Karl-Konrad Knooshood

Deutschsprachige Musikwunder 29 - Buchstabe H 303 bis H 311

 

  1. HAPE KERKELING – "Das ganze Leben ist ein Quiz" (1991)

 

Lange Jahre, bevor er nur noch langweilige Bestseller-Bücher über Pilgerreisen ("Ich bin dann mal weg") und banale über seine Jugend ("Der Junge muss an die frische Luft") schrieb, war HAPE KERKELING einer der witzigsten Komiker und Zotenbräter der gesamten deutschen Humorlandschaft. Sein Repertoire an Stimmen und Freischnauze, die er nachahmen konnte (gern aus dem oberen Teil des Ruhrgebiets, aus dem er stammt, in dem er seine Kindheit verbrachte) und sein Gesangstalent und seine charmante, juvenile, jungenhafte Aufgeschlossenheits-Art, seine Schelmenhaftigkeit, verzauberten Millionen. Seine "Hannilein & Co."-Nummern waren zum Kichern bis Totlachen, seine Playback-Verarsche von BERND CLÜWERs "Der Junge mit der Mundharmonika": legendär, geilomat, super, spitze, grandios. Sein Auftritt als niederländische Königin BEATRIX auf Staatsbesuch in Deutschland: gewagt aber gut. Seine Sendung "Darüber lacht die Welt" – meisterhaft! "Die 70er-Show" auf RTL: Von all den Nostalgie-Shows mit 60ern, 70ern, 80ern und 90ern ehrlich gesagt die beste.

Sein Auftritt bei der Musiksendung VIVA INTERAKTIV auf VIVA damals, als er die arme MILKA (LOFF FERNANDES) mit zwei Kollegen in Verkleidung als finnische Rap-Newcomerband R.I.P. ULLI und deren Hit "Helsinki Is Hell" verarschte – kurios aber super.

Am lustigsten sind viele Komödianten jedoch, wenn sie singen. HAPE K. konnte das immer schon sehr gut. Hier veräppelt er mithilfe einer eigens angefertigten Parodie namens "Das ganze Leben ist ein Quiz" den Uralt-Gassenhauer "Das ganze Leben ist ein Spiel". Heutzutage wäre das ganze Leben eine App namens QUIZDUELL… Nun ja… Die Quizshows, von denen das deutsche Fernsehen schon damals voll war ("Es lebe hoch das deutsche Fernsehen!" heißt es im Lied, schließen wir uns dem an?), werden hier aufs Korn genommen, die Schippe steht bereit, um sie durchzugraben, denn: "Wir sind ein Volk von Kandidaten, das ist sonnenklar!". Weitere witzige Einschübe sind die in das feierlich-polkahafte Lied eingesetzen Redesequenzen, in denen HAPE etwa eine ältere Dame stimmlich nachahmt und fragt: "Omma, wie heißt eigentlich der Storch in 'ne Fabelwelt?" – "Reineke Fuchs, wieso willst das wissen?" Da die richtige Antwort selbstverständlich "Adebar" gewesen wäre, muss man allein hier schon lachen. Dann die durch die richtige Quizfragenbeantwortung erhältlichen "wertvollen" Preise: Duschhaube, Heimsauna, Kaffeemaschine…Was den Leuten in den späten 80ern alles wichtig war – heute kannste mit dem Zeug nicht mal mehr einen großmütterlichen Kaffeefahrten-Kaffeeklatsch-Klub befriedigen… Eines der besten deutschen Scherzlieder. Wer mehr will, findet unten noch mehr:

 

