Karl-Konrad Knooshood

Deutschsprachige Musikwunder 25 - Buchstabe F 253 bis F 269

 


 

 

  1. FÜNF STERNE DELUXE – "Willst du mit mir geh'n?" (1998)

Deutscher Hip-Hop war immer dann am besten, wenn er Geschichten erzählte. Nicht nur die tragischen, das konnte auch sein großes Vorbild, der Ur-Hip-Hop aus den USA, von dem sich der deutsche Kerl deutlicher nicht hätte emanzipieren können. Es sind die atemberaubend abstrusen, befremdlichen Bizarrgeschichten – oder einfach die fürs Herz und die Lachmuskulatur. Mit letzterer Kategorie haben wir es hier eindeutig zu tun.

In drei Strophen werden drei gänzlich unterschiedliche Strophen übers erste Verliebtsein, über die allmählich aufkeimende Liebe oder die auf den ersten Blick beschrieben, in teils holprig wirkenden Reimen, die aber dennoch perfekt passen (siehe auch 257ER "Holz", Anfang dieser ultimativen Topliste!). Das Hamburger Hip-Hop-Quartett aus DAS BO (siehe weiter oben), TOBI TOBSEN, marcnesium (sic!) und DJ COOLMAN, hatte im Wesentlichen zwei Studioalben am Start, eh man sich 2000, nach Album Nummer 2, vorläufig wieder trennte und erst 2017 mit dem eher lahmen Drittwerk "Flash" zurückkehrte (ein regelrechter Rohrkrepierer). Das mit ihren besten Rap-Tracks nennt sich "Sillium" und ist eine abwechslungsreich-kreative Mischung aus Skits, Klangbasteleien, hörspielartigen Zwischensequenzen und reellen Hip-Hop-Stücken, aus der unter anderem diese für diese Combo etwas gemächliche Nummer hervorging.

Der saloppe Spruch "Willst du mit mir geh'n?" ist dabei, wie sich unschwer erkennen lässt, die große Gretchenfrage des menschlichen Zusammenfindens: "Willst du mit mir Zeit verbringen und eine Beziehung mit mir eingehen, mit offenem Ende für Liebe, Zärtlichkeit und Sex?" Eine der schönsten Fragen der Welt!

 

In Strophe 1 stellt man uns als Erzähler-Combo aus vier Rappern zwei Teenager vor: CORONA…äh, sorry, Covidomanie, CORINNA und MARKUS. Sie lässt sich etwas einfallen, um mit ihm zusammenzukommen… Im Rahmen einer Party geht es zur Sache…

In Strophe 2 wird, wie sich herausstellt, ein Blindenhund namens KARSTEN (heißt heute noch jemand so?), sehr gehorsam und anhänglich, der von seinem fiesen "Chef", einem Widerling namens "Herr BÖLZ", der "fett, 'n Halbglatz' mit 'nem Auge aus Glas" ist, an eine junge blinde Dame ("Der Chef erzählte ihm von 'ner Kundin, von wegen 'ner Emanze") vermittelt wird und sich sogleich mit ihr anfreundet, als sie ihm beim ersten Treffen sanft durchs Fell streichelt…

In Strophe 3 schließlich geht es um zwei Prolls, beide seit langer Zeit nicht mehr in Form, körperlich aus der Form geraten und stark degeneriert, beide ohne Saufmaterial, brauchen neues Bier, schleppen sich in den Getränkemarkt – und greifen gleichzeitig nach dem letzten Bier…

Drei rührende und lustige Geschichten übers Kennenlernen und mit jeweiligem Happyend: Das ist etwas Wunderschönes.

 

  1. FEE – "Amerika" (1981)

Die Neue Deutsche Welle (also die erste, die Original-Welle aus den 80ern) war, zumindest in ihrer Anfangszeit, sehr politisch, natürlich linkspolitisch. Es ging gegen ein überall empfundenes konservatives "Regime"/System, als eine zu überwindende Farce, das zwar alle Freiheiten und Wohlstand ließ, aber für eher linksgerichtete Leutchen immer noch nicht einer "perfekten" sozialistischen Utopie entsprach. Einige der politischen Lieder waren gehaltvoll und gut, andere eher durchschnittlich. Dieser Beitrag changiert zwischen beiden Welten. Ehe die NDW zu einem albernen, infantilen Zirkus wurde und die Lieder immer weniger Relevantes aussagten (gegen Mitte der 1980er), flaute sie bald wieder ab, um in den 90ern auf andere Weise zurückzukehren: Meist unpolitisch, aber albern, aber auch mal etwas nachdenklicher. Intellektuell anspruchsvolle Musikströmungen wie Hamburger und Frankfurter Schule um BLUMFELD (siehe viel weiter oben), TOCOTRONIC, DIE STERNE und andere, gesellten sich dazu, aber nie wieder wurde es so originell-quirlig wie bei der ersten NDW. Und dennoch gab es auch dort sehr viel ernstere Lieder.

Dieses hier ist eine kritische Abrechnung mit den USA und ihrer Kultur, insbesondere dem Lebensstil ihrer Bevölkerung, dem großen, hehren Versprechen vom "American Way of Life", der weltweit vielfach und auch in der US-Künstlerkultur selbst als "Lüge"/Heuchelei/leeres (Heils-)Versprechen angesehen wird, auch wenn er, im Zusammenhang mit dem "Streben nach Glück"/"Pursuit for Happiness" durchaus ein erreichbares Ziel wäre – und die größtmögliche Freiheit (nämlich die einzige, die zählt, die in EIGENVERANTWORTUNG™) gewährt und ermöglicht!

Ähnlich allerdings wie RAMMSTEINs gleichnamiges Lied (das textlich ganz anders/keine Coverversion dieses Liedes ist), kommt dieses etwas neckische Stück mit dem großen Vorschlaghammer rüber. Es ist alles andere als subtil (absichtlich?) – und äußerst vordergründig, vermutlich, um zugänglicher zu erscheinen. Dennoch bleibt die Kritik überraschend oberflächlich (wer mag, höre auch mal auf YOUTUBE oder so in folgendes, rein englischsprachiges Lied der Berliner Deutschpunk-Band TERRORGRUPPE rein: "What Is Wrong With The Americans?", dann wird klar, was ich meine).

Hier handelt es sich um eine Band aus Braunschweig, Niedersachsen. Nun, sie werfen hier, im poppigen Popcorn-Pop süßlich-kitschig (das dürfte definitiv Absicht sein!) alle Klischees hochdotierter, hochstudierter deutscher Amerikahasser auf einen Haufen und zünden ihn (rein musikalisch natürlich) an. "Bubble Gum" alias Kaugummi wird mit allem Möglichen verquickt, NIXON, FBI, MICKEY MOUSE & Co. werden mit der Rassismusproblematik verknüpft; einen richtigen Sinn ergibt das erstmal nicht.

