Helga Moosmang-Felkel

Die Regenkatze Kapitel 10

Als Blue am nächsten Morgen erwachte und so geräuschlos wie möglich aus dem Schuppen schlüpfte, war die ganze Landschaft von Nebel überzogen. Die Vögel flogen um das dürre Fichtenbäumchen und suchten das Vogelhaus ab, das an eine der Tannen genagelt war. Wieder dachte sie an Sooty. Vergebens hatte sie gehofft, ihr im Traum zu begegnen. Sooty schien für immer verstummt. In ihrem Brustkorb war ein taubes Gefühl, so als hätte auch sie eine Verletzung erlitten, die sie nicht einfach abschütteln konnte. Sie sah hinaus in den diesigen Morgen. Langsam brach eine blasse Sonne hinter den Tannen durch den feuchten Nebel. Wassertröpfchen glitzerten auf dem niedrigen Dickicht. Sie lief zu einem hohen Baum hinüber und schärfte an der alten Rinde ihre Krallen. Der Mond war fast voll. Er glitzerte noch schwach am Himmel. Plötzlich hörte sie hinter sich den Korsaren in der nassen Erde scharren. Sie erinnerte sich an seine feurigen Sprüche in der letzten Nacht und wandte sich verlegen ab. Doch er legte ihr gegenüber eine ausgesprochene Gleichgültigkeit an den Tag. Er schien sie kaum zu sehen, auch wenn er sie höflich mit einem Neigen seines Kopfes begrüßte. Er bewegte sich lässig und seine Haltung war völlig ungezwungen. Plötzlich hob er brüsk den Kopf und lauschte ins Innere des Schuppens hinein. „Ich glaube, unsere Patientin ist aufgewacht…“, sagte und brach in ein erleichtertes Lachen aus, „lasst uns nach ihr sehen, bevor ich jagen gehe, damit die Damen nicht zu hungern brauchen…“ Blue raste an Ebonys Lager. Zum ersten Mal hatte sie die grasgrünen Augen geöffnet und piepste leise: „Ich habe Hunger…“ Sie hob den Kopf leicht an und ihre Augen waren noch verschleiert und trübe vom langen Schlaf. „Dann werde ich mich wohl auf den Weg machen und etwas Fressbares auftreiben…“, sagte der Korsar und nickte Ebony ermutigend zu. Ängstlich beugte sich Blue über Ebony, die sie fragend ansah. Sie wusste, was Ebony mehr als andere wissen wollte. Sie senkte die Lider und schüttelte traurig den Kopf, Sooty lebte nicht mehr. Ebony stöhnte und sank zurück auf das Fell. Ihr Herz klopfte schnell unter dem schwarzen Fell und Blue musterte sie besorgt. Blue wollte Ebony beruhigen und so wiederholte sie einfach die Worte des Korsaren, obwohl sie sich darüber ärgerte, ihn einfach zu wiederholen: „Du wirst ihr Erbe antreten, du hast das Zeug dazu…“ Ebony schüttelte gequält den Kopf. Ein Hustenkrampf schüttelte sie. Rosafarbenes Licht fiel durch die Ritzen in den Schuppen. Der Nebel hatte sich aufgelöst und die Sonne schien warm auf das Dach. Ebony bewegte mit einer verlorenen und verzweifelten Geste die Pfoten und seufzte immer wieder. Blue beobachtete sie voller Angst und mit hochgezogenen Schulternblättern, bis der Korsar wieder auftauchte. Er war schwer beladen mit einer erlegten Maus und trug ein frisches Kräuterbündel im Maul. Er trennte die Leckerbissen für Ebony ab und sagte mit einem langen Seitenblick zu Blue: „Ihr seid recht schweigsam an diesem strahlenden Morgen, Liebste, das ist doch eigentlich gar nicht Eure Art…“ Er lächelte mit dem für ihn typischen spöttischen Ausdruck in sich hinein. Blue wich diesmal seinem Blick nicht aus: „Mich würde deine Vergangenheit interessieren und der wahre Grund deiner Anwesenheit hier…“, sagte sie direkt, „du bist doch nicht hierher gekommen, um den Troubadour zu spielen,…, ich möchte die Wahrheit wissen…“ Der Korsar sah Blue forschend an, dann zwinkerte er und sagte: „Ihr seid eine seltsame Katze, Ihr setzt mich immer wieder in Erstaunen…, ich habe viele Mittel der Verführung angewandt in meinem Katerleben, um die Katzen zu erobern, die ich begehrte, aber ich bin noch nie darauf gekommen, es mit meiner Vergangenheit zu versuchen…“ Blue konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, während ihr die Röte ins Gesicht stieg. Dann sagte sie ein wenig steif: „Ich scherze nicht, ich möchte alles wissen, welcher Rasse gehörst du an,…wirst du mir helfen, an Ralf und seinem Gesindel Rache für Sooty zu nehmen…?“ „Welcher Rasse ich angehöre…?“ wiederholte der Korsar und lachte schallend: „Nun, ich denke, ich bin ältester französischer Adel, der nach Neuenglang verjagt wurde…, als Marie Antoinette das Schafott bestieg…“ Blue musste bei dem Wort Adel sofort an Robbys Allüren denken und sie erwiderte spitz: „Glaub bloß nicht, dass du mich mit einem dummen Adelstitel gewinnen wirst…“ Wieder lachte der Korsar: „Ich glaube gar nichts, mein Herz, ich warte auf dich, ich seufze und erbleiche, findest du, dass ich nicht genügend erbleiche…,“ Blue schüttelte den Kopf, wider Willen musste sie lachen. „Du siehst überhaupt nicht bleich aus…“, sagte sie, „sondern überaus lebendig…“ Wieder sah er sie lange an und Blue wusste nicht, ob sie den Ausdruck auf seinem Gesicht liebte oder hasste. Seine Worte verloren plötzlich ihren ironischen Unterton und in dem langen Schweigen, das folgte, hatte sie den Eindruck unter einem seltsamen Zwang zu stehen, der sie einhüllte und sie verbrannte. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, die Augen zu schließen. Ein kleiner Schauer der Bangigkeit und Lust überlief sie. Sie entfloh und setzte sich neben Ebonys Lager und begann zu grübeln. Der schwarze Korsar zog die Katzen an. Er wusste wie kein anderer, wie man zu ihnen sprach, er beherrschte den beißenden und den sanften Ton. Etwas in Blue bäumte sich auf und ein seltsamer Schwindel erfasste sie.

