Klaus-Peter Behrens

Artefaktmagie, Teil 54

Gorgor war nahezu am Ende seiner Kräfte, als er den Talboden erreichte. Der Abstieg hatte sich um ein Vielfaches schwieriger erwiesen, als die Überfahrt mit dem lecken Gefährt. Einer seiner beiden Ulogs war nur um Haaresbreite dem Absturz entgangen, hatte dafür aber ihren vollständigen Vorrat an Bolzen verloren. Lediglich der Bolzen in der Armbrust war ihm verblieben, womit die Waffe so gut wie nutzlos war. Gorgor hatte bei diesem Rückschlag wütend geknurrt und hätte den Ulog am liebsten den Bolzen hinterher geworfen, hätte er ihn nicht noch für ihre Mission benötigt. Da sie nur eine Armbrust bei sich führten und ansonsten mit Nahkampfwaffen ausgerüstet waren, würde das Ende nun auf einen Kampf Mann gegen Mann hinauslaufen. Ein sadistisches Lächeln glitt bei diesem Gedanken über die Züge des Dämons. Im Prinzip bevorzugte er es, seinem Gegner ins Auge zu sehen, wenn er ihn erledigte. Trotzdem war der Verlust der Munition mehr als ärgerlich. Dichte Vegetation bedeckte den Talboden und entzog ihnen so den Blick auf ihr eigentliches Ziel. Das letzte Mal, als Gorgor einen Blick auf den unheimlichen See geworfen hatte, war der Alte gerade dabei gewesen, diesen auf einer schmalen Brücke zu überqueren. Dankbar dafür, daß sie in den tiefen Schatten der steilen Kraterwand für ihre Gegner so gut wie unsichtbar waren, hatte er die Ulogs zu einem noch stärkeren Tempo angetrieben. Nun hatten sie endlich den Kraterboden erreicht, aber ein dumpfes Gefühl in seinem Magen sagte ihm, daß es möglicherweise schon zu spät war. Er knurrte ungehalten und verdrängte diesen unerfreulichen Gedanken. Sein Blick fiel auf die Ulogs, die ihren Anführer erwartungsfroh ansahen. Ihr Verstand war zu begrenzt, um die Folgen des Scheiterns ihrer Mission zu erfassen. Dafür glühte eine mörderische Jagdlust in ihren Augen, die sogar Gorgor frösteln ließ. Ihm war bewußt, daß die Ulogs alles andere als begeistert gewesen waren, als er sie gezwungen hatte, auf dem lecken Kahn über das Meer zu fahren. Nun brannten sie darauf, sich an dem Grund hierfür zu rächen, und Gorgor bedauerte seine Gegner beinahe. Einem wütenden Ulog war niemand gewachsen.

Sie sind hier entlang gegangen“, knurrte der ältere der Ulogs, über dessen Gesicht sich vom Jochbein bis zum linken Mundwinkel hinab eine tiefe Narbe zog, die ihn noch finsterer erscheinen ließ. Das Relikt eines lange zurückliegenden Kampfes. Der Verursacher hatte dafür bitter bezahlt.

Gorgor nickte. Gleich mehrere schmale Pfade führten vom Fuß des Plateaus fort, aber er hatte keinen Zweifel daran, daß der Ulog den richtigen Pfad durch die dichte Vegetation gefunden hatte.

Worauf wartet ihr dann noch?“, knurrte er ungehalten, worauf die Ulogs herumfuhren und im Laufschritt dem schmalen Pfad folgten, der sich vom Fuß des Plateaus durch die dichte Vegetation wand. Gorgor folgte dicht auf. Als die Vegetation eine halbe Meile später lichter wurde, lag der See und die Brücke keine dreihundert Fuß mehr entfernt. Mit einem Knurren registrierte Gorgor, daß der letzte ihrer Gegner gerade im Begriff war, die Brücke zu überqueren.

Haltet ihn auf“, zischte er, worauf der Ulog, der die schußbereite Armbrust in seiner Klaue trug, den Arm hob und sein Ziel in vollem Lauf anvisierte. Er galt als bester Schütze seiner Einheit und war dafür bekannt, sein Ziel niemals zu verfehlen, selbst dann nicht, wenn er selbst in Bewegung war. Als der Lauf den Rücken seines Opfers anvisierte, betätigte er den Abzug und stolperte im gleichen Moment über eine Baumwurzel.

