Karl-Konrad Knooshood

Deutschsprachige Musikwunder 76 - Buchstabe W 669 bis W 688



 

  1. WANDA – "Bologna" (2014)

Aus Österreich stammende Pop- und Rockgruppen haben seit jeher etwas sehr Besonderes. Das sie vom anderen deutschsprachigen Pop/Rock abhebt, ist ihre sehr spezielle Art von Humor. Unverwechselbar. Da die österreichische Kultur wie keine andere neben der deutschen deutschsprachige Hits am laufenden Band produziert hat, für die sich der Begriff "Austro-Pop" etabliert hat, muss sie gerade hier besonders gewürdigt werden. WANDA ist ein neueres Phänomen der sich durch extrem originelle, einzigartige, wiedererkennbare Texte in österreichischen Dialekten auszeichnet. Eine Musik, die ganz neue, coole Reimmöglichkeiten gegenüber dem Hochdeutschen aufweist. Die, ähnlich wie auch in Deutschland üblich, viele Anglizismen mit ins Sprachrepertoire einbaut (die Österreicher haben diesen Trend noch stärker hervorgebracht) – und einfach irre lässig und lustig rüberkommt. Zwar ist der Oberbegriff "Austro-Pop" keine stilistische Zuordnung, denn außer Pop kann es sich auch um (Deutsch-)Rock oder Rap handeln, auch New-Wave-Elemente sind verarbeitet. Jazz-Einflüsse, FUNK inklusive.  

 

FALCO hat diese Mischung aus (österreichischem) Deutsch und Englisch weltweit zum großen Erfolg geführt in den 80ern, die EAV (ERSTE ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG) hat sich dafür mehr in der österreichischen, vornehmlich wienerischen Mundart hervorgetan.

Ähnlich wie in Deutschland etablierte sich in den späten 2000ern und 2010er-Jahren des 21. Jahrhunderts eine neue Neue Deutsche Welle (des Austropop in diesem Falle), aus der im Speziellen vor allem WANDA hervorgingen.

Die fünfköpfige Junge-Herren-Band aus der Hauptstadt Wien unter Leitung des Sängers MICHAEL MARCO FITZTHUM ist eine originelle Deutschrock- und Austropop-Band, die sich musikalisch bis in den Bereich Hardrock erstreckt und eingängige Songs (im alten Sinne, wie es vor der von mir hier an anderer Stelle erwähnten neuen Perfektionismus) fast am Fließband abliefert (ich empfehle ausdrücklich auch "Columbo", obwohl der Song inhaltlich recht wenig mehr mit der fiktiven Kriminalisten-Figur außer die Namensnennung zu tun hat).

Ihr größter Hit ist, erst recht aus meiner Sicht, dieser hier. Er ist der Grund, warum ich mir das Album "Amore" (2014) zulegen musste, auf dem der Song enthalten ist. Neben dem dort ebenfalls enthaltenen "JELINEK" (nach der großen österreichischen Volksdichterin ELFRIEDE JELINEK) sticht dieser Song hervor: Treibende Basslinie, starke Synthesizer, dazu der rotzig-raue Gesang des Sängers ergeben einen geilen Kontrast und bieten, paradox, beides: Sowohl musikalischen Mut zur Hässlichkeit als auch eine dennoch Spitzenmelodie.

Der Text wird so nuschelnd und knödelnd hart-rau gesungen, dass ich ihn akustisch zunächst nicht verstand, als ich zuallererst des Musikvideos beim Zappen auf den Musiksender DELUXE MUSIC ansichtig wurde.

So hielt ich das Ganze erst für eine andere Sprache, bis ich, mehrmals noch das Video auf DELUXE MUSIC wiedersehend, genauer hinhörte. Bei mir und meiner Freundin ist dies Lied seitdem sehr hoch im Kurs. Es ist etwas ganz Besonderes und hat das mehr als gewisse Etwas.

Im Lied wird eine gewisse Tante präsentiert, die in der italienischen Universitätsstadt Bologna mal "Amore gemacht" haben soll – und um die Quasi-Liebesbeziehung des lyrischen Ichs zu seiner Cousine, mit der es sich verbiete, zu schlafen und ähnliches. Der Typ versagt sich diesen Luxus selbst, gestattet sich ihn nicht. Verrückt, skurril – und die Botschaft ist mir nicht ganz plausibel. Doch sehr liebenswert. Die fast heisere, fast schreiende und umso eindringlicher sich ins Gehör fräsende Stimme des Sängers tut ihr Übriges dazu, dass man an diesem superduper-originellen Song nicht vorbeikommt. Die Repeat-Taste ist definitiv bereit, ich stelle auf "continuous play"…

 

  1. WESTERNHAGEN – "Es geht mir gut" (1994)

Eine Liste wie diese ohne den Sänger MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN anzufertigen, käme nicht bloß einer krassen Auslassung gleich (wer würde die beiden verheerenden Weltkriege und den Dreißigjährigen Krieg aus der europäischen Geschichte weglassen?), sondern einem Verbrechen! Der Mann mit der röhrenden Reibeisenstimme machte den Rock'n'Roll in Deutschland nicht nur salonfähig, sondern transferierte ihn in die deutsche Sprache und in den deutschen Kontext. Und das mit großem Erfolg. Man kann über ihn sagen was man will, zu der Zeit, in der dieses Lied entstanden ist (Mitte der 90er), galt er bereits als "Rocker in Armani", was wiedermal ein Aspekt typisch deutscher Neidkultur ist: Dass er mit seiner spaßigen, spannenden und mitunter einfach genialen oder wenigstens affengeilen Musik zum mehrfachen Millionär geworden ist und nicht mehr unbedingt als arme Kirchenmaus vor sich hin vegetiert, mag klar sein – und sein Reichtum sei ihm gegönnt. Wenigstens ist er nicht ganz solch ein verbohrter Gutautist geworden wie der moralin den Zeigefinger erhebende H. GRÖNEMEYER, seine schärfste Konkurrenz. Nun, 1994, mit seinem damaligen Album "Affentheater" (siehe JUBILÄEN), war er auf der Höhe seines Schaffens, nicht nur aus meiner Sicht, wenngleich sicherlich nicht aus Sicht sämtlicher Kritiker und Rezensenten. Mit allem voran diesem schönen Song übers Älterwerden und den Verlust, das Unsichere, das er in gewohnt grölender Röhrigkeit perfekt wegbrettert als astreine, reinrassige Deutschrocknummer, dem Fremd- und Selbstversichern, es ginge einem gut und selbst krasse Dinge wie die damals aufkommenden Kindesmissbrauchsvorwürfe gegen MICHAEL JACKSON (die allesamt völlig aus der Luft gegriffen waren, wie sich längst herausgestellt hat) oder die Tatsache, dass GINGER ROGERS mit FRED ASTAIRE steppgetanzt haben soll, jucken wenig bis gar nicht. "Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept, keine Lust um aufzustehen", knödelt der Mann, der mit besagtem Album und diesem Lied einfach das Beste abgeliefert hat – und er hat recht damit. Weitere Spitzenhits vom selben Album sind die ersten, die mich mit diesem Sänger und seinem Oeuvre in Berührung brachten, damals noch beim Karneval in der damaligen Schule, im fünften Schuljahr. Da wäre natürlich noch "Willenlos", "Schweigen ist feige" (auch in einem meiner Titelbilder verarbeitet) und "Halleluja" in der aufgefrischten '94-Version.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Es ist an der Zeit" (2001)

