Karl-Konrad Knooshood

Deutschsprachige Musikwunder 27 - Buchstabe G 281 bis G 292

 


 

 

  1. GÄNSEHAUT – "Karl, der Käfer" (1981)

Die Band die heißt wie das, was ich an Frösteln empfinde, wenn ich an gruselige Dinge wie etwa ANNETTA KAHANEs Knitterfaltenfresse denke, wenn mir ein kalter Schauer über Rücken und Arm-Haut läuft, sodass sich die sog. "Gänsehaut" bildet! Diese Band kommt aus Köln, besteht aus WOLFGANG HIERONYMI, dem Sänger und zwei weiteren Bandkollegen – der Sänger hat einen ganz schön starken Dialekt, den ich im Osten Deutschlands verorten würde. Und zwar eine der östlichsten Ecken, nämlich Sachsen oder so. Finde ich. Hört sich für mich so an. Die Drei befassten sich damals sehr mit Umwelt- und ein wenig Sozialkritik. In ihrem bekanntesten Song geht es um Umweltzerstörung durch Waldabholzung, was exemplarisch einem Käfer "mit Namen KARL", der dort im Wald seinen Lebensraum hatte, seine Heimat quasi, derer er beraubt wird. Zu Zeiten, als das "Waldsterben" großes Thema war, die nächste große Panik, die dann nicht ganz so real eintrat, wie es viele befürchtet hatten (zum Glück) – ähnlich übrigens, wie es mit dem Klimawandel laufen wird. Ganz davon abgesehen, dass es immer schon Wandel im Erdenklima gab. Es gab, nachweislich, wärmere und empfindlich kalte Phasen. Falls die Spezies Mensch eines Tages aussterben sollte, werden es andere Gründe sein, die in ihren Eigenschaften als menschliche Wesen an sich liegen.

Die Protestliedgruppe, die nachträglich der NDW zugeordnet wurde aber durchaus noch etwas Anderes an sich hat, arbeitet hier mit einem Keyboard am Start, aus dem fast die ganze Instrumentierung des Liedes besteht, die Melodie ist dem Anlass entsprechend dramatisch gestaltet. Es ist eines meiner Lieblingsprotestlieder, das mir immer leichte, vornehme Feuchtigkeit in die Augen treibt, wenngleich ich nicht gleich ein Flüsschen oder einen See zusammenheule. Ich habe meine Tränenkanäle jederzeit unter Kontrolle. Eines der wichtigsten Umweltschutz- und gegen die "Blechkäfer" (VW KÄFER), die hier auch erwähnt werden. Eines der schönsten Protestlieder. Geschichtlich wichtig hier! Ab auf meine Liste!

 

  1. GAUTSCH – "König des Pop" (1997)

GAUTSCH war ein lässig-lockerer deutscher Indie-Pop-Macher und –Musiker (1997 bis 2001 unter diesem Namen), der heutzutage unter dem Pseudonym MALENTE als DJ unterwegs ist. Ein Mann mit markanter Stimme, der diesen Indie-Pop mit seinem Sprechgesang garnierte und seine Lieder überwiegend aus Sound-Samples (also kleinen Schnipseln aus Musikstücken) zusammensetzte. Dabei kam etwa diese locker-leichte Calypso-Pop-Hip-Hop-Mischnummer heraus, die ein kleines Meisterwerk darstellt. Samples, kleine, lustige Hörspiel-Ausschnitte (ebenfalls Schnipsel) sind die wesentlichen Zutaten, neben exzellenten Reimen und einer stringenten Straight-Forward-Vorgehensweise. Natürlich ist klar, dass dieser GAUTSCH, den selbst in den 90ern kaum jemand kannte, dessen wenige sehr amüsante Lieder ("König des Pop", "Ravemädchen", "Zensur macht das Leben leicht") ungerechterweise keine höheren Chartspositions-Weihen erlangen konnten, nicht selbst gemeint ist mit dem "König des Pop", auch nicht MICHAEL JACKSON, der 2009 leider verstorbene "King Of Pop". Er versetzt den Hörer in der Ich-Perspektive jedoch in solch eine Person, die sich für den größten Popper oder Rapper hält. Damit verarscht er zugleich spiegelvorhaltend die großen Rapper, die sich in ihren Liedern oft selbst beweihräuchern und über 'n grünsten Klee loben.