Aber ja: Deutsche Musikgeschichte käme wohl nicht auch ohne ein paar berechtigt amerikakritische (primär auf die Außenpolitik bezogen) Songs aus (siehe DAF "Der Sheriff",etwas weiter oben) – aber eben auch nicht ohne das billige Amerika-Bashing und Runtermachen. Lass knacken jetzt!

 

  1. FEHLFARBEN – "Ein Jahr (Es geht voran)" (1980)

Ein dröhnendes, unheimlich eingängiges Gitarrenriff, ein bisschen dampfendes Stampfen, ein krasser Beat setzt auf gemächlichem Tempo ein, nach wenigen Sekunden erschallt eine schnoddrige Grölstimme wie aus einem Punk-Albtraum, die einem mehr entgegenschleudert als zu singen: "Keine Atempause – Geschichte wird gemacht!", "Es geht voran!" brüllen die Bandmitglieder im Chor zurück – eines der Lieder mit dem höchsten Wiedererkennungswert deutscher Musik beginnt. Der spartanische Text, der sich auf einige wenige Stichwörter und stichpunktartige Sätze, die wie Schlaglichter wirken, beschränkt, bildet wenige Zusammenhänge, sondern entspricht einem freien Assoziieren: "Spacelabs fall'n auf Inseln – Vergessen macht sich breit! – Es geht voran!" heißt es etwa, lose an in den 80ern aktuelle Ereignisse angelehnt, "Graue B-Film-Helden – regieren bald die Welt! – Es geht voran!" heißt es weiter, in einer Anspielung an den bis dato umstrittensten US-Präsidenten RONALD REAGAN, der zuvor tatsächlich Schauspieler in fürchterlichen Low-Budget-Produktionen gewesen war. Jaja, ein Schauspieler als Präsident…Ein politischer Laie also? Nicht zwangsläufig. Und falls doch: Wie auch Bürgerliche in ehemalige Erbmonarchien einheiraten können (in GB etwa DIANA SPENCER oder jetzt MEGHAN, wenngleich sie aus ziemlich wohlbetuchtem "Bürgertum" kommt) sollten, sollten auch politische Laien ruhig Politik versuchen. Allerdings darf der prozentuale Anteil solcher Stümper nicht zu hoch sein, denn zurzeit haben wir es mit eine Groko zu tun, die großenteils aus mehr oder weniger leeren Existenzen ohne jegliche Kenntnisse und weltfremd, besteht. Manche behaupten von diesem Lied, das beste der Neuen Deutschen Welle zu sein, soweit würde ich vielleicht nicht gehen. Doch das NDW-Frühwerk, 1980 enstanden und auf dem Album "Monarchie und Alltag" zu finden, das darüber hinaus als eines der besten der deutschen Musikgeschichte gilt, ist ein spannender, eingängiger Hybrid aus KRAFTWERKscher Elektronikkunst, Schweinerock und Punkgefrickel. Faszinierend!

 

  1. FELIX DE LUXE – "Taxi nach Paris" (1984)

Mit seiner schmalzig-schleimigen Ölstimme, die sich wie ein Quark-Öl-Teig anfühlt und sich butterweich in die Gehörgänge frotzelt, ist FELIX DE LUXE, künstlernamenstechnisch sowohl französischer als auch adeliger Origin, ganz weit vorn beim besseren Teil der NDW, wenngleich man streiten kann, ob sein Lied ausgerechnet in diese Kategorie fallen kann. Es ist eines jener einzigartigen Werke, die man schwer einem Genre oder einer Musikströmung zurechnen kann. Zuschieben möchte ich es dem Skurrilen, dem es bedingungslos verpflichtet ist: Eine seltsam verhärmte Orgel, eine Triangel, mehrere ominöse Instrumente erklingen, eine Nachtflanierstimmung entsteht, jemand könnte gerade lustwandelnd durch eine nächtliche Großstadt und durch zwielichtige, von schummrigem, diffusem Straßenlaternenlicht spärlich illuminierte Gassen streifen wie ein Tiger auf der Suche nach etwas Amüsement. Ein womöglich leicht angeheiterter Protagonist im Lied sucht sein Glück bei leichtlebigen Französinnen.

"Sie war leicht und ich war schön und schön betrunken" wortspielt sich der listig-lustige Herr durch die chauvinistisch-charmante Szenerie seines Seins und bekundet freimütig seine Vorliebe fürs beinharte Gesöff bzw. seine sich anschließende Wirkung: "Ich hab es gern, wenn sich zwei Welten dreh'n!" – Na Prost, mein Lieber!

Verantwortungsbewusst jedoch nimmt der Sturzbetrunkene ein Taxi und macht damit ein nächtliches Sightseeing – oder hat zumindest seltsame, absinthgeschwängert-scheinende Visionen: "MONA LISA streckte mir die Zunge raus" – und die Halluzinationen nehmen komplexe Formen an: "Und im Taxi nach Paris hat sie mich lächelnd gebissen".

Nun, das Taxi fährt und fährt und fährt… Und Herr DE LUXE wünscht sich ja eh nichts sehnlicher, als nach Paris zu gelangen, wo er bloß einen Tag verbringen will. Mich erinnert das alles sehr an meinen 17. Geburtstag, im Jahr vorm drohenden Millennium, als ich auch nur einen Tag in Paris war, nämlich mit meiner damaligen Schulklasse.

Allerdings tagsüber – und weit weniger betrunken.

Ein Akkordeon erklingt, französische Hauptstadtstimmung macht sich flairartig breit, einer weiteren Feststellung des genialen Denkers wird der Hörer teilhaftig: "Das Licht funktioniert hier nachts nur elektrisch". Dann begibt sich der kleine Gauner, der mächtig einen über den üblichen, vertretbaren Durst getrunken hat, auf kleine Diebestour und stiehlt mal eben kurz das große, wichtige Wahrzeichen: Nach einem Sprung in die Seine klaut Schlingel DE LUXE kurzerhand den Eiffelturm und die französische Dame rät ihm, sich zu verstecken. Gesagt, getan. Wo natürlich? Na klar: In einem "Taxi" – nach Paris! Pralle Pointe!

