Qayid Aljaysh Juyub

Wicked Weird World: Gerechtigkeit

Das größte Schwein im Land ist der Denunziant.‘ Ohne Zweifel entbehrt diese Volksweisheit frei nach Heinrich Heine – ‚Hund‘ erscheint mir in diesem Kontext zu harmlos – nicht eines gewissen Wahrheitsgehalts. Was meint ihr wohl Freunde, wie es den Bluthunden von GESTAPO und STASI möglich war, die Tyrannis ihrer Herren mit derartiger Totalität aufrechtzuerhalten? Da waren doch die vielen kleinen, schmierigen Helferlein, die aus Habgier, Neid oder nicht nachvollziehbaren Motiven dem Staate missliebige Personen ans Messer lieferten. Nichtsdestotrotz verwenden munter bundesdeutsche Behörden auch gerne dieses probate Hilfsmittel, um ihre Ziele, seien sie nun mit den bestehenden Gesetzen kompatibel oder nicht, durchzusetzen. In unserem Falle hieß das Opfer derartiger übler Machenschaften Katharina Henot – eine mittelalterliche Dame von freundlichem und natürlichem Wesen. Zu ihrem außerordentlichen Nachteil gab es aber übelwollende Zeitgenossen, die ihr aus egoistischen Motiven Schaden zufügen wollten. Das war in jener Hinsicht bemerkenswert, da vielfach solch feige Taten keines wirklichen Grundes bedürfen und oft nur einer gewissen menschlichen Bösartigkeit entspringen. Da Frau Henot auch noch zu den Schwächsten der Gesellschaft ohne nennenswerte Lobby gehörte, bekam sie denn auch die volle Härte des legendären Rechtsstaates zu spüren. Wir sollten vielleicht dazu noch bemerken, dass Katharina 20 Jahre ihres Lebens in der Altenpflege tätig war und infolge der überaus humanen Arbeitsbedingungen dort, flankiert mit ihrem ehrlichen Engagement, ihre Gesundheit gründlich ruinierte. Aus reiner Nächstenliebe beschloss ihr – sagen wir einmal klerikaler – Arbeitgeber, eine solch unpassende Mitarbeiterin mit dem allseits beliebten Mittel des Mobbings zu entsorgen wie ein Stück Haushaltsmüll. Wie in der Praxis allgemein üblich, gelang das edle Vorhaben ihres sowohl frommen wie auch von einer besonderen Sozialethik geprägten Arbeitgebers auch zur Gänze, sodass das unglückliche Opfer dieses Unterfangens, dem Arbeitsmarkt wieder voll zur Verfügung stand. Dummerweise gelang es der physisch und psychisch lädierten Arbeitssuchenden in der Folgezeit trotz eifriger Bemühungen nicht, eine von diesen äußerst Idealismus bedürftigen Anstellungen mit einem Lohnniveau, das sich eher gegen Gotteslohn orientierte, bei ähnlich humanistisch strukturierten Institutionen zu finden. Wie weitgehend empirisch für in Not geratene Singles belegt, endete die Reise bei der Suppenküche, die man gewöhnlich in der BRD als Hartz IV bezeichnete. Hier sei ergänzend erwähnt, dass die volle Fürsorge des Staates hauptsächlich eher ehrliche und wirklich bedürftige Leute traf, da das durchdachte Sozialsystem für gesunde und betrügerisch eingestellte Zeitgenossen zahlreiche Möglichkeiten der Leistungserschleichung bot. So sah nun die Situation für unsere ehemalige Altenpflegerin aus, als aufgrund einer anonymen Anzeige sich der erfahrene Sozialermittler Frederique Insistorius – von seinen sensiblen Kollegen auch liebevoll ‚Asi-Jäger‘ genannt – dem Fall mit dem ihm eigenen Elan widmete. Unser Philip Marlowe stand nun im Konfirmandenanzug und hornmäßig bebrillt mit seinem schweinsledernen Aktenköfferchen vor der Tür der Villa von Agrippina Medea, der standesbewussten Vermieterin des Subjekts seiner Inquisitionen. Mit einem energischen Knopfdruck betätigte der eifrige Oberamtmann die Türklingel.