 

Das bösartige Zischen, gefolgt von einem klatschenden Geräusch, mit dem der Bolzen in das morsche Holz der Brücke fuhr, ließ Michael zusammenzucken.

Der Bolzen hatte ihn nur um Haaresbreite verfehlt.

Ein wahrer Sturzbach aus Adrenalin rauschte plötzlich durch seine Adern, und die Gedanken rasten hinter seiner Stirn. In höchster Panik stürzte er auf das Ende der Brücke zu, wo Glyfara bereits den Bogen von der Schulter gerissen und einen Pfeil auf die Sehne gelegt hatte, während hinter ihm wütendes Gebrüll erscholl. Irgend jemand war ihnen auf den Fersen, und er war ihnen nicht wohl gesonnen. So viel stand fest. Als er das Ende der Brücke erreichte, drehte er sich um und erstarrte vor Schreck, als er ihre Verfolger zu Gesicht bekam. Zwei der gewaltigen Kampfmaschinen, die er schon als Wachen im Lager des Wandlers gesehen hatte, gefolgt von einem gehörnten Dämonen rannten in diesem Moment den Pfad zur Brücke hinunter. Diesmal waren sie endgültig erledigt.

 

Der Kampf an den Festungswällen hatte seinen Höhepunkt erreicht. Niemand zweifelte mehr daran, daß die Burg jeden Moment fallen würde. Nur der Mut der Verzweifelten hielt den Gegner noch davon ab, endgültig die Mauern zu erobern, doch der Preis hierfür war hoch. Soldaten, Alte, Frauen und Kinder starben inzwischen Seite an Seite. Am schlimmsten stand es um die Südfront. Nachdem der Angriff auf das Tor so kläglich gescheitert war, hatte der Wandler den Sturm auf das Südtor angeordnet. Zwar hatte auch das zweite Sprengfaß Grüneichs die erneuten Bemühungen des Feindes zunichte gemacht, aber selbst Grüneich war bewußt, daß sie dies nicht auf Dauer davon abhalten würde, ein drittes Mal anzugreifen. Und so, wie es aussah, stand dieser dritte, vernichtende Angriff unmittelbar bevor. Auf einem Hügel, außerhalb der Pfeilschußreichweite, formierte sich ein Stoßtrupp von fünfzig Mann unter der Führung eines halben Dutzend Berittener, während die Fußsoldaten an den Wällen nun auch noch ihre letzten Reserven in die Waagschale warfen. Haken schwirrten durch die Luft und Dutzende von Leitern wurden angelegt, so daß die Verteidiger alle Hände voll zu tun hatten, um nicht überrannt zu werden.

Grimmbart, der mit seiner Axt unablässig vorwitzige Dämonenschädel spaltete, war nur zu bewußt, was das bedeutete. Die Fußsoldaten an den Wällen sollten die Verteidiger dort binden, um den Stoßtrupp die Gelegenheit zu geben, das Tor zu nehmen. Ein guter Plan, wie Grimmbart sich nüchtern eingestehen mußte. Allerdings hatte er keine Ahnung, was er dagegen unternehmen sollte.

Der dumpfe Klang der Kriegshörner wehte zu ihnen hinüber, dann setzte sich der Stoßtrupp in Bewegung und gewann erschreckend schnell an Geschwindigkeit. Wie eine Lawine schob er sich den Hügel hinab auf die Torrampe zu. Grimmbart knirschte mit den Zähnen, während er über den schlüpfrigen Wehrgang zum Tor hinüber hastete. Der Troll folgte ihm dicht auf. Oberhalb des Tors bereiteten sich Wengor mit einem Dutzend angeschlagener Verteidiger auf den Angriff vor. Grimmbart erhaschte kurz einen erleichterten Blick Wengors, als dieser realisierte, daß sie Verstärkung bekamen. Allerdings konnte Grimmbart im Blick des Gardeanführers auch erkennen, daß dieser sich keine Illusionen über den Ausgang des Kampfes machte.

Das Tor würde fallen.

