Karl-Konrad Knooshood

Deutschsprachige Musikwunder 60 - Buchstabe S 571 bis S 579

 

 


 

 

 

  1. SPORTFREUNDE STILLER – "'54, '74, '90, 2006" (2006)

Wer die wundervolle, grandiose und nachhaltig memorable WM im Fußball der Herren von 2006 in Deutschland, Motto: "Die Welt zu Gast bei Freunden", wirklich miterlebt hatte und mitfieberte mit der deutschen Nationalmannschaft, wer endlich merkte, dass Patriotismus auch positiv und schön sein kann und wer erlebte, wie nachhaltig sich das Image Deutschlands in der Welt zum Positiven wandelte, der kam trotz allem an einem Song nicht vorbei: Dem selbstbewussten (man könnte kritischer als der Papst päpstlich pässlich wäre, nörgeln: "großkotzig!") Vortrag voller Brustton-der-Überzeugung von den SPORTFREUNDEN, die für die deutsche Mannschaft den vierten WM-Titel für 2006 voraussagten. Das ganze Projekt scheiterte dann an den gerissenen Italienern, die eine kurze Unaufmerksamkeit der bereits erschöpften deutschen 11 in den letzten zwei Minuten der Verlängerung (ehe es zum Elferschießen gekommen wäre, falls keine Tore gefallen wären) nutzten, um kurz hintereinander gleich zwei Siegtreffer ins deutsche Netz zu zimmern. Immerhin gab's dann gegen Portugal einen akzeptablen dritten Platz. Das "Sommermärchen" war ausgeträumt, Italien wurde schließlich Weltmeister, obwohl ich es dem Finalgegner Frankreich gegönnt hatte. Erst 2014 sollte es dann im fernen Brasilien für den Titel reichen… 2010 wurde dieses hier vorliegende Lied mit einem verschmitzen Humor und korrekter Fußballqualitätsanalyse deutscher Spielkultur innerhalb weniger Zeilen ("Wir haben nicht die höchste Spielkultur – sind nicht gerade filigran!") nochmals neu aufpoliert. Aus "2006" wurde "2010", die zweite Strophe etwas angepasst an die Lokalität: In Südafrika reichte es leider gegen Spanien nicht im Halbfinale, wenn auch nur knapp, 0:1 unterlegen. Immerhin wurde hier zum zweiten Mal in Folge ein akzeptabler dritter Platz ergattert. Nun, das Lied ist ein klassisches Mitgröl-Fußballhitding mit etwas besser aufgestelltem, taktisch effektiver agierenden Niveau als übliche Fußballhits. Falls es trotzdem etwas flach und spackig klingt und textlich nicht so stark sein sollte: Ist ein Argument, aber sport- und musikhistorisch ist es ein Lied, das an eine kurze Phase der BRD-Geschichte erinnert, in der Deutschland mit sich und seinem Dasein im Reinen war. Deutschlandhasser und Deutschenhasser, die zum großen Teil selbst Deutsche waren und somit Selbsthass der besonderen Form betrieben, waren eine leise Minderheit, keine laute, wutschäumende und vom Selbsthass zerfressene wie heute. Die paar GRÜNEN-Nörgler, die die Nationalflagge am liebsten von überall weggebannt hätten, wurden noch ausgelacht und weggelacht. Die Stimmung war gut und großzügig, die Siegesfeier nach Erlangen des dritten Platzes war fast schon eine Siegesfeier für Platz 1. Mehr denn je hatte man ein Land, auf das man stolz sein konnte. Und sei es auch "nur" in Fußballbelangen. Die STILLER-SPORTFREUNDE haben ihren Part dazu beigesteuert, mit diesem bescheuerten und doch prätentiösen Lied, das peinlich und doch ein Teil unserer musikalischen DNA ist!