Nach einiger Zeit ertönte eine wohltönende, männliche Stimme aus der aufwendigen Gegensprechanlage.
„Treten Sie bitte zwei Schritte zurück, damit ich Sie besser sehen kann.“
Der Angesprochene tat wie ihm geheißen, verlor aber dabei fast das Gleichgewicht, da er sich in bedenklicher Weise dem oberen Treppenabsatz näherte. Nach einem kurzen, aber sehr kultivierten, Lachen fuhr die gepflegte Stimme aus dem Äther fort.
„Betteln und hausieren sind hier verboten. Nun entfernen Sie sich vom Grundstück oder ich lasse Sie von der Polizei aufgreifen!“
Die missverstandene Beamtenseele beeilte sich, Licht ins Dunkel zu bringen.
„Entschuldigen Sie bitte, Oberamtmann Insistorius. Ich habe einen Termin mit Frau Medea.“
„Ach der Fuzzy, ähm, Herr, vom Sozialamt. Warten Sie bitte eine Minute, ich lasse Sie gleich herein.“
Nach einer guten Viertelstunde öffnete ein äußerst attraktiver Mittdreißiger in einem geschmackvollen Markenanzug das gut gehütete Portal. Das Outfit des dynamischen Sozialermittlers mit einem despektierlichen Grinsen musternd, gewährte der Torwächter gnädig Einlass.
„Kommen Sie guter Mann! Ich bringe Sie ins Arbeitszimmer. Folgen Sie mir einfach!“
Nach einiger Zeit betrat das ungleiche Paar eine mit Marmor geflieste Örtlichkeit, die von einem reich verzierten Schreibtisch nebst Stuhl im Empirestil dominiert wurde. In einigem Abstand dazu befanden sich schlichte Holzstühle, die als Sitzmöbel für etwaige Bittsteller und Klienten dienten.
„Bitte setzen Sie sich da hin, guter Mann. Meine Frau kommt sofort.“
Unser Vorstadt-Adonis vollführte mit ausgewählter Ironie eine einladende Geste. So viel Großmut nicht widerstehen könnend, platzierte sich der flexible Staatsdiener zur schlecht verborgenen Erheiterung seines Gastgebers umständlich auf dem wohl bescheidensten Exemplar der spartanischen Gästemöblierung.
„Ich verlasse Sie jetzt, guter Mann! Ich möchte Sie jedoch darauf aufmerksam machen, nichts anzufassen oder versehentlich Wertgegenstände in Ihren Taschen zu deponieren; dieser Raum wird videoüberwacht!“
Während der nächsten halben Stunde harrte der tapfere Sozialermittler mit seinem breiten Gesäß auf seiner bescheidenen Sitzgelegenheit aus, um dann den imposanten Einzug der Herrin des Hauses beizuwohnen. Beim Anblick der ersehnten Zielperson, einer recht agilen Dame, deren unscheinbares Äußeres auf ein Alter von knapp über 60 Jahren schließen ließ, erhob sich Insistorius wie ein kleines Springteufelchen und reckte zum Gruße seine rechte Hand.
„Sehr erfreut, gnädige Frau. Oberamtmann Insistorius, zu Ihren Diensten.“
Die vornehme Hausdame wiederum schenkte unserem Mann ein belustigtes Upper-Class-Lächeln – jenem Ausdruck von unendlicher Herablassung gemischt mit einer Spur Mitleid – seine ausgestreckte Hand geflissentlich übersehend und verbrachte ihren Körper recht majestätisch hinter den exquisiten Schreibtisch. Der höchlich erstaunten Beamtenseele nur geringe Beachtung schenkend, betätigte sie das interne Kommunikationssystem.
„Paris, bitte ein Kännchen Kaffee mit Milch und Zucker.“
„Jawohl, mein geliebter Schatz.“
Huldvoll wandte sich Medea dem immer noch stehenden Apparatschik zu.
„Na setzen Sie sich doch, Sie Regierungsrat!“
Unser Sozialbetrugsexperte hatte sich derweil einigermaßen gefangen und beeilte sich der Anweisung Folge zu leisten.
