Karl-Konrad Knooshood

Deutschsprachige Musikwunder 78 - Buchstabe W 702 bis W 704



 

  1. WISE GUYS – "Aber sonst gesund" (2006)

Ein wenig schmeichelhafter Name, den sich die im Juli 2017 aufgelöste A-capella-Musikgruppe aus Kölle da verpasst hat: "wise guy" heißt im Englischen meist wenig schmeichelhaft konnotiert: "Schlaumeier", noch genauer aber so viel wie "Klugscheißer" – und das ist nun wahrlich kein Kompliment! Ob man auch "Streber" sagen kann, wo es doch "Nerd" oder "Geek" gibt? Möglich. A-Capella-Bands sind so eine Sache: Die Typen hier erzeugten die Mehrzahl ihrer "Instrumente", inklusive notwendiger Beats/Taktschläge mittels ihrer Mundwerkzeuge, was sie in dieser Topliste durchaus zu etwas Einzigartigem macht.

Ihr Album "Radio" ist das beste Opus, das man in ihrer Schaffensreihe finden kann. 2006 kam es ans Licht der Öffentlichkeit – und stellt hier, abgesehen natürlich von einer ganzen Menge weiterer amüsanter Lieder, den ultimativen Kanon der heitersten Lieder dieser Band. Mit den wichtigsten und spannendsten Themen. Es geht um Hypochondrie und den massenhaften Medikamentenmissbrauch (in diesem ersten erwähnten Song), die Verhunzung der noblen deutschen Sprache mit englischen Fremdausdrücken (Anglizismen) in "Denglisch", jener verhängnisvoll dämlich-unnötigen Mischung aus Deutsch mit englischen Hilfs- und Lehnwörtern (inklusive Fake-Anglizismen und überlieferten "False Friends") – und das romantische "Radio"-Hören, wenn man zu zweit ins Sonnige, Grüne fährt.

 

In dieser kunterbunten Bonbonmischung findet, wie in jedem guten Song zum Thema, ein massives Namedropping statt: Viele Medikamente, allerlei Tinkturen, Tropfen, Tabletten, Pillen und Aufgüsse werden genannt, da der Liedprotagonist sich beim kleinsten Wehwehchen oder Zipperlein jede Menge Medikamentenzeug reinpfeift.

Falls dann das Ende naht, so fordert der fanatische Tabletteneinschmeißer, solle man seine sterblichen Überreste "mit 'nem freundlichen Vermerk direkt zurück ans BAYER-Werk" schicken. Eine feine Pointe. Bis dahin hat man, wie für die "Klugscheißer" typisch, einen beeindruckenden Harmoniegesang aus mehreren fähigen Goldkehlchen, in bester A-Capella-Weise. Die COMEDIAN HARMONISTS haben euch viel gelehrt!

 

  1. WISE GUYS – "Denglisch" (2006)

Über Altes kann man oft nur noch sarkastisch oder selig lachen – je nachdem – wenn sich bereits grausigere Zeiten ankündigen. Das moderne "Neusprech" ist das beste Beispiel dafür, wie man mittels Sprache oftmals versucht, ganze Völker und sein eigenes im Besonderen, kleinzuhalten und Weiterdenken und kritisches Hinterfragen unmöglich zu machen.

Was hab ich mich damals über die vielen unnötigen Verhunzungen unserer Sprache aufgeregt, als das Englische mehr und mehr Einzug hielt und selbst das noble Französisch verdrängte, das mit seinen Gallizismen Jahrzehnte zuvor einen wesentlichen Einfluss hatte. Ein wahrer Feld- oder gleich Kreuzzug, auf dem mich prominente Unterstützter wie der Verein Deutsche Sprache e.V. unterstützten, auch BASTIAN SICK war mein Held ("Zwiebelfisch"-Kolumnen, damals auf SPON, später auch in Buchform), WOLF SCHNEIDER und jeder Konservative, der unsere Sprache zu erhalten trachtete und eigene deutsche Ausdrücke für den dämlichen Englisch-Kram finden wollte. Ähnlich wie es in Frankreich seit vielen Jahrzehnten der Fall ist: Das Englische ist einem zuwider (auch als Sprache eines alten "Erbfeindes") – und man versucht, eigene Ausdrücke zu finden.