Mit einem kleinen EDITH-PIAF-Einspieler, dem thematisch absolut passenden "Non, je ne regrette rien!", "Nein, ich bereue (gar) nichts!", wird die instrumentelle Überleitung veredelt – und der Höhepunkt klatscht ein weiteres Mal daher mit einem weiteren "Taxi nach Paris" – und schon möchte man schön schnell die Koffer packen und ab auf die große Sause in die französische Hauptstadt fahren! Überragend!

 

  1. FERRIS MC – "Zur Erinnerung" (2003)

Erzählt deutscher Hip-Hop eine Geschichte, ist er am besten. Es muss nicht immer die vom ach so "Outlaw" und Rowdy-Migranten sein, der, unterprivilegiert und durch seine Herkunft schwerbelastet, sich in einer fremden, ihm "feindselig" gegenüberstehenden Gesellschaft  nach oben durchbeißen muss. Sowas nervt nämlich – und oft machen es sich diese Leute selbst schwerer als die sie umgebende, äußerst tolerante Gesellschaft.

Dies ist die bewegende Geschichte einer Männerfreundschaft von jüngsten Kindesbeinen an, und zwar zweier Jugendlicher, die keine Grenzen kannten und einfach alle kleinkriminellen Delikte begingen, die nur möglich waren: "Jeder Benz von 'nem Bonzen wurde in Brand gesetzt", das war nicht nett. Doch "nichts konnte dieser Freundschaft das Wasser reichen" – und da die beiden kein Respekt vor irgendwelchen Regeln und irgendeinem Gesetz hatten, Rebellen waren, richtige kleine Satansbraten oder Anarchisten in Kinderschuhen, ging es mit einem von ihnen bergab.

Ob FERRIS MC aus eigener Erfahrung berichtet, ist mir unbekannt. FERRIS MC behauptet dies jedenfalls. Fest steht jedenfalls, dass es ihn, da es ein veritabler Hit wurde, aus einer finanziellen Notlage hievte. Es sei ihm gegönnt: Die Geschichte, die er mit seiner heiseren Stimme auf einen unheimlichen aber moll-traurigen Beat, der trotzdem mitzieht, rappt, ohne je zu singen und ohne Frauen- oder Opernsänger-Unterstützung im Refrain, nur seiner weiterhin konsequent sprechsingenden Stimme, geht sehr nahe: "Ich frag mich, ob jede Lebensgeschichte so traurig enden muss!", resümiert der MC namens FERRIS resigniert und tieftraurig. "Erst blieb er hängen auf schlechten Drogen – und erlitt Angstpsychosen" – so beschreibt er es weiter: Den Verfall seines besten Freundes, der mit Tabletten vollgestopft wurde, das "Kind in ihm gebrochen", der immer weniger Lebenskraft und Lebensmut hatte, ist live erlebbar. Der bei seiner Großmutter aufgewachsene Freund, dem die schwache Oma nichts verbieten kann, der seine Eltern früh verloren hatte, kommt nicht wieder hoch, er schafft es nicht mehr. Als als trauriger Höhepunkt auch noch seine Großmutter stirbt, beschließt er, seinem Leben per Freitod ein Ende zu setzen – und er lässt sich mit 19 Jahren von einem LKW überfahren. Selbstmord durch Truck, "Death by Truck" könnte man sagen.

Dass der Herr FERRIS (eigentlich der mittlerweile auch ins Schauspielfach gewechselte SASCHA REIMANN) schonungslose Texte macht, die einem echt nahegehen oder einem tief in die Magengrube hauen, ist obligatorisch bei ihm, für seinen Stil charakteristisch. Wie er es hier fertigbringt, die Geschichte stringent von vorn bis hinten durchzuerzählen, logisch und ohne Brüche, gepaart mit dieser tiefen Grundtraurigkeit, weckt er auch die Herzen und rührt zu Tränen. Eines der erschütterndsten Lieder des bis 2018 gelegentlich bei DEICHKIND gejobbt habenden Ausnahmerappers.

Erschütternd und krass.

 

  1. FETTES BROT – "Da draußen" (1998) 

Der erste größere Fett-Track, der mächtig Props und Tribute absahnte, steht zwar direkt unter diesem hier, aber: Ich möchte erwähnen, dass die BROTE richtig raw und fett waren, als sie nach einigen Jahren Bandkarriere (gegründet: 1992) auf das neue Jahrtausend zugingen – wie viele andere Bands, insbesondere im Hip-Hop-Sektor. Man wollte überleben, der studentische, akademische bzw. zumindest (gut-)bürgerliche Rap aus den Normalos, der sich zwar vom Ursprung der US-amerikanischen Rap-Kultur stark unterschied, welche aber auch nicht mehr an ihren Wurzeln war, wenn Rapper längst Pools, Limousinen und Villen besaßen und sich mit dieser Art der poetischen Populärmusik die meiste Asche/Kohle/Zaster generieren ließ. Man wollte bestehen gegen den immer mehr in den Vordergrund rückenden asozialen Rap aus Zugezogenen- bzw. Einwandererkulturen, die es mit gewissen Macho-Attitüden sehr viel ernster nahmen. Die BROTE gingen gewohnt originell vor, wieder verhärmte, verstärkte Bläser, die einen mehrschichtigen Beat unterstützen und äußerst wild vorantreiben. Das war dann 1999/2000, dicht vor und dann nach der Jahrtausendwende. In Höchstform definitiv! Das Album? "FETTES BROT für die Welt", großspuriger, zugleich weltmännischer Titel, schließlich ist "Brot für die Welt" eine humanitäre Organisation. Jederzeit unterstützenswert. FETTES BROT für die Welt - ausladend und üppig, vor allem mit diesem Hit. Damals, zu Zeiten, als sie gerade Kontakt zu den DREI-FRAGEZEICHEN-Hörspielsprechern aufgenommen hatten und sogar in Folge 79 ("Im Bann des Voodoo", sehr empfehlenswerte Episode, auf MC oder CD oder Vinyl überall erhältlich, wo es Tonträger gibt) einen kleinen Gastauftritt, auch mit einem Rap-Song. Nun, hier hört man an zwei Stellen kleine Soundsamples: Einmal hört man OLIVER ROHRBECK als JUSTUS JONAS einen Lacher-Laut von sich geben, einmal JENS WRARCZECK alias PETER SHAW verzweifelt "G-Gefahr!" ausrufen! Und dann natürlich jede Menge pfiffiger Wortspielereien, gezinkt und auf die moderne Lage abgestimmt. Zeitgeistig sicher, aber einfach nur unheimlich geil und scharf in die Nüsse!