„Vielen Dank Frau Medea. Für mich aber bitte keinen Kaffee. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir einen Tee zu bestellen?“
Den Wunsch des geschätzten Gastes ignorierend, fuhr die ‚Grande Dame‘ fort.
„Kommen wir zu Sache, mein Lieber. Sie haben mir ja schon am Telefon verraten, dass Sie wegen dieser Henot kommen! In der Angelegenheit verbindet uns quasi ein gemeinsames Interesse. Also wie kann ich Ihnen helfen?“
Der Ermittler hob gerade zu einer Antwort an, als die bessere Hälfte der aristokratischen Vermieterin eintrat und das gewünschte Gedeck professionell auf dem Schreibtisch servierte. Der getreue Ehemann füllte routiniert die dazugehörige edle Tasse mit einem liebevollen Lächeln, das gewöhnlich bei erfahrenen Gigolos durch ein hohes Trinkgeld für geleistete Dienste ausgelöst wurde.
„Danke Paris, Du kannst gehen!“
„Ich bin immer für Dich da, meine Zuckermaus!“
Mit einem leicht sardonischen Gesichtsausdruck entließ Medea endgültig den geliebten Gefährten mittels einer lässigen Handbewegung.
„Also Insistorius, reden Sie.“
„Jawohl! Also Frau Henot wird verdächtigt, Sozialbetrug im großen Maßstab zu betreiben. Auf Basis eines anonymen Hinweises haben wir den berechtigten Verdacht, dass sie sich hauptsächlich bei einem bisher unbekannten Freund aufhält und damit dort auch ihren Hauptwohnsitz hat. Das ist eine eklatante Erschleichung von Sozialleistungen, die nicht geduldet werden kann. Schlimm genug, dass sich die Dame wegen angeblicher körperlicher und geistiger Gebrechen vor einer geregelten Tätigkeit drückt. Wir mussten hier bereits Leistungen kürzen, weil die nicht in der Lage war, aufgrund angeblicher Behinderungen eine Hilfsarbeitertätigkeit als Industrieschweine- und Rinderhälftenpackerin bei einem Schlachthof in der Nähe anzutreten, dabei ist der bequem innerhalb von einer Stunde mit dem Auto erreichbar, und diese faule Sozialbetrügerin hätte nur dreimal mit öffentlichen Verkehrsmitteln umsteigen müssen! Außerdem ist so ein Job gut für die Kondition und besser als manches Bodybuildingstudio. Angeblich ist die Henot auch zu krank, um Amtsarzttermine hinsichtlich ihrer angeblichen Berufsunfähigkeit wahrzunehmen; wegen diesen läppischen 150 Kilometern. Von Ihnen, gnädige Frau, erhoffe ich mir entscheidende Informationen, um dieser Betrügerin endgültig das Handwerk legen zu können.“
„Ihre Haltung gefällt mir Insistorius. Die Frau ist wirklich untragbar für mein ehrenwertes Haus! Leute aus einem niederen sozialen Milieu passen einfach nicht in eine bürgerliche Umgebung, auch wenn regelmäßig Miete und Nebenkosten gezahlt werden. Dabei gibt es ja so viele notleidende Besserverdiener, die Dank der ausgezeichneten Konjunktur auch exorbitante Preise für eine räumlich restringierte Eigentumswohnung von 58 qm zahlen würden. Ich unterstütze Sie natürlich, einen derartig ungeheuerlichen Betrug aufzudecken.“
Agrippina lächelte kapriziös.
„Ich empfehle Ihnen, sich mit Herrn Diddi Heinrichs in Verbindung zu setzen. Der wird Ihnen so einige interessante Geschichten erzählen können. Herr Heinrichs arbeitet für mich als Hausmeister und ist Nachbar Ihrer Kleinkriminellen. Mein Angestellter weiß zwar Anonymität durchaus zu schätzen, aber falls Sie eine schriftliche Aussage benötigen, werde ich das anweisen; sie dürfen ihm dann auch gerne bei den nötigen Formulierungen helfen.“
Bei so viel Kooperationsbereitschaft ging unserem staatlichen Jäger förmlich das Herz auf.
