Chiara Valentin

Gedanken im Gefühlsdschungel

Der Herbst kam schneller als sie dachte, und der Wind blies ihr mit aller Macht von vorne ins Gesicht.
Gedanken schwirrten immer wieder durch den Raum, Worte hallten nach und trieben sie unruhig hin und her wie die Blätter vom Wind durch die Straßen getrieben.
Zuweilen umfasste eisige Kälte ihr Herz auch wenn sie sich wehrte und nach der Wärme vergangener Tage suchte.
Traumsequenzen in der Nacht , immer wieder sein Gesicht .den Schlaf betrübend.
Brachte nur der Tod die Erlösung, brachte er den Ausweg aus dem Gedankendschungel?
Auch wenn ihr der Gedanke daran Angst machte, konnte sie es nicht aufhalten, nicht einfach wegwischen wie den Staub der Jahre, der ja auch immer und immer wiederkehrt.
Manchmal wünschte sie sich diese Ruhe, vor allem wenn die Nächte voller Dunkelheit ihre Seele widerspiegelten und Schmerzen ihr Bewusstsein trübten.
In diesen Momenten kratzten dunkle Mächte an ihren Narben und ließen sie eiternd aufbrechen. Dann wünschte sie sich einfach nur gehalten zu werden, um Schutz vor dem drohenden Unheil zu finden.
Worte von Marquez gingen ihr durch den Kopf. "Manche Menschen möchten die Seele des anderen berühren, aber sie streifen sie nur... und wieder andere greifen einfach zu und merken nicht, dass sie sie zerdrücken."
Es war Wochen her, als er sie das letzte Mal im Arm gehalten hatte und die Tür danach hinter ihm ins Schloss fiel.
Sie dachte oft an ihn immer noch nicht wahrhaben wollend, was ihr Kopf längst verstand.
Er war aus ihrem Leben gegangen als er durch die Tür ging.
Nein, er war eigentlich nie in ihrem Leben drin. Er hatte nie einen Fuß über die Schwelle gesetzt. War nur ein winzig kurzes Stück des Weges neben ihr gegangen, aber immer mit Abstand. Eine unüberwindbare Distanz, die kein Näherkommen zuließ.
Ihr Wunsch war nie sein Gedanke und floss in eine unberührte Illusion über, die nie den Anspruch auf die Wirklichkeit hatte.
Auch wenn sie diesen Wunsch nie dazu erhob, erfüllte sie doch diese ganze Unwirklichkeit mit Traurigkeit und auch mit besitzergreifender Kälte, die sie immer wieder erschauern ließ.
Sein Bild vor Augen, das immer wieder diese Sehnsucht hervorrief. Eine Sehnsucht, von der sie wusste, dass sie ungestillt bleiben würde, weil sie sie tief in ihrem Inneren einschloss, wissend der Sinnlosigkeit.
Wie zärtlich er sie damals zum Abschied noch einmal in den Arm genommen hatte, so als wenn er ihr noch ein klein wenig Trost und Wärme mit auf den Weg geben wollte.
Auch heute noch spürte sie diese Wärme und diesen ganzen Hauch von Leidenschaft mit der er für kurze Zeit ihr Leben bereicherte.
Er hatte sie so viel spüren lassen und sie hatte dies mit Hingabe erwidert.
Von Anfang an wissend, dass es der Moment ist, der allein nur zählt.
Sie hatte diesen Moment mit all seiner Gier und Atemlosigkeit gespürt, hatte zugelassen sich in ihm zu verlieren, um dieses Glücksgefühl auszukosten, bedingungslos und ohne Erwartungen. Immer wieder schwankend zwischen Lachen und Weinen aber bereit zu geben ohne ein Mehr zu fordern.
Sie wusste er würde nicht mehr geben können und war deshalb dankbar für jeden Augenblick.
Über ihre eigenen Gefühle hatte sie nie gewagt zu reden, vielleicht weil sie es nie gelernt hatte, oder weil sie sich selbst nicht wichtig genug nahm.
Vielleicht hätte sie mit ihm darüber reden sollen, auch wenn es nichts geändert hätte.
Wie oft wollte sie ihm danach noch ein paar Zeilen schreiben, es aber nie getan hat aus Angst zuviel von sich preiszugeben und sich damit verletzbar zu machen.
Die erlebten Momente gebrauchten keiner Worte. Sie waren einzig und allein zu zweit in Raum und Zeit, die Unendlichkeit vor Augen als Aufschrei gegen das Nichts.
Nur einzig der Moment zählte. Und in diesen Momenten liebte sie ihn mit jeder Faser ihres Herzens, für all das, was er bereit war zu geben.
Denn etwas ganz entscheidendes hatte er ihr ins Bewusstsein geführt, etwas was ihr verloren geglaubt erschien. Durch ihn spürte sie wieder ihr eigenes Empfinden. Sie ließ es wieder zu, sie konnte wieder lieben und vor allem sich für einen anderen Menschen fallenlassen mit dem Wissen in dem Moment auch aufgefangen zu werden.
Auch wenn er selbst sie nie geliebt hatte, hatten sie beide doch etwas Einzigartiges in diesen Momenten erlebt mit aller Leidenschaft und Faszination. Und genau dies war ihr Lohn, den sie sich selbst gegeben hatte. Genau dieses zuzulassen, mit dem Wissen, dass nur dadurch dieses Momente zur Ewigkeit werden konnten.
Und damit wurden sie zur Ewigkeit.
Denn auch wenn sie ihn heute noch immer vermisste und diese Sehnsucht nach ihm verspürte, bereute sie doch nichts. Dankbar für alles Erlebte und dadurch auch für die Erinnerung, den Schmerz annehmend und für sich selbst akzeptierend. Er hatte sie dafür stark gemacht, auch eben für alle Tränen in der Zeit danach.
Jetzt lag es an ihr, den Weg alleine aus diesem Niemandsland herauszufinden. Den Weg aus all diesem Gefühlsdschungel, den sie selbst eingeschlagen hatte und sich damit selbst verantwortlich zeichnete. Zwar lag noch alles bei ihr in der Schwebe, kalt und undurchschaubar. Denn erst mussten all die Steine, die auf ihrem Weg heraus aus dem Dickicht mit der Zeit herangewachsen zu Felsen, weggeräumt werden.
Irgendwann würde sie bereit sein dazu, und die Kraft haben, sich aus diesen Steinen dann auch noch etwas Schönes selbst zu bauen..
Aber erst dann, wenn sie sein Bild nicht mehr mit dem Gefühl der Liebe verband. Dann wenn Erinnerungen nicht mehr schmerzten und die Narben der Seele verblasst waren.
Dann wenn nachts nicht mehr diese dunklen Gestalten von ihr Besitz zu ergreifen versuchten.
Nicht mehr rückwärts denkend und nach der Vergangenheit sehnend.
Und erst dann würde sie wissen, dass es gut ist, so wie die Dinge geschehen.
Der Sommer ging schneller vorbei, als sie dachte und der Herbst zog ein mit Stürmen die alles durcheinander wirbelten, was sich ihnen in den Weg stellte und durch nichts kann es aufgehalten werden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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