 

  1. FETTES BROT – "Emanuela" (2005)

Hochprofessionell zu Werke zu gehen, war für den Deutsch-Rap und –Hip-Hop der mittleren 2000er längst Gang und Gäbe und selbstverständliches Geschäftsgebaren! Das Stück, mit dem wir es hier zu tun haben, handelt von einer Femme Fatale ohne Präzedenzfälle, an der sich sämtliche Männer, die sich für gewiefte Checker hielten, die Zähne ausbeißen und in ihr Unglück rennen, während sie sich vor (Wiedersehens-)Sehnsucht regelrecht verzehren.

Ebenso ist dieses Stück in einem New Yorker Studio professionell gestaltet und gemischt worden: In einer fürs Genre Hip-Hop ungewohnten Weise, in einem ungemein poppigen, sommerfrischen Song, hört man Sommertrommeln, Akkordeon, Harmonika und Orgel machen das Musikwerk zu einem Polka-Samba-Pop-Gemisch, in dem die Rapper BORIS, BJÖRN und MARTIN von FETTES BROT mehr singen als rappen. Wiedermal zeigen sie sich als sehr experimentierfreudig und näher am sanften Pop, der eine Geschichte erzählt, statt nur mit dem bisschen Haben zu prahlen. Heutige Gangster-Rapper mit migrantischem Wurzelwerk tun dies ja regelmäßig. Schon 2001 nahmen FETTES BROT auf ihren Stil und die daraus in der rauen Rap-Szene resultierenden Vorwürfe, sie seien "Mädchen" oder "schwul"…Jaja, die Homophobie war (und ist, erst recht in Kreisen der muslimischen Migranten, in deren Augen Homosexuelle sowieso keine Menschen oder zumindest Ziel von offener Aggression und Animosität sind) ein beliebtes Stilmittel im Rap/Hip-Hop, auch schon zu Beginn der 2000er. Als Reaktion hatten FETTES BROT den Titel "Schwule Mädchen" angefertigt (siehe etwas weiter unten)… Diese Nummer würde sie auch nicht von diesen Vorwürfen, (zu) weich zu sein, freisprechen, was ihnen zum Glück scheißegal ist. Ähnlich wie DIE FANTASTISCHEN VIER kann man sich ja mal an anderem Stil versuchen…

"Emanuela" sticht schön hervor: Die Melodie ist geradezu einmalig-vollkommen, der Rhythmus geht tierisch ins Gebein, die Punchlines sind memorabel, die Soundsamples klug gewählt, an einer Stelle wurde beispielsweise aus einem alten DEICHKIND-Hit, nämlich "Limit" (siehe weiter oben), der Satz "Kannst du dir das bitte mal vorstellen?" entlehnt, der im Musikvideo auf die Lippen eines braungebrannten südländischen Busfahrers gelegt wird, ein besonders witziger Effekt.

Nun, so rennt die Band im Musikvideo in ihr Verderben (ein Meteorit kommt runter und erledigt das) – und im Lied die Typen, die sich für die großen Fraueneroberer halten, an dieser besonderen Frau jedoch scheitern müssen. Tragikomisch aber auch verrückt – eine unerfüllte, verrückte Liebe. Schmacht…

 

  1. FETTES BROT – "Jein" (1996)

Es ist nicht unbedingt nötig, sich das Musikvideo zu geben, in dem die drei Herren "Fetten Brote" als Tres Hombres (ZZ TOP, 1973) auf Eseln ein ein mexikanisches Dorf geritten kommen, die extrem attraktive Dorfschönheit, ein rassiges Latina-Girl, anhimmeln und es zu einigen Schießereien kommt, mit Waffen, die wie Möhren oder bloße Finger, zu einem Pistolenlauf geformt, aussehen, wo Glas zersplittert und die Sombreros riesig und ausladend sind und die falschen Bärte sehr gut sichtbar.

Das von charakteristischen Trompeten-Bläsern untermalte Lied könnte tatsächlich einem mexikanischen kulturellen Kontext entstammen, wäre es auf mexikanischem Spanisch gerappt. So handelt es sich um astreines (Nord-)Deutsch, es werden kleine Geschichten erzählt in jeder Strophe – von Leuten, die sich nicht entscheiden können zwischen Ja und Nein, zwischen verbindlichen Aussagen und Verantwortungsbewusstsein und bloßem Ausweichen gegenüber den Gefahren und Fallstricken des alltäglichen (Zusammen-)Lebens. In einer maximal mutigen Meistermischung aus norddeutscher Mundart, dem Platt des platten Landes und englischen Versatzstücken wird hier erzählt von einem Typen, dessen "Budget war klein" und dessen Freundin sich nun "inne Südsee" sonnt, ganz allein – und er ist frei, anderen Frauen hinterherzugucken. Eine kommt dann auf ihn zu und stellt nonchalant die unverblümte Frage: "Na Kleiner, haste Bock auf Schweinerei?", was eine etwas legere Aufforderung zum Geschlechtsverkehr (in diesem Fall wäre es Fremdgehen) ist. Doch er entscheidet sich für…jein…

Der Kumpel im Lied hat ein ähnliches Problem: Er steht leider nicht auf die Schwester seines besten Freundes, was ja kein Problem wäre, sondern auf dessen Freundin und große Liebe. Letztere will aber scheinbar den Kumpel eigentlich haben, doch davon weiß der "beste Freund" nichts, was den Kumpel in eine Zwickmühle bringt: "Und das ist auch der Grund, warum ich mich vom Schicksal gefickt fühle". Auch er tendiert zu einer Nichtlösung in der Mitte zwischen JA und NEIN.

Der Dritte-im-Bunde indes plant eine heiße, heiße Superfete, die "Feier des Jahrhunderts" – und jetzt ist die Frage, ob Herr SCHIFFSMEISTER (Künstlername eines der drei Rapper, nämlich des Herrn BJÖRN WARNS) mit zur Party kommt. Oder soll er doch, als gestandener Mann und Romantiker, bei seiner Freundin bleiben, einen romantischen Abend mit ihr verbringen, da sie ihn bittet, in dieser Nacht bei ihm zu bleiben?

Unterhaltsamer Hip-Hop, ein Vorzeigelied, das jede Topliste, auf die es kommt, voll verdient hat, zumal es auch nicht um ein leider allzu häufig beackertes Hip-Hop-/Rap-Feld geht, nämlich das allseits beliebte Dicke-Eier-Zeigen und "Ich/wir bin/sind der Größte/die Größten"!

Das Ganze war übrigens 1996, worauf auch gleich zu Anfang des Liedes hingewiesen wird. Auch dies eine musikalische Seltenheit, bei den COOLEN SÄUEN kommt es noch vor, da ist es ebenfalls 1996! Es war ein schönes Jahr – und man ist im Nachhinein stolz drauf, es gekannt zu haben. Schön wäre es, wenn das Schule machen würde, immer gleich die Jahreszahl zu nennen. Halleluja, ist das geil!

