Dr. Wagner an Ihrer Stelle entlassen wird.“ Schwester Hilke schaute betroffen. „Könnten Sie nicht angeben, dass Sie das Collier doch woanders hingelegt hatten?“, fragte sie den Arzt hoffnungsvoll. Dr. Schneider zog genüsslich an seiner Zigarette, blies den Rauch aus. „Nein, das kann ich nicht, Schwester Hilke“, entgegnete er und genoss die Vorstellung, dass Dr. Wagner, des Diebstahls bezichtigt, bereits entlassen worden war. Er blickte Schwester Hilke eindringlich an. „Das alles muss aber unser Geheimnis bleiben“, sagte er mit einem maliziösen Lächeln.

Der Klinikflurfunk tat sein übriges. Schon sehr bald wusste jeder, der in dem Krankenhaus arbeitete, über den Diebstahl Bescheid, den Dr. Wagner angeblich begangen haben sollte. Der junge Arzt war mit sofortiger Wirkung entlassen worden und ein neuer Neurochirurg, ein Dr. Schmidt, trat schon bald an seine Stelle. Er war ebenfalls noch sehr jung und enthusiastisch, ging alles mit viel Elan an. Dr. Schneider kam mit dem neuen Kollegen auf Anhieb gut zurecht. Dessen Ehrgeiz und Begeisterungsfähigkeit gefielen ihm. Vor allem aber gefiel ihm, dass der junge Dr. Schmidt zu ihm aufsah, ihn sogar ein wenig bewunderte und verehrte. Das schmeichelte seinem Ego. Auch stellte er mit Genugtuung fest, dass Schwester Ines, seitdem Dr. Wagner des Diebstahls angeklagt worden war, ihm, Dr. Schneider, wieder mehr Aufmerksamkeit schenkte als zuvor. Schwester Ines hatte natürlich, wie alle Angestellten der Klinik, von dem Diebstahl gehört und dass Dr. Wagner deswegen gekündigt worden war. Zuerst konnte sie es kaum glauben, aber dann dachte sie, dass vielleicht doch was an der Geschichte dran sein könnte, wenn Dr. Wagner so plötzlich entlassen wurde. Nein, mit einem Dieb wollte sie nichts zu tun haben! Sie sagte das Treffen mit Dr. Wagner am Wochenende ab, indem sie ihm lediglich kurz auf den Anrufbeantworter sprach und meldete sich auch sonst nicht mehr bei dem jungen Arzt, für den sie mal so geschwärmt hatte. Wenn Dr. Wagner versuchte sie anzurufen, ging sie nicht an ihr Handy und wenn er ihr eine SMS schickte, antwortete sie nicht auf diese. Sie blockte die Verbindung zu ihm völlig ab und schließlich gab Dr. Wagner es schweren Herzens auf, sie weiterhin zu kontaktieren.