Inzwischen war der Feind den Hügel hinab gestürmt und befand sich nun keine dreihundert Fuß mehr von dem Aufgang zum Tor entfernt, als aus dem dichten Gehölz, daß die Hügel umgab und bis zur Flanke der Talkessel reichte eine Phalanx aus apokalyptischen Reitern hervorbrach und in die Reihen der überraschten Dämonen einbrach. Von einem Moment auf den anderen geriet der Vormarsch zum Erliegen. Gewaltige Bärentatzen fegten bewaffnete Soldaten wie Spielzeuge beiseite, und die Kurzbögen der Bärenreiter wüteten unter den überraschten Feinden, die kaum Gelegenheit hatten, sich zu organisieren. Aber auch wenn der Überraschungseffekt wieder gelungen war, erwies sich der Feind diesmal als widerstandsfähiger.

Sid, der an vorderster Front ritt, wurde plötzlich von zwei Berittenen Ulogs zugleich angegriffen. In perfekter Synchronisation nahmen sie ihn in die Zange. Sid zögerte keine Sekunde und holte den Angreifer zu seiner Linken mit einem gezielten Pfeilschuß von seinem höllischen Streitroß, während er seinen Bären zugleich anwies, sich dem Angreifer zu ihrer Rechten zu stellen. Überrascht von der Reaktionsschnelle seiner Beute zögerte der Reiter eine Sekunde zu lang, was ihm zum Verhängnis wurde. Urplötzlich ragten fast fünf Meter gepanzerte Muskelmasse vor Pferd und Reiter auf den Hinterbeinen in die Höhe. Das erfahrene Kampfross scheute und versuchte im letzen Moment, der drohenden Gefahr auszuweichen, aber es war schon zu spät. Das letzte, was Roß und Reiter in ihrem Leben wahrnahmen, waren drei Tonnen pelzige Muskelmasse mit sichelförmigen Klauen, die auf sie herabfuhren, wie das jüngste Gericht.

Der Aufprall hatte Sid beinahe vom Rücken seines Reittiers katapultiert. Energisch klammerte er sich im Fell des Bären fest, der sich schon wieder der nächsten Gefahr stellte. Nach der ersten Überraschung hatten sich die Gegner inzwischen ein Herz genommen und stellten sich nun gemeinsam der neuen Gefahr. Beklommen registrierte Sid, daß sich ihnen eine Reihe von zehn Pikenträgern näherten und sie einkreisten. Die langen Waffen glänzten tückisch im Mondlicht. Eilig sah er sich um und stellte besorgt fest, daß seine Mitstreiter in ähnliche Gefechte verstrickt waren. Diesmal hatte der Feind schneller reagiert und ihnen den Weg abgeschnitten. Nun drang er von allen Seiten auf die Bärenreiter ein und nahm sie unbarmherzig in die Zange. Zum ersten Mal fragte er sich, ob seine Strategie nicht ein wenig zu leichtsinnig gewesen war. Dann zog er einen Pfeil aus dem Köcher und legte auf den Pikenträger an, der ihnen direkt im Weg stand. Sie würden sich ihren Weg eben freikämpfen müssen. Mit einer kurzen Bewegung zog er die Sehne bis an seine Wange und ließ den Pfeil fliegen.

 

Oberhalb des Tors trafen Grimmbart, Grüneich auf einen mit neuer Hoffnung erfüllten Wengor. Der wiederholte Angriff der Bärenreiter war mit gewaltigen Jubel begrüßt worden und hatte Optimismus den Boden bereitet, wo vorher Verzweiflung und Resignation geherrscht hatten. Die Unterstützung der Bärenreiter war entgegen ihrer Befürchtungen kein einmaliges Gastspiel gewesen, sondern erwies sich nun als echter Beistand gegen den übermächtigen Feind. Der Jubel ebbte jedoch schnell ab, als die Verteidiger mit ansehen mußten, wie selbst die mächtigen Bären in Bedrängnis gerieten. Wie eine Schlinge zog sich die brodelnde Masse der Angreifer um die tapferen Krieger zusammen, die zunehmend in Bedrängnis gerieten. Bei einem Verhältnis von zehn zu eins brauchte man kein erfahrener Feldherr zu sein, um das Ende der Schlacht vorhersagen zu können.

Sie sitzen in der Falle“, kommentierte Grüneich den Anblick, der sich ihnen bot. Grimmbart glaubte zu seinem Erstaunen so etwas wie Mitleid in der Stimme seines unerschütterlichen Weggefährten zu vernehmen. Sein Blick glitt über die zwei Dutzend Bärenreiter, die sich verzweifelt einer gewaltigen Übermacht stellten, nur um den Bewohnern dieser Festung zu helfen. Grimmbart bewunderte ihren Mut und ihre Selbstlosigkeit.

