Klaus-D. Heid

Anneliese, diese Fiese...

Bei diesem Wetter sollte man zwar keinen Hund auf die Straße jagen, aber Ausnahmen bestätigen nun mal jede Regel. Anneliese war eine solche Ausnahme. Genau genommen würde ich lieber jeden Straßenköter der Stadt beherbergen, bevor ich Anneliese jemals wieder über die Schwelle meiner Haustür treten ließ. Für alles im Leben gibt es nämlich Grenzen; ganz besonders für Anneliese. Wenn es nach mir ginge, würde Anneliese eher heute als morgen das Land gut verschnürt und verklebt, als Expresspaket verlassen. Besser noch: den Kontinent. Noch besser: den Planeten! Je weiter, desto besser. Wichtig ist nur, dass Anneliese niemals zurückkehrt. Schon der Gedanke daran, ihr irgendwann im Leben noch einmal begegnen zu müssen, produziert ekelhafte Hautausschläge in meinem Gesicht. Mein Herz beginnt wie wild zu rasen, wenn ich mir vorstelle, nochmals eine einzige Minute in ihrer Gegenwart verbringen zu müssen.

Sie merken sicher schon, dass Anneliese und ich ein kleines Problem miteinander haben, oder?

Bis ich diese Tatsache richtig wahrgenommen habe, mussten stolze siebzehn Jahre ins Land gehen. Siebzehn Jahre, in denen ich von Tag zu Tage mehr zu Annelieses Haustier geworden bin. Wenn ich nicht die Beziehung radikal beendet hätte, wäre ich wahrscheinlich von Anneliese zum Tierarzt gebracht worden, um mich einschläfern zu lassen.

Andererseits will ich nicht verhehlen, dass die ersten drei Tage mit Anneliese durchaus ihre Reize hatten. Im Nachhinein betrachtet kann ich sogar sagen, dass es in all den Jahren die schönsten Tage waren, die mich unendlich glücklich gemacht haben.

Warum?

Anneliese musste noch am Tag unseres ersten Treffens zum Zahnarzt. Offenbar war die Behandlung derart schwierig, dass sie drei Tage lang kein Wort sprechen konnte. Vollgepumpt mit Schmerzmitteln saß sie jammernd in ihrer Wohnung – und kühlte ihre Wangen mit Wärmekissen. Am vierten Tag konnte sie wieder sprechen. Das Unglück begann schleichend seinen Weg zu gehen...

Sie werden sich fragen, wie man mit so viel negativer Einstellung siebzehn lange Jahre zu zweit verbringen kann? Stellen Sie sich doch auch einmal die Frage, wie jemand unschuldig verurteilt, siebzehn Jahre im Zuchthaus zubringen kann, ohne verrückt zu werden! Mit Freiwilligkeit hat das nämlich nichts zu tun. Gar nichts. Es war eine Zwangssituation, die ich unter Aufbringung aller Kräfte zu einem glücklichen Ende gebracht habe. Anneliese dürfte – gerade in diesem Augenblick – durch die eisige Nacht stiefeln. Ihre Koffer soll sie später abholen lassen, oder es bleiben lassen. Obwohl ich versucht war, mich anders zu entscheiden, habe ich ihre Klamotten nicht öffentlich verbrannt. Ich habe auch Anneliese nicht verbrannt, was mir allerdings noch weitaus schwerer gefallen ist, als ihre Klamotten am Leben zu lassen. Die Versuchung, Anneliese ein für alle Mal auszulöschen, hat mich einen echten Kampf mit meiner bösen Seite ausfechten lassen. Die böse Seite wollte nämlich, dass ich Anneliese leben lasse, während meine gute Seite allerlei Varianten vorgeschlagen hat, den Rest der Welt vor Anneliese zu schützen.

Erschlagen? Erstechen? Erwürgen? Ertränken? Erhängen? Der berühmte Fön in der Wanne? Zyankali ins Essen? Eine Giftschlange oder eine Tarantel in ihrem Bett? Eine Giftschlange UND eine Tarantel in ihrem Bett? Eine letzte gemeinsame Reise nach Ägypten? An die Ufer des Nil? Ein kleiner Schubs, wenn zwei Dutzend Krokodile Anneliese gierig ansahen?

Mein Mitleid für Krokodile, Taranteln und Giftschlangen hat gesiegt. Einen Fön wollte ich auch nicht opfern. Blut in meiner Wohnung musste auch nicht sein. Blieb also mit nur der gewaltlose Rausschmiss. Schade eigentlich. Meine böse Seite hat es nun zu verantworten, wenn Anneliese den Rest der Welt aufs Korn nahm. Arme Welt.

