Francois Loeb

SCHULDIGEN

Schuldig oder nicht? Zu erlesen in meiner Wochengeschichte:

Als Polizeiposten Chef einer mittleren Gemeinde erlebe ich immer wieder zahlreiche Zwischenfälle. Oft auch Rätselhaftes wie letzthin vor drei Tagen. Ein April Montag mit entsprechendem Wetter. Sonnenschein und Graupelschauer. Gewitter und Regenbogen gaben sich ein Stelldichein und der Donner ins nackte Geäst gab dazu seine Melodie. Da erschien der Mann. Hut bewehrt. Ein Western, passend zu seinen Jeans und einer den Sheriff Vesten nachgebildeten Jacke. Selbst das Holster fehlte nicht. Glücklicherweise glänzte dieses aber durch gähnende Leere. Ich sass hinter dem Tresen, mit den Rapporten meiner Stellvertreter der letzten Nächte beschäftigt, die diese pflichtgetreu mir abgeliefert hatten. Keine besonderen Vorfälle. Nächte zum Gähnen, bemerkte ich zu mir selbst. Ja, da war mir kurz vor Dienstschluss auch zum Gähnen zumute. Freute mich bereits auf mein Feierabendbier in der Gaststube zum Hirschen. Selbstverständlich nach dem Entledigen aller auf einen Polizisten hinweisenden Attributen. Denn Feierabend ist Feierabend, auch für einen Mann der die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten hat. So sah ich dem ‚Spielzeug-Sheriff‘ mit gemischten Gefühlen entgegen, befürchtete, dass er mir den Abend vergällen, oder zu mindestens die Schliessung der Wache mit einer langen Geschichte mit zwingender Protokollaufnahme hinauszögern könne. So begrüsste ich den Mann eher mürrisch, was sonst gar nicht meiner Art entspricht. Befragte ihn nach seinem Begehr. Er nahm den Hut ab. Grüsste beinahe demutsvoll. Er habe eine Frage zu stellen. Eine Frage deren Beantwortung in eine Selbstanzeige münden könne. Oh jeh, dachte ich, sah meine schlimmen Befürchtungen bestätigt. Sah den Schaum meines grossen virtuellen Biers in sich Zusammensinken, ungenutzt, nutzlos sich ins Nichts auflösend. Und die Frage kam dann wie aus einem Sheriff-Revolver geschossen: Er wolle ‚Schuldigen‘. Mein Gesichtsausdruck muss sieben grossen Fragezeichen entsprochen haben. Ich wiederholte: „SCHULDIGEN? Was meinen Sie damit? Wollen Sie einen Schuldigen anzeigen? Was für eine Straftat hat er oder sie begannen?" Ja, wir haben gelernt immer Geschlechtsneutral Fragen zu stellen. Nur mit dem Neutrum bekunde ich Mühe. Lasse es deshalb noch regelmässig sein, ich gestehe es zu meiner Schande, entschuldige mich dafür. Der Mann schüttelte sein Haupt heftig, sodass die einzelne angeklatschte Haarsträhne die seinen Kopf zierte sich löste, wild herumflog.
Verneinend hielt er aber am Wort ‚Schuldigen‘ fest. In seinen stahlgrauen Augen leuchtete Unverständnis auf. Er bezichtigte mich damit, so empfand ich es, der ‚langen Leitung‘, des als Offizieller nicht auf seine Wortargumente Eintretenden. Nun war es an mir meinen Kopf verneinend zu wiegen. Nicht heftig, habe ich doch stets den Anstand zu wahren, ihn bittend genauer auf sein Anliegen einzutreten, denn der Polizeiposten schliesse demnächst. Ich erwartete nun eine Schimpfkanonade, wie ich sie von solchen Vorsprechern gewohnt bin. Doch das Gegenteil geschah. Ich erinnere mich noch heute seiner Worte. Jedes einzelnen Wortes:
„Sehen Sie, Herr Wachtmeister, in der deutschen Sprache gibt es das Wort Entschuldigen, ich aber möchte bei meiner Gattin das Gegenteil durchführen! Aber können Sie mir weiterhelfen? Beschuldigen kann es doch nicht sein! Sie beschuldigen, nein, das wäre falsch. Ist der Begriff ‚Schuldigen‘ die Antipode? Ich habe überall gesucht. Im Duden. In Wörterbüchern. Im Wikipedia. Nirgends wurde ich fündig. Können sie mir weiterhelfen? Dachte wer denn sonst? Die Polizei hat doch so viel mit Schuldigen zu tun …?“
Der Ur-Wald der Worte lässt Buch-Staben in Köpfen tanzen! Ich aber wünsche Ihnen ein fröhliches Tänzchen im Mai!
Herzlichst Ihr François Loeb
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.05.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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