Gibt es keine Möglichkeit, ihnen zu helfen?“, wandte er sich an Gelon. Ein unergründlicher Ausdruck trat in die Augen des betagten Gardeführers.

Eine Möglichkeit gäbe es in der Tat“, sagte er mit einer Stimme, die klang, als sei er gerade seinem Grab entstiegen. Als er seine Idee erläuterte, mußte Grimmbart sich eingestehen, daß die Stimmlage gut zu dem paßte, was Wengor ihnen vorschlug.

Ich bin dabei“, knurrte der Zwerg, nachdem Wengor geendet hatte. Sein Blick ruhte auf Grüneich, der finster nickte.

Sterben müssen wir sowieso alle einmal“, brummte er.

 

Mit einem pfeifenden Geräusch fuhr Arums Hammer herunter und spaltete den Schädel eines vorwitzigen Dämonen, der mit einem Schwert versucht hatte, seinen Bären von der Seite anzugreifen. Zottel, der den Angriff übersehen hatte, brummte dankbar, während er zugleich mit einem einzigen Hieb seiner gewaltigen Pranke einen Ulog samt Pferd beiseite fegte.

Der Blutrausch hatte Reiter und Bär gleichermaßen gepackt.

Das Adrenalin schoß mit Höchstgeschwindigkeit durch Arums Adern und gaukelte ihm vor, unbesiegbar zu sein. Ohne auf die Gefährten zu achten, trieb er Zottel immer tiefer in den feindlichen Pulk ihrer Widersacher hinein und hinterließ dabei eine Spur der Vernichtung. Zu spät erkannte er, daß er blindlings in eine Falle getappt war. Ehe er etwas dagegen unternehmen konnte, schloß sich die Schneise hinter ihm in wohl geordneter Choreographie und schnitt ihn so von seinen Gefährten ab. Nun war er plötzlich ganz auf sich allein gestellt. Der Feind stand in mehreren Reihen um ihn herum, senkte Piken und Lanzen, legte Pfeile auf die Sehnen ihrer Krummbögen und verfiel zugleich in ein furchteinflößendes Siegesgebrüll. Zottel antwortete gebührend, indes er sich langsam im Kreis drehte und nach einer Lücke in der waffenstarrenden Front suchte.

Es gab keine.

Die gewaltigen Pranken kratzten nervös über den vom Kampf aufgewühlten Untergrund. Der Bär spürte instinktiv, daß er das Ende seines Lebenspfades erreicht hatte. Aber noch war er nicht tot, und er würde sich seiner Haut bis zum letzten Moment erwehren. Auch Arum dämmerte, daß er einen gewaltigen Fehler gemacht hatte. Der Adrenalinrausch hatte sich schlagartig gelegt und war einem anderen Gefühl gewichen.

Furcht.

Allerdings fürchtete Arum weniger um sein eigenes Leben, als vielmehr um das seines geliebten Bären. Er kannte die hitzköpfige Natur des Bären nur zu gut und wußte, daß dieser vor keiner Übermacht zurückschrecken würde.

Dann griff der Feind an.

 

Die Pferde scharrten unruhig mit den Hufen auf dem Kopfsteinpflaster. Sie waren für den Kampf ausgebildet worden und ahnten, was ihnen bevorstand.

Ihren Reitern ging es nicht anders.

Fünfzehn schwer gepanzerte Soldaten beobachteten gebannt, wie sich die Torwache an den Torflügeln bereit machte. Ihre schweißnassen Hände hielten schwere Lanzen, deren schmiedeeiserne Spitzen gelegentlich mit einem klirrenden Geräusch das Kopfsteinpflaster berührten. Andere umschlossen mit verbissener Miene ihre abgewetzte Schwertgriffe, während die drei Armbrustschützen der Einheit nervös immer wieder die Anzahl ihrer Bolzen zählten. Jeden Moment würden die beiden gewaltigen Torflügel aufschwingen, und ihre Einheit mit donnernden Hufen hinausreiten, um dem Feind Seite an Seite mit den Bärenreitern das Fürchten zu lehren. Allerdings bezweifelten die meisten von ihnen, daß sie auf dieselbe Weise wieder zurückkehren würden.