 

  1. FETTES BROT – "Können diese Augen lügen?" (1998)

Trompeter, Bläser wiederum, krasses Riff, zack, zack, geht's auch gleich zur Sache: "Hi Fans, Autogramme gibt’s später, uns holt der Teufel, euch der Sanitäter!" rappen sie gleich opulent und großmäulig los. In Bestform bieten die BROTE, die FETTEN, alles, was das Hip-Hop-/Rap-Fanherz begehrt: Fette, geile Reime, die sitzen, Sinn ergeben und wenig Luft nach oben lassen, die sprachlich wortspielend alles abgrasen, das nur möglich ist, Fanservice inklusive, Selbstreferenzen, Anspielungen auf andere Rapper. Dazu aktuelles Zeitgeschehen mit Witz: "Live an der Trompete: STEFAN MROSS" heißt es da, als Anspielung und Reaktion auf den Schlagersendungsmoderator und Trompeter MROSS, bei dem rauskam, dass er – angeblich – doch nicht Trompete spielen könne. "Selbst STEFANIE HERTEL findet FETTES BROT in Ordnung!" wird im Brustton der Überzeugung gesagt. Vergleiche, wie im Rap sowieso üblich, werden angestellt: "BRUCE LEE und CHUCK NORRIS – keiner rockt wie König BORIS" (Letzterer ist einer der drei FETTEN), denn früh übte sich: "Ich hab in der Schule schon geschockt auf meiner Blockflöte", dann werden riesige Fässer aufgemacht, immer mit der Pointe, dass "diese Augen" doch kaum lügen könnten: "JOE COCKER und Konsorten schicken uns Rockertorten zum Geburtstag – gern erinnern sie sich an unseren Auftritt in WOODSTOCK!" Dann geht’s ab ins All, der "Weiße Hai" aus dem berühmten STEVEN-SPIELBERG-Film von 1975 wird "en passant" gefangen ("neulich hab ich sooo 'n großen Fisch gefangen – Du redest um den heißen Brei – Ich rede von dem Weißen Hai!" – dann, man kann sich streiten über Geschmacksfragen, "im Nachhinein tut mir die Kleinigkeit mit der TITANIC leid!" – Tja, so kann man sich irren. Deutscher Hip-Hop war nie tot, er begann nur, ranzig zu riechen, nachdem alle Rapper einen auf Großkotz machten. Und wenn schon Selbstbeweihräucherung, dann in einem MÜNCHHAUSEN-artigen Supertrack wie diesem hier! Hut ab!

 

  1. FETTES BROT – "Mikrokosmonaut" (1996)

Nun, ich gebe es ungern zu, aber DCS (DIE COOLEN SÄUE) haben als Hip-Hop-Combo kolossal versagt: In ihrem "Reime, Räume und Zeiten" haben sie zwar viele Referenzen an STAR TREK und ein kleines Bisschen STAR WARS und andere Sci-Fi der gehobenen Klasse genannt, aber dieser fette Hip-Hop-Rap-Track hat mehr zu bieten, unter anderem Gaststars. Die tun im Rap immer gut: DENDEMANN (unter anderem solo unterwegs, bekannt für das Hip-Hop-Duo, die eine Hälfte von EINS ZWO, ist mit von der Partie, die Party wird komplettiert durch genial konstruierte Reime und jede Menge Anspielungen und das berühmte Sci-Fi-Namedropping, das schon DCS probiert hatten, aber nicht halb so ausgeprägt. Gäbe es eine Maßeinheit wie "Anspielungen pro Minute", wäre dieses Lied entweder Sieger oder eines der zahlreichen Hip-Hop-Lieder, die um Position 1 konkurrieren. Aber nein, es wäre sicherlich auf Platz 1. Inklusive PICARD-Samples ("Energie!") und anderer Geräusche aus dem fiktiven Space/Weltraum! Ein Lied, das schmunzelnd zurücklässt. Einfach genial.

 

  1. FETTES BROT – "Nordish By Nature" (1995)

Wäre es falsch, diesen Hit überhaupt nicht zu erwähnen? Mann, man kann doch nicht ohne es anfangen, wenn man über FETTES BROT schreibt! Dieses Lied ist der Initiationsritus dieser Band: Wie DIE FANTASTISCHEN VIER 1992 mit "Die da?!" ihren ersten großen Erfolg feiern konnten, geht es FETTES BROT hiermit so. Der Norden Deutschlands, mit jeder Menge schillerndem Lokalkolorit ausgestattet, erhält hier seine Huldigung, eine Art Lokalpatriotismus (für die Doofen: Das ist die Art Patriotismus, die in Schland noch erlaubt ist, ohne dass einen einer "Nozi" dafür zeiht) in Songförmchen gebacken. Das nordische Plattdeutsch wird hier frenetisch feierlich zelebriert, gemixt mit dem, das deutschen Hip-Hop einfach hammergeil macht! Nach der Initialzündung durch die FANTAs 1992, könnte man meinen, wurde Deutsch-Hip-Hop/Rap mit "Nordisch von Natur aus" nochmals neu erfunden. Auf dem Debütalbum "Auf einem Auge blöd". Der typisch nordische Wortwitz, das unheimlich Coole, mit Englisch angereicherte Sprachgewirr, die saustylischen Plattdeutsch-Spurenelemente und natürlich die das Ganze zum "Posse"-Track machenden Gaststars, allesamt norddeutsche Rapper, die in dieser Liste ebenso zahlreich auftauchen: TOBI & DAS BO von FÜNF STERNE DELUXE (siehe etwas weiter unten), JAN EIßFELD aka JAN DELAY (damals ABSOLUTE BEGINNER) und die Jungs von FISCHMOB (siehe ebenfalls ein Stückweit weiter unten) sind mit von der munter-launigen Partie und steigen ein in die liedgebackene Party, welche die Vorzüge des norddeutschen Lebensstils und insbesondere der Millionenstadt im Norden (Hamburg) aufzählt, in einer beeindruckenden gerappten Namedropping-Kaskade mit kühlem Reim. Der Freibeuter KLAUS STÖRTEBEKER wird gleich doppelt erwähnt, der "Hamburger Gruß" genannt ("Hummel, Hummel, Mors, Mors" lautet der), zwei der Strophen sind auf Plattdeutsch, dazu gibt’s eine Strophe auf Dänisch (als Gruß an unser nödliches Nachbarland) – und eine gibt’s dann, in der Extended-Version, auf Niederländisch. Die BEE GEES erfahren eine kleine Hommage mit ein paar Takten aus "Night Fever" – geniales Stück Hip-Hop. Das Intro ist entlehnt von einem Ausspruch des "Hamburger Originals" HENRY VAHL.