Damals aktuelle Zeitbezüge, etwa über die frisch (1996) getrennte beste Boygroup, die es je gegeben hatte (TAKE THAT), werden selbstverständlich klug eingeflochten: "Ich bin der König des Pop – und meine Texte sind so gemein wie TAKE THAT über ROBBIE motzt". ROBBIE WILLIAMS war damals aus der Band ausgestiegen, da er sich nicht an Regeln hielt und es wohl von beiden Seiten böses Blut gab. Er legte daraufhin bekanntermaßen eine mehr als beachtliche Solokarriere hin, war zwischenzeitlich wieder Mitglied der wiedervereinigten TAKE THAT (in den späten 2000ern) – und ist jetzt wieder allein unterwegs (bisher aktuellstes Lebenszeichen ist sein gegen Ende 2020 erschienenes Weihnachts-Konzeptalbum "The Christmas Present", mit nachgesungenen Weihnachtsklassikern, aber auch etwa dem sehr bedenkenswerten "Time For Change").

Die Spitzenreime setzen sich fort, man könnte meinen: "I'm a fox", wenn er reimt "so sicher wie Fort Knox", wonach nicht der Fox kommt, auch nicht die Vox, sondern ein Hörspielausschnitt: "Ich bin ein Fuchs!" – clevere Wortspiele sind also längst eingepreist bei diesem Lied. Gepriesen sei es auch sonst, es ist unterhaltsam, hörbar, schön melodisch, feiner, astreiner Pop, der wie Öl runtergeht und nicht verletzt – und jedes verfügbare Lächeln auf schmunzelbereite Wangen zaubern kann. Wie viele Songs, gerade auch schon in der Endzeit des 20. Jahrhunderts, fiel dieser hier unter den Basteltisch wie ein überschüssiger Schnipsel, da es auch jede Menge gab – und auch die deutschen Charts seit jeher von der englischen Sprache dominiert sind. Was nicht schlimm ist, nur: Dabei geht viel Wertvolles in der eigenen Sprache verloren. Dieses Juwel wäre eines davon.

 

  1. GAUTSCH – "Ravemädchen" (1997)

Kein dancepop-artiger Calypso-Hip-Hop-Mischling diesmal. Ein Mädchen, das Herr GAUTSCH beobachtet, wie es ekstatisch abtanzt, wohl voll auf Droge, auf XTC oder Amphetaminen oder anderen "Partyvitaminen", könnte man vorsichtig annehmen, es wird nicht genau verraten. Der Liedprotagonist möchte der jungen Dame gern helfen, fordert sie flehentlich dazu auf, doch mal stillzuhalten, "doch sie blieb weiter in Bewegung – wie 'ne Leuchtreklame – Irgendwie musste ich sie retten – sie fiel zu sehr aus dem Rahmen!" rappt er Mann munter und mutig, entschlossen, ihr zu helfen. Die Dame ist zu hören, eine Frauenstimme auf jeden Fall, die sich gegen seine Einwürfe verbal wehrt, denn sie selbst bemerkt nicht, in welch außergewöhnlichem Zustand sie sich befindet – und dass sie irgendwann entkräftet zusammenbrechen könnte.