 

Blue döste ein wenig vor sich hin und fütterte in den Pausen Ebony, die sich nun rasch erholte. Der Schuppen lag schlafstill in der Nachmittagssonne. Der Korsar war wieder auf der Jagd nach frischem Fressen. Blue legte sich auf die Schwelle des Schuppens und sah auf die Ebene hinunter, in der jetzt weder Schnee noch Nebel lag. Das Wetter war über Nacht milder geworden und eine linde Luft umwehte ihre Schnauze. In den Büschen tropfte es leise. Doch ihr Instinkt sagte Blue, dass das Wetter nicht lange halten würde, bald würde es wieder schneien. Plötzlich hörte sie ein leises Knarren im Unterholz. Sie spitzte die Ohren und lauschte angestrengt. Sie hörte eine Katze schrill und doch unterdrückt miauen. Das Miauen stieg an zu einem spitzen Ton, fiel dann ab und erklang von Neuem. Vorsichtig und völlig lautlos pirschte sich Blue näher an das Dickicht heran. Sie zuckte zusammen, als ein Windstoß die Blätter rascheln ließ.

Plötzlich erkannte sie die Stimme des Korsaren, seinen tiefen Bariton. „Leonora…, beruhige dich endlich…“, sagte er. Blue spähte durch die Äste und schrak zusammen, als sie die getupfte Katze wieder erkannte, die gestern an der Seite von Ralf gegen sie gekämpft hatte. Blue erstarrte vor Angst. Das ausdrucksvolle Gesicht mit der breiten Schnauze, dem kräftigen Kinn und den stark ausgeprägten Schnurrhaaren mit dem rosa-schwarzen Nasenspiegel war nur wenige Katzenlängen von ihr entfernt. Sie konnte sogar die markante M-Zeichnung auf dem Kopf erkennen. Das Fell war braungelb mit schwarzen Tupfen. „Du hast gewagt mich, eine Bengalkatze, so zu behandeln,…“ Sie starrte den Korsaren mit einem verstörten Ausdruck an. „Ich weiß, dass du mir nicht verzeihen kannst, dass ich dich wegen Tiffanie damals verließ,…aber ich warne dich zum allerletzten Mal,…ich vermute, dass du am Verschwinden von Tiffanie beteiligt warst, und wenn ich dich noch einmal mit Ralf zusammen erwische…, ist es mit meinem Langmut auch dir gegenüber endgültig vorbei…“, sagte der Korsar. Blue konnte den Korsaren nicht sehen, sie hörte nur seine Stimme und erbebte. Diese losgelöste Stimme hatte einen Reiz, der ihr vorher noch nicht so klar bewusst gewesen war. „Ich weiß nicht, wo Tiffanie ist,…wahrscheinlich lebt sie nicht mehr,…es ist über ein Jahr seitdem vergangen,…warum gibst du nicht endlich auf… und kehrst zu mir zurück,…?“ hörte sie Leonora sagen „Ich habe in der Nähe unseres Lagers damals Ralf gesehen und ich werde ihn zur Strecke bringen, ihn und seine Gefährten, aber noch immer hoffe ich, dass du dich eines besseren besinnst und dich endlich von ihm fern hältst…, du hast dein Spiel und deine Undankbarkeit weit genug getrieben…“ Heiser und atemlos erwiderte Leonora: „Ich kann nicht mehr ohne dich leben, du ahnst nicht, wie ich leide ohne dich…ich muss ständig an dich denken… Vor wildfremden Katzen habe ich plötzlich angefangen von dir zu schwärmen und sie haben sich über mich lustig gemacht…ich habe seit du mich verlassen hast, viele Liebhaber gehabt, aber ihre Plumpheit stieß mich ab…ich lag mit offenen Augen