  1. HAPE KERKELING – "Hurz" (1991)

Ein verrückter Auftritt Anfang der 90er – vor einem anspruchsvollen Intellektuellen-Publikum, kunstsinnigen Menschen in entsprechender Kleidung. In entsprechender Verkleidung: HAPE KERKELING als ein avantgardistischer Opern- und Klassiksänger (als MIROSLAW LEM), mit einem fusseligen Bart, blass, mit einer fast randlosen Großbrille, im feinen Frack. Dann wird etwas vorgetragen, das hart an der Grenze zum Saublöden kratzt und aus Nonsens und viel Sinnfreiheit besteht. "Und das Lamm schrie: Hurz!" Die ganze Geschichte mit lauter Tierfiguren darin ergibt einfach keinen Sinn. Doch wie redliche Intellektuelle sind, versuchen sie verzweifelt, selbst im Dadaismus oder sonstigem Sinnlosen einen Sinn zu finden wie ein blindes Huhn ein Korn. Dabei geben nicht alle ein gutes Bild von sich ab. Ein Herr meint zögerlich, das Ganze erinnere ihn an "Peter und der Wolf", ein anderer versucht es auf Englisch, denn KERKELING hat sich zur Tarnung einen ziemlich schweren Akzent (vielleicht osteuropäisch) zugelegt: "I should think, you wanted to test the audience" meint er – und kommt der Wahrheit vielleicht schon näher. Eine ältere Dame, ihres Zeichens Schnepfe/Zimtzicke, wirkt pikiert, nachdem sie ehrlich gesagt hat: "Ich sag's ganz ehrlich: Also ich kann damit nichts anfangen!" – und H. K. geantwortet hat: "Ich glaube, dass da kein intellektueller Zugang…" – Da wird sie nämlich richtig giftig und sagt: "Sicher, das mag sein, aber es muss doch wohl erlaubt sein, zu sagen, ich kann damit nichts anfangen – deswegen müssen Sie doch nicht sagen, dass ich weniger intellektuell wäre als andere Leute!"

Da man aus rechtlichen Gründen wohl die Originalstimmen nicht aufs Lied bannen durfte, wird im Lied alles nachgesprochen, eine funky Popnummer, in die immer wieder die Herrn KERKELING beim Auftritt unterstützende Stimme des ebenfalls verkleideten ACHIM HAGEMANN (besser bekannt unterm Nom de Guerre PAWEL POPOLSKI) mit osteuropäischem Akzent den englischen Satz "Maybe we should repeat it from the first phrase!" ("Vielleicht sollten wir das Ganze nochmal vom ersten Satz aus wiederholen!") hören lässt. Musikhistorisch als einer der bekanntesten Streiche HAPE KERKELINGs bedeutsam, entstand aus dem Liedtitel auch ein Comedy-Preis (HURZ-Preis), zudem wurde das Lied analysiert: Zwar sei keine Interpretation vorzuziehen, weder die des Publikums noch die Intention und daraus folgend (Eigen-)Interpretation des Künstlers/Komikers HAPE KERKELING, meint die Musikwissenschaftlerin MARIA GOETH, die weiter meint (hier ausnahmsweise von WIKIPEDIA gemopst): "…unterschiedliche Möglichkeiten zur Beurteilung der Interpretation eines Kunstwerks vor[zu]stellen. So sieht sie das Konzertpublikum sowohl in der aufgebrachten kognitiven Leistung als auch der Ästhetik ihrer Interpretation dem Studio- und Fernsehpublikum überlegen. Dabei hebt sie vor allem die Interpretation des Zuschauers positiv hervor, der einen Bezug zu den von Wolf und Lamm symbolisierten gegensätzlichen Kräften sieht."

Was auch immer – wie auch immer: Meine Interpretation: Viel Spaß, viele Lacher, viel zum Freudehaben. Ein Lied gegen jede dunkle Wolke am Stimmungshorizont. Herrlicher Nonsens für sinnstiftende Abende.