„Herzlichen Dank, gnädige Frau! Jeder sollte seine staatsbürgerliche Pflicht, die bei Ihnen noch mit sozialer Kompetenz gepaart ist, so vorbildlich erfüllen wie Sie!“
„Schon gut Amtmännchen. Sie können Heinrichs sofort aufsuchen. Ich werde über sein Diensthandy anordnen, dass er für Sie bereitsteht. Diese Sache sollte jetzt schnell vom Tisch sein.“
„Selbstverständlich, gnädige Frau!“
Die Stimme des würdigen Staatsmannes tropfte förmlich vor Untertänigkeit. Zufrieden bemühte die charmante Gastgeberin das interne Kommunikationssystem.
„Paris, komm sofort her und geleite unser verhindertes Regierungsrätchen hinaus.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl, meine Zuckerschnecke!“
In weniger als einer Minute nachdem er die Stimme seiner Herrin vernahm, stand denn auch der Gerufene dienstbereit zur Verfügung. Derweil erhob sich mit leicht steifen Gliedern der viel geehrte Gast und lächelte die Dame des Hauses selig an.
„Ich möchte mich nun verabschieden und ausdrücklich betonen, dass es mir eine außerordentliche Ehre war, eine so kultivierte Dame wie Sie, gnädige Frau, kennen lernen zu dürfen!“
Indes fanden die Bemühungen des servilen Beamten keine rechte Beachtung, da Medea ihre bessere Hälfte mit Basiliskenblick ansah und sich ihr liebliches Gesicht allmählich rot verfärbte.
„Wie kannst Du es wagen, so vor mir zu erscheinen? Komm her!“
Die wutbebende Stimme der liebenden Ehefrau ließ Paris furchtsam zusammenfahren. Obendrein bemerkte dieser, dass der unterste Knopf seines Jacketts offenstand. Verzweifelt warf er einen Blick auf den völlig konsternierten Sozialermittler.
„Besser Sie gehen jetzt, manchmal trifft es auch Unbeteiligte.“
„Kommst Du jetzt her. Ich zähle bis drei: Eins ...“
Der Herr des Hauses fügte sich in sein Schicksal und erhielt darauf prompt eine schallende Ohrfeige; aber das war nur die Ouvertüre. Das couragierte Oberamtmännchen beeilte sich nun den Raum zu verlassen, während Medea ihren geliebten Partner mit Faustschlägen und Fußtritten weiter züchtigte.

*

Später am Tage wurde unsere Zierde der bundesdeutschen Beamtenschaft bereits am Eingang des maroden Hochhauses von Diddi Heinrichs abgefangen.
„Sind Sie Herr Obermann Intorios?“
Abschätzig betrachtete der Angesprochene die ungepflegte Gestalt in einem leicht verschmutzten Trainingsanzug der Marke ‚Aldidas‘.
„Bin ich in der Tat! Oberamtmann Insistorius, wer will das wissen?“
Ob der schnarrenden Stimme des Staatsdieners verschüchtert, strich der korpulente Meister des Hauses nervös über seinen kahlen Schädel.
„Diddi Heinrichs mein Name, Herr Oberst! Bin Hausmeister! Chefin hat mich aufgetragen, Ihnen helfen zu tun gegen Henot.“
„Ja gut Herr Heinrichs. Wir sollten das aber nicht auf der Straße erledigen. Wir reden besser in Ihrer Wohnung. Sie gehen voran, wenn ich bitten dürfte!“
Gemeinsam betraten beide den wohlriechenden Hausflur, der nach einer seltenen aber intensiven Note des Geruchstoffes ‚eau de pisse‘ duftete. In dieser Hinsicht ließ sich natürlich auch trefflich disputieren, ob nun Diddis exkrementartiger Eigengeruch nicht doch den Urinhauch übertraf.