neben Ralf und sah nur dich…, deine Augen und deine wissenden Pfoten…“ Sie starrte den Korsaren mit tragischer Miene an. Plötzlich sprang sie auf und drückte sich eng an den Korsaren. „Du hast ein Feuer in mir entzündet…, das kein anderer Kater löschen kann…“ Blues Herz klopfte zum Zerspringen. Sie wusste nicht, was sie mehr ängstigte, die gefährliche Nähe von Leonora oder die Erkenntnis, dass der Korsar mehr über Ralf wusste, als sie selbst und es ihr verheimlicht hatte. Sie sah jetzt durch die Äste das vernarbte Profil des Korsaren und die ruhige Lässigkeit seiner Haltung. „Trenne dich von Ralf und gehe zurück in den Vorort der weißen Villen…, sonst werde ich dich nicht länger verschonen können…“, sagte der Korsar und rückte von ihr ab. „Ist das alles, was du mir zu sagen hast…?“ kreischte Leonora. Der Korsar nickte: „Ich bin deine vulkanische Anwesenheit in meinem Leben leid, Leonora…“ „Du hast bereits Ersatz gefunden,…eine blaue Yankeekatze, nicht wahr,…“, stieß die getupfte Katze zwischen den Zähnen hervor. „Hast du sie schon zu deiner Geliebten gemacht? Wie kannst du dich dazu hinreißen lassen, ein solch gewöhnliches Yankeegör auszuwählen…?“ Der Korsar lachte und sagte: „Sie hat Augen, die an das stürmische Nordmeer erinnern…“ „Nun…“, sagte Leonora kalt, „ich werde dafür sorgen, dass du sie genauso verlierst wie damals Tiffanie,…Ralf ist stärker als du denkst…, und Tiffanie wirst du nie wieder finden…“

 

Das ist zuviel…“, dachte Blue, die völlig außer Fassung war. Sie fand alles, was sie gehört hatte unerträglich. Verdüstert starrte sie in die Landschaft. „Tiffanie, Leonora…und wen noch…?“ sagte sie immer wieder vor sich hin, „da werde ich mich nicht einreihen, niemals,… ich nicht…“ Unschlüssig stand sie im Holundergehölz, es begann wieder leise zu schneien. Sie stand ganz still da und winzig weiße Flocken setzten sich auf ihr Haar, auf ihre Schultern und ihre Pfoten. Sie sah zu, wie der Schnee auf die Föhren- und Fichtenzweige fiel. Als sie sich bewegte knisterte das Laub am Boden. Ganz langsam lief sie weiter. Es war ihr nach allem, was sie mitgehört hatte, unmöglich, einfach zurück in den Schuppen zu gehen und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Sie wusste sicher, dass Ebony über den Berg war. Schritt für Schritt entfernte sie sich vom Schuppen. Für ihren Geschmack hatte der Korsar viel zu viele Katzen beglückt. Sie sah hinauf zum Blassblau und Grau des Himmels, das mit dem Rosaweiß der Wolken verschmolz. Überall hörte sie die leisen Tropfgeräusche des Schnees, der fast sofort wieder schmolz. Am Friedhof beschleunigte sie ihre Schritte und bald hörte sie die vertrauten Geräusche der Altstadt, die sie belebten. Da die Jahreszeit zu fortgeschritten war und sie unter der Kanalbrücke frieren würde, beschloss sie, im „Roten Löwen“ einen Unterschlupf zu suchen. Als sie das Wirtshaus erreichte, war es dunkel und der Himmel war sternenklar. Hin und wieder wehte der Wind um die Ecke, wie um die Altstadt zu lüften und ihr eine größere Klarheit und Reinheit zu verleihen.