Sebastian Mayer überflog wie jeden Morgen nach dem Frühstück den Lokalteil der Tageszeitung, als ihm eine  Nachricht sofort ins Auge fiel. In der Nachricht war von einem Diebstahl die Rede in der Klinik, in der seine Frau, Schwester Hilke, arbeitete. Er las sich den Text genauer durch. Angeblich war ein sehr wertvolles Goldcollier von einem gewissen Dr. Carsten W. gestohlen worden. Sebastian Mayer blickte von seiner Zeitung auf, schaute zu seiner Frau, die gerade dabei war die Spülmaschine einzuräumen. „Du hast mir ja gar nichts von dem Diebstahl in eurer Klinik erzählt“, stieß Sebastian Mayer verwundert hervor. Schwester Hilke errötete, aber das konnte ihr Mann nicht sehen, da sie mit dem Rücken zu ihm stand, immer noch mit der Spülmaschine beschäftigt. „Hab ich wohl vergessen zu erzählen“, sagte sie scheinbar unbeeindruckt. Plötzlich kam Sebastian Mayer wieder das schöne Goldcollier mit dem grünen Smaragd in den Sinn, das seine Frau ihm vor kurzem noch so stolz präsentiert hatte. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er erhob sich von seinem Platz, ging auf seine Frau zu, die ihm immer noch den Rücken zukehrte. Er verschränkte die Arme, die blaue Ader an seiner Schläfe schwoll an und pochte gefährlich. „Du warst das mit dem Diebstahl, Hilke! Natürlich! Du hättest dir ein solch wertvolles Collier nie leisten können und da hast du es eben gestohlen!“ Er packte seine Frau fest am Arm, drehte sie abrupt um, so dass er ihr Gesicht sehen konnte. „Aua, was fällt dir ein! Du tust mir ja weh!“, fuhr sie ihn an, senkte dabei aber den Kopf, der mittlerweile puterrot angelaufen war. „Gib es zu, Hilke, du hast das Collier gestohlen! Und lüg mich nicht an, hörst du!“, schrie Sebastian Mayer und schüttelte seine Frau. „Ich habe das Collier längst wieder zurückgegeben! Und Dr. Schneider, dem das Collier gehört, hat versprochen mich nicht zu verraten“, versuchte Schwester Hilke sich zu verteidigen. Doch ihr Mann wurde nur noch aufgebrachter. „So, so, der feine Herr Doktor... Und damit meinst du, ist die Sache erledigt? Ein Unschuldiger hat seine Stellung verloren! Wahrscheinlich wird ihn nie wieder jemand einstellen, wenn das mit dem Diebstahl sich erstmal rumgesprochen hat! Nein, Hilke, wenn du das nicht sofort richtig stellst, ist es ein für allemal aus mit uns!“ Sebastian Mayer ließ seine Frau los, stemmte wütend die Hände in die Hüften, blickte Hilke aus zornigen, schwarzen Augen an. „Aber, wenn ich alles gestehe, verliere ich meinen Job und werde wahrscheinlich nie wieder eine Stellung als OP-Schwester bekommen!“, schluchzte Hilke und zog sogleich ein blütenweißes Taschentuch aus ihrer Hosentasche, um sich die Tränen zu trocknen. Ihr Mann zeigte keinerlei Mitleid. „Das hättest du dir früher überlegen sollen!“, gab er heftig zurück. Schwester Hilke putzte sich die Nase. Hilflos und flehend blickte sie ihren Mann an. „Aber...“, begann sie, dann besann sie sich eines besseren. Sie lenkte ein. „Ist ja gut; ich werde der Klinikleitung mitteilen, dass ich das Collier genommen habe, aber bitte, bitte verlasse mich nicht, Sebastian!“

Gleich am nächsten Tag legte Schwester Hilke bei der Klinikleitung ein vollständiges Geständnis ab. Zuerst fiel es ihr schwer, aber später merkte sie, dass sie doch sehr erleichtert war, dass sie alles gesagt hatte und Dr. Wagner nicht mehr länger zu Unrecht beschuldigt wurde. Sie erzählte auch, dass es dieses unmoralische Geheimnis zwischen ihr und Dr. Schneider gegeben hatte. Professor Dr. Brockmann, der Leiter der Klinik, war von der geheimen Intrige gegen Dr. Wagner äußerst erbost. So entließ er nicht nur Schwester Hilke fristlos, sondern auch Dr. Schneider, der zuerst widerwillig, dann aber doch einsichtig die Klinik verließ. Dr. Wagner hingegen erhielt seine Position als Neurochirurg an der Klinik zurück und Professor Dr. Brockmann entschuldigte sich in aller Form bei ihm. Dr. Wagner nahm die alte Stellung denn auch ohne zu zögern wieder an und er verzieh allen, die ihn verdächtigt hatten, denn er war zum Glück nicht nachtragend. Er verzieh auch Schwester Ines, die sich ebenfalls kleinlaut bei ihm entschuldigt hatte. An einem Wochenende gingen sie dann tatsächlich gemeinsam zu Abend essen. Es wurde ein schöner und heiterer Abend und der Liebesfunken sprang bei beiden sofort über. Sie wurden ein sehr glückliches Liebespaar und zwei Jahre später heirateten sie sogar.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.03.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Gut, dass es dich gab, Muttchen ... von Ursula Aswerus



Sven, ein achtjähriger, aufgeweckter Junge, versteht seine kleine Welt nicht mehr. Unversehens bricht die Pflegefamilie, die ihn als Säugling aufgenommen hat, auseinander. Die heißgeliebte Pflegemutti Erika erkrankt schwer. Ihr harter Mann Richard bringt Sven in ein Kinderheim, in dem der Junge fast zerbricht. Eine mütterliche Frau gibt dem Leben des Jungen eine neue Wende. Sie schenkt ihm Liebe und Fürsorge. Als Erika, seine frühere Pflegemutter, Sven nach vielen Jahren wiederfindet, übt sie Verzicht. Ein Mutterherz vermag viel.

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