„Das ist ja widerlich, dauert das noch lange?“
„Herr Obstler müssen entschuldigen tun, sind schon da. Ist nämlich Erdgeschoss. Gestank ist übel, aber Chefin lässt putzen von eigene Firma zwei Stunden einmal in Monat; kostet ordentlich für Mieter! Bitte eintreten.“
Unser rühriger Sozialermittler hätte sich nicht vorzustellen vermocht, dass das vorherige Sinneserlebnis noch übertroffen werden konnte, aber der ihm entgegenwehende Pesthauch überzeugte ihn leicht vom Gegenteil. Ansonsten vermittelte des Blockwarts trautes Heim einen höchst eindrucksvollen Anblick, der Casting Teams privater Sender auf der Suche nach tragischen Fällen fortschreitender Vermüllung vermutlich in helle Begeisterung versetzt hätte.
„Äh, Herr Heinrichs, wir setzen das Gespräch doch lieber auf der Straße fort.“
Von einem akuten Würgereiz geplagt und fluchtartig begab sich unser dynamischer Beamter – Freunde ihr seht, ich liebe Widersprüche – entschlossen in Richtung Ausgang.
„Wie meinen. Ist ja in frischer Luft.“
Gemächlich folgte unser Meister Proper dem Flüchtling, um mit ihm draußen vor der Tür an einem lauschigen Plätzchen neben den überquellenden Müllcontainern das begonnene Schwätzchen fortzusetzen.
„Also gut, Herr Heinrichs. Machen wir es kurz. Ich erkläre es in einfachen Worten. Wir haben den Verdacht, dass die Henot in Wahrheit bei Ihrem Freund wohnt. Können Sie mir bestätigen, dass die sich über längere Zeiträume nicht in Ihrer Wohnung aufhält?“
„Die hat Freund? Deshalb tut die nicht beachten meine Nettigkeiten! Doch stimmt, hat Freund, hat Chefin gesagt. Ich habe nicht Freundin, trotz gut aussehen, wegen vielen Flüchtlinge. Aber die oft weg, sehe ich auch nicht mit Videoüberwachung in Wohnung von ihr.“
„Du meine Güte! Politisch gesehen sind Sie schon in Ordnung mein Freund, aber beschränken Sie sich bitte ab jetzt auf meine Fragen mit einem klaren ‚Ja‘ zu antworten.“
„Sie können also bestätigen, dass Frau Henot sich monatelang nicht in ihrer Wohnung aufhält?“
„Ja.“
„Sie haben Frau Henot regelmäßig in Begleitung eines offensichtlich mit ihr liierten Mannes gesehen?“
„Ja.“
„Nachdem ich Sie nun näher kenne, können wir den Prozess eigentlich abkürzen. Ich werde Sie übermorgen auf meine Dienststelle bitten, um eine Eidesstattliche Versicherung zu unterzeichnen, die ich für Sie aufsetze. Sie können doch ihren Namen schreiben? Ansonsten können Sie auch ihr Zeichen malen!“
„Ja, Name schaffe ich.“
„Gut! Ich plane morgen einen Überraschungsbesuch bei der Henot, um der Betrügerin endgültig das Handwerk zu legen. Sie informieren mich, wenn die Dame anwesend sein sollte. Haben Sie hierzu noch irgendwelche Fragen?“
„Kein Fragen, Herr Ober. Aber Henot immer in Wohnung. Ist wegen Krücken, kann nicht raus.“
„Hervorragend, mein streng riechender Freund. Sie stehen morgen ab sieben Uhr den ganzen Tag vor der Außentür abrufbereit, da ich Sie als Zeuge benötige. Solche besorgten Bürger wie Sie brauchen wir! Immer wachsam und schön aufpassen!“
Mit stolz geschwellter Brust blickte Diddi der Besorgte in seiner Duftwolke dem sich eilig entfernenden Sozialermittler nach. Wie schön es doch war, seine befohlene Pflicht zu tun.
Am Abend eines gelungenen Tages betrat der schneidige Sozialinquisitor sein Büro, das er sich mit seinem wenig geschätzten Kollegen, dem Amtmann Friedrich Spee, teilte. Zu des Oberamtmannes Unmut war der noch anwesend.