Von dem Ganzen ist nicht viel übriggeblieben. Während die Franzosen weiterhin adäquate Termini finden, fehlt uns offenbar sowohl Wille als auch Übung. Es gibt die sinnvollen Anglizismen, meist kurze, griffige Wörter wie "Job" oder "Stress", die etwa die Qualität einer Arbeit unterscheidbar machen (ein "Job" ist in der Regel etwas Einfaches, oftmals auch nicht in Vollzeit, ein "Beruf" enthält vielleicht die "Berufung" in sich). Die meisten Ausdrücke sind jedoch unnötig. Deutsche Definitionen haben sich seltener durchgesetzt: Mittlerweile gibt es "Tablets" (mit einem T, zu unterscheiden von etwas, mit dem man Getränke oder Speisen zu einem Tisch bringen kann), doch als es noch "Laptops" gab, fiel es selbst mir schwer, stattdessen "Klapprechner" zu sagen.

Auch weitere Gründe, das Englische eher als Fremdsprache zu ehren, nicht aber in Einzelfetzen als Teil der deutschen Sprache zu akzeptieren, gab es, etwa die Bedeutungsaufplusterung: "Controlling" klingt halt lässiger als "Rechnungswesen" und "Facility Manager" ist irgendwie imposanter als "Reinigungs(fach)kraft".

Hätte ich auch nur im Ansatz geahnt, dass dem generischen Maskulinum, einem völlig neutralen, normalen Bestandteil unserer liebreizenden Sprache, einmal per "Gendersprache" und "Gendergerechtigkeits-Pronomen" derartig der Kampf angesagt würde, dass es politischen Parteien wichtiger ist, ihre Parteiprogramme in eine mit dämlichen *-Sonderzeichen zerstückelte Sprachzuordnung wie "Bürger*innen" zu schreiben als volksnahe Politik zu betreiben, wäre mir mein Ankämpfen gegen Anglisierung im Vergleich geradezu lächerlich vorgekommen! Hätte es diesen Hype gegeben, überall Sternchen dranzuhängen und teilweise diese einfach wegzulassen und immer die weibliche Form allein zu nehmen (sodass man nicht mehr weiß, ob es sich um männlich und weibliche Exemplare gleichermaßen handelt oder ausschließlich um weibliche, etwa: "Politikerinnen statt Politiker*innen") und alles sprachlich derartig zu verhunzen, hätten mich ein paar Anglizismen nicht weiter gestört.

 

In diesem Lied jedenfalls widmet man sich der immer stärker um sich greifenden Anglisierung, wie sie Mitte der 2000er immer extremere Formen annahm. So steigert sich der Englisch-Fremdwortgehalt pro Strophe soweit, bis man am Ende fast gar nichts mehr versteht, während die Gruppe hier "Gott" anfleht, er möge doch bitte die deutsche "Originalsprache" (sozusagen) zurückgeben. "Oh Herr, bitte gib mir meine Sprache zurück!" heißt es da. In einem Stil, wie man ihn als Fan und Gewohnheitshörer der WISE GUYS erwarten darf, wird hier im berühmten A-Capella-Gesang losgezogen, wiedermal mit einem schönen Refrain, fast schon gospelchorartigen Anleihen im Zwischenteil und der Absurdität des Ganzen, sobald Englisch mehr als nur Welt-, sondern Nahezu-Verhandlungssprache hierzulande wird, alles auf Englisch beschriftet ist.