Der Songtitel spielt, nebenbei bemerkt, auf das 1988 gegründete, in den frühen 90ern auftretende Hip-Hop-Duo NBN an, ausgeschrieben: NAUGHTY BY NATURE. Das ist etwas für den Tanzfloor – und zwar golden und volle Pulle immer wieder!

 

  1. FETTES BROT – "Schwule Mädchen" (2001)

Schon vom Titel her unlogisch, das Paradoxon schlechthin: Frauen können ja gar nicht schwul sein, nur Männer. Frauen wären, wenn homosexuell, lesbisch. Doch diese Feinheiten interessieren niemanden. Was vielmehr flasht, ist dieser hammerharte, herrliche Text: So viele geniale Reime und Versstrukturen, mit denen man Felsen in akkurate dünne Scheiben schneiden kann! Die Drei Hip-Hop-Herren FETTES BROT (MARTIN VANDREIER, geborener SCHRADER alias DOKTOR RENZ; BORIS LAUTERBACH [zum Glück weder mit Schauspieler HEINER noch Corona-Chaostheoretiker KARL LAUTERBACH verwandt oder verschwägert!] alias KÖNIG BORIS; BJÖRN WARNS alias BJÖRN BETON oder SCHIFFMEISTER) beziehen hier auf ihre betont gewohnt coole Weise Stellung zu Anfeindungen aus der härteren Fraktion der Rap-Szene: Sie seien "Mädchen" und "schwul" und "zu weich" und einfach "Schwuchteln". All das gehässige Zeug, das in der oft machohaften Kultur des insbesondere migrantisch geprägten Gangsta-Raps auch heute noch zelebriert wird – übrigens weitestgehend toleriert aus den modernen Progressiv-Linksfraktionen, die sich sonst über vermeintliche oder tatsächliche Homophobie aufregen. Nun, FETTES BROT waren großmütig wie die FANTASTISCHEN VIER – und bügelten die Anfeindungen und "Kritik" damit ab, indem sie sich in ihrem Text scheinbar zu ihrem "Schwulsein" "bekannten": "Schwule Mädchen" eben. Dynamisch groovender, fetter Beat – die Fans werden mitgenommen auf eine Reise ins FETTE-BROTE-Universum. Eine ganz spezielle. Samples, eingesprochene Verse auf Russisch von einer Dame – Russisch, eine dieser Sprachen, die ich nicht verstehe. Schade, aber gerade das…Das Alarm-artige Geräusch im Hintergrund bringt die Show mächtig voran. Reimkaskaden brechen in Schwaden über einen herein. Nachgeladen wird jederzeit! Unbedingt weiterhören!

 

  1. FETTES BROT – "Sekt oder Selters" (1997)

Wieso gibt es eigentlich mittlerweile so viele gute Sommerhits auf Deutsch? Weshalb schafft praktisch jede Rap-Combo Deutschlands es, einen respektablen, veritablen Sommerhit mit spritzigem, eisgekühltem Getränkeflair zu schaffen, sodass man glaubt, Strandsand oder Freibadchlor zu riechen – oder vielleicht Meeresgeräusche hört, selbst wenn sie im Lied nicht vorkommen? "Das ist etwas für den Tanzflur!" heißt es zu Beginn – und die FETTEN BROTE wären keine gescheiten Brote, wenn sie nicht auch in einer Sommeredition erhältlich wären! Meine Güte, meine Herren! Ich fasse es nicht! Hier haben wir die ideale Grill-Situation: Man will im Garten ordentlich was machen. Man braucht dafür einen großen schönen Garten, mit Rasen, mit Pool oder wenigstens Planschbecken – und dann natürlich einen professionellen Grill, der nach heutigen Maßstäben ab 400 Euro aufwärts bis 1000 kostet und dann - ordentliches Grillfleisch, das diesen Namen verdient. Schön Nackensteak, von mir aus auch einiges Paprika- und sonstiges Grillgemüse und, naja, für die verweichlichte Vegetarier- und Veganerfraktion einige dieser zusammengesetzten Pampe-"Schnitzel". Los geht die Party, die Gartenfete, das Betanienfest. Geilomat, wenn man die richtige Mucke am Start hat. "Hey ho, in the Ghetto, heute lassen wir die Puppen tanzen wie Gepetto PINOCCIO – ich rock die Show incognito…" fängt alles maximalversprechend an. In beste Sommerlaune versetzt, kommen hier gleich die ersten Anspielungen, auf ELVIS PRESLEYs großen Hit "In The Ghetto", den Schöpfer des Lügennasenbären bzw. der "tanzenden" Puppe aus Holz, der immer die Nase anwächst, wenn sie lügt, GHEPETTO und Co. Es ist schön. Im Refrain dann die Anspielung auf "Der Teufel hat den Schnaps gemacht" von UDO JÜRGENS, allerdings ist es hier statt des harten Gesöffs der etwas prickelndere Schaumwein alias Sekt, der hier dem "göttlich" inspirierten SELTERS-Mineralwasser (ohne Schleichwerbung begehen zu wollen, aber man sagt ja im Volksmund auch SELTERS für Sprudelwasser, auch das, das nicht "durch einen tiefen Stein" muss…) gegenübersteht. Amen, liebe Leser, ich sage Euch: Es rockt fett! Der deutsche Hip-Hop hat sich zu einer ganz besonderen Meisterhaft-Kunstrichtung entwickelt, was maßgeblich den BROTEN, den FETTEN und den VIER, den FANTASTISCHEN zu verdanken ist. Dieser Sommerhit ist stark, wie alles, was die FETTEN anpacken. Wortspielakrobatik vom Feinsten, durchaus konkurrenzfähig (zumindest zu der Zeit noch) zu der schärfsten Konkurrenz aus dem Süden der Republik (DIE FANTASTISCHEN VIER aus Stuttgart). "Baby, lass das Denken nach – heute wird gerockt!" – das ist die Richtige-Einstellung! Und wieder wird ein kleiner Markstein gesetzt: Dieses Lied von FETTES BROT ist von 1997, "von '97 bis in alle Ewigkeit".