 

  1. HARALD JUHNKE – "Barfuß oder Lackschuh" (1989)

Unbestreitbar einer unsrer brillantesten, genialsten und talentiertesten Entertainer mit Charme, Witz und auch tiefer Melancholie – das war er, Herr HARALD JUHNKE. Einen Spott-Song über ihn, von einem gewissen "LORD ULLI" und seinen Jungs ausgebrütet, musste ich aus dieser Liste streichen und stattdessen diesen elegant-gepflegten musikalischen Maßanzug aus Salonjazz einbinden in die gigantische Show, die ich hier als Feuerwerk abbrenne – zu Ehren der schönsten deutschsprachigen Musik! HARALD JUHNKE, Schauspieler, Komiker, Sketch-Mitmacher, Sänger und Hörspiel- sowie Synchronsprecher (u.a. Inspektor CRADDOCK in der MISS-MARPLE-Verfilmung "Der Wachsblumenstrauß"/"Murder At The Gallop", 1963), bringt hier mit seiner sonoren Nasalstimme ein Ständchen an die holde Damenwelt, in bester FRANK-SINATRA-Nachahmer-Manier – mit Würde und Stil. Letztere beiden sind übrigens in neueren Zeiten längst verlorene Dinge, die man etwa beim ESC überhaupt nicht mehr findet…

Es geht um einen großen Charmeur aber auch einen (wohl nicht ganz unautobiografischen) Typen, der "immer volles Risiko" geht und sich allerhand Schnitzer erlaubt, in Fettnäpfchen tritt – dem es schlicht Spaß macht, (negativ) aufzufallen und statt Bescheidenheit auf große Show und Selbstdarstellung zu setzen. Der große Unterhalter konnte leider nicht für immer in der Rolle des gelegentlich über die Stränge Schlagenden reüssieren – er verfiel immer mehr dem Alkohol, dessen Missbrauch ihn in den mittleren 2000ern allmählich das Leben kostete.

Berlins Bürgermeister KLAUS WOWEREIT und Entertainer und Moderator THOMAS GOTTSCHALK erwiesen ihm die letzte Ehre auf der Beisetzung.

Über HARALD JUHNKE zu berichten, sein Leben und Gesamtwerk zu würdigen, würde freilich den Rahmen jeder noch so exzessiven Party sprengen, in diesem Fall: dieses Format, dessen Opulenz ohnehin schon etwas zu ausufernd geraten ist. Deshalb muss ich mich auf dieses Lied beschränken, das über einen notorischen Schwerenöter. Er interpretierte übrigens auch FRANK SINATRAs "My Way" in einer deutschen Version (siehe hierzu auch NANA MOUSKOURI, ferner DON KOHLEONE, siehe etwas weiter oben, mit "So leb dein Leben") – und arbeitete für einen Song, "Nichts ist für immer" nämlich, wie HILDEGARD KNEF (siehe dort) mit der Punk- und NDW-Band EXTRABREIT zusammen. Entspannt zurücklehnen, sich einen vorzüglichen Wein einschenken und dieses gepflegte Salon-Chanson genießen!

 

  1. HARALD JUHNKE – "Wir Männer sind wirklich das Letzte" (1979)

Der Mann, der mindestens der zweitbeste "Hauptmann von Köpenick" (nach HEINZ RÜMANN) war, der Volksschauspieler, Entertainer, Showmaster, Schauspieler mit der lustigen Nase und dem verschmitzten, verwegenen Frechheits-Charme, war auch für seine musikalischen Eskapaden bekannt. Eine wahre Freude sind seine Chruzpe-Stücke wie das doppeldeutige "Wir Männer sind wirklich das Letzte". Diesen Titel könnte man/frau zunächst in den falschen Hals kriegen (eine leider allzu beliebte Disziplin in den 20ern des 21. Jahrhunderts, also heute), als sei er eine "Kritik am Patriarchat" (Feministinnen-Sicht) – oder als wolle man mit allen Männern scharf ins Gericht gehen. Nein! Folgendermaßen verhält es sich: JUHNKE nimmt den Pathos von GRÖNEMEYERs "Männer" (1984, siehe weiter unten) vorweg – und verwandelt ihn in eine aberwitzige Farce mit Pointe: "Wir Männer sind wirklich das Letzte – auf das man verzichten möchte!" heißt es nämlich vollständig im Schlusspunkt der Refrains. Die guten wie schlechten Eigenschaften der Männer werden der Reihe nach aufgezählt, nicht alle vielleicht, doch die wichtigsten – und selbst die schlechten werden noch als irgendwie liebenswert beschrieben. Ein Männer-Verehrungslied – in diesen Zeiten, in denen über "toxische Männlichkeit" schwadroniert wird, ist es eine Wohltat für die Ohren, auch mal ein gewitzt-verschmitzt positives Lied über die Männerwelt zu hören. Hey Mann, wir sind ja auch die geilsten Typen – oder etwa nicht?!