Jeder große Langzeitstar und extrem erfolgreiche Musiker hat auch Phasen, die nicht so gut laufen. Das Album, dessen erste Singleauskopplung diese hier war, wurde kistenweise zurückgegeben, da es hinter den Erwartungen vieler Fans und Hörer weit zurückblieb. Auch ich muss gestehen, dass "In den Wahnsinn", das erste WESTERNHAGEN-Album mit dem damaligen Novum einer Kopierschutzsoftware auf der CD (aus rechtlichen Gründen wurden sämtliche Maßnahmen dieser Art längst wieder rückgängig gemacht, nicht nur, weil es laut EU-Recht unzulässig sei, sondern auch, weil es massive Probleme gab, da die Software oftmals bei vielen CDs ein problemloses Abspielen verunmöglichte), mich nicht flashte. Es ist ein ziemlich "wahnsinniges" Album, dieses "In den Wahnsinn", 2001. Eine Mischung extrem rockiger Nummern, die teilweise textlich echt verwirrend sind, etwa der Album-Abschlusstrack "Why Don't You Say Your Name?" (das Lied ist, trotz seines englischen Titels, weitestgehend auf Deutsch) und einen ratlos zurücklassen wie GRÖNEMEYERs verkopfte Alben rund um "Mensch" (2002) und kurz davor. Im extrem rockigen, regelrecht energetisch dahinpreschenden Kraftprotz "Es ist an der Zeit", in dem WESTERNHAGEN sein ganzes Können als rock'n'rollige Rockröhre unter Beweis stellt, geht es um eine beendete Beziehung, in der die Frau den männlichen Liedprotagonisten um Geld anhaut und er ihre fadenscheinigen Erklärungen und Argumente fix durchschaut und ihr auf den Kopf ihre Heuchelei und Berechnung zusagt. An dem Track hat es meines Erachtens nicht gelegen, dass das Album "In den Wahnsinn" floppte. Es dürfte der mit Abstand beste des ganzen Albums sein. Meine Meinung ist das jedenfalls. "Es ist an der Zeit, dass du endlich begreifst", grölt und reibeist der MARIUS M.-W. und fährt fort mit "dass es nicht nur um dich geht". Kleine Andeutungen bezüglich metaphorisch clever verarbeiteter Weltliteratur (gleich zu Beginn wird der Titel des berühmtesten Werkes von ERICH MARIA REMARQUE zitiert), verknüpft mit damals recht frischen Ereignissen "HANNAWALD ist gestürzt" (der Skispringer SVEN HANNAWALD war gefährlich gestürzt), "die Börse im Keller"…

 

  1. WESTERNHAGEN – "Freiheit" (LIVE) (1989)

Es entbehrt eines extremen Seltenheitswerts nicht, wenn ich sage, dass ich selbstverständlich die möglichst perfekten, fehlerfreien Studioversionen von Liedern lieber mag. In der Regel sind LIVE-Versionen der letzte Müll. Nicht, dass die meisten Sänger beiderlei Geschlechts in irgendeiner Weise schlecht sängen oder ihre Instrumente nicht beherrschten. Doch Hallen-Hall und Publikumsgeräusche, auch von mitsingenden/mitgrölenden Massen fand ich noch nie so prickelnd. Es mag halt etwas anderes sein, wenn man dabei ist. War ich nie, vermutlich wär's mir auch zu stressig. Normalerweise empfehle ich solcherlei Liedversionen generell nicht, da das Prädikat LIVE sowieso eine Lüge ist, denn wenn eine Aufnahme, die LIVE gemacht wurde, im Studio verarbeitet und abgemischt wird, dann im Plattenladen, wie ein reguläres, komplett im Studio entstandenes verkauft und später zuhause gehört, dann ist es ja nicht mehr live. Dann findet es ja nicht im selben Moment irgendwo statt. Oder jedenfalls nicht dieses spezielle Konzert, sondern evtl. schon wieder ein anderes – oder auch nicht. Gibt einem tierisch zu denken. Normalerweise lasse ich Live-Versionen also links liegen, die LIVE-Alben in meinem Besitz kann man an wenigen Butterfingern abzählen – und die meisten davon sind von meinen Lieblingsbands, von denen ich mir ohnehin alles Verfügbare kaufe. Doch die LIVE-Version, in der erwartungsgemäß der große Fan-Chor einsetzt und dem Lied dadurch weitere Dynamik und extrem positive Energie gibt, ist hier tatsächlich der gefälligen Studiovariante um ein Vielfaches überlegen. Auch wegen WESTERNHAGENs Ausruf nach der Passage: "…sollen 's Feiern nicht versäumen!", "So wie wir heute Abend hier!", der in seiner Wirksamkeit nicht zu unterschätzen ist.

Diese Version des großen Hits WESTERNHAGENs, einem der geschichtsträchtigen deutschen Lieder, neben "Wind of Change" von den Scorpions, die große Hymne auf die Freiheit des schlichten, gleichen Namens, ist längst zu einem Mitsing- und Mitgröl-Refrain geworden, jeder versucht sich daran. Als das Land in den frühen 1990ern endlich zusammenwuchs, als es so schien, als stünde ihm eine glorreiche Zukunft bevor, bot dieses Lied differenzierte und ernste Zwischentöne. Voller Skepsis. "Der Mensch ist leider nicht naiv – der Mensch ist leider primitiv" sang WESTERNHAGEN in weiser Voraussicht und voller Weisheit. Geradezu prophetisch, doch auch mit Rückblenden auf alte typisch deutsche Verhaltensweisen: "Und mein Nachbarn vorne weg" – ja, mancher Deutsche stellt sich wieder an die vorderste Front, um irgendwo im Gleichschritt mitzumarschieren – und, oh Wunder, wie wir heute sehen: Es muss nicht immer der "rechte" Weg sein, sondern kann auch mal in den linken Soft-Totalitarismus ausarten.

Der Song, ursprünglich bereits 1987 erschienen, sollte, laut WESTERNHAGENs eigener Aussage, gar nichts mit der Wiedervereinigung zu tun haben (die auch '87 noch niemand erahnen konnte); alle Wiedervereinigungsfeiern, für die WESTERNHAGEN angefragt wurde, sein bekanntestes und beliebtes Lied zu spielen, sagte er ab, spielte es auch jahrelang nicht mehr live. Erst beim MTV-UNPLUGGED-Konzert 2016 musste es natürlich dabei sein, als richtig wichtiger Teil der Diskografie.

Es mag Hoffnung geben, doch die Liedzeilen "Freiheit, Freiheit – wurde wieder abbestellt" und "Freiheit, Freiheit – ist die Einzige, die fehlt" geben wiederum zu denken, passen wie die berühmte Faust aufs Adlerauge, denn unsere Freiheiten werden uns Stück für Stück genommen, werden auf dem Basar der Globalisierung verhökert, für höhere Interessen einzelner weltweiter Machtmenschen geopfert, für die EU, für einzelne Regenten, für ein paar Strippenzieher wie SOROS im Hintergrund. Es wird in einer Tour zensiert, gecancelt, verboten, bestraft – und weiterhin so getan, als hätte man noch jegliche (Meinungs-)Freiheiten und Ausdrucksmöglichkeiten, trotz oder gerade wegen politischer Korrektheit. Das Gegenteil ist der Fall, denn Meinungsfreiheit und andere Freiheiten bedeuten nur was, wenn sie unverbrüchlich und unverhandelbar sind und wenn ihre Äußerung (selbstverständlich ausgenommen handfeste Beleidigungen) folgenlos für denjenigen bleibt, der sie tätigt. Wenn man heutzutage Job, Reputation, soziales Umfeld und Karrierechancen riskiert und selbst als großer Star "gefeuert" werden kann, ist es keine Freiheit mehr! Dann ist kein Wert mehr vorhanden. Das Lied ist weiterhin schön, auch wenn seine spartanischen Zeilen, die dennoch jede Menge Interpretationen zulassen, eher melancholisch und desillusioniert stimmen können. Historisch ein wichtiges Lied für Deutschland, nicht nur wegen des historischen Kontextes, in dem es schließlich verwendet wurde. Es mag bessere Lieder über Freiheit und zur Warnung vor ihrem Verlust geben. Dies hier ist jedoch das ökonomischste. Und: melodischste.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Grüß mir die Genossen" (1979)