 

  1. SPORTFREUNDE STILLER – "Alles Roger" (2007)

Sprachliche Verwirrungen, Missverständnisse und "false friends"/"falsche Freunde" in diversen Sprachen sind Stolpersteine in der zwischenmenschlichen Verständigung, das lässt sich leicht konstatieren. Mitte der 2000er war diese Verwirrung kompletter denn je (damals kannte man freilich die "gendergerechte Sprache" noch nicht, dieses Monstrum von Konstruktion, das niemals die Chance hat, sich gänzlich durchzusetzen. Die humoristisch schalkhaften Schelme, die sich launig "Sportfreunde Stiller" nennen und seit Mitte der 2000er, insbesondere im Rahmen der Fußball-WM 2006 in Deutschland (siehe einen hier drüber), vornehmlich Songs zum Thema Fußball (und anderer Sport) machen, knicken diesen ihren eigenen Thementrend und kicken hier eine differente Kugel: Jetzt geht es um Sprachbarrieren – und dieses "Alles Roger", wie man in der Zeit häufig für "alles ist in Ordnung" sagte, ist gelungen. Mindestens zaubert es ein honigkuchenbreites Doppelgrinsen auf die faltigen Gesichtszüge meines JOKER-Gesichts, wobei mir der lateinische Part, "asinus humanum est" ("Der Mensch ist ein Esel"), eine philosophisch brisante Erkenntnis, am besten gefällt.

"Habe die Ehre, liebe Sprachbarriere - oft und gerne kommst du mir in die Quere!" fängt das milde Werk klassischen Deutschrocks vielversprechend an – und kann sein Niveau ("Niveau ist" übrigens "keine Creme") halten, denn "Empathie ist kein Problem"! "Nachhaltig stellen wir fest", dieses Lied ein gutes ist! Chapeau! Definitiv was für die Annalen des Nichtbanalen!

 

  1. SPORTFREUNDE STILLER – "Ein Kompliment" (2002)

Vier lange Jahre, bevor die SPORTFREUNDE ihrem Namen immer gerechter wurden und hauptsächlich Lieder über sportliche Themen fabrizierten, deren Peinlichkeitsfaktor zwischen Ballermann-Niveau und nettem Mitgröhl-Songmaterial schwankte und seltener dazu angetan war, tiefsinnig zu sein und zum Nachdenken anzuregen, brachten sie hier ein Paradebeispiel für die bereits dritte Welle der Neuen Deutschen Welle, die nach der zweiten in den rotzfrechen 90ern, mit überwiegend rotzfrechen Liedern in unserer schönen Sprache, die ganz klar die Seele der Ur-NDW der frühen 80er atmeten (wir werden in dieser Liste noch weitere Lieder dieser Kategorie antreffen). Lang vor dem 2006 entstandenen Konzeptalbum über Fußball ("You Have To Win Zweikampf") und dem großen Hit "'54, '74, '90, 2006" (siehe oben) gab es diese voranpreschende Rockballade mit starken elektronischen Elementen. Metapher wird an Metapher, Superlativ an Superlativ gereiht in der Anbetung einer Verehrten, einer Dame natürlich, die das Herz des lyrischen Ich des Songs zum Schmelzen gebracht respektive in Ekstase versetzt hat. Und doch ein Song, dessen Refrain ein jeder seiner Liebsten auf der einsamen Insel auf dem selbstgeschnitzten Palmholztisch auf einem Schilfpapierblatt hinterlassen könnte: "Ich wollte dir – nur mal eben sagen – dass du das – Größte für mich bist – Und sichergeh'n – ob du denn dasselbe für mich fühlst". Genug gesagt. Wahrgesprochen, mein junger Panda.

 