 

  1. FETTES BROT – "Silberfische in meinem Bett" (1996)

Als junger Dötz, kurz erst dem ABC-Schützen-Alter entgangen, frisch und fröhlich aufs Teenager-Alter zusteuernd, inmitten der Wirren der Pubertät, machte ich meine ersten Erfahrungen mit internationaler Musik, die in der Regel auf Englisch stattfand. Mit zunehmendem Alter und dem einfachen Oxford-Englisch meiner frühen Weiterführende-Schulform-Schulzeit im Anschluss an die Grundschule erschlossen sich mehr und mehr die Lyrics/Texte und Annehmlichkeiten der diversen Lieder, die ich hörte. Selbstverständlich war ich großer Fan der Musikkompilationsreihe BRAVO-HITS (eh ich, im reiferen Alter, zu den HITGIGANTEN und den Samplern der ULTIMATIVEN CHARTSHOW wechselte, den BRAVO-HITS für Erwachsene). Zu der Zeit, als dieses Lied herauskam, gab es gerade einmal 16 davon (mittlerweile bewegen wir uns auf die 120 zu, die 117 ist neulich erst rausgekommen). Natürlich gab es in den 1990ern wieder eine erfrischende Tendenz, dass auch schöne deutschsprachige Lieder in den Charts reüssieren konnten. Dementsprechend waren sie auch auf den zeitgeistig relevanten BRAVO-HITS drauf, etwa dieses Lied hier. Es war mir eine Freude, ein Novum war's für mich, auch inhaltlich. Es war eine behutsame Heranführung an Deutschrap, der sanfte, fluffige Flow mit albern-pfiffigem Spaßfaktor tat sein Übriges, thematisch ist es superlustig. Erzählt wird hier eine skurrile Geschichte aus Sicht des "KÖNIG BORIS", also eines der drei Mitglieder der FETTEN BROTE. Wie ein roter Faden, wie ein grauenvolles Symbol oder Totem aus einer Unterwelt der Hölle ziehen sich überall die fiesen kleinen Schädlinge durch: Silberfische. Keine Fische, die schwimmen, aber kleine Parasiten, die sich durch unsaubere, feuchte Stellen in Häusern und anderswo bewegen. Sie lieben es feucht und dunkel. Zwar für den Menschen, im Gegensatz zu Ratten, Kakerlaken und Co ungefährlich, aber nicht besonders hübsch anzusehen. Der Protagonist im Lied sieht sie immer und überall, als Vorboten oder Verbindungsstücke zu seinem Unglück. Zunächst fängt der Tag mies an, er vergisst den Regenschirm überall, wird vollgeregnet, hat die Erfrischungsbonbons vergessen und wird im Bus wegen seines Mundgeruchs gemieden, kommt am Tonstudio an, wo er sich mit seinen beiden Bandkollegen treffen wollte, doch…sie sind nicht da. Dann wird er auch noch von der Polizei angehalten, als er "umweltbewusst" sein Fahrrad nimmt statt des ÖPNV, dem er fürs Schwarzfahren schon 60 Piepen latzen musste. Angeblich soll er Autos aufgebrochen haben und dafür gäbe es "Zeugen und stichfeste Beweise". Okay…Am Ende dann, mit ungewissem Ausgang, landet er einstweilen in der Gewahrsamszelle – ob er wieder freikommt, ist fraglich. Die Albumversion (auf dem Album "Außen Tophits, innen Geschmack" (1995) gibt noch weitere Einblicke in den Tagesablauf des ganz und gar nicht perfekten Tages, als der Protagonist auf einer Gartenparty alles vollkotzt, wobei dann Silberfische auf den Baguette-Resten sitzen…Fürchterlich.

Gut, Derartiges hab ich noch nie gehört – zuvor nicht und auch nachher nie. Wann wurde schon mal über Ungeziefer auf diese seltsame Weise gerappt/gesungen? Wann wurden diese Biester je in eine Art Grusel-Horror-Story mitten ausm Leben verpackt, etwas Skurriles, das fast jedem passieren hätte können, wenn er…Nein! Niemandem würde sowas passieren! Schöne Geschichte trotzdem, für die deutsche Musikgeschichte geeignet. Es mag sein, dass es noch dieses spanische Lied über "La Cucamarcha" gibt, also "die Küchenschabe", aber das ist meines Wissens alles, was man dazu so hat. Auf diese Weise kriegt das nur eine deutsche Band hin. Ein Spaßsong für die ganze Familie!

Übrigens: Die Textzeile "Jungs, hört mal zu, gebt mal Ruh, checkt den Clou! – Ihr labert alle Kacke!" verballhornt "Ja klar!" von SCHWESTER S. (SABRINA SETLUR), wo es heißt: "Jungs, hört mal zu, gebt mal Ruh, checkt den Clou! Ihr labert beide Kacke!" – "SCHWESTER, keine ist wie du!"…

 

  1. FETTES BROT – "Viele Wege führen nach Rom" (1998)

Wer es romantisch mag: Die BROTE konnten auch romantisch. Diese ungemein poppige Nummer, die mehr gesungen in Harmonie als gerappt wird, verbreitet italienisches Flair (auf der Single gibt es auch eine italienischsprachige Version für die Fans), handelt das klassische Sprichwort gekonnt ab und konstatiert: "Was sollen wir denn in Rom – wir können uns auch hier Pizza bestellen!" – Richtig, in Zeiten von LIEFERANDO & Co. allemal – doch immer noch günstiger sind selbst die teureren Varianten von DR. OETKER, WAGNER oder die Billig-ALDI-Eigenmarke MAMA LUCINI, 2,59 Euro zurzeit – für ein Zweierpack – in den Sorten Spinat & Käse, Vier-Käse, Champignons, Hawaii, Schinken, Salami, Thunfisch (Tonno) – und die klassische Margharita sogar im Dreierpack für gerade mal 1,99 Euro. Das ist überaus fair. Und wenn man auf Liebe steht und auf all das Brimborium drumherum, muss man dieses Lied in besonderer Weise würdigen, auch sprachlich wiedermal und sowieso historisch! Würdig dieser Topliste wie jedem anderen Connaisseur zu empfehlen! Es ist ein kleines Meisterstück Pizza. Akkurat geschnitten, mit vielen tollen italienischen Würzzutaten drauf.

