Helga Moosmang-Felkel

Maurice Kap 10

Der Eidechsenmann

 

Eine mondlose Nacht brach an. Schwarz rauschte der Fluss. Maurice war zu seinen Freunden zurück gekehrt. Er verbrachte die Tage bis zum Neumond in quälender Spannung. Er hatte seinen Freunden nichts von seinem Besuch beim alten Zack erzählt, sondern versucht, sie in Sicherheit zu wiegen. Ein großer Nachtfalter flatterte durch den Schuppen und erinnerte ihn an die rot glühenden Schmetterlinge. Er streifte Maurices’ Kopf und Maurice betrachtete ihn gequält. Er verfolgte seinen Flug mit bangem Herzen und dunklen Vorahnungen.

Als er glaubte, dass seine Freunde fest schliefen, schlich er sich hinaus und schlug den Weg zur Villa ein. Bald wagte er sich hinaus ins offene Land und lief schnell durch die dunkle Nacht. Jetzt hatte er die Grenzen seiner eigenen Furcht überschritten und erinnerte sich genau an den Weg zum Moorteich, wo er dem bösen Mädchen begegnet war. Er fühlte sich nicht einsam, sondern hielt innere Zwiegespräche mit dem alten Zack. Er konnte ihn vor sich sehen, wie er die Ohren nach hinten legte, um Antwort zu geben, immer großzügig und geduldig.

Wie Zack gesagt hatte, stand das schmiedeiserne Tor weit offen und Maurice pirschte sich vorsichtig hinein. Der Garten lag im tiefen Dunkel der giftigen Eiben. Üppige orchideenartige Pflanzen verströmten einen betörenden, schwülen Geruch nach Sumpf und Verwesung. Maurice fiel es schwer. zu atmen. Meter für Meter kämpfte er sich an die weiße Villa heran, die hinter blühenden Oleandersträuchern lag. Der Boden schien sich zu wellen und er kam kaum noch voran. Ein hohes, seltsames Säuseln lag in der Luft und dröhnte in seinen Ohren. Maurice krümmte den Rücken, krallte sich in die Erde, aber er gewann kaum an Boden. Die Erde war feucht und wurde in der unmittelbaren Nähe der Villa immer schlammiger. Der Schlamm klebte an Maurice’ Pfoten und es fiel ihm immer schwerer, die Beine anzuheben. Feuchtigkeit tropfte von den Bäumen und tränkte sein Fell. Schwitzend und mit Schlamm bedeckt, kroch er weiter. Die Eiben schienen sich zu vervielfachen. Ihre unverwechselbare Ausdünstung wurde immer stärker. Maurice fiel immer wieder in kurze Träume, die sich in seinem Gehirn wie ziehende Wolken ablösten in einem fieberhaften Wechsel von glühenden und kühlen Tönen. Er kam der Villa nicht näher und fühlte sich geschlagen und erschöpft. Ein seltsamer Hass strömte von dem weißen Haus aus. Maurice fühlte, wie dieser Hass sein Fell, seine Haut und sein Herz durchdrang. Plötzlich stand er vor einem versteckten Pavillon, der von feuerroten Blumen umrankt war. Maurice konnte kaum noch die Augen offen halten. Mit Bestürzung und Schaudern hörte er plötzlich ein hohles, dunkles Lachen.

Er fuhr zurück. Wieder schwankte der Boden. Das Gelächter wurde lauter und ein Mann trat aus dem Pavillon. Sein Gewand glänzte schwarz und in der lastenden Dunkelheit konnte Maurice kaum die Züge seines Gesichts erkennen. Narben schienen seine Wangen zu überziehen und die Augen glänzten wie geschliffene Obsidiane.

„Wie kann man so dumm sein, sich hier herein zu wagen...?“ fragte der Mann höhnisch. Seine Stimme war tief wie ein Abgrund und strömte durch Maurices Körper. Maurice begann zu beben. Es schwirrte in der Luft und unzählige der rot glühenden Schmetterlinge flogen auf den Mann zu, der die Arme für sie weit ausbreitete. Sie ließen sich überall auf seinem Körper nieder und schlugen mit den Flügeln. Sie begannen zu summen und Maurice spürte, dass es ihn unaufhaltsam zu ihnen hinzog, obwohl er um ihre Gefährlichkeit wusste. Er konnte ihrem Gesang nichts entgegensetzen. Verzweifelt stemmte er seine Hinterpfoten in den Sumpf. „Nun komm schon, kleiner Maurice,...meine roten Lieblinge singen für dich...streck die Pfote aus...“, sagte der Mann und plötzlich klang seine Stimme weich und einschmeichelnd. „Sie fühlen sich wunderbar an, wenn sie Katzenfell berühren...“ „Wo ist Fleur,...ich will Fleur zurück...“, presste Maurice mit letzter Kraft heraus.