  1. STEFAN RAAB – "Böörti, Böörti Vogts" (1994)

Titelverteidigungen sind schwierig. Trainerwechsel haben es ebenfalls in sich. 1994, anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft, die in den damals (wie eigentlich auch heute, wenngleich inzwischen mit weniger Intensität) relativ fußballdesinteressierten USA stattfinden sollte, textete und komponierte der damals noch relativ unbekannte Metzgersohn und geborene Alleinunterhalter, der alberne VIVA-Moderator STEFAN RAAB seinen ersten großen Hit. Die seit nun fast 5 Jahren wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland war damals Titelverteidiger – und wir alle wissen, wie schwer Titelverteidigungen sind, schließlich scheiterte die deutsche Nationalmannschaft 2018 als Titelverteidiger bereits in der Vorrunde kläglich gegen Südkorea und Mexiko (nachdem gegen letztgenannte Mannschaft im Confed-Cup-Spiel der B-Mannschaft ein deutlicher Sieg errungen wurde). Es hatte, wie angedeutet, einen Trainerwechsel gegeben, selbst als Fußballlegende amtierend, gab der ambitionierte FRANZ BECKENBAUER an einen anderen ehemaligen Bundesspieler ab, BERTI VOGTS. RAABs Blödel-Hymne funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Es folgt eine wilde, zusammenhanglose und lustige, dafür wohl mit der Realität nur stellenweise übereinstimmende Aufzählung in den Strophen, der mehrstimmig vom Gröl-Chor RAABs begleitete Refrain besteht nur aus dem Titelgebenden, dem Verballhornen des Namens BERTI VOGTS. "Wer ist der schönste Trainer der Stadt?", wonach sich dann der Grad der humoristischen Gemeinheiten stetig steigert, um am Ende zum versöhnlichen "Und wer ist eigentlich doch ganz nett?" als Urteil zum Schluss zu kommen.

 

Die deutsche Fußballnationalmannschaft schaffte es damals übrigens, auch ohne freche, Despoten treffende ÖZILs und andere anstrengungslose Spacken, wenigstens locker über die Vorrunde, sogar das Achtelfinale – und scheiterte leider – aber erst – im Viertelfinale – gegen nur knapp besserspielende, im Gesamten sogar unterlegene, nur glücklicher Fügung anheimgefallene Bulgaren. Tja…Mein Lied, wenn ich mich an alte Prominente und die Fußball-Glanzmomente erinnern möchte, als Deutschland noch Deutschland war und wie Deutschland genialen Fußball spielte, als es noch "(bundes-)deutsche Fußballnationalmannschaft hieß und nicht "Die Mannschaft", als man die Nationalfarben wie selbstverständlich auf den Trikots trug, als noch jeder die Hymne mitsang und sich mit Deutschland identifizierte, statt sich eher als Türke zu sehen (ÖZIL, GÜNDOGAN) und sich obendrein mit "ihrem" Präsidenten ERDOGAN zu treffen und ihn zu verherrlichen. Als es noch keine Diskussionen darüber gab, ob man nicht wenigstens zu Zeiten des Fußballs patriotisch sein dürfe und ob das mit den bei den etablierten Parteien verhassten schwarz-rot-goldenen Nationalflaggen unsrer schönen Bundesrepublik und ihrem Schwenken nötig wäre, was die GRÜNEN, die Ober-Deutschlandhasser vor dem Herrn, deren Seele mit Stahlwolle ausgelegt ist und die auf ekelhafte Weise deutscher als deutsch sind, unglaublich stört. In der Tat waren wir mal ein normales Land mit normalen Leuten und normalem, entspanntem Verhältnis zu uns selbst. Das steigerte sich endgültig bei der WM 2006, bei der bei uns "die Welt zu Gast bei Freunden" war. Damals schienen wir als Land wahrlich angekommen und mit uns selbst im Reinen zu sein. Doch die Deutschland-Zerstörerin MERKEL war damals längst auf dem Weg und schickte sich an, die Geschicke des Landes zu übernehmen und es in die Katastrophe zu reiten – Galopp für Galopp, Schritt für Schritt. Dieses Lied jedenfalls ist ein glattes, klares Tor, ein absoluter Volltreffer!

 

  1. STEFAN RAAB – "Hier kommt die Maus" (1996)

Da die "Sendung mit der Maus", die "Lach- und Sachgeschichten" in kindgerechter Weise präsentiert, berichtet und beschreibt, dokumentiert und kommentiert, wie Waren und Konsumgüter des täglichen Bedarfs hergestellt und gemacht werden, unterbrochen von Spiel, Spaß und Musik, in diesem Jahr, 2021, immerhin 50 Jahre alt wird, ist es unerlässlich, dieses witzige Lied zu erwähnen. Es stammt von 1996, also von 25 Jahren zuvor. Damals wurde die Maus lediglich 25 Jahre alt, war also noch fast jugendlich-frischen Alters. Weitere 25 Jahre, also nochmal dieselbe Menge, sind hinzugekommen.