Nicht selten konnte unser guter Rockröhren-Platzhirsch auch mal politisch. In einer Zeit, als es brisant und relevant war, gar richtig wichtig. Als man sich einmischen musste, mutig das Maul aufreißen musste. Der Deutsche Herbst war eine schwere Zerreißprobe für die nicht ganz junge, aber ihr jugendliches Alter erst kurz überwunden habende westliche Bundesrepublik. Der Osten, damals noch DDR, hatte noch ganz andere Probleme. Dort war sowieso alles voll von Stasi, Denunziantentum und anderem, dort gegen Systemabweichler und Systemkritiker. Hierzulande allerdings hatte man das große Problem, dass die RAF in den 70ern wirklich heftig wütete. Anschläge ohne Ende, mehrere Todesopfer. Zwar fuhr keine RAF-Drecksau in eine Menschenmenge einfacher Bürger wie heutige Islam-Terroristen und Dschihadisten, auch metzelte sich niemand durch eine City oder so. Nein, die RAF griff Staatsorgane und Politiker an. Im damals noch eher konservativen Staat, dem linke Luftikusse gern faschistische Strukturen vorwarfen (die er nicht (mehr) hatte), war linker Terrorismus noch sehr ungern gesehen, weshalb auch rigoros gegen ihn vorgegangen wurde. Während heute kaum noch etwas gegen islamischen Terrorismus und islamische Hassprediger und weitere Islamangehörige getan wird, die Unterstützer und Sympathisanten des mittlerweile globalen Dschihads des Islams gegen den Rest der Welt sind, während heute stattdessen Milliarden Steuerkohle gegen die Kritiker und Warner dieser Entwicklungen und Gefahren lockergemacht wird (allesamt als "rechts", "Nazis" geframt), war man damals auf dem linken Auge noch nicht allzu blind. Leider ging man, ähnlich wie in den paranoiden 50ern in den USA, etwas zu hart vor, identifizierte auch Unbeteiligte und moderat Linke, insbesondere junge Leute, als vermeintliche Kollaborateure oder Sympathisanten. Wenn es irgendeinem alten Zausel in den Kram passte, denunzierte er einfach irgendwen aus seiner Nachbarschaft. So geschieht es in diesem Lied von WESTERNHAGEN, das stante pede in die Vollen geht! Morgens früh dringt bei dem Liedprotagonisten eine Polizeispezialeinheit gewaltsam in dessen Wohnung ein, der völlig Perplexe, der von nichts weiß, wird brutal niedergerungen, fixiert und im Polizeiwagen weggefahren. Während er noch fragt, wohin es denn gehe, wird ihm nur mit "Das werd'n Se schon erfahren" geantwortet. Dann auf dem Polizeirevier muss er sich einem langen Verhör unterziehen. Es stellt sich schließlich heraus, dass sein Nachbar, der ihn als "Sympathisant" verpfiffen hätte, polizeibekannt ist, da er auf seine alten Tage "Denunziant" wurde. Die Wut im Lied, der absolute Frust, das alles ist echt. Die Reime sind noch zum Teil etwas ungelenk, doch dieser historisch vor dem Hintergrund des Deutschen Herbstes absolut unverzichtbare Song, der in jede Topliste gehört, der auch musikalisch stimmig ist, zwar nicht rockig, aber etwas in Richtung einer Deutschrock-Halbballade. "Grüß mir die Genossen" ist der sarkastische Kommentar, den einer der Polizisten macht, als sie den Liedprotagonisten nach Wochen der Einzelhaft ohne Anwalt-Kontakte (weil angeblich "die Sicherheit" vor ginge) wieder freilassen. Sie haben ihn also weiterhin im Visier. Wie es sich anfühlt, zu Unrecht unter eine Art Generalverdacht zu geraten, wissen sicherlich nicht wenige Bundesbürger bereits wieder, spätestens, seitdem Verstöße gegen Corona-Maßnahmen und –Regeln durchaus wieder mit Wohnungsdurchsuchungen, Razzien, Verhaftungen und horrenden Geldbußen durch die Polizei als willigem Staatsgewaltorgan ausgeführt werden. Es nimmt schon wunder, dass man auf einmal Recht und Ordnung wieder maximaloppressiv und offensiv durchsetzen kann, nachdem (angeblich) weder 2015 die Grenzen geschützt werden "konnten" noch Silvester 2015 verhindert, geschweige denn islamische Terrorumtriebe und Hasspredigten verhindert werden konnten. Dass komischerweise wenig gemacht werden kann, um kriminelle Seit-2015-Asylanten nach ihrerseits massiven Straftaten wieder abzuschieben und nie wieder ins Land zu lassen und auch die Messerstecher aus dem Orient auf unseren Straßen wöchentlich fröhlich unterwegs sind, bis hin auch zu vereinzelten Tötungsdelikten. Von Gruppenvergewaltigern aus diesem Kulturkreis mal ganz abgesehen. Interessant ist das alles schon. Interessant auch, wie damals brutalst vorgegangen wurde, was wirklich zu einiger Kritik Anlass gab und der RAF damit eine Zeitlang noch mehr Auftrieb verschaffte. Nun, dieser Song ist einer der wichtigsten, wenn es um politische Verwerfungen geht.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Hoffnung" (1998)

Auch hier spielt zwar die Akustikgitarre eine gewichtige und wichtige Rolle, schafft jedoch an der richtigen Stelle zum Refrain einem frenetischen Rockriff Platz und lässt das Ganze sich in eine veritable Deutschrock-Nummer mit hübscher Melodie und Wiedererkennungswert verwandeln. Es ist keine Frage: Dieser Song ist einer der schönsten über Promiskuität und das notorische Fremdgehen mancher Männer (in diesem Falle von einem in der Ich-Form erzählt, obschon feststehen muss: Es muss nicht zwangsläufig auf WESTERNHAGENs eigene Biografie zurückgehen), die jemals auf Deutsch geschaffen wurden. Die Sprachbilder in Richtung Sünde, Verfehlung und Verwerfung passen perfekt, der Titel impliziert, dass die Hoffnung auf die ganz große Liebe zu einer Frau (mit der der Mann im Lied fest zusammen ist, die er aber zigfach betrogen hat), die wieder aufflammen soll, obwohl der massive Vertrauensbruch durchs Fremdgehen vielleicht ein großer Spalt ist, der kaum mehr zu kitten wäre. Ein von Reue zerfressenes Lied zwar, aber eben eines, das textlich und musikalisch überzeugt.