 

  1. HAUSMARKE – "Für immer" (1998)

HAUSMARKE ist der Künstler- und Spitzname des Rappers MICHAEL "MICHI" BECK von den FANTASTISCHEN VIER. Wie schon sein Bandkollege THOMAS D (siehe weiter unten), gönnte auch er sich ein paar Solo-Experimente und –Eskapaden der besonderen Art. Neben seinem Nebenprojekt TURNTABLEROCKER (im Duo mit dem DJ THOMAS "THOMILLA" BURCHIA), in dem er sich mehr auf elektronische Tanzmusik wie Techno, mit Elementen von Hip-Hop angereichert, spezialisiert, ist dieses sein Solo-"Hausprojekt", in dem er einfach rappt, wie es bei den FANTA 4 sein Können ist. Hier aber eben auch über persönlichere Themen, die ihm wichtig sind – und halt nur mit ihm und ein paar Effekten. Neben einem Auftritt im halb französisch gesungenen Lied "On Court Toujours", bei dem er einer gewissen DEBORAH zur Seite stand, den deutschsprachigen Rap-Part beisteuerte, haben wir es hier mit einem Lied über eine uralte Freundschaft von frühesten Kindesbeinen an zu tun, die nicht rosten kann. Man verliert sich zwischenzeitlich aus den Augen – doch eines Tages stellt der Liedprotagonist fest, dass er "nicht mehr kann", er braucht wieder den Kontakt zu seinem alten Freund, mit dem er durch dick und dünn gegangen ist, aufwuchs und reifte und das Kindsein abstreifte ("So wurden wir langsam älter – und statt KICKER oder MICKY MAUS – brachten wir so Magazine wie PRALINE mit nach Haus") – aus unbedarften Teenager-Jungs, die sich Fußball-Fachzeitschriften (KICKER) für eine eher junge Zielgruppe und Comic-Geschichten-Zeitschriften wie MICKY MAUS für die ganz Kleinen, mit nach Hause bringen, werden also sich für das andere Geschlecht interessierende Jungs, die PRALINE lesen wollen, also ein harmloses Softcore-Pornomagazin mit sehr keuscher Nacktheitsdarstellung.

 

Berührend und spannend und vielschichtig, wie die Freundschaft beschrieben wird, wie man alles teilte, sich am selben Zeug (aus der PRALINE) aufgeilte, doch soch später im jungen Erwachsenenalter etwas grundlegend ändert: "Und irgendwann – nach Jahren – ist es dann passiert – In meiner Hitparade hat sich jemand vor dir platziert" – und dann war lange Zeit Funkstille wegen Frauengeschichten: "Ich hatte nie kapiert, wenn Leute sich erzählten – dass sich Freunde wegen Frauen nicht mehr meldeten". Der Refrain wird dann zum großen Teil auf Englisch bestritten, doch es ist ein schönes kleines Hip-Hop-Lied, schöner Beat, schöner Rhythmus, schöne Melodie, schöner Refrain, die Strophen sind smooth gerappt. Es schmeichelt dem Herzen wahrlich, doch der Hirn-Anspruch fehlt auch nicht gänzlich, wie sowieso bei den FANTASTISCHEN VIEREN schon üblich. Diese Tradition kann auch HAUSMARKE alias MICHI BECK nicht verhehlen, das Verhalten nicht abstellen. Keine Panik, denn wir verdanken dem ja diesen brillanten Track! Wer Hip-Hop mag, kommt an diesem kaum vorbei und wird es lieben!