Das Lied rödelt gemütlich vor sich hin – und wieder stimmt alles: Die Hookline, die Melodie, auch wenn das Lied irgendwie langsamer ist als "König des Pop", immer noch aber zum Mittanzen geeignet. Das kaum 2-ein-Viertel-Minuten lange Stück ist Indie-Pop vom Feinsten und geht nicht mehr so schnell aus dem Gedächtnis. Gedächtnis hat es auch verdient – kollektives, geschichtliches nämlich, wie sämtliche Lieder dieser Liste. Hervorragend.

 

  1. GAUTSCH – "Zensur (macht das Leben leicht)" (1997)

Ein Song, den ich am liebsten den politisch Verantwortlichen geben würde, die restriktive, drakonische Anti-"Hass"-Gesetze (also Meinungsunterdrückungsgesetze wider alle nichtlinke Ansichten) verabschieden, mit denen sie die Zensur geschickt auslagern, indem sie die Anbieter großer sozialer Netzwerke und Videoplattformen dazu nötigen, auf Nummer Sicher zu gehen, um Strafzahlungen in Millionenhöhe zu entgehen. Was dazu führt, dass diese Unternehmen die größten digitalen Löschorgien und Säuberungsaktionen (anders kann man es nicht nennen) seit Erfindung des Internets durchführen. Wohlbemerkt: Wir sprechen hier nicht vom Darknet, in dem tatsächlich abscheuliche Dinge wie Waffenhandel, Drogenhandel, Kannibalismus-Foren und Kinderpornografie kursieren – und der krasseste verfügbare Hass des Planeten, sondern vom normalen zivilen Internet!

Dem ist Rechnung zu tragen: Wie schlecht, schlimm und scheußlich jegliche Zensur ist, anstatt einfach darauf zu vertrauen, dass das beste System, die beste Ansicht, das beste Argument sich durchsetzen möge, gleich, ob es nun links oder rechts, progressiv oder konservativ sei!

In diesem Lied wird dies getan, wobei in den ultrafreien, superliberalen Schönheitszeiten namens 1990er natürlich auf historisch ganz andere Sachverhalte Bezug genommen wird: Der Anlass war damals eher ein Vorstoß gegen Pornografie (keine Kinderpornografie, um das von vornherein klarzustellen, denn die sollte durchaus eingedämmt werden, oder ganz gebannt!), die angeblich in Comics vorkommt. Damals, Mitte der 90er, wurden die Geschäftsräume eines Comicverlags durchsucht. Einer, der weder rechts oder rechtsradikal war und entsprechende Schriften vertrieben hätte, auch keiner, der links oder linksradikal gewesen wäre und entsprechende Schriften verbreitet hätte, nein. Auch versteckte man dort keine noch nicht hops genommenen Ex-RAF-Terroristen. Es ging nur drum, dass der eine oder andere Comic angeblich schlüpfrige Szenen enthielte. Nun, diese Zensur- und Durchsuchungsaktion, wurde damals in linken Kreisen noch mit Empörung (!) aufgenommen, weshalb der Sampler "Zensur?!" entstand, auf dem verschiedenste renommierte deutsche Bands ihren Beitrag leisteten. Unter anderem auch der coole "König des Pop" GAUTSCH.

Der mischt wiedermal diverse Ausschnitte, Schnipsel und Soundeffekte – und baut aus ihnen einen Indie-Rock-Track, der deutlich heftiger abgeht als seine beiden anderen hier aufgeführten Lieder: Ein starker Rumpel-Beat, deutlich rockiger. Samples en masse: "Ich hab 'ne Überdosis, Überdosis!" brüllt jemand anfänglich im Hintergrund, dann legt der augenzwinkernde Großmeister der Ironie namens GAUTSCH seinen Hörern die Lösung nahe: "Zensur – macht das Leben leicht – Zensur – macht die Zähne weich – Zensur – macht die Reichen reich…" – Ja, GAUTSCH wirbt für die große Generalzensur, als sei sie der nächste große, hippe Shit! So muss das! So ironisiert, persifliert und verurteilt man Zensur – und dementiert ihre Akkuratesse! Ein wichtiges Lied, das man den politisch Zensurwilligen und Zensurfans wie HEIKO MAAS & Co. um die Ohren klatschen sollte – und den ganzen Bundestag 24/7 damit beschallen! Dessen Text man als Flugblatt in Massen abwerfen sollte und die Deutschlandzentrale eines jeden Sozi-Netzwerk-Anbieters damit tapezieren! Zensur ist scheiße! Zensur gehört abgeschafft! Und an all die Zensurliebhaber und die Politiker, die verantwortlich zeichnen für die entsprechenden Gesetze: Fickt euch und verreckt!