Selbstverständlich unter der Prämisse, dass auch der Mann im Lied nicht nur Schuldiger, sondern zugleich Opfer ist: "Sie schlich sich an mich ran – als sie mich wehrlos fand" heißt es etwa, was eine Femme Fatale der besonderen Sorte andeutet. Besser kann man es nicht machen.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Lass uns leben" (1983)

Lebensbejahung? Nur wie? Sehnsucht nach Leben, Freiheit, Liebe? Durchaus möglich, doch: Wenn die Welt um einen herum immer wahnsinniger wird, Politiker Visionen haben ohne zum Arzt zu gehen, wie im Delirium Dünnschiss faseln und plan- und konzeptlos sich in irgendwelche Phantasien von einer besseren Welt in ihrem, nicht dem Sinne ihres Volkes flüchten (Realitätsflucht ist eine weitverbreitete, hochansteckende Krankheit unter Politikern), zurzeit etwa die GRÜNEN, die SPD und CDU gleichermaßen, die SED (zurzeit: DIE LINKE) und ein Stückweit sogar die FDP – dann ist es Zeit für die Liebe. Selig, wer bereits einen Partner/eine Partnerin hat, denn dann kann er sich einigeln und sich in die Beziehung stürzen. In einer Beziehung kann man sich gegenseitig stützen und beistehen. Aus meiner Sicht handelt dieses Lied in etwa davon: Alles wird egal, wenn die Liebe stark ist, durch sie wird alles Böse, Schlechte, Unangenehme und Einschneidende neutralisiert. Sie erfordert auch keinen reichen Mann, keine reiche Frau, keinen Wohlstand an sich. Sie überwindet alles. Die heißesten Wüsten, höchsten Berge, tiefsten Täler (auch im übertragenden Sinne), durch die man gehen muss. Man kann sich entspannt zurücklehnen. Eine distinguiert klavierbegleitete Rockballade, die zwar noch mittels Schlagzeug zu einem standfähigen Musikgerüst ausgebaut wird aber auf opulente Rocksoundwände und krachende Effekte gänzlich verzichtet. Eine schöne Liebesbotschaft, nicht nur für die zu zweit bewohnte Einsamen-Insel. Liebe ist immer relevant, deshalb gehört dieses Lied in jede Liste deutschsprachiger Lieder, die gut oder gar geilomat sind.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Jesus" (1998)

Zu Zeiten, als man noch nicht arschkriecherisch islamophil war, sondern es noch mindestens moderaten Ärger geben konnte, wenn man sich über den Sohn Gottes, laut Christentum, lustig machte, ging es WESTERNHAGEN darum, eine besondere Würdigung an JESUS zu schaffen. Dass der Mann über jeden Zweifel erhaben gläubig ist, steht fest, er wollte gewiss keine Blasphemie betreiben. Doch dafür kommt der Text reichlich eigentümlich daher: "JESUS, spende mir Blut – bevor die Sonne mich tötet" heißt es da flehentlich – und Appelle an den Gottsohn wie "JESUS, wir sind die Helden – Es geht, du musst es nur wollen! – JESUS, sei nicht so feigen – wir werden's der Welt schon zeigen!". Und gleich zu Beginn die Forderung: "JESUS, schenk mir dein Leben – ich geb dir meines dafür!" Ein schlechter Tausch? Tja, also…Kein Wunder, dass da die Empörer-Welle aus Eiferern der katholischen Kirche allen voran, anspringt. Eine besondere Art der JESUS-Verehrung erkennen die nämlich hier nur bedingt. Weitere Lieder auf dem 1998er-Hitalbum "Radio Maria" (allein der Titel ist doch schon kitschig religiös!) der Anbetung Gottes finden sich. Da wäre etwa "Durch deine Liebe", eine für WESTERNHAGEN-Verhältnisse leider zu kitschige und belanglose Nummer. Nun, jeder Skandal flaut auch mal wieder ab. Niemand jedoch drohte dem Nichtschnulzen-Sänger mit W etwas an, was einem heute droht, wenn man auch nur ein paar Zeichnungen über einen psychopathischen Propheten aus grauer Vorzeit malt oder darüber singen würde. Fortan bräuchte Herr WESTERNHAGEN Polizeischutz und etliche sog. "Fatwas" (islamische Todesurteile) würden ihm von islamischen Geistlichen und Terroristen gleichermaßen angeheftet werden. Der Skandal heutiger Tage besteht darin, dass diese Scheiße kein Skandal mehr wäre. Dagegen ist ein harmloses JESUS-Liedchen, das auch eine besonders rockige Komponente unverkennbar geradlinigen Rocks sein Kapital nennen kann, eine der besten Gesangsleistungen des sich voll bis zum Exzess reinknienden MARIUS MÜLLER-W., etwas, das ein paar hohe Wellen schlüge – und dann schnell wieder im Sand verliefe. Das Lied ist dennoch nicht vergessens-, sondern bemerkenswert, der Erinnerung würdig und zugleich schön provokativ, ohne dass einem jemals jemand eine Enthauptung angedroht hätte. So haben sich Zeiten gewandelt. Ich will die alten Zeiten mit leichten Empörungsstürmchen im Wasserglas zurück, in denen es ein paar Wochen Stunk gab und danach alle wieder Freunde waren – und keine Cancel-Culture stattfand, sondern Versöhnungskultur!

 

  1. WESTERNHAGEN – "Johnny W." (1979)

Eine Aufführung auf einem Fest, auf das man sich schon gefreut hatte: Während meiner Ausbildung gab's auch immer Incentives – bzw. Veranstaltungen mit Mehrwert. Man lernte noch was nebenbei – oder wurde aufgeklärt über irgendwas. Es waren die "Anti-Drogen-Tage" – und ein Lehrer der Berufsschule hatte mich gebeten, das Lied live darzubieten, unter Begleitung einer Kollegin auf der Gitarre. So sang ich denn mit engelsgleicher Reibeisenstimme oder vielleicht auch im jugendlichen Sopran jenes extraordinäre Lied, das, selten in der deutschen Sprache, einem Getränk gewidmet ist. Was man sonst nur aus anderen Sprachen in dieser Weise kennt ("Sippin' On BACARDI Rum", GROOVE CONNECTION, 1995), kommt hier durch "Johnny W.", eine hauptsächlich von der Akustik-Gitarrenarbeit lebende, Singer-Songwriter-artige Lobesarie an ein hartalkoholisches Getränk mit Kultstatus und jeder Menge Volumenalkoholgehalt (40%, also kein harmloses Bierchen): JOHNNY WALKER, wie der "Übeltäter" mit vollem Namen heißt, ist ein flotter schottischer Whiskey, auf dem ein stilisierter Herr mit Hut im weitausholenden Laufschritte dynamisch zu sehen ist. Im Rahmen einer Werbekampagne für diese weltbekannte Whiskey-Marke entstand auch eines der (wegen der Gewaltverherrlichung umstrittenen) Kult-Computerspiele (ein klares Ballerspiel) der 90er, das bis heute seinen Kultstatus beibehalten hat und auch unter allerlei zivilen Varianten fortbesteht: "Die große Moorhuhn-Jagd". Die Firma, die das Spiel für die Werbekampagne kreiert hatte, brachte unabhängig weitere Teile heraus…