„Fleur ist auf dem Weg ins Land der schneeweißen Katzen...“, sagte der Mann und wieder dröhnte sein Lachen, „es gibt keine Rückkehr für vorwitzige Katzen....“ Das Funkeln der Schmetterlinge wurde unerträglich und Maurice schloss gequält die Augen. Alles drehte sich um ihn und plötzlich brach der schlammige Boden auf und aus den Spalten strömten grün glänzende, züngelnde Eidechsen. Gleichzeitig quoll eine unerträgliche Hitze aus dem Boden und Maurice taumelte.

Plötzlich spürte er, dass einer der Schmetterlinge sein Fell streifte. Es knisterte und ein Brandgeruch flackerte auf. Ein sengender Schmerz fuhr in Maurices Körper. Mit letzter Kraft schlug er nach dem Schmetterling, der vor seinen Augen zu Staub zerfiel. „Ich will zu Fleur...“, schrie er heiser und kroch rückwärts, um den Eidechsen zu entkommen. Kurz dachte er an den alten Zack, er rief ihm etwas zu, doch Maurice konnte die Worte nicht verstehen. Wieder landete einer der Schmetterlinge auf seinem Fell und zerfiel zu Staub. Die Schmetterlinge versengten sein Fell und plötzlich wurde Maurice klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sein ganzer Körper in Flammen stehen würde.

„Warum tust du das? Warum quälst du Katzen...?“ schrie er dem Eidechsenmann mit letzter Kraft entgegen.

„Das ist eine alte Geschichte,...die Feindschaft besteht schon seit Jahrhunderten..., die Katzen haben meine Tochter geholt..., seitdem hole ich mir euch... ihr Monster in Pelz....“. Die Stimme des Mannes dröhnte in Maurices Ohren. Bestürzt sah Maurice, dass die Augen des Mannes sich in rötliche Flammen verwandelt hatten. Die Eidechsen kreisten ihn ein. Er spürte ihre glitschigen Körper auf sich zu gleiten. Wieder versuchte Maurice verzweifelt, sich an einen Rat des alten Zack zu erinnern, aber sein Kopf war leer und gleichzeitig übervoll.

Plötzlich hörte er ein leises Miauen neben sich und sah Pierre und Missy neben sich stehen. Pierres Augen waren geweitet vor Furcht und er klemmte den Schwanz ein. Bedrückt sagte er: „Wir sind da Maurice,..., auch wenn wir nicht helfen können...“ Der Boden gab nach und Maurice begann zu rutschen, er glitt unaufhaltsam auf den Mann zu. Pierre warf sich über ihn und wurde mitgerissen.

Wieder hörten sie das schaurige Lachen des Mannes. Er rief: „Diesmal sind mir gleich drei Katzenbiester auf einmal ins Netz gegangen...was für eine lohnende Nacht...“ Eine neue Woge von Schmetterlingen flog auf die Freunde zu. Maurice bemerkte, dass sich Missys Körper hinter ihm straffte. Sie setzte zum Sprung an. Voller Angst streckte sich Maurice, um sie zurück zu halten, doch sie flog durch die Luft und landete auf dem Kopf des Mannes. Seine Augen leuchteten auf wie Stichflammen. Missy fuhr ihre Krallen aus und zerkratzte sein Gesicht. „Oh,...ich kann nicht mehr sehen...“, schrie der Mann. Ein tiefes Gurgeln löste sich aus seiner Kehle. „Hilfe, ich sehe nicht,...“, schrie er wieder und begann, furchtbar zu stöhnen. Er wand sich wie eine riesige Schlange auf dem Boden und plötzlich war überall Feuer. Es breitete sich rasend schnell auf und griff auf die Villa über. Büsche loderten auf, eine sengende Hitze umgab die drei Katzen.. „Los, lasst uns abhauen,...“, schrie Missy und sie hetzten zurück zum Tor. Es war gerade dabei, sich wieder zu schließen, als sie hindurchfegten. Mit einem lauten Krachen fiel es hinter ihnen ins Schloss.

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