Elon Musk und Jeff Bezos denken progredierend planetarisch und planen bereits seit geraumer Zeit den Abflug: ins All. Richard Branson schließt nun zu ihnen auf und bietet einstweilen der globalen Geldelite eine hochfliegende Luxus-Besichtigung der Folgen gelebter Verantwortungslosigkeit an, bevor sich die Milliardäre dieser Welt im nächsten Schritt final von diesem Planeten verabschieden. Die Superreichen scheinen die Erde bereits aufgegeben zu haben, nachdem sie über Jahrzehnte tatkräftig daran mitgewirkt haben, sämtliche für das globale Überleben unverzichtbaren Lebensräume auf ihrem Weg an die Vermögensspitze zu zerstören. Erscheint es da nicht gerechtfertigt, wahrlich astronomische Summen für ein Weltraumticket hinblättern zu müssen? Idealer Zeitpunkt, den Traveller-Scheck wieder einzuführen! Ja, man arbeitet ganz unverhüllt für sich und seinesgleichen an der Realisierung einer planetarischen Exitstrategie und wird dafür auch noch von jenen bejubelt, welche sich nicht einmal einen Zuschauerplatz an der Startrampe werden leisten können. Um gleich zu Beginn der infamen Bezichtigung zu entgehen, irgendeiner der zahlreichen Verschwörungstheorien anzuhängen, möchte ich auf den Umstand hinweisen, dass all jene Vorgänge öffentlich beobachtbar, mithin jeglicher Verschwörung unverdächtig sind. Nein, die Fluchtbewegung des Kapitals dieser etwas anderen Art ist reinweg zweckrational: es geht ums nackte Überleben. Dabei stört mich nicht so sehr, dass einige wenige (Selbst-)Auserwählte für das translunare Fortbestehen der Menschheit sorgen, wohl aber, dass dafür Kapitalbesitz als exklusives Auswahlkriterium dienen soll. Ironische Pointe: obgleich in den letzten hundert Jahren ja zu keinem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich, muss die Weltrevolution wieder einmal, wohl letztmalig, abgesagt werden, weil der Klassenfeind nicht mitspielt und sich ganz einfach verabsentiert. Can you imagine?
“How could I ever imagine!” Diese Worte sprach der US-amerikanische Schauspieler Charlton Heston vor nunmehr 48 Jahren in einem zu jener Zeit noch dem Genre “Science Fiction Movie” zugeordneten dystopischen Thriller, als er seinen großväterlichen Mitbewohner Sol, gespielt von einem grandiosen Edward G. Robinson, in einer aus freien Stücken aufgesuchten Euthanasie-Station verabschiedet, während auf einer Großleinwand die gleichermaßen bewegten wie bewegenden Bilder einer intakten Natur aus der erzählerisch referierten Vergangenheit zu sehen sind. Eine Welt, die der wesentlich jüngere Thorn (Heston) aus eigener Anschauung nicht kennt, zumal auch Bücher, die von ihr erzählen könnten, offiziell verboten sind – ein Topos in der dystopischen Literatur seit “1984”. Der Film spielt im Jahre 2022, in einer hoffnungslos übervölkerten Welt, deren Lebensgrundlagen durch Klimawandel und fortgesetzte Ressourcenplünderung so weit zerstört sind, dass ein Stück Rindfleisch selbst in einer Kryptowährung nur für einen sechsstelligen Betrag zu haben wäre. Menschliches Fleisch dagegen ist im Überfluss vorhanden...