Nun, damals, 1979, hatte WESTERNHAGEN wohl, eventuell ein Alkoholproblem und eine Vorliebe für dieses Getränk habend, den Einfall, diesen Text eines Abhängigen zu schreiben. Vielleicht ist das auf dem Kultalbum "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" (das 2019, zum 40-jährigen Jubiläum, unter "Das Pfefferminz-Experiment neu eingespielt wurde; siehe auch: JUBILÄEN) enthaltene Lied WESTERNHAGENs Vertonung des Themas aus JACK LONDONs "König Alkohol", jedenfalls erinnert es mich entfernt an diesen wohl weltweit ersten Suchtthematik-Roman. Vielleicht ist es auch nur das, was ich in FALCOs "Out Of The Dark" (siehe wesentlich weiter oben) herauszulesen glaube: Es ist kein Liebeslied eines Mannes, der sich für eine Frau verzehrt, sondern ein Suchtlied, in dem Fall über Kokain… Natürlich könnte man es auch als eingedeutschte, in deutschen Kontext übersetzte Version berühmter Drogen-Songs der 60er und 70er ("Sister Morphine", "Cold Turkey", "Heroin", "Theme From King Heroin"…) verstehen. Die "Konkurrenz", Herr GRÖNEMEYER (inzwischen "Grölemeyer", der "Keinen-Millimeter-Mann"), antwortete erst sehr viel später, sein schlicht "Alkohol" benanntes Lied lobt das Hochprozentige an sich. Wichtig ist noch anzumerken, dass es sich hier um eine legale Droge handelt, die man ab Volljährigkeit kaufen und konsumieren kann. Mitunter sind nämlich die legalen Drogen die schlimmsten. Die Abhängigkeit ist wie eine ungesunde Co-Abhängigkeitsbeziehung: Das Zeug tut einem nicht gut, man sollte es lieber nicht ständig zu sich nehmen. Die Sucht ist leider stärker als die Vernunft. Liegt wohl am "Belohnungszentrum" im Gehirn, das nach ständiger Stimulation verlangt. Johnny W. wird nicht nur als Freund gesehen, sondern als größter, effektivster Krisenbewältiger.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Judaslohn" (1994)

Unser persönliches Starterset, bestehend aus 30 formschönen Silberlingen, haben wir alle ja damals bekommen, 2002 fing das an, das Desaster mit der ach so tollen EU-Währung. Dafür mussten wir nur Liebgewonnenes aufgeben, zunächst "nur" die DM. Lassen wir das beiseite. "Ich möchte erzählen…" fängt WESTERNHAGEN vielversprechend an. Dann geht er ins Detail über die Unschönheiten der Welt: Korruption, Arschlöchrigkeit, kombiniert mit Stolz ("Ich möchte erzählen – von einem Schweine – das stolz darauf ist, ein Schwein zu sein") und andere Verratsmomente. Es geht ums "Große Fressen", MTV, als es noch ein Musiksender war, Reiche, die dennoch nie zufrieden/glücklich sind. Frauen, die solche Kerle ausnutzen, sich von ihnen aushalten lassen. Brisant und für diese Zeit interessant wird es noch kurz mit dem Aufblitzen folgender Zeile: "Ich möchte erzählen – von einem Staat – der seinem Volk in den Hintern trat". Tja, genau das wird von der politischen Obrigkeit seit Jahren gemacht, erst recht seit der Corona-Pandemie. Das Zeitalter des Covidismus und Hygienismus ist angebrochen. Passenderweise geht das Ganze im Text metaphorisch auf JUDAS zurück, der damals JESUS verriet und dafür immerhin 30 Silbertaler erhielt. Genussvoll.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Kind von Gestern" (1998)

Sparsam instrumentiert mit einer Akustikgitarre, darf auch dieses bescheidene Lied nicht fehlen. WESTERNHAGEN bezeichnet sich selbst (oder das lyrische Ich spricht von sich selbst) als "Kind von Gestern", in einer semi-melancholischen Ballade übers Altwerden, über das Leben in der Vergangenheit und Zehren von ihr. Mir geht es häufiger genauso mittlerweile. Ich verstehe diese Welt nicht mehr, mir gefallen die Vorgänge nicht mehr, die hier stattfinden. Unverzichtbar für mich, um mein Lebensgefühl zu verdeutlichen, doch auch gerade gut genug für eine Liste dieser Art: einer Topliste.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Mit 18" (1979)

Bereits 1979, auf seinem Album "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" (siehe hierunter auch: den Titelsong), blickte MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN, der Rock'n'Roller, der König des deutschen Rockröhren-Gesangs in schönster Rockmanier, damals schon etabliert, wie er meinte, "auf teurem Papier" schreibend, auf seine bewegte Karriere zurück. Sehnsüchtig erinnert er sich an seine Jugendjahre "auf der Straße", beschreibt in diesem Lied, das an Jugend, jugendlichen Übermut, Überschwang und die Kraft des jungen, idealistischen Strebens appelliert und zugleich diese Lebensphase verherrlicht, klar verklärt, seine Anfänge als Musiker: "Mit 18 lief ich in Düsseldorf rum – war Sänger in 'ner Rock'n'Roll-Band" beginnt er das Lied schnörkellos und direkt (nach einem geflehten Intro, in dem er sich krokodilstränenreich knapp über seine heutigen Annehmlichkeiten beklagt), die Reime sitzen dabei noch längst nicht wie später: "Meine Mutter nahm mir das immer krumm – ich sollt' was 'Seriöses' werd'n", tönt er weiter. Ein paar Mark pro Auftritt gab's dann, laut seiner Aussage, für 'ne "ROLLING-STONES-Kopie". Die Ursprünglichkeit und Roheit des Ganzen, das noch unbeholfen Dilettantische, dessen ungemeinem Charme man sich nicht zu entziehen vermag, beschreibt WESTERNHAGEN packend und nostalgisch: "Die Gitarren verstimmt – und es ging tierisch los – und wir hielten uns für Genies" – wie man es in der Jugend tut: Man denkt, man könne alles und allen gefallen und die Welt erobern, aus ihren Angeln heben und neu zusammensetzen. Man ist der geilste, schönste, beste, klügste Mensch der Welt und dazu noch ein Idealist und Gott, der Körperbau ist regelrecht perfekt, Adonis-Stil. Man erwartet viel vom Leben, macht sich Illusionen – und schafft es zu einem gewissen (relativen) Erfolg, zu Karriere, entweder beruflich – und/oder künstlerisch. Dass es bei WESTERNHAGEN fürstlich geklappt und das Leben es gut mit ihm gemeint hat, dass er eher den künstlerischen Weg eingeschlagen hat, immerhin, und nicht Konzernlenker oder Topmanager geworden ist, muss man ihm hoch anrechnen. Dafür zolle ich als begeisterter Fan ger Tribut. Ob man später desillusioniert ist, wie der Ich-Erzähler im Lied, der wohl stärker auf WESTERNHAGENs eigene Persönlichkeit und ihren Werdegang referenziert als es zwangsläufig üblich ist in der Musikbranche, bleibt dahingestellt. Es hängt von multiplen Faktoren ab.

Er hat sich nach oben musiziert, das steht natürlich fest: Millionen Fans versüßen ihm tierisch das Leben. Es sei ihm gegönnt, denn mit dieser flotten Rock'n'Roll-Nummer beweist er, dass er den Kult-Status zu Recht hat. "Ich will zurück auf die Straße" dröhnt er wie eine Lok – und vermittelt eine der unwiderstehlichsten Lebensweisheiten aller Zeiten: "Denn Gold findet man bekanntlich im Dreck – und Straßen sind aus Dreck gebaut!" Wer würde jemals dieser tieferen Weisheit widersprechen? Ursprüngliche, ungekünstelte, unbeeinflusste Straßenmusik ist authentischer, erdiger, ehrlicher als jegliches Marketing-Kalkül, in Töne gegossen von gewieften Musikproduzenten, das ist auch klar. Wenngleich meines Erachtens auch gecastete, konfektionierte Musik manchmal etwas Würdevolles haben kann. Es kommt halt darauf an, in welcher Stimmung man dafür ist.

Für WESTERNHAGEN bin ich immer in Stimmung, auf jeder einsamen oder zweisamen Insel, auf einem anderen Planeten selbst, auch in der deutschen Musikhistorie, die ohne dieses Lied von WESTERNHAGEN durchaus ärmer dran wäre. Rock'n'Roll meets Deutschrock trifft Blues. Kann man es jemals schöner gestalten?