 

  1. HAUSMARKE – "Mädchen No 1" (1998)

Wer auf Nummernrevues im Hip-Hop steht und Aufzählungen von Begebenheiten mag, ist bei dem zweiten Lied, das von HAUSMARKEs Solo-Pfaden erinnernswert und erwähnenswert und historisch mindestens akzeptabel ist, goldrichtig: Hier geht es um die ganzen Beziehungskisten, die Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht, mit "Mädchen", also gesamt eher: Frauen (jungen). Ob autobiografisch inspiriert oder nur rein fiktiv, was MICHI BECK alias HAUSMARKE (jeder gute Laden hat doch seine Hausmarke) betrifft, spielt keine Rolle: Unterhaltsamkeit ist Trumpf beim Hip-Hop – und es ist interessant, den Erfahrungen des Liedprotagonisten zu lauschen, denn teilweise kann man anhand der Schilderungen erfahren, wie es mit Beziehungen laufen kann, bis man "Die Richtige™" gefunden hat, bis es einschlägt wie eine Bombe: Mit der Frau will ich mein gesamtes (restliches) Leben verbringen! Es kann ein weiter Weg bis dahin sein – und dieses schöne, solide Hip-Hop-Stück lässt es bis zum Schluss offen, es hat ein offenes Ende, aus dem man gern Hoffnung spinnen kann – oder den Untergang. Wiederum smooth und soft rappt MICHI BECK hier entspannt das, was er zu sagen hat. Es ist keine Verurteilung des anderen Geschlechts, es ist keine Anklage, keine Schuldzuweisung, es ist eine Beobachtung der eigenen (zumindest im Lied) Erfahrungen, weder chauvinistisch noch antifeministisch noch misogyn. Nein, der Typ ist auch kein Frauenheld, der sich eine nach der anderen zulegt und weiterschickt, sondern der die absolut passende Partnerin fürs Leben sucht. Wird es ihm gelingen? Man darf gespannt sein. Wunderbares Lied mit Unterhaltungswert (Hip-Hop reißt einen manchmal so mit, dass er gar nicht langweilen kann). Der Refrain wie gewohnt fast nur auf Englisch…Wann lernt er's mal?

 

  1. HEIDI BRÜHL – "Wir wollen niemals auseinandergeh'n" (1960)

Kitschig, rührselig, schmalzig – so könnte man, salzig und grantig, stinkig sagen über dieses Schlagerjuwel. Doch es ist die pure Romantik! Der Titel lässt bereits, nichtsubtil, erahnen, worum es gehen soll: Das heilige Versprechen, niemals vertragsbrüchig zu werden in der Beziehung. Für immer zusammen sein, ein Ideal, das in den letzten Jahrzehnten totaler Promiskuität und wechselhafter Lifestyle-Selbstverwirklichungs-Permanentpartnerwechselbeziehungen immer mehr an Bedeutung verloren hat. Heutzutage, wir schreiben die 20er des Jahrhunderts 21, wird das Konzept der Ehe, damit auch der Familie, als "Keimzelle des Faschismus" verschrien – von einer lauten linken Minderheit aus Arschgeigen, deren größtes Glücksgefühl darin besteht, sich sterilisieren zu lassen, um bloß wildficken zu können, ohne Verantwortung für etwaige resultierende Kinder zu übernehmen. Das Ganze geht aber soweit, dass die Ehe, diese ehemals als "total spießig" verschriene Institution des Aneinander-Bindens auf Lebenszeit, jetzt auch von den früher sich abgrenzenden Lebensentwürfen wie denen der Homo- und Transsexuellen in Anspruch genommen wird – auf der anderen Seite. Wie schizophren unsere Gesellschaft diesbezüglich doch geworden ist.