1996 also bastelte RAAB als damals noch recht grün-hinter-den-Ohren Seiender ein cleveres Stück Musik: Ein leichter, poppiger Eurodance-Beat in Slo-Motion, ein wenig mit funky Lines gemixt, dazu die klassische Erkennungsmelodie der berühmtesten, beliebtesten Kindersendung im deutschen TV. Quasi sämtliche wesentlichen Zutaten, die auch spätere RAAB-Songs zu kleinen Meisterwerken machten. Dazu fasst Herr RAAB, STEFAN, seines Zeichens Metzgersohn, in einem seiner frühen Meisterwerke von Text das zusammen, was die "Sendung mit der Maus" ausmacht: Eine Maus, die größer als ein Elefant ist, "den Bogen raus" hat und auch sonst patent daherkommt. "Sie weiß Bescheid", diese Maus, so viel ist sicher – und das wird in einer selbstbewussten Hommage deutlich. Es dürfte wohl kaum möglich sein, dass jemand der Maus eine ähnlich treffende, liebeserklärende Lobpreisung zuteilwerden lässt, die nicht vor Pathos unserer ekelerregenden Schleimer-Zeit der 20er Jahre im Jahrhundert Nummer 21 triefen würde. Denn dieses Lied tut es nicht. Es nennt das Wesentliche – und lässt den unwichtigen Tand aus. In ihm sind, sehr authentisch, Kinder zu hören, die teilweise typisch kindliches falsches Deutsch sprechen, etwa wenn sie sagen: "Schmeiß' der Fernseh' an!" Charmant und lebensnah. Süß, wie Kinder sind. Waren wir nicht alle so?

 

Gerne werde ich dieses Jahr dem Lied zu einer kleinen Renaissance verhelfen, jetzt, wo die Maus längst mehrfach erwachsen geworden und ins reife Alter gehopst ist. Jene Maus also, die sich in jeder Lebenslage zu helfen weiß, wie die Zeichentrick-Einspieler während jeder Sendung eindrucksvoll beweisen. Immer wieder schön, solche Jubiläen. Generationen von Kindern sind mit dieser Maus aufgewachsen – dies ist ihr Soundtrack.

 

  1. STEFAN RAAB – "Wadde hadde dudde da" (2000)

Dem Meister merkwürdiger und urkomischer Musik ist nicht nur gelungen, den EUROVISION SONG CONTEST (GRAND PRIX) gehörig aufzubocken und für einige der skurrilsten Beiträge gesorgt, nämlich 1998 mit GUILDO HORN (siehe viel weiter oben), dem er unter dem Pseudonym ALF IGEL "Guildo hat euch lieb" auf den Leib geschrieben hat, 2000, frisch nach der Jahrtausendwende, kam er mit diesem Ding um die Ecke. Für "Lovely LENA" schrieb er "Satellite", womit 2010 zum zweiten Mal in der Geschichte der GRAND PRIX-Titel nach Deutschland ging.

"Wadde hadde dudde da" – das war Deutsch – im weitesten und dialektübergreifenden Sinne: Babysprache, Kunstsprache mit lauter auf "at" endenden Lauten, ein wenig wie Ruhrpott-Slang oder Plattdeutsch im weitesten Sinne. Dennoch: Kein erkennbarer Dialekt einer bestimmten Region… Mit einem funkelnden Discofox-Kracher, der ähnlich funkelte wie der Anzug, den RAAB beim GRAND-PRIX-Auftritt trug, ein abgespaceter Fummel in Gold und Silber, kreierte der legendäre Songschreiber einen coolen Groove, der einen direkt in die 70er Jahre zurückversetzte. Der witzige Text ist zwar nur stellenweise als Deutsch zu verstehen, eine Anspielung auf Antitalentmann TIL SCHWEIGER im Intro ("Er ging nach Amerika und sagte: Wenn ich es dort schaffe, komme ich nie mehr nach Deutschland zurück! Und heute ist er wieder hier!") und viele kleine Nebeneffekte runden das Gesamtkonstrukt wunderbar ab. Einer der Ohrwürmer, die bewiesen, dass Deutsche echt geil einen an der Klatsche haben können, auf die denkbar positivste Weise: Als Stimmungskanonen und Spaßvermittler, die, der Clownerie nicht abgeneigt, das Gute, Schöne und Humoristische überbringen.