 

Sie stieg rasch ein paar Stufen hinauf und schon stand sie vor dem etwas heruntergekommenen Wirtshaus „Der rote Löwe“. Sie kletterte schnell auf einen knorrigen Apfelbaum, der im Garten des Gasthauses stand, balancierte auf einem starken Ast entlang und schwang sich dann geschickt auf das niedrige Dach. Dort befand sich eine schmale Einstiegsluke in den Dachboden, in dem sie bereits den letzten Winter verbracht hatte. Sie hielt sich an einem niedrigen Dachbalken fest und stemmte sich hinein. Sie sprang hinunter, hörte überraschte Ausrufe und lautes Miauen und entdeckte voller Freude den alten Omar und die kleine Mona, die jetzt offensichtlich unzertrennliche Freunde waren. Der Speicher bestand aus einem ziemlich großen Raum mit staubbedecktem Boden. Gebrauchte Möbel, Koffer, aufgetürmte Kartons, mit alten Büchern überladene Regale, lädierte Gegenstände, Lampen mit schiefem Schirm und ein vorsintflutliches Grammophon, alles stand wild durcheinander. Auf allem lag eine dichte Staubschicht. Durch die Fugen der Dielen schimmerte das Licht der unteren Etage und man hörte das Reden der Gäste und die laut polternde Stimme des Wirtes. „Blue, wie schön, dass du hier bist…, ich hatte solche Angst um dich…so eine furchtbar schreckliche Angst…“, die kleine Mona sprang wie ein Irrwisch um Blue herum und leckte über ihren Kopf. Auch die Augen des alten Omar glänzten. „Blue, wir dachten, du hättest den Kampf nicht überlebt und wärst ins Schattenland gereist…“, sagte er. Blue war so gerührt, dass Tränen in ihren Augen standen. „Ralf hat Sooty umgebracht…“, sagte sie gepresst, „sie sind zu fünft auf sie los gegangen…“ Mona und der alte Omar warfen sich seltsame Blicke zu und drucksten herum. Draußen ging ein neuer Schneesturm nieder, die Äste des alten Apfelbaums peitschten auf und ab. Sterne blitzten zwischen ihnen auf. „Was habt ihr denn?“ fragte Blue und legte sich auf einen zerlöcherten purpurroten Sessel. Omar räusperte sich, dann sagte er: Ralf hat am Brunnen erzählt, dass Sooty ihn in seinem Loft mit schwarzer Magie angegriffen hat,…er konnte sich nur noch auf den Boden pressen und mit den Krallen festklammern,…die Augen Sootys waren plötzlich überall, sie bohrten sich durch die Wände des Lofts und jagten ihn…später griff sie ihn mit Leopardenkrallen an, die aus ihren Pfoten wuchsen…und immer länger wurden…“, berichtete Omar. „Was er erzählt hat, war furchtbar gruslig…“, piepste die kleine Mona. „Wir dachten, Sooty hätte dich vielleicht auch angegriffen und getötet,…“ „So ein Quatsch…“, sagte Blue wütend, „wie konntet ihr ihm das alles nur glauben,…Sooty hat ihm kein Haar gekrümmt…, leider…, sie haben sie zu fünft gehetzt und getötet…“ „Bist du sicher…, ich meine, man weiß es ja nicht so genau…“, stotterte die kleine Mona, die Ralf mit seiner Erzählung in den Bann geschlagen hatte. „Er wollte Sooty schon lange ans Fell, er hat nur auf einen passenden Anlass gewartet,…“, sagte der alte Omar gleichmütig. „Habt ihr noch was über Philippines Tod herausgefunden,…?