 

  1. WESTERNHAGEN – "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" (1978) 

Der größte Humbug in Songform. Eines der sinnfreisten Lieder der deutschen Musikgeschichte, sicherlich. Die Lyrics ergeben keinen großen Sinn. Okay, es geht um Silvester und 's Bleigießen, eine schöne alte Tradition. Mir hat sie zwar, die wenigen Male des Ausprobierens, nie gefallen, doch wem's gefällt…Also: Der Kerl hat einen Hund, und der kann bissig sein. "Im Dunkeln ist gut Munkeln – an der Macht, da sind die Weißen, darauf reimt sich sch…sch…" – aha. Also wirklich, Herr WESTERNHAGEN: Schon damals etwa dieses Denken? Dieses "Die Weißen sind an allem schuld, grundsätzlich böse und böse Unterdrücker und Schwarze grundsätzlich arme Opfer" hab ich dermaßen gefressen, Mensch, das kann man nicht mehr beziffern! Gut, aber das mit dem Pfefferminz…mh, puh…Aber was meint der Kerl damit? Es ist schwieriger als GRÖNEMEYERs "Bleibt alles anders" (siehe sehr viel weiter oben), was die Interpretation betrifft. Man ahnt, was gemeint sein könnte, kommt aber nicht gänzlich in Worten drauf. Was meint er etwa mit der Passage "denn tanzen darf ein jeder Jud'"? Wieso auch nicht? Jeder darf tanzen, oder nicht? Ist es eine versteckte Kritik am zur Entstehungszeit des Songs sicher noch weitverbreiteten, latenten Antisemitismus in Teilen der Bevölkerung? Nun, falls es eine Kritik an dieser unsäglichen Einstellung gegenüber dieser Religion handelt, so kann diese Kritik nicht oft genug wiederholt und betont werden! Insbesondere auch aktuell, wo Millionen muslimischer Migranten ins Land kommen, die in ihrer Kindheit meist schon mit Antisemitismus indoktriniert wurden. Keine gute Idee übrigens, wenn man auf ein langfristiges Komplettverschwinden dieser Einstellung aus ist. Doch das ist vielleicht eine andere Baustelle…Props aber insofern: Provokation gelungen.

"Pipi ist kein Name – und auch kein Getränk" – natürlich, soweit klar. Aber was soll das? Woran glaubt man? "An den lieben Gott oder an GUEVARA? Ach…Immerhin: Das Lied hat was. Astreiner Rock'n'Roll-Sound zum zappeligen Mittanzen.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Schweigen ist feige" (1994)

Womöglich, das verhehle ich scheele Kreatur bizarrer Brunfthaftigkeit besser nicht, mein privates Lieblingslied von Herrn MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN! Geradliniger, ordentlich zur Sache gehender Deutschrock in fortschrittlichem Tempo (dennoch weit entfernt vom Speedy-Gonzalez-flinken Turbopunkrock) und ein leidenschaftlich röhrend rockender WESTERNHAGEN in Bestform! Es geht um Feigheit – und dieses Lied strotzt vor lauter politisch nicht korrekten Zeilen, die selbst Zeitgenossen Mitte der liberalen, freizügigen und coolen 1990er die Ohren schlackern ließen. Ein Lied, das man deshalb nicht zwangsläufig laut auf einer Party hören würde, denn die Denunziantenarmee der Nachbarschaft lauert gewiss fast überall. Man kann das Lied leicht falschverstehen. Für mich korrespondiert es perfekt mit einem Satz aus einem Flugblatt der WEIßEN ROSE: "Verbergt nicht eure Feigheit unter dem Mantel der Klugheit". Ein Satz, der für diese Zeit im Besonderen gilt. Wer zu feige ist, sich gegen die Missstände dieser Zeit aufzulehnen, lebt falsch. Trotz oder gerade wegen Cancel-Culture und Zensur und einem immer mehr bedenklich nach links driftenden, selbstzerstörerischen Land mit Katastrophen-Inkompetentia-per-magna-Regierung und Journalismus aus der Framing-Hölle – sollte man, wenn man denn kann, seine Stimme erheben. Was wir zurzeit erleben, ist nämlich ein neues Abdriften in den nächsten Autoritarismus. Dieser ist sozialistischer Natur, aber nicht rot oder braun gefärbt, sondern grüner Färbung. Mein aktuelles Gedichtwerk nennt sich nicht umsonst "Neue Deutsche Feigheit" (NDF), eine Anspielung nicht nur auf die Musikrichtung der Neuen Deutschen Welle der 1980er, denn ich erlebe die Feigheit in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen: Feigheit, aufzubegehren. Feigheit, etwas zu riskieren, indem man Kritik übt. Feigheit, zu handeln, auch und vor allem, wenn es friedlich sein muss. Feigheit aber auch auf der Mainstreamseite, die Angst vor abweichenden Meinungen hat und jeden Bürgers Stimme zum Verstummen bringen will, der nicht 100% auf Linie ist. Noch weitere Formen der Feigheit gesellen sich hinzu. In diesem Lied ist es jedoch anders.

Auch wenn es mir als ein möglicher Anknüpfungspunkt dient, um den Zugang zu gewissen Themen und Problemen dieser Zeit zu finden und Mut zu gewinnen, ist es inhaltlich lediglich eine kleine Sammlung in Sprache geformter Tabubrüche. Nur der Refrain, der ein altes Sprichwort in sein Gegenteil verkehrt: "Reden ist Gold", "Schweigen ist feige", die zusammen kein wirkliches Gegensatzpaar bilden, lässt hier aufhorchen.

Nun, für konventionelle Geschmäcker ist eine Zeile wie "Ich hab den größten Schwanz" nicht unbedingt etwas Erbauliches. Auch die Beinahe-Blasphemie als Reim darauf, "ich bin dein Rosenkranz" findet gewiss nicht überall Anklang. Gemeint ist sicherlich, dass die Fans des Sängers Texte wie einen Rosenkranz immer wieder nach-"beten", also mit- und nachsingen und sie verinnerlichen…

 

Historisch relevant indes wird dieses Lied dann werden, wenn man sich an diese Zeiten erinnern wird, wenn diejenigen, die zu feige waren, sich zu wehren gegen den Ausverkauf ihres Landes (in multipler Bedeutungshinsicht), sich entsinnen werden, dass sie es in der Hand gehabt hätten, das Zepter, um, wenigstens mit ihrer Wählerstimme, gegen diese Hölle zu stimmen. Dann wird ihnen klar werden, dass sie dann in einer Hölle leben, der weder sie noch ihre Gegner jemals entrinnen können. Ein Lied, das gewiss so nicht mehr (häufig) im Radio gespielt werden dürfte. Schließlich klingt gleich der Beginn, "Ich bin der deutscheste Deutsche", extrem missverständlich. Dass es nicht um eine hohle, unkritische und größenwahnsinnige Verherrlichung alten, morschen Deutschtums aus grauer Vorzeit geht, ist heutigen linken A-Geigen mitunter nicht mehr vermittelbar. Sie würden niemals verstehen wollen, was was in diesem Lied bedeutet. Ich glaube, ich verstehe es. Nun, auch ich kann nur eine Interpretation anbieten. Hoffentlich wird dieses großartige Lied nicht von der neuen Inquisition des Covidismus unsrer "bleiernden 20er" auf die Verbotsliste gesetzt! Man frage mich übrigens nicht, was die Überleitung "Mir ist so kalt" bedeutet. Ich rätsele diesbezüglich immer noch…

 

  1. WESTERNHAGEN – "Sexy" (1989)

Abgesehen von den drei großen Hit-Songs aus dem Album "Affentheater" (1994), "Es geht mir gut", "Schweigen ist feige" und "Willenlos", war dieses, vom 1989 erschienen Album "Halleluja", das von einer Femme Fatale handelt, die ältere Männer dressiert, vielleicht eine Domina. Nun, das ist etwas, das ich in meinem jugendlichen Alter 1994, mit 12 nämlich, noch nicht erfassen/verstehen konnte. "Du bist 'ne Waffe – für die es keinen Waffenschein gibt" grölt und knödelt die Rockröhre Deutschlands Nummer 1 in der für ihn gewohnten Manier auf einer Midtempo-Deutschrocknummer. Eine knallharte Domina-SM-Nummer, aber: Das ist ein schönes Lied, insofern, dass es zwar thematisch etwas edgy ist, aber leider geil. Kultig mittlerweile. Als ich damals zu Karneval (1994 muss das gewesen sein) erstmalig so richtig mit WESTERNHAGEN in Berührung kam, verstand ich das breitgesungene "Sexyyy" noch als "sexäääiii!".