 

  1. STEFAN RAAB – "Wir kiffen!" (2001) 

Eines der längsten Lieder der deutschen Musikgeschichte, nur noch von ganz wenigen expliziten Aufnahmen getoppt. Sage und schreibe 16 Minuten und ein paar gequetschte Sekunden halten STEFAN RAAB und sein Team von TV TOTAL, der extrem erfolgreichen Sendung, die der Showmaster und alberne Gimpel, zudem aber fähige Humorist mit dem breiten Grinsen, seines Zeichens Metzgersohn und Ex-VIVA-Videojockey und –Moderator, der 1994 zunächst mit dem Veralberungslied "Böörti, Böörti Vogts" über den Ex-Trainer der deutschen Elf nach 1990 für Aufregung sorgte (siehe etwas weiter oben) immer zum besten gab, das Tempo. Sie halten den ganzen Zeitraum über durch, imitieren typische Kiffergeräusche, bauen eine Atmosphäre des "Rauschs" auf, rein akustisch, versteht sich, rödeln zu rödeligem Schlaffi-Rap-Beat lahmarschig vor sich hin, spinnen die absurdesten Reime übers Kiffen, in welchen die damals berühmten Personen aus Film, Fernsehen und dem öffentlichen Leben (auch Politiker) vorkommen – und alle diese werden wie die begeistertsten Kiffer dargestellt. Dass das keine "üble Nachrede" ist, macht der alberne, humorige Kontext klar, denn hier geht es um Scherze, aus der Puperze oder aus dem Herzen, absurd und abstrus – und überaus ulkig. Hier wird nichts ernstgenommen, die Pointe am Schluss passt zwar nicht ("Da lob ich mir den Stefan Raab – der lehnt das Kiffen strengstens ab!"), aber bis dahin hat man sich dort halb kaputtgelacht, seine Stimme mit "Helium" zur Micky-Maus verfremdet, einen Rundumschlag durch die deutsche Öffentlichkeit gemacht und für jede Menge Schmunzler oder gar Lacher gesorgt. Ein Lied, das zwar viele treffen könnte, aber niemandem ernsthaft wehtut. Dass Tempo und Message derartig lange funktionieren, dass man erst nach einer Viertelstunde (!) Lebenszeit, die an dieses Lied aber durchaus sinnvoll investiert und nicht verschwendet ist, allmählich die Faxen dicke hat von einem Reim nach dem nächsten (man wird danach süchtig, vergleichbar mit dem Binge-Watching einer der modernen Serien, wo du immer noch eine Episode und noch eine und noch eine gucken willst und "musst", um die Handlungsstränge zu verstehen). Diesem Lied fehlt zwar ein Handlungsbogen abgesehen vom immer wieder eingestreuten Sample "Wir kiffen!", das den einzigen Quasi-"Refrain" bildet, doch man ist immer gespannt, welcher Reim als nächstes kommt. MERKEL, damals noch nicht Bundeskanzlerin, sah mit ihrer phlegmatisch-lethargischen Fresse auch schon verdächtig nach Grasmissbrauch und jahrelangem Haschischkonsum aus. Das wirkte nur so, da sie immer ihre Mundwinkel zeigt und blass ist (damals war sie darüber hinaus ungeschminkt, was ihr keinen Gefallen tat). Ein heiteres und verrücktes Lied, dem allerdings eine große Problemkomponente innewohnt, die nicht zu unterschätzen ist. Zwar nicht so sehr wie RAABs mithilfe des guten alten Jamaikaners SHAGGY (hatte 1993 einen kleinen Hit mit "Carolina", 1995 seinen großen Durchbruch mit "Mr. Boombastic" und wirkte noch bei vielen weiteren Liedern mit) bei seinem fast ganz auf Englisch (von SHAGGY) gerappten "Gebt das Hanf frei!", bei dem der Titel ein Sample eines Ausrufs während einer Bundestagsrede des Herrn von den GRÜNEN, H. C. STRÖBELE war. Aber bedenklich auch hier: Das Kiffen wird (vielleicht aktiv) verharmlost. Dieses und das erwähnte andere Lied mit SHAGGYs Schützenhilfe, veranlasste HELGE SCHNEIDER zu seinem "Tu mal lieber die Möhrchen" als Gegenentwurf, als strikte Ablehnung aller Drogen. Genießen wir also diesen Drogenrausch in Musikform, denn selten ist ein solcher so gelungen. Vom Instrumentalen her wie ein Sommersong aufgebaut (auf der CD-Single gab's ein immerhin 3,5 Minuten langes, beliebig aneinanderhängbares sog. "Eigenbau-Playback"), könnte dieser hier durchaus zur Entspannung dienen. Drogen und deutsche Musikkultur? Durchaus kein Widerspruch – ähnlich wie bei der US-amerikanischen. Rock it!