 

  1. GEBRÜDER BLATTSCHUSS – "Kreuzberger Nächte" (1978)

Einer der größten Saufsongs und eines der bekanntesten und gern mitgegröltesten Lieder bei mehr als 1,5 Promille – und zwar mindestens deutschlandweit – oder sogar im gesamten deutschsprachigen Gebiet. Als sich die GEBRÜDER BLATTSCHUSS ("Brothers Grimm" "Brothers Chest Hit") anschickten, ihren Blattschuss zu vollziehen, war noch nicht zu erahnen, welch überwältigender Erfolg es werden würde – kometenhaft der Aufstieg des Songs – rasch und unerwartet wie ein Hexenschuss. Berlin-Kreuzberg gilt wohl als der sündige, dekadente Saufstadtteil, zumindest in diesem Lied, wo man in paradiesischen Zeiten lebte: Die Autos durften noch stinken, die GRÜNEN waren noch kein Thema, da diese ungewaschen-verfilzte Gurken-Vollspatentruppe aus gammeligen Hippie-Komposthaufen-Resten-Ökömöke-Spacken sich erst 1980 virusartig ins Bundesparlament hineingeschissen haben. In Kneipen durfte man noch rauchen, ja, tatsächlich. Nirgendwo Rauchverbote, weshalb diese dunklen Spelunken allein schon durch die Schwängerung mit Rauchschwaden, kaum in Konturen erkennbar waren (Sichtweiten unter einem Meter) – und Bier, Korn, Schnaps und billiger Bocksbeutel-Wein flossen in Strömen.

Am schönsten finde ich den Teil mit dem: "Nur im Magen fühle ich mich nicht so recht – eins von den 30 Bierchen gestern war wohl schlecht!" – Wie hier die Auswirkung von der Quantität auf die Qualität eines einzelnen Bieres geschoben wird – immer wieder zum Piepen!

Zum Piepen sollte der ursprünglich als Parodie auf Stimmungshits als Soundtrack zum Komasaufen auch sein – und verwandelte sich ironischerweise selbst zu einem krassen Gassenhauer. Immer wieder beliebt, ein Klassiker der Band als "Rausschmeißnummer" am Ende eines Konzerts. Meisterschuss. Spitzenhumor in Liedform!

 

  1. GEIER STURZFLUG – "Besuchen Sie Europa – solange es noch steht" (1983) 

Zu diesem Lied kenne ich nur eine Einschätzung: Ja, kommen Se nach Europa, solang man es noch wiedererkennt. Kommen Se vor allen Dingen nach Deutschland, solang es noch in irgendeiner Weise wiederzuerkennen ist. Durch die kontinuierliche Penetration aus Islamistan (den Teil der Dritten Welt, der islamisch versaut ist) wird es hier allmählich immer stärker islambeeinflusst, sprich: Es droht die Islamisierung. Die schleichende, es ist ein Prozess von 20-30 Jahren, meiner Schätzung nach, falls es so weitergeht wie bisher. Dennoch: Auch die ganze Genderquatschigkeit und die Deindustrialisierung zur "Bekämpfung des Klimawandels" und die Pandemiepanik, die zur Staatsräson (erklärt) wird, die massiven Einschränkungen in allen Lebensbereichen und der Lebensqualität, die auf uns alle zukommen… Ich weiß echt nicht, ob Europa noch lange auf diese Weise existieren wird, wenn es so weitergeht, wie es die GRÜNEN und sonstige linksextreme Parteien planen und goutieren würden – selbstverständlich nicht für sich selbst. Nur der "billige Pöbel" (97% der Bürger) muss leiden. Damals ging es natürlich noch um Aufrüstung, Nukleargefahr und ein paar andere Problemchen… Ja, insofern: Ab auf den Player das Liedchen!

