Hans Fritz

Jubiläumsfahrt

Auf dem Planeten Tambosirk mangelt es an fossilen Brennstoffen, wie sie auf der Erde die Grundlage einer Energiegewinnung darstellen. So müssen für den Antrieb von Motoren Alternativen gefunden werden. Das eigens für den Personenverkehr bestimmte, mit neuester Technik ausgestattete Schiff Telafung wird mit Wasserstoff angetrieben. Wasserstoff aus den geradezu unermesslichen Wassermassen der Meere gewinnen – nichts einfacher als das? Keineswegs. Es bedeutete eine riesengrosse Herausforderung der Chemotechnik. Es brauchte ein paar Jahrzehnte intensiver Forschung. Jetzt ist eine beachtliche wasserstoffgetriebene Flotte von Kontinent zu Kontinent unterwegs. Wozu aber noch die in tristem Grau erscheinenden Segel? Die aus einem pergamentähnlichen Material geschneiderten Riesentücher sind mit Fotozellen bestückt. Es handelt sich also um Fotovoltaik, die der Stromversorgung von Apparaturen und Lampen an Bord dient.

Hundert tambosirkische Jahre sind seit der Jungfernfahrt des ersten Telafung vergangen. Die in Moghsunda ansässige Regionalregierung stiftet eine Jubiläumsfahrt für am frühen Schiffbau beteiligte Personen, für ausgewählte Journalisten und mit einem Glückslos beglückte Normalbürger.

Ulix Kindogal war als ein leitender Ingenieur am Bau eines Superfrachters beteiligt. Seine Vorfreude auf die Jubiläumsfahrt wird allerdings ein wenig getrübt, denn mittlerweile ist er nicht mehr der Jüngste und hasst seit eh und je weite Reisen. Er hat sich nach und nach an das Leben in der Altersresidenz gewöhnt und geniesst die Freundschaft dreier Mitbewohner. Das sind die noch recht rüstigen Kerle Bertod und Linog sowie die ewig junge Daja. Dennoch folgt Ulix der Einladung und lädt sich bei einer randständigen Familie seiner Ahnentafel, den Ihleponks, ein. Die bewohnen eine Villa in der als verträumt geltenden Hafenstadt Mulodang auf dem ‘Pyramidenkontinent’. Allerdings sollte sich Ulix’ Selbsteinladung später in gewisser Hinsicht als ein Flop herausstellen. Doch nun der Reihe nach.

Die Seefahrt verläuft unruhig. Nicht von Anfang an, aber auf der letzten Etappe. Im Bereich der Untiefen über den berüchtigten Sandbänken beginnt das Schiff spürbar zu schlingern. Für die Ursache hierzu finden selbst erfahrene Seeleute keine Erklärung. Am folgenden Morgen ist die Sache überstanden und die restlichen zweitausend Tambo-Meilen gleichen einer sanften Gondelfahrt.

Der Hafen. Die Passagiere verlassen das Schiff und zerstreuen sich in alle Richtungen. Ulix schwenkt einen Wimpel mit seinem aufgedruckten Namen und schaut sich um. Eine gute Stunde vergeht. Keiner holt ihn ab. Er fragt einen Hafenpolizisten nach dem Weg zur Adresse der Ihleponks. «Zur Palisadenstrasse fährt der rote Bus dort drüben», erklärt der Uniformierte. Ulix steigt ein, lässt von seinem Reiseguthaben 5 Punkte abbuchen und los geht die Fahrt. Nach 20 Minuten Rumpeln über eine schlecht asphaltierte Strasse kommt die Ansage «Palisadenstrasse-Wendolinplatz».

Nach ein paar Schritten steht Uilix vor dem Ihleponk’schen Prachtbau. Er läutet. Ein junger Mann im Sportdress öffnet. Ulix stellt sich vor. «Ach Sie sind das», da kommen Sie mal rein». Die übrigen Mitglieder der Familie haben sich bereits auf dem Flur versammelt. Nutof, der Hausherr, Kirag, die Frau des Hauses, die beiden Söhne Olibes und Apagath und Tochter Sealoth. Die Begrüssung verläuft kühl, ja beinahe frostig. Kirag bietet Ulix an, sich im sanitären Bereich etwas frisch zu machen. «In einer halben Stunde versammeln wir uns zum Essen oben im Tafelsaal». Ulix erwägt das Haus so unauffällig wie möglich zu verlassen. Doch er bleibt. Ein hübsch gedeckter Mittagstisch wäre doch eine willkommene Alternative zum arg gewöhnungsbedürftigen Mahl auf der Telafung.

Ein wahres Festmahl wird aufgetischt. «Da haben Sie sich ja alle Mühe gemacht, Frau Ihleponk», lobt Ulix. «Ein solches üppiges Esssen gibt es bei uns täglich», erklärt die Frau. «Würden Sie mir mein Zimmer zeigen?» fragt Ulix nun, als er seine Serviette beiseitegelegt hat. «Ach, Sie möchten bei uns über Nacht bleiben?» fragt nun Olibes, der ältere Sohn. «Nein nicht unbedingt», sagt Ulix. Auf dem Weg zur Toilette schnappt er seine auf einer Kommode abgestellte Reisetasche und entkommt dem ungastlichen Haus durch eine Hintertür und gelangt über den kaum gepflegten Garten in ein mit hohen schwarzen Masten verunstaltetes Gelände, wohl der Wendolinplatz. Von hier aus sind es zum Glück nur wenige Schritte bis zum Bushalt.