Dieses Lied ist in jeder Hinsicht altmodisch – und das nicht nur, da es bald 60 Jahre auf dem Buckel hat. Vielmehr handelt es sich um ein Zelebrieren des treuen Zusammenseins und Zusammenstehens, das man sich durch ständigen Streit und Disput und im Endeffekt Alleinsein (auch in einer Beziehung) madig macht. Dazu der Sound: Eine getragene Weise, mehr Chanson mit klassischer Instrumentierung mit Geigen und andrem Tand, einfach herrlich. Eines dieser typischen Sonntagnachmittagslieder auf WDR 4, dem hiesigen Schlagersender in NRW, der zwar auch die modernen Richtungen spielt, doch immer noch Oldies und Schlager zum Hauptrepertoire zählt. Die Sängerin, auch als Schauspielerin in Heimatfilmen und anderen leichten Unterhaltungsgenres bekannt geworden, kenne ich auch aus einer Nebenrolle in einer eher unterdurchschnittlichen COLUMBO-Episode ("Schach dem Mörder"/"The Most Dangerous Match" (1973)). Nun, ihre gesanglichen Qualitäten stehen mit diesem Song außer Frage. Es ist eines meiner Lieblingslieder, obgleich es, was für die damalige Zeit sicherlich selten war, nur eine Strophe hat (ähnlich wie später SNAPs "Rhythm Is A Dancer"). Und eine Überleitung zum Refrain. Sehr bedenkens- und liebenswert das Lied – und: erstrebenswert! Die alten, konservativen Werte sind eben doch die besten!

 

  1. HEINZ ERHARDT – "Immer wenn ich traurig bin" (1959)

Ein Schelm mit dem schelmischsten Grinsen aller Zeiten, ein äußerlich dem Stereotyp des Nachkriegszeit-Deutschen entsprechend: Hornbrille, etwas wohlstandsdick (wirtschaftswunderlich dick eben), war HEINZ ERHARDT ein begnadeter, begabter Komiker, quasi einer der ersten nach der Stunde 0, als man in Deutschland zaghaft wieder daran denken konnte, unbeschwert zu lachen und einfach einen schönen Abend zu haben. Mit seinen teils albernen, teils plumpen aber dennoch immer zu einem Schmunzeln anregenden Scherzen begeisterte er Millionen – und ich muss zugeben: Auch mich zog er mit einigen, wenn nicht gar vielen seiner Werke in seinen Bann. Die Gedichte über den glücklosen Ritter Fips (der ein wenig so wirkte wie eine beinah so tragische eingedeutschte und in Poesie statt Prosa gegossene Variante des DON QUIXOTTE), "Die Made" oder auch das bekannte Wortspiel, bei dem sämtliche Wörter eines Dialogs mit G anfingen ("Getränk gefällig?" – "Genialer Gedanke!") sind für mich zeitlos witzig, darüber kann ich auch als alter Sack noch lachen, sogar noch aus dem Grab heraus. Von seinen Liedern hingegen kenne ich wenige, im Grunde nur eines. "Immer wenn ich traurig bin" ist eine flotte, fröhliche Heiterkeitsnummer, ein frühes Sauflied, das sich musikalisch zwischen Polka, zu Beginn, und Slow Jazz (gegen Mittelteil) bewegt. Dabei wiederholt ERHARDT immer wieder die eine Pointe des Liedes, das typische deutsche Gemütlichkeit im Zusammenspiel mit hartem Alkohol (hier wird der harte Schnaps, "Korn", thematisiert), vor allem auch als Mittel zur Vertreibung trüber Gedanken (wie der Titel verrät): "Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn". Das sinnfreie "Holladi-jodijodijö – hahaha!" fungiert als Refrain, wobei sich die "Strophen" immer wiederholen. Das geht für ca. 1,5 bis 2 Minuten so, wird dennoch nicht langweilig. Ich bin HEINZ ERHARDT für diese Art harmloser Späße sehr dankbar, gerade dieses alkoholselige Lied ist mir stets ein Fest. Versonnen schaue ich in den Sonnenuntergang auf meiner einsamen Insel, denke zurück an die ferne Vergangenheit, meine eigenen Erfahrungen mit Korn: Sie waren nicht unbedingt immer positiv. Pur mochte ich das Zeug nicht, dennoch war es eine willkommene und vor allem wirksame Abwechslung, ein sehr effektiver Ersatz für Bier, das ich seines bitteren Geschmacks wegen überhaupt nicht mochte, es sei denn, mit Cola oder Limonade (Zitronen- oder Orangenlimo) gemischt, am besten aber im Verhältnis von 4/1, also 4 Teile Saft auf einen Teil Bier. Im Laufe meiner Spätjugend und frühen Erwachsenenzeit konsumierte ich es regelmäßig auf (Zelt-)Partys, meist als schnellen, preisgünstigen Absacker, nicht selten aber auch gemischt: Cola-Korn, Orange-Korn, Korn-Kirsch-Cola waren mir sehr geläufig. Auch Cola als solche: in sehr vielen Varianten: außer mit Korn mit BACARDI, Rum, RAMAZOTTI, Kirschschnaps, JÄGERMEISTER und COINTREAU… Trinken werde ich das alles nicht mehr (seit Jahren komme ich sehr gut ohne aus), aber mich gern daran erinnern. Nippe an dem Korn herum… Der wohl vergnüglichste kurz-knackige Song der deutschen Geschichte.