 

  1. GEIER STURZFLUG – "Bruttosozialprodukt" (1983) 

Auch längst zum Stimmungshit-Gassenhauer für Dauersäufer, Partyhengste und Feten-Kreuzritter verkommen, handelt es sich doch um ein typisches GEIER-STURZFLUG-Söngchen vom Feinsten: Die Sozial- und Gesellschafts- sowie Kapitalismuskritik ist verpackt in ein vordergründig stimmungsvolles Lied ohne tiefere Bedeutung. Tiefere Bedeutung befindet sich aber in beißender Spott-Ironie: Das heutzutage "Bruttoinlandsprodukt", also sprachlich verwässert, genannte Ding ist die Gesamtheit der Wirtschaftsleistung eines Landes, der Mehrwert, den alle Arbeitnehmer und sämtliche Tätigkeiten, insbesondere die produzierenden, schaffen. Der ist im Kapitalismus (siehe FUNNY VAN DANNEN) nun mal wichtig, denn das Mantra vom ewigen Wachstum ist zwar unrichtig, aber immer wieder einmal am Start. "Jaja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt – wir steigern das Bruttosozialprodukt!" heißt es, die Ironie und der bissige Kommentar zur Lage in einer großen Industrie- und Wirtschaftsnation kommen in manchen Zeilen ebenso durch wie beim untenstehenden "Pure Lust am Leben" von derselben Band. Wenn es etwa heißt, dass der Opa am Wochenende in die Fabrik eindringt, um dort Sonderschicht zu machen – und Oma sich um ihn sorgt, so ist das äußerst unmissverständlich, in welche Richtung es geht. Auch die sexuelle Konnotation hinter "…und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stöhnt" und anderen angedeuteten Bewegungen ist beabsichtigt – und auch die Passage mit "Sie amputierten ihm sein letztes Bein – und jetzt kniet er sich wieder mächtig rein!" ist mehr als amüsant aber unterm Strich ernst und anklagend. Wenn jemand sich nur noch "reinknien" kann…

Der Weihnachts-Konsumstress ist natürlich ebenfalls Thema – und dass die Müllabfuhr ihrer segensreichen Tätigkeit nachgeht, "den ganzen Plunder" zu holen. Angeblich soll sich diese Liedpassage angehört haben wie "und holt sich einen runter". Ich kann dies bei noch so häufigem Hören nicht bestätigen. Es ist ein weicher Laut, kein T, sondern ein D. Absichtliches Songtext-Missverstehen ist nicht okay. Amüsantes Lied, ernster Hintergrund. Prost und Ciao.

 