 

  1. STEFAN RAAB & DIE BEKLOPPTEN FEATURING "ONKEL JÜRGEN" DREWS & BÜRGER LARS DIETRICH – "Ein Bett im Kornfeld" (1995)

Streitfragen ewiger Natur gibt es viele, im Bereich nicht nur der Popmusik, sondern auch der Klassik etwa folgende: Kann eine Neuinterpretation/eine Coverversion wirklich so gut sein wie das Original – oder es qualitativ noch übertreffen? Manchmal wechselt man das Genre (JAN DELAYs Version von NENAs "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" etwa), Textpassagen werden hinzugefügt (etwa, wenn im Genre Hip-Hop etwas gecovert wird, beim Hip-Hop wird immer so viel hinzugefügt (OLI Ps "Flugzeuge im Bauch"-Version von GRÖNEMEYERs Song) – und andere Gestaltungsmöglichkeiten sind da. Oftmals wirken Coverversionen, gerade in jüngerer Zeit, wie billig dahingeschissene Schnelles-Geld-Massenware: Männer mit weichen Babystimmen interpretieren Klassiker der 60er, 70er, 80er, 90er und entwerten sie damit – in Werbespots für Elektroschrottautos. Welche Coverversionen sind am besten? Zuweilen die, bei denen der Originalinterpret noch beteiligt ist. DONOVANs "Atlantis" (1968) gelang den NO ANGELS unter Beteiligung des Originalinterpreten 2002 recht solide.

Um letzteres Beispiel handelt es sich auch hier: 1976 bediente sich DREWS bei der Melodie des von LARRY E. WILLIAMS für die BELLAMY BROTHERS geschriebenen Country-Songs – und schnitzte kurzerhand "Ein Bett im Kornfeld" daraus, eine Ballade über einen Kerl und eine junge Dame, die sich über den Weg laufen – an einem Sommerabend. Er erzählt ihr dann über sein Leben – auf der Gitarre.

Ein Text, den womöglich jeder Schlagerfan – und nicht nur ein solcher – kennt.

Dass diese Version, zu der der Neuinterpret des alten Gassenhauers, Herr STEFAN RAAB, sich nicht nur seine komödiantischen Mitstreiter BÜRGER LARS DIETRICH und seine Band DIE BEKLOPPTEN, sondern auch JÜRGEN DREWS, der hier liebevoll "Onkel Jürgen" genannt wird, einlädt, besser ist, liegt einfach an der funky Instrumentierung und Inszenierung des Songs: "Ein Fahrrad, ein Mädchen – Onkel Jürgen, mach sie klar!" heißt es im Intro – nach Strophe 2 und einem weiteren Mal dem Refrain wird noch eine Extrastrophe hinzugefügt, was das ganze Lied nochmal etwas toppt. Geiler Gute-Laune-Song für den immer noch modernen Sommer!