 

  1. HEINZ ERHARDT – "Tante Hedwig Polka" (1961) 

Zunächst wusste ich nicht einmal, dass Herr ERHARDT mehr als nur ein vergnügliches, ulkiges Lied geschrieben hat, das zum Schmunzeln, Stirnrunzeln oder sogar lautschallendem Lachen anregt. Aber ja, offenbar… Auf einer neueren Schlagerkompilation, die in meinen Besitz geriet, als mein Lieblingsladen noch geöffnet hatte (im prä-coronischen Zeitalter), erstand ich dort für fast menschenverachtend günstige 2,00 Euro (diesen menschenrechtswidrigen Preis musste ich natürlich gleich an AMNESTY INTERNATIONAL melden) die Kompilation "Doppelt gut – Folge 2", eine mit sehr, sehr alten Schlagern, teilweise neuaufgenommen, teilweise im Originalzustand. Letzteres trifft auf dieses Lied zu. Musikalisch keine große Besonderheit außerhalb eines deutschen Bieder-Schlagers mit Polka-Anleihen, ist selbstverständlich wiedermal der Inhalt entscheidend, denn in ihm steckt der Witz, wie selbstverständlich immer bei HEINZ ERHARDT, der definitiv einer der besten Wortakrobaten und Wortspielemacher Deutschlands aller Zeiten war und bleibt. Wer wissen will, woher OTTO WAALKES und viele andere deutsche Komiker, die es auf Wortspiele alberner oder derb komischer Art abgesehen haben, ihre Inspiration nehmen: HEINZ ERHARDT. Nun, ich bin ein großer Fan dieses doch weit vor meiner Zeit aktiven und leider längst vor meiner Geburt verstorbenen Komikers, der auch Gesangstalent hatte, das gemütliche, das überschaubare, das gutmütige im Schelmischen. Hier geht es um eine (möglicherweise fiktive) Tante namens HEDWIG, die es ein wenig mit Kartenlegen und Esoterik hat und eine etwas skurrile, unkonventionelle aber patente alte Dame zu sein scheint. Im Intro, das gesprochen ist selbstverständlich wie üblich bei ERHARDT, wortspielt er auch ein wenig.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.06.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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