  1. GEIER STURZFLUG – "Pure Lust am Leben" (1984) 

Eh es zum "Geile[n] Leben" kommt, wird die "pure Lust" an der Existenz frenetisch zelebriert. Eigentlich ist alles scheißegal in diesem NDW-Klassiker der Bochumer Band um FRIEDEL GERATSCH, den Musikanten mit dem markanten Proll-Organ. Jaja, sie waren Schelme mit einem dicken Schalk im Nacken, doch ihre Themen waren ernst: Die Gesellschafts- und Sozialkritik kam bei ihnen meist unverkrampft zwangslos daher, in mehr oder minder partytaugliche, eher lustige Texte und witzige Ulk- und Krawallkarneval-Melodien verpackt. Das machte diese Band (nicht unbedingt als einzige NDW-Combo, aber eine der am deutlichsten mit dieser Attitüde ausgezeichneten) zu einem spannenden Projekt: Alberne, lustige und lächerliche Schlager- und Deutschrock-Spielweise – und die Ironie, die aus jeder Zeile trieft wie das überschüssige Öl an einem FORMAN-Grill hinab. In "Pure Lust am Leben" werden viele Probleme der 80er verarbeitet: Der Liedprotagonist, so der Story-Dreh, fordert irgendeine Obrigkeit (vorzugsweise die Regierung und gerissene Großkonzerne) dazu auf, ihn mit alldem Zeug zu belästigen, das schon damals problematisch war – denn die "pure Lust am Leben" ist das "ein[e]", das "mir keiner nehmen" kann. Ob Atommüll-Endlagerung, Spitzeleien und Denunziantentum ("zieht euch meine Oma – zu Spitzeldiensten ran"), Umweltgifte ("Verseucht mir meinen Garten – mit Schwefeldioxid"), Tierversuche ("Schlachtet meine Katze – zum Wohl der Medizin", Raubbau an Natur und Mensch ("Baut mir durch die Küche – noch 'ne Autobahn"), Folter – und Drogenexperimente ("schneidet mir die Haare – und zieht mir noch 'nen Zahn"), ("verpasst mir Ephedrin") und noch mehr – und nach alledem: "Eins kann mir keiner nehmen – und das ist die pure Lust am Leben!" – Übrigens hatte dieses geile, mitgrölbare und trotzdem tiefsinnige Anti-Atomkraft- und gesellschafts- und politikkritische Lied durchaus mehrere Leben: Zu jeder amtlichen Party mit wirklich guter Musikwahl gehört es dazu, auf Hochzeiten hab ich's schon gehört – und meine Generation kannte es auch in- und auswendig, wir haben dazu in unserer Disco- und Zeltpartyphase abgetanzt. Obwohl ich also erst circa zu der Zeit geboren wurde, als das Lied herauskam, lernte ich's nicht nur durch Radiowiederholungen oder sonstige Wege kennen, sondern auch als generationenübergreifendes Sauflied. Letzteres zu sein, hat es nicht verdient, es ist einfach so viel mehr. Würdig der Annalen jeglicher Musik auf diesem Planeten.

 

  1. GEORG KREISLER – "Tauben vergiften" (1983) 

Der berühmte kontroverse österreichische Liedermacher war für seine galligen, bissigen Satiretexte bekannt, in denen er die nicht nur typisch deutsche, sondern auch typisch österreichische Spießigkeit scharf auf Kimme und Korn nahm und mal grob, mal fein sezierte, regelrecht durch den rhetorischen Fleischwolf drehte. Dass sich altdeutsche Spießigkeit nicht unbedingt maßgeblich von der österreichischen unterscheidet, dürfte klar auf der Hand liegen, wenn man bedenkt, dass beide Kulturen sich ähnlicher sind, als es vielleicht stinkstiefelige und miesepetrige Zeitgenossen auf beiden Seiten lieb ist. Dieser Song von KREISLER ist der bekannteste, er spielt mit makabrem und diffusem, schwer nachvollziehbarem Hass gegenüber Tauben. Die oftmals als "Ratten der Lüfte" bezeichneten Tiere, die eigentlich sehr edle, für Vögel sehr kluge Lebewesen mit sehr guten Augen und liebenswertem Äußeren sind, werden hier zum Objekt fieser Mitmenschen, denen es eine Freude ist, in den Park zu gehen und die Tauben nicht zu füttern (oder die Enten), sondern ihnen etwas Toxisches zu geben, an dem sie elendig verrecken. Geschmackvoll ist das nicht, doch der sich selbst als Anarchisten betrachtende Meister der Sprache, Wortspiele und des tiefsinnigen Humors mit hin und wieder subtilen, sarkastischen und anderen Spitzen – hatte hier wohl mehr im Sinn.