„Na Insistorius, wieder einmal einige arme Schweine fertiggemacht?“
„Was erlauben Sie sich Spee? Ich tue meine Pflicht und führe nur Befehle aus! Irgendjemand muss ja schließlich solche Parasiten ausmerzen! Sie sind ja nur damit beschäftigt, dieses Pack mit unseren Geldern zu mästen. Sie und Ihre sogenannte Menschenwürde, lächerlich.“
„Davon halten Sie ja nicht viel, obwohl Sie vermutlich auch ein Mensch sind. Übrigens Insistorius, ich habe da einige Ungereimtheiten bezüglich von Ihnen bearbeiteter Sozialbetrugsdelikte gefunden. Wir sollten vielleicht darüber reden?“
„Vorsicht Spee! Sie werden mir meine Kopfprämie, äh, ich meine natürlich die Leistungszulage nicht versauen! Oberregierungsrat Torquemada hat sowieso wegen Ihres andauernden Humanitätsgewinsels ein Auge auf Sie geworfen. Sie wissen, dass wir unsere Direktiven von ganz oben haben und da werden Querulanten schnell auf die eine oder andere Art beseitigt. Sie wissen doch: Wer zu hoch fliegt, den verbrennt die Sonne.“
Mit einem siegessicheren Lächeln voller Häme betrachtete der sozialpolitische Vollstrecker seinen gewissenhaften Kollegen.
„Ich glaube, ich mache Schluss für heute, sonst muss ich mich noch übergeben.“
Schnell und angeekelt verließ Spee die Stätte sozialamtlichen Wirkens.
„Unglaublich, dass der Kerl mein Stellvertreter ist!“
Der eifrige Beamte schüttelte mit einer widerwilligen Geste das Haupt und bereitete voller Vorfreude die morgige Überraschungsparty vor.

*

Um 12 Uhr mittags am Folgetag sammelte der mit einem Mundschutz bewaffnete, emsige Sozialermittler den geduldig wartenden Heinrichs auf.
„Sehr gut Herr Heinrichs. Hinsichtlich Ihrer außerordentlichen Kooperationsbereitschaft ernenne ich Sie hiermit zum Unterhilfssozialsheriff für die Dauer dieses Einsatzes.“
Hocherfreut schossen dem so Beförderten vor Rührung die Tränen in die Schweinsäuglein.
„Danke Meister Oberführer, ich tun Pflicht wie befehlen.“
„Dann einmal los: Legen wir diesen Sumpf des Verbrechens trocken! Diddi hol den Fahrstuhl!“
„Geht nicht, Chef. Fahrstuhl drei Monate kaputt, obwohl Firma von Chefin für teures Geld repariert, aber Mieter zahlen. Müssen Fuß gehen, aber Henot nur zweiter Stock. Weiß ich, kann bis drei zählen.“
Eine gute halbe Stunde und einige Atemnotanfälle des Oberermittlungsbeamten später erreichten die beiden munteren Gesellen den Eingang zur Höhle des Lasters. Vom Jagdfieber gepackt, betätigte der dynamische Oberamtmann die Wohnungsklingel und wartete circa 30 Sekunden.
„Typisch für das Gesindel! Heinrichs, klopfen Sie einmal energisch!“
Der ließ sich nicht lange bitten und hämmerte mit seinen groben Fäusten gegen die Wohnungstür.
„Geheime Sozialpolizei. Aufmachen, sofort!“
Kurze Zeit später wurde dem höflichen Wunsch auch entsprochen und zum Vorschein kam eine unscheinbare, aber gepflegte Frau mittleren Alters, die sich mühsam auf ihren Gehhilfen abstützte.
„Sie spinnen wohl, Sie Haus- und Hofmeister! Wer sind Sie denn überhaupt?“
„Oberamtmann Insistorius, Sozialbetrugsdezernat. Aus dem Weg bitte!“
Der nassforsche Diener des Staates drängte sein gehbehindertes Opfer, das nur mit Mühe sein Gleichgewicht zu bewahren vermochte, unsanft zur Seite und betrat, seinen Assistenten im Schlepptau, die saubere, aber bescheidene Behausung.