 

  1. WESTERNHAGEN – "Supermann" (1999)

Selten wohl ist ein desillusionierteres Lied auf Deutsch entstanden – und die Frage als besorgter Bürger und Fan des Deutschrockers mit der unverwechselbaren harten Reibeisenstimme, begünstigt durch jede Menge "Johnny W."-Whiskey-Gesöff, pirscht sich ins Hirn: Ist etwas nicht in Ordnung? Geht es ihm nicht so gut? Sind es diesmal reale Selbstzweifel, die nicht nur das lyrische Ich des Songs, sondern das des Sängers selbst plagen? Das traurigste Lied vom soliden bis superguten Album "Radio Maria" (1998), das Skandalsongs wie "Jesus" (siehe weiter oben), aber auch schöne Lobpreisungen ("Wieder hier", weiter unten) spinnt die klassische Metapher natürlich zu SUPERMAN (mit einem N), dem Übermenschen, Überhelden vom fernen Planeten Krypton (der explodiert war), ein tatsächlicher Flüchtling, der auf der Erde dank seiner übermenschlichen Kräfte und seinem praktisch unbegrenzten Können für das Gute kämpft und Gutes aus Überzeugung tut (also kein selbstbeweihräucherischer, virtue-signallender Gutmensch ist, sondern ein guter Mensch). Dieser Supermann (jetzt mit zwei N am Ende) ist "tief gefallen", ein "gefallener Held": Auf einmal kann er nicht mehr extrem schnell fliegen (sogar, wie in einem alten SUPERMAN-Film, in der Zeit zurück), wird fett und krank und dankt schlussendlich ab. Er kann keine Strahlen mehr aus seinen Augen schießen, hat keine Röntgen-Augen mehr, ist nicht mehr kugelsicher – und vermutlich ist das fiktive Element Kryptonit nicht das Einzige, das ihn jetzt stoppen oder gar töten kann. Wen WESTERNHAGEN mit "Supermann" meint, bleibt zwar offen, aber: Kann es sein, dass er über jemand bestimmten singt? Jemanden, den er kennt? "Supermann, mein Held – wer hat dich bestellt – wer hat so viel Pinke-Pinke, wer hat so viel Geld?" fragt WESTERNHAGEN resigniert, macht dem Gescheiterten gar den etwas unmoralischen, fiesen Vorschlag "Kannst auch meine Schwester bumsen – wenn es sich für mich lohnt". Tja, "ich fang an, sein Grab zu graben – für 'nen Hungerlohn", heißt es zu Beginn, in Strophe 1 immerhin. Was er dabei empfinden mag? Ich empfinde Schwermut und Traurigkeit, es zieht mich runter, ein wenig geht das Lied zwar WESTERNHAGEN-typisch voran, verglüht dann aber in Depressivem. Es ist vorbei, die Illusion fruchtet nicht mehr! "Supermann ist tot", heißt es sogleich – unmissverständlich. Es wird nichts mehr. Zu viel gequalmt, Holland in Not (nicht nur dieses Land)…

 

  1. WESTERNHAGEN – "Weil ich dich liebe" (1989)

Du musst nicht reich sein, um lieben zu können und die ultimative Liebe zu finden. Dies konstatiert WESTERNHAGEN auch. Eine leichte Ballade für die Geneigten, die das mögen. Schöne Musik für schöne Momente. Der Text natürlich: Ein Typ, der kein Supermann ist (siehe oben drüber), der nicht mal treu sein kann, wie er verrät. Doch er wird sich stärkstens bemühen. Das ist die Stärke des Mannes an sich: Er kann sich echt einsetzen: Für die Liebe (einer Frau), eine Frau, eine Beziehung. Das ultimativ Positive. Er kann sich verzehren, kann die Damen sehr verehren, tief und intensiv lieben.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Why Don't You Say Your Name?" (2001)

Stirnrunzelnd, regelrecht zerfurchend und mir die Unterlippe mit dem Oberkiefer zermalmend, musste ich kurz nachdenken: Sollte ich den Song mit dem irreführenden englischsprachigen Titel, der aber dennoch, bis auf die Refrainzeile, auf Deutsch gesungen wird, wirklich in diese epische, ultimative Liste aufnehmen? Wieso?

Ist er historisch bedeutsam? Alore – schauen wir einmal: Der intensiv-extensive schwerfällige Rocksong, ein ordentlicher Stadionstampfer, der leider nicht QUEENs "We Will Rock You" erreicht, doch eine gewisse Heftigkeit aufweist, ist immerhin 7:45 Minuten lang. Das sind genau siebendreiviertel Minuten! Ein kleines Nahezu-"Stairway To Heaven", ein Fast-"November Rain". Minutenlang, ewig, scheint man WESTERNHAGENs wahnsinnigen Sang zu vernehmen, wie er fast brüllt: "Why don't you say your name?!"

Als habe er dem Titel seines 2001 erschienenen Studioalbums gerecht werden wollen, hängte er diesen Titel ganz an den Schluss der Scheibe mit dem Titel "In den Wahnsinn". Gegen dieses Lied, das thematisch die "Hangover"-Filmreihe vorwegnimmt oder schlicht ein klassisches altes Thema, nämlich das Aufwachen nach einem tierischen Kater, inklusive gewaltigen Filmrisses, auf seine besondere Weise auf.

Vielleicht handelt es sich auch um einen abstrusen, absurden Traum voller Skurrilitäten und Surrealem, eine Mischung aus DALÍs Gemälden und HIERONYMUS BOSCH, wenn er einem Nachtmahr begegnet. Die Szenerie ist verstörend, durcheinander und voll irrealer Elemente: "Hat der Wahnsinn mich endlich eingeholt?" fragt WESTERNHAGEN resignativ-zweifelnd. Für diesen Song und seine düstere Atmosphäre mit auf Schränken sitzenden, betenden Müttern, Liegen im eigenen Erbrochenen, rauschenden Duschen und ominösen Frauenstimmen, ein Klopfen, eine aufgetretene Tür (hier sind durchaus vage Referenzen an seinen eigenen Song "Grüß mir die Genossen", siehe weiter oben, zu bemerken), Männer, die wie Polizisten aussehen, schreien: "Wem gehören die Drogen?".

Am Ende des undurchschaubaren Szenarios beschließt der Liedheld, er müsse die ganze Schose beenden, das Chaos, das er fortan nicht mehr durchblickt. Er will es ehrenhaft wie ein Samurai machen, "Seppuku" nennen die Japaner die Technik des gepflegten, stilvollen Suizids mithilfe von Schwertern und Stichwaffen, wie angedeutet wird: "Werd' lieber niederknien – das Schwert in meinen Händen – und wie ein Samurai: Auf Wiedersehen!"