Im Hafen quartiert sich Ulix für drei Tage in der Pension ‘Zum Fallreep’ ein. Das Gebäude ist eine in sattes Schwefelgelb getauchte Pyramide. Den Ihleponks schickt er eine Postkarte zum billigen Ortstarif. Ulix bedankt sich für den freundlichen Empfang, vor allem aber für das ausgezeichnete Essen.

Drei Wochen später findet Ulix den Weg zurück zu ‘seiner’ Moghasunder Residenz. Die drei Mitstreiter erwarten ihn bereits voller Ungeduld. Ulix berichtet über den unfreundlichen Empfang in Mulodang. Über den Grund hierzu finden weder Ulix noch die Freunde eine einleuchtende Erklärung.

Ulix nimmt sich nun endlich Zeit zum Lesen der Broschüre: Telafung - die Geschichte eines Passagierschiffs.

Da steht etwas über einen tragischen Unfall. Die technische Leitung der Werft gab eine Empfehlung zum Gebrauch von Sicherheitssystemen einschliesslich Schutzanzug und Helm heraus. Ja - Ulix dachte damals: Ist ja nur eine Empfehlung, muss also nicht sofort umgesetzt werden. Eine Woche später krachte ein Teil eines Schiffbaugerüsts zusammen und begrub drei Arbeiter, die nur noch tot geborgen werden konnten. Da zu diesem Zeitpunkt lediglich eine Empfehlung punkto Sicherheitskleidung vorlag, konnten Ulix und sein Stellvertreter nicht strafrechtlich belangt werden. ‘Ausserdem hätte der Unfall auch bei bester Schutzkleidung nicht verhindert werden können’, war die einhellige Meinung eines Expertenstabs. Was von einem selbst ernannten Obergutachter namens Nutof Ihleponk bis heute heftig bestritten wird. War doch damals sein inzwischen verstorbener Onkel für das Aufstellen von Gerüsten im Schiffbau und der damit verbundenen Sicherheitsstrategie verantwortlich.

Fielen nicht beim Ihleponk’schen Gastmahl Bemerkungen wie: «Manche Menschen sind zu feige, um sich zu ihrer Schuld zu bekennen». Hatte nicht Kirag während des allgemeinen Suppenlöffelns ins Leere hinein geseufzt: «Ja, der arme Kerl, er war doch noch so jung». Ulix brachte das mit einem kürzlich bekannt gewordenen Patzer des Vorstehers einer Moghsunder Umweltbehörde in Verbindung. In einer von ihm nicht verfassten aber abgesegneten Glosse war nämlich von einem tödlich verunglückten Odinalt die Rede. Was sich jedoch später als Falschmeldung erweisen sollte.

Einer der drei beim Bau der ‘Telafung Nummer Vier’ Verunglückten hiess Odinalt und stand offenbar der Familie Ihleponk nahe. Somit wird Ulix die abweisende Haltung der Ihleponks ihm gegenüber allmählich klar. Es ist wohl ein klassisches irdisches Erbe nicht direkt auf eine leidige Sache anzusprechen, sondern sich in Andeutungen und Sticheleien zu ergehen und dem tatsächlich oder vermeintlich Schuldbeladenen gegenüber wortkarg eine abweisende bis feindselige Haltung einzunehmen.

Ulix erhält einen Brief mit dem Absender S. Ihleponk. Der Inhalt ist eine mehrfach gefaltete Ahnentafel mit Haupt- und Seitenlinien. In einer Seitenlinie ist der mit dickem Rot unterstrichene und in eckige Klammern eingefügte Name Odinalt Krabojik vermerkt. Ein Zettel mit folgender Notiz liegt bei. «Besagter Odinalt hat einer Verwandten, als sie gerade zehn Jahre alt war, wehgetan. Auch anderen Kindern soll er in widerlicher Weise nahegekommen sein. Aus meiner Sicht hätte er wohl einen Unfall im Sinne einer harten Strafe verdient. Meine Eltern geben sich, aus welchen Gründen auch immer, auch heute noch ahnungslos. Oder tun jedenfalls so. Es grüsst Sie Sealoth Ihleponk. Nebenbei: Ich komme auf Ende Jahr nach Moghasund, habe dort geschäftlich zu tun und werde mir erlauben Sie bei dieser Gelegenheit kurz zu besuchen».

Als Sealoth dann in der ‘Residenz’ eintrifft erfährt sie, dass Ulix zwei Wochen zuvor verstorben ist. Vor einer Gedenktafel beim Flussufer legt sie einen mit roten Blattfiedern bestückten Kranz nieder.
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.07.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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