Mit ähnlichen Empfindungen saßen Wengor, Grimbart und Grüneich an der Spitze der kleinen Einheit auf ihren Pferden und betrachteten mit grimmiger Entschlossenheit die dunklen Torflügel, hinter denen die Hölle auf sie wartete.

Sieh zu, daß du keinen Alleingang wagst, sonst wirst du dort draußen sterben“, riet Grimmbart seinem Gefährten, der wie ein knorriger alter Baum auf seinem Pferd thronte. Die Tötzwanzig lag griffbereit quer über dem Riß des Pferdes, während seine Keule wie ein Schwert an seiner rechten Hüfte baumelte. Seine Augen wirkten unergründlich tief, als er den Kopf wandte und den besorgten Blick des Zwerges auffing.

Bei uns gibt es ein Sprichwort. Vor seinem Schicksal kann man sich nicht verstecken. Es findet dich selbst am anderen Ende dieser Welt. Wenn hier und heute also Schluß sein soll, so muß ich mich damit abfinden. Aber wenn dies der Fall sein sollte, dann möchte ich auf meinem eigenen Stück Land begraben werden. Falls du überleben solltest und ich nicht, wirst du dann dafür sorgen?“

Die großen Augen sahen ihn unverwandt an, worauf Grimmbart schlucken mußte. Er hatte schon eine Menge Gefährten im Laufe der Jahre verloren, und war es leid, sie unter die Erde zu bringen.

Ich werde dafür sorgen, daß du dir den Hintern auf deinem eigenen Stück Land aufreißen wirst, um etwas Anständiges zum Abendessen auf den Tisch zu bringen, wenn ich zu Besuch komme. Also sieh zu, daß du keine Dummheiten machst“, knurrte er, als könne er mit den bloßen Worten das mögliche Schicksal des Gefährten abwenden. Ein breites Grinsen erschien auf Grüneichs Gesicht. Er wollte etwas erwidern, aber in diesem Augenblick begannen sich die Torflügel mit einem lauten Quietschen zu öffnen und nahmen seine ganze Aufmerksamkeit gefangen. Mit grimmiger Entschlossenheit umfaßten seine Finger den Schaft der Tötzwanzig. Von nun an gab es kein Zurück.

 

Sie haben was vor?“

Mit in den Hüften gestützten Armen stand Taren fassungslos vor Mira, einer Frau in den Fünfzigern, die ihr im Lazarett assistiert hatte und gerade mit einem neuen Schwung Verbandsmaterial zur Tür hereingekommen war. Aber das Verbandsmaterial war nicht das Einzige, was sie mitgebracht hatte. Eingeschüchtert von Tarens aggressiver Haltung wiederholte sie, was sie draußen aufgeschnappt hatte.

Sie planen einen Ausfall, um den Reitern des Bärenclans zu helfen. Wengor reitet mit fünfzehn Mann. Mit ihm reiten der Riese und der Zwerg. Sie sind schon am Tor.“

Taren konnte es auch beim zweiten Mal nicht glauben.

Das ist Wahnsinn“, flüsterte sie erschüttert. Mira nickte und schickte sich an, das Verbandsmaterial auf einem hölzernen Tisch aufzustapeln. Dabei vermied sie es, Taren anzusehen. Die stand einen Augenblick dar, wie vom Donner gerührt. Dann ging ein sichtbarer Ruck durch ihren Körper. Mit einer kräftigen Bewegung riß sie sich den blutbefleckten Kittel vom Leib. Mira staunte nicht schlecht, als sie sah, was darunter zum Vorschein kam. Die hilfsbereite Samariterin hatte sich in eine Amazone verwandelt. Derbe, verstärkte Lederkleidung bedeckte den Oberkörper. Zwei Gurte mit jeweils einem Dutzend Wurfmesser hingen ihr kreuzweise über der Brust, und zwei weitere Messer steckten in speziellen Schäften ihrer langen Lederstiefel, die in eine lederne Reithose mündeten.

Was .... was habt Ihr vor?“, fragte Tira mit erstickter Stimme.

Ein Versprechen einlösen“, antwortete Taren. Dann wandte sie sich mit festem Schritt der Tür zu.

Draußen überfiel sie der Schlachtlärm mit seiner vollen Intensität, und es klang nicht gut. Ein kurzer Blick zu den Wehrgängen hinauf bestätigte ihr, das die Bezeichnung „Schlecht“ es nicht ganz traf. Sie waren am Ende.