„Sie können hier doch nicht einfach eindringen, ich rufe die Polizei!“
Verwundert nahm der inquisitorische Investigator den unerwarteten Widerstand zur Kenntnis. Was, eine selbstbewusste Sozialhilfeempfängerin? Nein, nein, das durfte nicht sein!
„Ja, ich kann. Falls Sie weiterhin eine Verweigerungshaltung an den Tag legen, alarmiere ich meine Freunde und Helfer von der Polizei, die dann geeignete Maßnahmen bei Ihnen anwenden werden!“
„Jau Polizei, mit Gummiknüppel und Stromgerät!“
„Hilfsdetektiv Heinrichs, reden Sie bitte nur nach Aufforderung und beschränken Sie sich darauf, meine Anweisungen auszuführen.“
„Jawohl, Oberführer Chef!“
Obwohl Katharina eine couragierte Frau war, hatte doch ihr miserabler physischer und psychischer Zustand seinen Tribut gefordert.
„Zeigen Sie mir zumindest Ihren Ausweis.“
Widerwillig hielt der Sozialermittler für einige Sekunden das gewünschte Dokument hoch, um dann seinen Überfall fortzusetzen.
„Aufsässigkeit nützt Ihnen hier überhaupt nichts, das macht alles nur noch schlimmer. Frau Henot, Sie werden beschuldigt im Bunde mit dem Teufel zu sein und verbotene, heidnische Rituale…“ Sorry Freunde, wieder der falsche Film – mmh, wie komme ich nur darauf? Also dann nach dem Drehbuch:
„Frau Henot, Sie werden beschuldigt, sich des schweren Sozialbetrugs schuldig gemacht zu haben. Am besten Sie gestehen jetzt sofort, dann ersparen Sie uns allen Mühe. In diesem Falle sehe ich vielleicht, falls Sie mich demütig um Gnade bitten sollten, von einer Strafanzeige ab. Also, was haben Sie mir zu sagen?“
„Was wollen Sie von mir, was soll ich denn getan haben?“
„Das wissen Sie ganz genau! Außerdem ist das eine laufende Ermittlung, da werde ich Ihnen keine Auskunft geben!“
Enttäuscht hatte Insistorius seinen Blick in der aufgeräumten Wohnung, die aber deutliche Spuren einer stetigen Benutzung aufwies, schweifen lassen. Endlich haftete sein Blick auf einer billigen Wanduhr, die offensichtlich stehengeblieben war.
„Ha, auf frischer Tat ertappt! Was ist denn das da?“
„Bitte, was meinen Sie denn eigentlich?“
„Tun Sie nicht so unschuldig! Die Uhr steht! Das ist der Beweis, dass Sie diese Wohnung nur als Tarnung aufrechterhalten. Gestehen Sie jetzt und Sie kommen mit einer Gefängnisstrafe davon!“
Völlig entgeistert sah Katharina erst die bewusste Uhr und dann den gerechtigkeitsliebenden Beamten an.
„Ich hatte kein Geld mehr für Batterien, ich habe alles für Lebensmittel gebraucht.“
„Jau die Asis: Fett, faul und gefräßig!“
„Heinrichs, was habe ich gesagt? Aber danke! Leugnen Sie nicht, Sie sind überführt. Gestehen Sie endlich!“
Katharina war am Ende Ihrer körperlichen und geistigen Kräfte. Möglicherweise lag dies auch an ihrer unfreiwilligen Diät der letzten Zeit, da die Wohltaten des Staates bei steigenden Lebensmittelpreisen nur eine karge Kost zuließen. Die ganze Situation kam ihr mit einem Mal nur noch surreal vor, sodass sie sich wie eine Zuschauerin eines absurden Theaterstückes fühlte.
„Sie schweigen! Wenn das kein Schuldeingeständnis ist! Heinrichs, Sie durchsuchen jetzt die schmutzige Wäsche der Sozialbetrügerin nach Männerspuren!“
Grinsend machte sich das Hilfsmitglied der geheimen Sozialpolizei daran, Wäschekörbe auf dem Boden zu entleeren und die entstandenen Häufchen zu durchwühlen. Besonders interessierte ihn dabei die Unterwäsche der Schwerverbrecherin, an der er dann auch genussvoll schnupperte.