Dabei sind die Herren "Schlaumeier" nicht durchgehend konsequent: Als sie gegen Ende der dritten Strophe Verbesserungsvorschläge unterbreiten, wie man wieder mehr (mit Liebe zur eigenen deutschen Sprache) Deutsch in den allgemeinen Alltag einbringen könnte, heißt es unter anderem: "Ich will, dass beim Coffee-Shop "Kaffeehaus" oben draufsteht – oder dass beim Auto-Crash die Lufttasche aufgeht!". Gut, mit "Lufttasche" kann ich leben (in einer alten MATLOCK-Folge wird der damals noch relativ unbekannte Ausdruck "Airbag" mit "Luftsack" übersetzt). Aber: "Auto-Crash"? Da hat sich doch auch wieder was eingeschlichen. Leicht sperrig müsste es, auch das lateinische "Auto" für "selbst" übersetzt, "Kraftfahrzeugzusammenstoß" heißen… Als typische WG-Pointe zum Ende wird dann auch die Grenze des "Rückübersetzungswahns" aufgezeigt: Vor Eigennamen wie MICROSOFT sollte man Halt machen: "Und ich will, dass MICROSOFT bald wieder KLEINWEICH heißt", das ist der nicht ganz ernstgemeinte Teil. Was nämlich passieren kann, wenn Eigennamen, etwa von Computerspielen, wortwörtlich übersetzt werden und wie bescheuert sich das anhört, kann man in der deutschen Fassung der ersten paar Staffeln der Zeichentrick-Sci-Fi-Serie "Futurama" begutachten. Fans wissen, was ich meine…

Nun, nichts ist perfekt, dieses Lied zeichnet wiedermal in selbst graue Griesgram-Gesichter ein bezauberndes Lächeln! Denglisch rules!

 

  1. WISE GUYS – "Radio" (2006)

Lieber nicht mit dem Cabrio, dafür mit dem Automobil: Ins Weite, Grüne fahren, sobald es sonnig ist: Einer meiner Inbegriffe für Romantik. Das Autoradio dabei an. Da die offiziellen Sender aller Couleur nur noch Bullshit bringen und man auch in Stimmung sein muss für gute Musik, stelle ich für mich und meine Liebste aus meinem reichhaltigen Repertoire an Original-CDs eine freie Zusammenstellung nach der anderen zusammen, die ich auf CD-Rohlinge (viele gibt es im Handel nicht mehr) brenne. Manchmal, seltener, nehme ich auch ein paar Originale mit, wobei dabei immer die Gefahr besteht, dass diese unterwegs beschädigt werden.

Der Soundtrack dazu, "durch den Sommerregen" zu fahren (vergleiche auch: DIE FANTASTISCHEN VIER "Sommerregen", siehe viel weiter oben), "der Sonne entgegen", ist hier gegeben. "Schalt das Radio an – und dreh richtig laut auf, wir fahren durch den Sommerregen – der Sonne entgegen!" heißt es dann – und ich liebe und genieße das. Wenn meine Liebste mitsingt, wenn ich gelegentlich mit ihr im Chor singe oder einfach lauschend die Klänge genieße und die englischsprachigen Texte in meinem Kopf übersetze und mitempfinde (oder mich über die in unserer imposanten Sprache freue), das macht Laune und verschafft reine Lebensfreude! Selbstverständlich hält man mal an der Tanke, tankt nach, putzt vielleicht kurz die Scheiben grob, manchmal geht es zur Selbstwaschanlage. Oder man hält irgendwo an, wozu die Musik dann allerdings schweigt. Dann nimmt man sich in den Arm und genießt die ruhige, grüne Landschaft, das Vogelzwitschern, Schafe-Mäh oder das Geräusch summender Bienen.

Man geht vielleicht ein paar Meter spazieren – und genießt das schöne Wetter, so es denn so bleibt. Der Sommerregen kann auch ruhig ausbleiben. Wer hätte das Lebensgefühl besser einfangen können? Einfach mal der Welt entfliehen, weit rausfahren, in einer Art Eskapismus. Flucht aus dem tristen Alltag.

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