Erledigt.

Jeder, der sich noch halbwegs auf den Beinen halten konnte, harrte auf den Wehrgängen aus und kämpfte verbissen gegen den übermächtigen Feind. An vielen Stellen hatte sich der Kampf bereits auf die Wehrgänge verlagert, wo es dem Gegner gelungen war, die Zinnen zu überwinden. Mit Gewalt riß Taren sich von dem furchtbaren Anblick los und konzentrierte sich auf das Tor, das unweit des Lazaretts lag. Tira hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt. Mit einem kreischenden Geräusch schwangen die beiden Torflügel in diesem Moment auf, und die Männer folgten Wengor hinaus in die Schlacht.

Taren erhaschte einen kurzen Blick auf Grimmbart, der mit funkelnder Streitaxt neben Wengor und Grüneich in vorderster Reihe ritt, bevor er durch das Tor ihren Blicken entschwand. Nie hatte er kriegerischer und furchteinflößender ausgesehen, als in diesem Moment, und noch nie hatte Taren so eine Furcht verspürt, ihn nicht wiederzusehen. Ohne weiter nachzudenken, rannte sie los. Am Tor hatte sie zwei Pferde ohne Reiter entdeckt. Offenkundig hatte Wengor nicht mehr genug Männer zusammenbekommen, um eine schlagkräftige Einheit zu bilden. Das war Tarens Glück oder ihr Schicksal.

Binnen weniger Sekunden erreichte sie die unruhigen Pferde, deren Nüstern sich aufgeregt blähten. Sie entschied sich für einen nachtschwarzen Rappen, der näher am Tor stand. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie von hinten auf und landete elegant im Sattel, ein Kunststück, das sie während ihrer Zeit bei dem Fahrenden Volk bei jeder Vorstellung vorgeführt hatte. Nur war hier niemand anwesend, der ihr Applaus spendete, geschweige denn sie aufhielt. Das Pferd ging kurz auf die Hinterhand und tänzelte dann einen Augenblick irritiert bis es spürte, daß es eine erfahrene Reiterin auf seinem Rücken hatte. Dann sprengte es unter Tarens Führung auf das Tor zu, wo sich die beiden Torflügel gerade wieder schlossen.

Aus dem Weg!“, brüllte sie aus Leibeskräften. Einer Wache gelang es gerade noch, sich mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit zu bringen, dann flog Taren auf ihrem nachtschwarzen Roß auch schon durch das Tor, während die schwer beschlagenen Hufe einen tödlichen Rhythmus auf das Kopfsteinpflaster hämmerten. Kaum war sie hindurch, schlossen sich die Flügel mit einem dumpfen Geräusch hinter ihr. Der Klang hatte etwas Endgültiges, das Taren einen kalten Schauder über den Rücken jagte. Allerdings hatte sie keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Die Hölle jenseits des Tores hieß sie willkommen.

 

Bolzen und Pfeile surrten an Arum vorbei wie zornige Hornissen, als sich Zottel der ersten Welle der Angreifer stellte. Eine formlose Masse aus kleinen, krummbeinigen Dämonen, bewaffnet mit Säbeln, Äxten, Piken und Keulen, wälzte sich ihnen frontal entgegen, während sich jeweils in ihren Flanken berittene Ulogs zum Angriff formierten. Schwere Lanzen wurden eingelegt, die mit tödlicher Präzision auf Arum und seinen Bären wiesen. Arum wußte, warum sie noch nicht angriffen hatten. Sie würden warten, bis das Fußvolk ihn und seinen Bären vollauf beschäftigten und dann lossprengen.

Aber was sollte er dagegen tun?

Die Gedanken rasten binnen Bruchteilen von Sekunden hinter seiner Stirn hin und her, als er verzweifelt nach einem Ausweg suchte. Seine Augen flogen zwischen der heran brandenden Flut der krummbeinigen Gegner und den berittenen Unholden hin und her.