In diesem fröhlichen Kabarett-Chanson, in dem die fröhliche Darbietungsweise der Musik über die Abgründe hinwegtäuscht, die thematisiert werden (und es ist mitnichten das einzige Lied, in dem es so heftig zur Tat geht wie hier), geht es um ein Liebespaar, das beim schönsten Sommerwetter in den Park gehen will – und sich überlegt, aus Übermut und vor lauter Gehässigkeit Tauben zu vergiften mit präpariertem Futter. Sehr, sehr romantisch: Mit Arsen will man den armen Viechern zu Leibe rücken… Der schwärzeste Humor, der denkbar ist. Gegossen in ein wundervoll pianoarrangiertes Lied…

 

  1. GLASHAUS – "Wenn das Liebe ist" (2001)

In keinem anderen Musikgenre wird so viel experimentiert wie im "seichten, molltraurigen, melancholischen Popsong". Im Jahre 2001 kam ein neuer Prototyp auf den Markt. Das vom nicht gerade kuschelbärartigen Berserker MOSES PELHAM und seiner kleinen Musikfirma PELHAM POWER PRODUCTIONS (oder 3P) auf den Weg produzierte Projekt GLASHAUS (nach jenem Gebäudetyp, in dem man, einmal drinsitzend, nicht mit Steinen oder anderen glasbrechenden Gegenständen werfen sollte) bestand aus der afrodeutschen POC-Sängerin CASSANDRA STEEN (Wurzeln: USA) – und PELHAM selbst. Der steuerte die Texte, etwaige Rap-Passagen bei, MARTIN HAAS zeichnete für den musikalischen Rest verantwortlich. Man kombinierte Pop mit SOUL und gemächlichem Rap, der sich sehr zurücknahm, etwas für die Sanftmütigen, die sensiblen Gemüter, die nicht viel Stress vertragen und wahre Liebesemotion in ihrer präferierten Musik haben möchten.

Das Experiment gelang: "Wenn das Liebe ist – warum bringt es mich um den Schlaf? […] Wenn das Liebe ist – was, was ist dann Hass?" fragt STEEN in ehrlich wirkender Verzweiflung – und man möchte ihr beipflichten. Endlich gab es ein Lied für all die vom Liebeskummer Geplagten bis Zerfressenen, all die entseelten Zombies, die an der Liebe leiden, sich an ihr verzehren und von ihr verzehrt werden. Herzen brechen, Herzen heilen, Herzen blühen wieder auf und Zweifel nagen an ihnen. Kaum besser ausdrückbar als in diesem sehr getragenen Pop-Balladen-Soulsong. Mit brachialer Geschwindigkeit weiß er nicht zu protzen, dafür dominieren die leisen Töne, wenn man von einer Herrschaft hier reden kann.

 

  1. GLASPERLENSPIEL – "Geiles Leben" (2015)

Die Band, die nach einem der bedeutsamsten Romane HERMANN HESSEs benannt ist, kann selbstverständlich dem hohen Anspruch des Namens nicht gerecht werden. Sängerin CAROLIN NIEMCZYK war vor einigen Jahren (2018 nämlich, in Staffel 15) Teil der vierköpfigen Jury bei DEUTSCHLAND SUCHT DEN SUPERSTAR – und ich konnte mit den Liedern dieser zweiköpfigen (bei LIVE-Auftritten und Konzerten sechsköpfigen) Band nie viel anfangen – bis ich dieses Lied hörte! Es ist ein Abschiedslied, ein Abschluss mit einer Person und einer gemeinsamen Zeit, Liebe, die verflossen ist – und man wünscht dem Gegenüber trotzdem alles erdenklich Gute. "Ich wünsch dir noch 'n geiles Leben – mit knallharten Champagnerfeten" heißt es resigniert und entspannt zugleich, mit dem leicht doppeldeutigen "knallhart", denn Champagnerkorken lässt man knallen.