                                                                                                                  

  1. FETTES BROT (MIT FINKENAUER) – "An Tagen wie diesen" (2005)

Fruchtbare Zusammenarbeit gibt es häufig, auch in der deutschen Musikgeschichte sind Duette oder die Zusammenarbeit zweier oder mehrerer Musikgruppen oder einer Musikgruppe mit einem Einzelkünstler keine Seltenheit, sondern häufig Selbstverständlichkeit! Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen FETTES BROT, einer der bekanntesten und besten Hip-Hop-Combos Deutschlands, begann mit diesem Lied unter anderem: Der Refrain wird von PASCAL FINKENAUER, einem Typen mit sanfter aber irgendwie reizend gleichgültiger Stimme, feierlich intoniert, die drei Jungs von FETTES BROT steuern die gerappten Strophen bei: Es geht um die Armut in der Dritten Welt und den Wohlstand der Ersten Welt. Wie sooft oder meistens wird dabei einseitig darauf insistiert, dass wir von diesem Armen-Teil der Welt profitieren, während sie immer mehr leiden und durch uns eben nicht profitieren, wir ihnen grundsätzlich nur schaden. Ob das stimmt oder nicht, sei dahingestellt. Dass wir uns unseren Wohlstand durchaus erarbeitet und Menschenrechtsstandards haben, um die uns der nicht so zivilisierte Teil der Welt beneidet, spielt natürlich keine Rolle. Es wird geschildert, wie es Menschen weltweit schlechtgeht, wie es immer schlimmer wird (angeblich), die Hoffnung ist ziemlich lose bis unvorhanden. Dazu Terrorangst, der tragische Verkehrsun- und Todesfall einer Nachbarskatze, die Abstumpfung gegenüber dem Leid der Welt, ein Terroranschlag… Es ist dramatisch – und zutiefst traurig. Mich rührt es immer zu Tränen, wenn es zu den echt heftigen Passagen kommt, das Lied geht an die Nieren. Ein schönes Lied, natürlich mit etwas einseitigem Einschlag, doch auch mit viel Wahrheit und Bedenkenswertem drin, somit umso wertvoller, auch pädagogisch. Das genauer zu beurteilen, bleibt jedoch jedem Höhrer überlassen.

 

  1. FETTES BROT (MIT FINKENAUER) – "Ich lass dich nicht los" (2008)

Modernere Zeiten, modernere Themen, auch und gerade in deutschen Wohnzimmern und Tonstudios. Ehemalig feine deutsche Rap-Combos wie FETTES BROT (bevor sie irgendwelchen hohlen, oberflächlichen Schwarz-Weiß-Weltsicht-Schwachsinn mit "Du driftest immer mehr nach rechts" oder solcherartiges gemacht haben) nahmen sich auch ernster Themen an. Nachdem sie mit dem mit einer sanft-schönen Schmeichelstimme, die dennoch eine indifferente, kühle Attitüde aufweist, Gesegneten bereits das oben zu lesende "An Tagen wie diesen" aufgenommen hatten, wo sie die Strophen rappten und der den Refrain sang, herzergreifend, gab's noch ernstere Topoi. Dem großen gesellschaftskritischen Rundumschlag, der unsre Westliche Welt als dekadent, verfressen und (zu Unrecht) reich und gleichzeitig gleichgültig beschrieb, sodass er aber zu Herzen ging, folgt ein noch heftigerer Titel, der unter die Haut geht. Und dort für Gänsehaut und aufgestellte Nackenhaare sorgt.

Auch an unserem schönen, eher gemächlich-gemütlichen Land ruhiger Sittlichkeit geht das Internetzeitalter nicht spurlos vorüber. Dementsprechend finden Spielarten übelster Verbrechen gehäuft online statt. Nicht nur der Betrug wurde von professionellen Halsabschneidern, häufig aus armen Ländern Afrikas (Stichwort: "Nigeria-Connection"), ins Internet verlagert, häufig natürlich in Verbindung mit Telefonie, nein, auch das sexuelle Annähern und psychische Belästigen (neudeutsch, in unsrer anglophilen Art "Stalking" genannt) finden zunehmend von dortaus statt. Früher mussten Frauenbelästiger und spätere Vergewaltiger, häufig in Verbindung mit Mord, noch in der analogen Welt aktiv werden und Frauen zunächst einmal offen persönlich ansprechen. Da bestand noch die Chance, dass die Angesprochenen eine klare Abfuhr erteilten. Doch heute ist es anders: Online ist vieles möglich. Und auf welch tragische und kriminelle Weise so etwas enden kann, beschreibt dieses Lied plastisch überdeutlich. Im Gegensatz zur ersten Kollaboration der dreiköpfigen Hip-Hop-Combo FETTES BROT mit dem Sänger und Songschreiber PASCAL FINKENAUER, singt er diesmal alles ganz allein, er rappt es nicht. Musikalisch handelt es sich also nur noch bedingt und von der Reimstruktur her um ein halbwegiges Hip-Hop-Lied. Er spricht aus der Sicht des Killers, was das Ganze unmittelbar erfahrbar macht, auf ähnliche Weise wie viele Jahre zuvor (in den 80ern) die BÖHSEN ONKELZ bei "Der nette Mann". Dafür kassierten sie eine Indizierung, denn die ungewohnt schonungslose Perspektive, sich in Ich-Form in den Kinderkiller zu versetzen, war der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften/Medien damals noch zu viel. Ebenso wie bei DIE ÄRZTE und ihrem "Schlaflied" sowie "Geschwisterliebe" (siehe beides weiter oben) verstand die zensurwütige Behörde die überzogene Ironie in diesen Liedern nicht – und dass manchmal die Ich-Perspektive eben nicht Zustimmung bedeutet, sondern beim Hörer noch mehr Abscheu gegenüber Tätern übler Taten erzeugen soll.

 

Nun, in diesem Lied ist es wiederum die Ich-Perspektive – eines jungen Typen, der schwerstgestört ist, der psychisch total abdreht und die Frau seiner Anbetung später dann im Real-Leben überfällt und brutal umbringt. Letztere Tat wird nur subtil angedeutet, das Lied stoppt dicht vor dem, was dann passiert. Das Kopfkino des Hörers tut jedoch sein Übriges und setzt interpretierend das letzte Puzzleteil ins Gesamtbild ein.

Zunächst fängt es harmlos an: Man "trifft" sich in einem Online-Chat, "freundet" sich an, der Mann interpretiert zu viel in die Reaktionen der Frau hinein, denkt, sie wolle was von ihm, die Liebe oder (oberflächliche) Verliebtheit beruhe auf Gegenseitigkeit… Der Kerl findet die Adresse der jungen Dame heraus, stellt ihr nach (ein Nachsteller = ein Stalker), sieht sie mit ihrem Freund…In diesem Fall "weiß" er, dass die junge Frau einen "Wichser" als Freund hat, dass sie, als sie mit ihm zusammen dem Stalker begegnet ("zufällig"), "nur so tut", als empfinde sie nichts – und wie sie dann sogar die Polizei holen muss… Das alles steigert sich bis zum bereits erwähnten Finale… Ein absolut heftiges Lied über ein krankes männliches Schwein!

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