Zottel nahm ihm die Entscheidung ab. Der Bär spürte instinktiv, daß die berittenen Dämonen die größere Gefahr darstellten. Mit einer Schnelligkeit, die seine Masse lügen strafte, wandte er sich den berittenen Gegner zu ihrer Linken zu und sprintete mit weit aufgerissenen Fängen auf die Dämonen zu, die nicht weniger überrascht von dieser Aktion waren, als ihr Gegner auf dem Bären. Mit einer solchen lebensmüden Taktik hatten sie nicht gerechnet. Mit gellenden Kampfschreien traten sie ihren schweren Kampfrössern in die Seite, aber bevor diese Fahrt aufnehmen konnten, wütete Zottel bereits mit verheerender Wut unter ihnen. Das Kreischen der verendenden Tiere eiferte mit dem Brüllen der Ulogs um die Wette, derweil Arums Hammer Gliedmaßen zerschmetterte. Einen Augenblick noch, und sie würden die letzte Reihe durchbrochen haben und die Kampfgefährten erreichen, die in ähnliche Gefechte verstrickt waren. Zusammen würde es ihnen vielleicht gelingen, zum sicheren Waldrand durchzubrechen. Dann aber strauchelte Zottel plötzlich. Die dicken Tatzen brauchten einen Augenblick, um das Gleichgewicht wieder zu finden. Entsetzt sah Arum, wie sich gleich zwei berittene Ulogs dies zunutze machten und auf sie zusprinteten. Die schweren Lanzen senkten sich, und die Hufe trommelten eine tödliche Botschaft auf die blutbefleckte Erde.

Arum sah keinen anderen Ausweg.

Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, schleuderte er seinen Hammer auf den Angreifer, der sie von Westen her angriff, während er Zottel mit den Beinen nach Osten hin dirigierte, um sich dem verbliebenen Gegner zu stellen. Mit Genugtuung beobachtete er, wie der schwere Hammer den Ulog mit vernichtender Wirkung traf und aus dem Sattel warf. Dann wandte er sich der zweiten Bedrohung zu und erschrak bis ins Mark.

Zottel hatte zum ersten Mal in seinem Leben nicht schnell genug reagiert.

Mit der Gewalt zweier aufeinander treffender Güterzüge prallten Roß und Bär in dieser Sekunde zusammen. Holz zerbrach splitternd, als die Lanze durch die schwere Lederpanzerung in Zottels Seite drang. Das heisere Brüllen des verwundeten Bären durchschnitt die Luft wie ein Beil. In einer einzigen wütenden Bewegung spaltete er den Schädel des gegnerischen Streitrosses, worauf das Wiehern abrupt endete. Zugleich wurden sowohl der Ulog als auch Arum aus ihren Sätteln geschleudert und landeten unsanft auf dem blutigen Feld. Arum war sofort wieder auf den Beinen und sah sich besorgt nach seinem Bären um. Ihre Blicke trafen sich über die Distanz von etlichen Fuß und erinnerten Arum an ihre allererste Begegnung. Damals hatte Zottel genauso unglücklich ausgesehen, wie in diesem Moment. Dann knickten dem gigantischen Bären die Beine ein, und mit einem schmerzvollen Brummen ging er zu Boden.

Neeiiiiiiinnn!“

Arums Schmerzensschrei hallte über den Schlachtenlärm hinweg und wurde sogar von Sid vernommen, der mit Schrecken die Gefahr registrierte, in der sein Freund schwebte. Aber er war selbst von unzähligen Gegnern eingekreist und konnte ihm nicht zuhilfe eilen. Er registrierte noch, daß die verbliebenen Ulogs daß Interesse an Arum verloren, da sich in diesem Moment die Torflügel der Bruderschaft öffneten und eine Truppe schwer bewaffneter Soldaten in den Kampf eingriff. Offenkundig hatten die Belagerten den Umstand genutzt, daß sich der Kampf aufgrund des Eingreifens seines Clans vom Tor weg verlagert hatte und nutzten nun ihre Chance. Mit neuem Elan drosch er auf seine Gegner ein, auch wenn ihm bewußt war, daß die Unterstützung für seinen Freund wahrscheinlich zu spät kommen würde.

Wird fortgesetzt...

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Da ich der Meinung bin, dass die Kinder heute viel zu wenig lesen ( sehe ich bei meinen 11 und 13 ), habe ich mir Gedanken gemacht, was man machen könnte um dieses zu ändern.

Es ist nämlich nicht so, dass die Kinder lesen grundsätzlich "doof" finden, sondern, dass die bisherigen Bücher ihnen zu langweilig sind. Es ist ihnen in der Regel zu wenig Abwechslung und Aktion drin und ihnen fehlt heute leider die Ausdauer für einen reinen "trockenen" Lesestoff.

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