Wer ihn durchhält: Dies ist kein leichter Song! Es ist einer, der an die Nieren geht, der verstört zurücklässt. Er ist gewiss nicht für jede platonische Party geeignet, nicht für normale Menschen in normalen Momenten. Wenn man eine sanfter und noch harmlos verlaufende Form des Wahnsinns oder der Geistesgestörtheit erleben will, wer sie fühlen möchte, findet sie hier in Liedform, ohne dass sie einem wirklich wehtun könnte. Insofern handelt es sich nicht um ein harmonisch-schönes Lied. "In den Wahnsinn" – dieses treibt einen zwar nicht dorthin, doch verschafft einen drogenfreien aber heftigen Trip.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Wieder hier" (1998)

WESTERNHAGEN, welcher in den 90ern in Hochform war wie seitdem nie wieder und vorher schon gar nicht, hatte zwei wesentliche Hitalben zu der Zeit, die mehr als ein wenig Furore machten. Zwar war "Jaja" (1992) nicht ganz der Knaller, doch "Affentheater" (1994) und auch "Radio Maria" (1998) waren voll im Esprit bester Rockröhrigkeit authentischer Deutschrock-Flairhaftigkeit des Herrn WESTERNHAGEN! Wow, heftiges Superwow! Dieses Lied hier, das den Lokalpatrioten in allen Facetten ausbreitet, ist ein Loblied ans "Revier", also 's Ruhrgebiet (wie man bei WOLLE PETRY sehen kann, war WESTERNHAGEN nie der Einzige, der etwas zum Ruhrgebiet gemacht hat), in dem der Liedprotagonist wieder ankommt. Er fühlt das selige Heimatgefühl, wenn man endlich wieder zurück ist. Nach einer langen Reise, einer Odyssee, in deren Rahmen man viel Schönes, Exotisches, Fremdes in anderen Ländern oder anderen Regionen des eigenen Landes gesehen hat, spürt man doch wieder Heimweh. Fernweh weicht Heimweh, Heimweh ist die Konsequenz aus Fernweh.

Das mögen die sog. "Anywheres" anders sehen, die mit Verachtung und Geringschätzung auf andere Menschen, die Mehrheit nämlich, die sie als "Somewheres" bezeichnen, herabschauen. Klar, diese Minderheit der Globetrotter und polyglotten Anpassungsfähigen, tun so, als seien sie auf der Welt heimisch als "freie Weltbürger", doch quillt manchmal auch aus solchen Gestalten ein heimlich-schleimiges Heimatverbundenheitsgefühl, das zumindest für Lokalpatriotismus reicht.

Statt sich aber in den Substitut-Patriotismus zu flüchten, "Europa" zu verehren (und nur die immer autoritärer werdende EU zu meinen, nicht den Kontinent an sich oder die ursprüngliche gute Idee), bekennt sich WESTERNHAGEN damals noch zu seiner Heimatgegend.

Das Bemerkenswerte: Er spricht in seinem Song das Heimatgebiet wie eine alte Liebe an – und ganz allgemein: Könnte ein Lied schöner beginnen als mit den Worten "Ich hab dich wirklich lieb"? Auch die Reue: "Dich verleugnet hab – in meinen Träumen!".

Eine schwelgerisch-epische Ballade, bei der man bestens mitgehen kann. Also Feuerzeuge raus, in die Höhe recken und hin und die kleine Flamme vorsichtig in der Luft hin und her schwenken. Es ist eine Ballade zum Mitschunkeln.

 

  1. WESTERNHAGEN – "Willenlos" (1994)

Als ich in den 1990ern erstmalig mit MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGENs knarzigem, reibeisigem Timbre und seinen Liedern in Berührung kam, galt er bereits als "kommerziell zu erfolgreich", Manche nannten ihn gar den "ARMANI-Rocker", da er sich feine Anzüge leisten konnte. Gut, manche Fans sagen, er sei in seiner Frühphase, den 1970ern, besser gewesen – und in der Tat stammen einige seiner besten und aussagekräftigsten und politisch unkorrektesten Lieder aus dieser Zeit. Allein das Album "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" mit dem Turbo-Rock'n'Roll-Titelsong, der eine Aneinanderreihung spaßigen Nonsens' war, mit dem Skandalsong "Dicke", der sich ziemlich unflätig über Übergewichtige hermachte, aber auch "Grüß mir die Genossen", der die Situation des im damals sehr konservativen Deutschland immer und überall allem/allen Linken gegenüber bestehenden Generalverdachts, man könnte RAF-Sympathisant sein, einfing (siehe weiter oben) – Spitzending. Dennoch finde ich seine späteren Werke, insbesondere aber die der späten 80er und mittleren bis Ende 90er am besten. Allein das Album "Affentheater" (siehe auch JUBILÄEN), das 1994 herauskam, war gespickt mit Hits und solchen, die es sein sollten: "Judaslohn", "Wer hat den Käse zum Bahnhof gerollt?", "Superstar", "Tanz mit dem Teufel", "Unter meinem Fingernagel", "Ich brauch 'ne Frau" – und selbst "Halleluja" (Version 1994) sind allesamt Knaller. Es gibt keine Totalausfälle. Die großen Hits, "Es geht mir gut", "Schweigen ist feige" und dieser hier, "Willenlos" sind sowohl textlich stark als auch von der Aussage her, sowohl vom Deutschrock- und Rock'n'Roll-Faktor als auch der musikalischen Qualität her.

Neben "Sexy" (vom 1989er-Album "Halleluja") wurde ich auf die denkbar sanfteste, subtilste Weise an die Musik des Ausnahmekünstlers des Deutschrock-Bereichs herangeführt: Bei der Karnevalsfeier vor dem Karnevalsumzug am Altweiberdonnerstag in meiner Jugend, an der weiterführenden Schule, die ich besuchte: In der Aula, laut aufgedreht, der DJ gab alles, legte die schärfsten Platten auf, alte und neue Musik (damals neue), man tanzte dazu. Zwischendurch wurde gelegentlich die Musik unterbrochen für einen Sketch, manchmal auch für eine passende Tanz-Performanz, eine Choreografie zu einem vorher ausgesuchten Lied. "Willenlos" gefiel mir auf Anhieb oberhammermäßig. Ungemein lustig und skurril fand ich die "Frauengeschichten" des Lied-Erzählers (wie immer gilt: nicht zwangsläufig autobiografisch auf den Künstler bezogen), die immer mit "Ihr Name war…" beginnen. So trifft der Protagonist auf seiner Kennenlern- und Frauenversteh-Liebesodyssee auf robuste Frauen, Femme Fatales mit "50er-Ford" (eine Anspielung auf ROSEMARIE NITRIBIT?), Sexdienstleisterinnen und Russinnen mit großem Herzen und Trinkfestigkeit. "Hey Mama, was ist mit mir los? – Frauen gegenüber bin ich willenlos!" röhrt der deutsche Meisterrocker konstituierend aber verzweifelt – und offenbart zumindest den Protagonisten im Lied als eine Art "Muttersöhnchen", der seiner Mutter die Mitschuld an seiner verkorksten Frauenschieberei gibt. Nun, dennoch oder gerade deshalb ein spannendes Lied. Und wer auch Frauenfan ist, der greife zu und höre der Rockröhre zu, WESTERNHAGEN in Hochform fühlt sich im Gehörgang fantastisch an!

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