 

  1. STEFAN RAAB FEATURING DJ BUNDESKANZLER – "Hol mir ma' 'ne Flasche Bier" (2000)

STEFAN RAAB zum Tausendsten! Verkauft an den Mann mit den mittelmäßigen Zähnen inklusive vieler Lücken! Dem wohl zweitgrößten Entertainer, den Deutschland jemals sich glücklich schätzen konnte, zu haben, gelang etwas, das der GERDSHOW niemals glückte: Während das Comedy- und Parodie-Projekt um ELMAR BRANDT den damaligen Bundeskanzler GERHARD SCHRÖDER nur per Stimmnachahmung veralberten und scharf parodierten, insbesondere nach gewissen politischen Entscheidungen nach Wahlen (2002, siehe "Der Steuersong", viel weiter oben), fing man SCHRÖDER bei einer Veranstaltung im O-Ton seiner unvergleichlichen, unverwechselbaren Stimme ein, während er gerade dabei war, viele Autogramme zu schreiben bei einer Art Signierstunde. 

Dem eben auch "nur" Mensch seienden Bundeskanzler SCHRÖDER entfuhr dann plötzlich die von Fernsehkameras aufgezeichnete Äußerung: "Ho' mir ma' 'ne Flasche Bier – sonst streik ich hier – und schreibe nicht weiter! 'n ordentlichen Schluck!" – in Richtung eines seiner Mitarbeiter. In RAABs unvergleichlicher Fähigkeit, aus den letzten Satzfetzen noch einen Song zusammenzubasteln (ähnlich kam es zu der allerdings in sächselndem Englisch aufgenommenen Coverversion des alten Discoklassikers "Una Paloma Blanca" als "Ö La Palöma Blanca" im Jahr davor, 1999, der Ö LA PALÖMA-BOYS), entstand dann die bayrischer Polka-Volksmusik nachempfindene Nummer "Ho' mir ma 'ne Flasche Bier", in der der getane Spruch in seine Einzelwortbestandteile zerlegt und passend zum Rhythmus wieder zusammengesetzt wurde. Herausgekommen ist dieses Unikat von einem Sauflied, bei dem man unseren ehemaligen Bundeskanzler hört – der zwar irgendwo auch 'ne Drecksau war, aber wenigstens kein in die CDU kontaminierend eingestreutes sozialistisches U-Boot wie fucking ANGELA MERKEL! Könnte man sich noch vorstellen, ein lustiges Lied mit dieser machtgeilen, volksvergessenen Schabracke und ihren Zitaten zu machen? Nee, denn erstens ist die dröge, öde Schlaftablette mit dem Bösen in ihrem Inneren ungefähr so lustig wie eine Not-OP am offenen Herzen – und mindestens so gefährlich für den innerdeutschen wie den weltweiten Frieden wie eine H-Bombe. Zweitens sind ihre Zitate nicht mal unfreiwillig komisch – und auf die sympathisch-menschliche, nahbare Weise, wie ein normaler, echter Mann nach einem Bier verlangend, wird sie selbst dann nicht rüberkommen, wenn sie 'nen Whiskey verlangen würde. SCHRÖDER in diesem Moment eingefangen zu haben, ihn zwar mit diesem Lied vorzuführen und zu vergackeiern, mächtig durch den Kakao zu ziehen, aber doch irgendwie als menschliche Normalperson mit halt nur einem hohen politischen Amt, ist historisch wichtig.

Es handelt sich um ein ganz besonderes historisches Audio-Dokument, das zwar in einen veralbernden Instrumental-Kontext eingebaut ist, durchaus aber anzusprechen weiß. Man kann darüber lachen, schmunzeln – oder sich sagen: "Schön, dass wir auch mal solche normalen Menschen als Kanzler hatten, nicht nur völlige Fehlbesetzungen wie MERKEL! Danke, SCHRÖDER! Von Herzen!

Mit ein paar "GERHARD!"-Rufen aufgewertet, mit ordentlichem Wums. So kann man aus Puzzleteilen etwas Großes schaffen!

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