Über die letzten vier Jahrzehnte hinweg habe ich diesen Hollywood-Klassiker in unregelmäßigen Abständen immer wieder gesehen, ohne dass er auch nur eine Vierundzwanzigstelsekunde von seinem Schrecken verloren hätte. Was sich jedoch verändert, ist die Perspektive des Betrachters, und zwar nicht nur, weil das einst futuristisch ferne Jahr nun kalendarische Gegenwart zu werden droht, sondern weil die Identifikation mit einer Filmfigur sich altersbedingt verschiebt. Liefe der Film heute im deutschen Fernsehen, würde ich unweigerlich akzeptieren müssen, dass ich dem Lebensalter der Filmfigur des Sol erstmals näher stehe als dem des Thorn (Heston) und ich mich in einer beschleunigt auf ihre unumkehrbar kataklysmische Wandlung zulaufenden Welt befinde, welche die Filmwirklichkeit nahezu eingeholt hat.
Dass die klimatischen tipping points bereits früher erreicht werden als zum Zeitpunkt der bislang prognostizierten “Wendejahre”, kann angesichts der in Modellrechnungen nur mit großer Unschärfe zu erfassenden Beschleunigungsfaktoren wie komplexen Folgewirkungen des Artensterbens und noch komplexerer Kettenreaktionen in den Ozeanen als wahrscheinlich gelten. Dagegen ist die durch Waldbrände zusätzlich produzierte Kohlendioxidmenge leicht in laufende Berechnungen einzuspeisen. Sicher vorhersagbar (ohne genaue zeitliche Bestimmbarkeit) ist nur noch eines, und zwar unabhängig von Wohnort, sozialem Status und Religiosität: Trifft dich nicht ein Hochwasserereignis oder eine Sturmflut, ein Hurricane oder ein Tornado, so wird dich eine Hitzeglocke, eine Feuerwalze oder ein Eissturm mit meterhohen Schneeverwehungen erwischen. Die lokale Unglücksverteilung bei einer dramatisch erhöhten Frequenz von desaströsen Umweltereignissen bestimmt sich schlicht nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung – in der globalen Klimalotterie werden viele den Jackpot knacken! Die Verkündung “unbequemer Wahrheiten” (Al Gore), für die es längst zu spät ist (zumal Politik noch nicht einmal an diesem Punkt angelangt ist), erscheint ebenso unangebracht wie der Ruf nach einem kollektiven Panikzustand. Vielleicht ist heitere Resignation das Gebot der Stunde, ermöglicht sie doch zumindest einen Abschied in Würde, und wenigstens einen solchen sollten die Mutigen und Aufrechtgehenden unter uns noch hinbekommen!
Für Sol, den weisen alten Mann, der schon vor einem halben Jahrhundert mehr verstanden hatte, als es dem menschlichen Recyclingmaterial von morgen je möglich sein wird, lautete der Titel des Films in Wahrheit: “2022 … die nicht mehr überleben wollen...” Und wer kann schon sagen, ob nicht die “vulnerablen Gruppen” von heute die “venerablen Gruppen” von morgen sein werden, denen vom Weltgesundheitsministerium ein großartig letztes Angebot gemacht wird: Sich abschiedslos auf einen reservierungsfreien Liegestuhl in einem Palliativstudio legen zu können, um dort professionell sediert sanft zu entschlafen. Vielleicht wird jenen, die schon einige Jahrzehnte auf diesem Planeten verweilen, schmerzlich und schuldhaft bewusst, dass sie nicht mehr in eine Welt gehören, welche mit der, die sie zu kennen glaubten, nichts mehr gemein hat, und dass sie denen, die sie lieben, nicht einmal mehr einen Zukunftsgutschein mitgeben können. “Wir stehlen uns davon wie Diebe, undankbar dankbar und nehmen die Liebe mit und lassen den Abschied da” - selten hallte das ferne Echo der Botschaft eines unerhört Überlebenden (Wolfgang Borchert) stärker, Funksignale aus einer physisch und seelisch zerstörten Welt. Auf die Einsicht ihrer Repräsentanten hoffend, erwarte ich nichts weniger als die Wiederkunft einer “Generation ohne Abschied”. Die große Zeit der Abschiede hat begonnen und ist doch schon vorbei, denn der Abschied ist wohl verzichtbar in einer Welt, die sich in atemberaubendem Tempo von uns verabschiedet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.08.2021.
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