„Oberführer, keine Spuren. Hinterhältige Verbrecherin!“
„Wo haben Sie die Sachen Ihres Liebhabers versteckt? Das wir nichts finden, kann ich nur als weiteren Schuldbeweis betrachten. Erleichtern Sie Ihr Gewissen und gestehen Sie.“
Als Katharina ihre Inquisitoren betrachtete, bemerkte Sie, mit welch lächerlichen und aufgeblasenen Zeitgenossen Sie es eigentlich zu tun hatte. Normalerweise war unsere Verdächtige von zurückhaltendem und freundlichem Wesen, aber das Groteske der ganzen Situation ließ sie einfach lauthals auflachen. Diese unerwartete Reaktion brachte den eifrigen Jäger – seinem Schergen fehlten die kognitiven Fähigkeiten für solche Feinheiten – völlig aus dem Konzept. Bisher genoss er die Situation ganz außerordentlich und sah schon freudig dem erwarteten Zusammenbruch seines Opfers entgegen. So fiel die kleine Wölbung, die seinen Schritt ausgefüllt hatte, nun kläglich in sich zusammen.
„Ihre kriminelle Energie wird Ihnen noch vergehen. Ich habe genug gesehen! Ihre gesamten Bezüge sind gestrichen! Ich werde Sie von der Polizei arrestieren lassen wegen Verdunkelungsgefahr. Kommen Sie Heinrichs, verlassen wir diese Räuberhöhle!“
Wie viele kleingeistige und intolerante Naturen verunsicherte das Unerwartete den jagdfreudigen Sozialermittler zutiefst. Vom schallenden Gelächter der Delinquentin begleitet, beeilten sich der Jäger und sein, wenn auch etwas räudiger Dackel, den Schauplatz ihrer Heldentat zu verlassen. Schließlich gewann unser Archetyp eines deutschen Beamten im übelriechenden Treppenhaus seine Contenance wieder.
„Heinrichs, Sie bezeugen mir alles! Ich habe schon eine eidesstattliche Versicherung vorbereitet, die ich noch verschärfen muss. Sie kommen zum Unterzeichnen morgen zu mir ins Amt!“
„Jawohl, meine Oberführer!“
Voller Zuversicht und wieder energiegeladen betrat Insistorius die Treppe und rutschte beim Betreten der zweiten Stufe auf einer vorher nicht vorhandenen Bananenschale aus. Bevor er den Vorgang richtig realisierte, brach er sich das Genick und starb einen schnellen Tod.

*

Der Rest ist schnell erzählt: Friedrich Spee als Vertreter des Verstorbenen erbte den Fall der Katharina Henot und stellte das Verfahren unauffällig ein. Paris der Schöne beendete am bewussten Todestag seine Beziehung mit Medea unter Zuhilfenahme einer Packung Rattengifts im Kaffee der geliebten Ehefrau. Katharina durfte sich weiterhin an den Wohltaten des Sozialstaats erfreuen und blieb vorerst in ihrer bescheidenen Behausung wohnen.
Einen Nachtrag für die Anhänger der Reinkarnationslehre (Buddhisten, Pythagoräer u.ä.) unter uns hätte ich da noch:
Unser sympathischer Sozialermittler wurde seinem Karma gemäß als Schmeißfliege wiedergeboren und anschließend von Medea, die natürlich als gefräßige Spinne in ihr nächstes Leben schlüpfte, gefressen.
Wenn ihr jetzt glaubt, ich hätte mit meiner Geschichte übertrieben, so seid versichert, dass ich einen ähnlichen Fall beobachten konnte; der ging aber nicht so gut aus.
Tja, Talleyrand sagte einmal: ‚Schlimmer als ein Verbrechen ist eine Dummheit.‘ In Deutschland ist es ohne Zweifel schlimmer als ein Verbrechen, arm und ehrlich zu sein.

© 2019  H.K.H. Jeub

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