“ fragte Blue. Omar schüttelte den Kopf. „Niemand scheint etwas zu wissen…, ihr Tod wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben…“, sagte er und starrte mit offenem Mund vor sich hin. „Im „Chat Noir“ ist nichts mehr los, seit Sugar Robby den Laufpass gab…, er und Said boykottieren es, es ist ihnen nun zu gewöhnlich…“, fuhr er fort und ahmte den hochmütigen Gesichtsausdruck von Robby nach. Bei der Erwähnung von Saids Namen zuckte Blue zusammen. Sie dachte an den Korsaren und dass sie jetzt wieder allein war. Sie dachte an ihre absurde und wilde Leidenschaft für den Korsaren, von der er nichts erfahren durfte und an das mitfühlende Verständnis und die ruhige Art von Said. „Sind Ralf und Sugar noch ein Paar?“ fragte sie schnell. „Sugar wohnt bei ihm im Loft, sie ist nicht zurückgegangen in den Vorort der weißen Villen…aber sie scheint nicht glücklich zu sein…“, murmelte Omar zerstreut. „Gestern Nacht sah ich sie mit zerzaustem Fell um die Mülltonnen streichen, sie wirkte ganz verstört…, ich wollte ihr helfen, etwas Fressbares zu finden, aber sie huschte blitzschnell um die Ecke und blieb verschwunden…“, erzählte Omar, der seine Augen wie immer überall hatte. Die kleine Mona drückte sich an Blue und piepste: „Hier gibt es viel zu essen, ich habe schon einen kleinen Bauch, die Reste der Gäste stellt der Wirt uns vor die Türe…“ Sie rieb sich ihren runden Bauch unter dem dicken Winterpelz. Dann sagte sie leise, so als ob sie mit den Zweigen des Apfelbaums draußen sprach: „Ich war in Robbys Villa an dem Abend, an dem du verschwunden bist…“ Ihre Augen bekamen einen verträumten Ausdruck. „Hast du dir diesen eingebildeten Angeber immer noch nicht aus dem Kopf geschlagen…?“ fragte Blue. Mona schwieg, doch ihre Augen sprachen Bände. „Ralf hat mich gestern in seinen Loft eingeladen…, aber,… aber…Robby, auch wenn er mich nicht,… mich nicht liebt…“, sagte sie. „Ralf?“ fragte Blue empört. „Versprich mir, dass du dich von Ralf fernhältst…, er ist ein gewissenloser, böser Kater,…er hat Sooty auf dem Gewissen und ihr müsst mir helfen, sie zu rächen…“, sagte sie mit fester, klarer Stimme. Mona seufzte. „Dir taugt aber auch keiner…“, sagte sie dann, „Ralf kann manchmal ganz witzig sein…“ Lucy versetzte ihr eine leichte Ohrfeige mit der Pfote: „Versprich es, es wäre dein Untergang, denke an Mitsou und Sugar…“ „Schon gut…, ich stehe sowieso nicht auf ihn, war doch nur Spaß…“, sagte die kleine Mona. „Ich fürchte, ich kann dir nicht viel helfen bei deinem Kampf gegen Ralf..., mein Herz spielt nicht mehr so mit..., nein ich kann nicht helfen…“, ächzte der alte Omar. Mona begann mit einem Stück Schnur zu spielen, dass sie durch den Dachboden fetzte. Omar erhob sich steifbeinig und sagte: „Ich werde mal nachschauen, was alles im Napf ist,…und eine Runde durch die Altstadt machen,…ich war schon lange nicht mehr beim „Moulin Rouge…“, ein paar Takte Cancan erfrischen mein altes Gemüt…“