Vielleicht erfror sie ja in dieser Nacht? War es ein Fehler, Anneliese ohne ihren Mantel Temperaturen von unter 15 Grad Minus auszusetzen? Es war kein Fehler. Ein Fehler war es höchstens, dass ich ihr noch ihre warmen Winterstiefel hinterhergeschmissen habe. Ein Fehler war es wohl auch, ihr nicht den Norweger-Pullover von Leib gerissen zu haben, den sie sich einfach angeeignet hat. Aber was soll’s. In der Fülle der Fehler, die ich in Sachen Anneliese begangen habe, verliefen sich derartige Kleinigkeiten.

Viel, viel schlimmer war es da schon, dass ich nicht rechtzeitig meine Konten sperren ließ, als ich endlich begriff, wie gefährlich dieses Weib war. Wie konnte ich nur so blöd sein und Anneliese vertrauen? Oder war es einfach nur Dummheit von mir? Uneinsichtigkeit? Oberflächlichkeit? Was auch immer es war – es war für Anneliese eine Einladung, mich zu ruinieren, die sie dankend angenommen hat.

Meine Sparbücher sind leergeräumt. Meine Investment-Fonts hat sie in Bargeld verwandelt. Sämtliche Wertpapiere sind für mich nun wertlos. Alle Konten, auf die wir gemeinsam Zugriff hatten, sind so leer wie mein Sparschwein, das sie ebenfalls geplündert hat. Statt sich mit dem Geld zufriedenzugeben, das sie von meinen Konten geräumt hat, hat sie auch alle Konten soweit überzogen, dass mir seitens der Bank täglich Mahnungen und Zahlungserinnerungen zugehen. Darüber hinaus hat sie seit Monaten alle eingehenden Rechnungen fein säuberlich zusammengefaltet, um sie anschließend in den Müllcontainer zu werfen. Sie hat meine Unterschrift gefälscht, um bei anderen Banken Darlehen aufzunehmen, die ich nun abzuzahlen habe. Sie hat bei Versandhäusern Waren gekauft, die ich niemals zu Gesicht bekommen habe. Weiß der Geier, wo sie das ganze Zeug versteckt hat! Bezahlt hat sie’s jedenfalls nicht!

Hatte ich schon erwähnt, dass Anneliese mich in den vergangenen siebzehn Jahren mindestens zweihundert Mal betrogen hat? Nein? Als ich in meiner Wut über Annelieses Verschwendungssucht den Keller durchsucht habe, um eventuelle waren aufzustöbern, die ich vielleicht noch zurückgeben konnte, fiel mir ein unauffälliger Koffer in die Hände. Geschickt wie sie manchmal sein konnte, hatte Anneliese diesen Koffer unter Bergen von überflüssigem Hausrat verstaut. Als ich den Koffer öffnete, purzelten mir unzählige Liebesbriefe ihrer verflossenen Lover entgegen. Anhand der Poststempel auf den Umschlägen erkannte ich, dass meine liebe Anneliese kaum eine Woche ausgelassen hatte, wenn’s ums Betrügen ging.

„Liebste! Nie werde ich die heiße Nacht mit Dir vergessen...!“

Knapp zweihundert Briefe, in denen jedes Mal andere Kerle Anneliese ihre Liebe bekundeten. Ein Teil dieser Briefe war derartig obszön, dass ich mich fragte, welche Anneliese wohl gemeint war. Meine Anneliese war jedenfalls – wenn sie mit mir zusammen war – die Ausgeburt von Prüderie und Langeweile. Die wenigen Male, die Anneliese und ich nichtschlafend im Bett verbrachten, würden auch von der freiwilligen Selbstkontrolle FSK ohne jede Altersbeschränkung, in den Videotheken landen können. Die Sendung mit der Maus war dagegen der reinste Schocker!

Betrogen, beraubt, beschissen. Drei Worte, die sechszehn Jahre mit Anneliese treffend beschrieben.

Sie finden, dass nur ein kompletter Vollidiot so lange mit dieser Anneliese zusammenleben konnte, ohne etwas zu bemerken? Sie sind der Meinung, dass ich selbst Schuld an meinem Elend bin? Sie meinen, dass ich selbst die Verantwortung zu tragen habe, weil ich zu lange viel zu blind war? Jemand, der so bescheuert wie ich ist, hat es nicht besser verdient?

Stimmt!

Sie haben in allen Punkten Recht. Der eigentlich Schuldige bin ich. Ich sehe das voll und ganz ein. Es ist schließlich nicht so, dass ich uneinsichtig bin. Im Gegenteil! Alle Erfahrungen, die ich mit Anneliese gemacht habe, werde ich in meiner täglichen Arbeit nutzen, um anderen unglücklichen Paaren zu helfen.

In meiner Funktion als psychologischer Eheberater der städtischen Eheberatungsstelle habe ich wirklich alle Optionen, Paaren in Krisen den rechten Weg zu weisen. Ich weiß nämlich, wovon ich rede...!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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