Es geht des Weiteren um eine Person, die eine andere leichten Herzens gehen lassen muss, da sie eingesehen hat, dass dieses Individuum infantil, unreif, verantwortungslos und unveränderlich ist: "Was du heute kannst besorgen – das schiebst du ganz entspannt auf morgen – Ich hab 'ne Weile gebraucht, um zu verstehen, dass die Zeit reif ist, um jetzt zu gehen". Manchmal muss man wohl den Partner ziehen lassen, nicht jede Frau kann MARGE SIMPSON sein und über jede Narretei des Göttergatten hinwegsehen, nicht jeder kann RHETT BUTLER sein – oder Mr. RUTLAND aus "Marnie"…

 

Glasklar wie eine Glasperle und durchaus kein Spiel ist jedoch auch die klare und ausführliche Appell-Ansage, dass er doch niemals glücklich werden wird ohne sie. Er wird es versuchen, doch: "Ich seh doch ganz genau, dass du was Anderes willst!" Die Liedprotagonistin freut sich bereits auf ihr eigenes Leben ohne den Klotz am Bein ("Ab jetzt wird es mir besser gehen") – und kritisiert auch fortgesetzt seinen Alkoholabusus. Ob es was helfen wird? Ob er umkehren kann? Ob sie es zynisch meint? Dies ist das Ende…

 

  1. GOTTLIEB WENDEHALS – "Polonaese Plankenese" (1981) 

Ohne dieses Blödel-Lied, das die reimtechnischen Erwartungen der Hörer immer wieder untergräbt und hintertreibt ("Und Erwin fasst der Heidi – von hinten an die …Schulter"), käme wohl keine vollständige Topliste aus. Spaßkanone "GOTTLIEB WENDEHALS" (alias bürgerlich: WERNER BÖHM) ist einfach ein solches Mitschunkel-, Mittanz- und Mitgröl-Werk geschaffen, ein vollkommenes nahezu, dem man sich unmöglich entziehen kann. Es ist eigentlich für alle Altersgruppen geeignet, sein bewusst blödelnder Gesang ist legendär und längst ein Evergreen, es ist ein Klassiker, der seit seiner Entstehung vor gefühlt 10 Milliarden Äonen von Jahren und bis zum Ende der Menschheit immer wieder gespielt wurde und wird und werden wird. Auch ist es für jeden Promillewert geeignet. Und wem ginge da nicht das Herz auf, wer befände sich nicht endgültig von der schönsten, schwipsig-schwitzigen Feierlaune angesteckt, wenn es gilt, in einem riesigen menschlichen Lindwurm durch die kleinste Eckkneipe oder den gigantischen Festsaal oder eine große Sporthalle zu schlängeln und wellenförmig sich fortbewegend, Händepaare auf Schulterpaaren, bis zum Horizont und noch viel, viel weiter! Ja, ich mag das Lied, von vorn bis hinten, auch mit den albernen eingebauten Gags: "Von Blankenese – bis hinter Wuppertal – am Kamener Kreuz rechts ab!" – "Herr Wirt, die Kellner ham jetzt Pause – wir rollen das Büfett von hinten auf!" – "Herr Kellner, ham se mal 'n bisschen Kleingeld? Wir wollen zahlen!"

Und auf einmal krieg ich wieder wahnsinnig Bock auf Fasching oder wenigstens Samba de Janiero – oder Coco Jamboo – was halt gerade so angesagt ist. Hey, oder wie wäre es mit dem OKTOBERFEST? Wann wird der alte "WENDEHALS" aufm "ROCK AM RING" auftreten? Ich mein': HEINO war ja auch schon da! Ab in den Player – und dann wandern wir alle los – bis vors Kanzleramt – und verlangen frische Krapfen für alle! Wenn's mal so abgeht, dass sogar die Löcher aus dem Käse purzeln – dann hat der Spaß in Schland seine Wurzeln!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.06.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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