 

Blue und Mona blieben allein zurück. Blue war voll zwiespältiger Gefühle, ihr Herz war erfüllt von Traurigkeit und Dankbarkeit. Traurigkeit beim Gedanken an Sootys Tod und den Korsaren, den sie verlassen hatte und Dankbarkeit für ihre engen Freunde und den bequemen Unterschlupf, den sie so einfach mit ihr teilten. Blue und Mona legten sich dicht nebeneinander vor eine alte Truhe und sahen hinaus auf die sternerhellten Ziegeldächer, auf denen nur noch wenige Flecken Schnee lagen, die wie Schmetterlingsschuppen wirkten, die man unendlich vergrößert hatte. Vom Kanal drang ein leises Rauschen herauf und Kondensstreifen erschienen im Mondlicht wie Milchstraßen auf den Fenstern. „Weißt du, ich war in der weißen Villa von Robby in der Nacht als du verschwandest…, nur Said und ich und die blöden Maskenkatzen, es war wie in einem Traum…“, erzählte die kleine Mona mit gedämpfter Stimme. Als Mona den Vorort der weißen Villen erwähnte, horchte Blue auf. Der Korsar hatte erwähnt, dass Leonora dort lebte. „Wir sprangen über eine weiß gestrichene Mauer, die mit Kletterrosen überrankt war, in einen Märchengarten. Robby hat dort einen eigenen Pavillon unter hohen Linden, ein kleines Häuschen mit hohen Kratzbäumen und einer Hängematte und einem weichen Polstersessel,…“ Blue konnte sich nicht länger beherrschen, sie fragte schnell: „Hast du vielleicht eine Katze mit Tupfen dort gesehen,…im Nachbargarten vielleicht…?“ Mona blickte sie erstaunt an. „Woher weißt du, dass Leonora im Nachbarhaus lebt,…sie hat uns kurz besucht,…Robby sagt, sie stammt von einer asiatischen Leopardenkatze ab und ist sehr gefährlich,…“ Mona kicherte: „Ich glaube fast, er hat ein bisschen Angst vor ihr…“ „Erzähl, was hat sie gesagt,…?“ Blue platzte fast vor Neugier. Umständlich nahm die kleine Mona den Faden wieder auf: „Robby führte uns durch eine schwere Tür mit gemaserter Eichenfüllung, in der eine Katzenklappe war, in ein hellgrün gestrichenes Zimmer mit einem Kamin, in dem ein Feuer prasselte…ich konnte mich gar nicht satt sehen an den Flammen… Robby erklärte immer wieder, was für ein Privileg es war, hier von ihm empfangen zu werden.“ Sie kicherte ein bisschen. „Wir lagerten auf weiß gerüschten Polstern, überall standen antike Schränkchen und Kästchen und Robby erzählte wieder von Birma, von den Tempelastrologen und ihren uralten Pergamenten, in denen sein Weg durch die Zeiten vorgezeichnet war in einer Linie, die nie abreißen wird bis ans Ende der Welt… und von den diamantbesetzten Goldkuppeln, die im Sonnenlicht funkelten, als Leonora durch die Katzenklappe stolzierte…“ „Weiter…“, trieb Blue sie an, die sich vor Ungeduld kaum noch beherrschen konnte. „Sie setzte sich zu uns ans Feuer und sagte mit einer rauen Stimme: „Hey Robby, habe ich wieder deine geistreichen Äußerungen über Birma verpasst…?“ Sie grinste breit und setzte sich zu uns an das Feuer. Robby schwankte zwischen Unmut und Höflichkeit und sagte dann unangenehm berührt: „Ich hoffe, du verschonst uns heute mit deinen Schwärmereien über die Schändlichkeiten dieses hässlichen Korsarenkaters, …dessen Abstammung eine überaus zweifelhafte ist…“ Leonora sagte: „Er ist der letzte Spross einer der großen Familien Frankreichs…“ und begann zu seufzen und schmachtend die Augen zu verdrehen, bis die Maskenkatzen alle kicherten und sich anstießen über die Unschicklichkeit ihres Benehmens. Leonora steigerte sich immer mehr in ihre Schwärmerei hinein, bis sie vor dem Feuer rollte und sich räkelte. Als die Maskenkatzen in lautes Gelächter ausbrachen, schoss sie einfach davon.“ Die kleine Mona starrte mit ihren bernsteinfarbenen Augen in die stürmische mondbeschienene Nacht hinaus, dann sagte sie trotzig: „Ich werde diesen Robby schon noch erobern, auch wenn er mich jetzt nicht zu bemerken scheint…, übrigens erschien mir Said sehr gedrückt,…so als ob ein schweres Gewicht auf ihm lastete, sein Fell war ganz verknittert… und zerzaust und nicht so gepflegt wie sonst…“ Blue schluckte schwer, Said tat ihr plötzlich leid. „Warum interessierst du dich für Leonora, Blue, …die spielt doch in einer anderen Liga…?“fragte Mona. Blue zitterte leicht. Sie schwieg und versuchte zu verbergen, wie sehr sie das Erzählte aufwühlte. „Leonora war bei der Meute, die Sooty zu Tode jagte, sie hat mich angegriffen …“, sagte sie dann leise. Insgeheim war sie stolz darauf, so leicht mit Leonora fertig geworden zu sein. „Mona, wir müssen Sooty rächen,…meinst du, dass Robby und Said und Clarence und Lucy uns dabei helfen werden? Wir müssen Ralf aus der Altstadt verjagen oder ihn töten…“, sagte Blue entschlossen, „wir dürfen sein Benehmen in unserer Gemeinschaft nicht länger dulden, sonst treibt er es immer unverschämter… und reißt alle Grenzen ein…“ Mona sah Blue erschrocken an.

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