Ferdinand Hanke

Karma I

Karma

Afrika-Zyklus I

 

Die Bilder sind mir immer noch bestens im Gedächtnis geblieben. Das liegt an ihrer verblüffenden Qualität: Sie war einfach brillant. Die Bilder trafen mich mitten in der Nacht.

Traumbilder, Meditationsbilder, Visionen, imaginierte Bilder haben bis dahin nie die Schärfe und Plastizität erreicht, die normales Sehen produziert.

Diese Bilder hatten höchste Fernsehqualität.

 

Ich befinde mich an einem großen Fluss. An einem befestigten Ufer, einem Hafenkai.

Ich schaue mich konzentriert um und nehme meine Umgebung sehr bewusst war. Da ist auf der einen Seite der riesige Strom und auf der anderen Seite der befestigte Hafenkai mitsamt den Hafenanlagen einer kleineren Stadt. Lagergebäude dominieren die Ansiedlung, eine Straße führt in den dahinterliegenden Ort mit seinen Geschäften. In der Umgebung zeigen sich Wälder, tropische Wälder, Dschungel. Es ist viel Betrieb. Alle warten auf ein bestimmtes Ereignis, ich wohl auch. Wenn ich „alle“ sage, dann meine ich die einheimische Bevölkerung, die Schwarzafrikaner, die farbigen Ureinwohner. Mir gegenüber verhalten sie sich recht distanziert, und wenn ich an mir herunterschaue, dann weiß ich auch warum. Ich habe eine Tropenuniform an und trage ein Gewehr am langen Arm.  Ich schaue auf mein Gewehr und stelle fest, es ist offensichtlich neu, aber dennoch alt. (Vorsicht: Wer urteilt hier? Ist es die handelnde Person? Sicher nicht. Hier urteile ich als Beobachter! Das ist schon ein komisches Gefühl, in zwei Rollen zu stecken, Handelnder und Beobachter zugleich zu sein! Der Beobachter erkennt, dass das ein Gewehr aus den Vorkriegszeiten sein muss, das jeweils mit einem Schuss geladen wird, über den per Hand zu betätigenden Auswurf und die Neuverriegelung. Die handelnde Figur (Das bin ich auch.) kontrolliert die Sicherheitseinstellung der Waffe.

Vor mir versucht ein größeres Boot, vollgestopft mit Passagieren, am Kai anzulanden. Es ist ein Boot aus Stahl, ein Dampfboot.

Offensichtlich beaufsichtige ich den Landevorgang. Die einheimische schwarze Bevölkerung hält respektvoll Abstand, die Passagiere des Bootes ignorieren mich weitgehend, ohne mich gänzlich aus den Augen zu lassen. Das Schiff hat angelegt, die Passagiere, die wohl den Markt der Stadt besuchen wollen, tragen ihr Gepäck und ihre Waren vom Schiff herunter und ergießen sich auf den Kai. Ich patrouilliere, schaue nach rechts und links, prüfe, ob alles in Ordnung ist.

Ende

Schluss der Übertragung! Als Beobachter-Ich verwundere ich mich über das abrupte Ende. Ich suche nach der Botschaft. Da ist doch weiter nichts passiert! Und das alles in bester Spielfilm-Qualität. Abgehakt! Es war ein Traum, wie auch immer er zustande kam.

 

Nach einigen Tagen:       

        

Ein afrikanisches Dorf. Bilder wieder in Spielfilmqualität. Um mich herum Eingeborene, die distanziert Abstand halten, vor meiner Uniform, vor meiner Bewaffnung. Ich spreche beobachte eine einheimische Frau, die einen großen Behälter auf ihrem Kopf balanciert. Sie ist jung und hübsch und trägt ihren unbedeckten Busen stolz vor sich her. Ein großer sehr dunkelhäutiger Anwohner hat wohl meinen Blick auf die junge Frau bemerkt und droht mir mit der Faust. Ein Griff an meinen Gürtel, an dem meine Pistole befestigt ist, reicht. Ich höre den Pfiff einer Lokomotive. “Los, los, ab zur Baustelle mit euch allen!“

 

Im Farmhaus.

 

Afrikanische Steppenlandschaft, auf einer offenen Fläche ein eingeschossiges Haupthaus. Rundherum Stallungen und Tiergehege.

Im Hauptraum herrscht reger Betrieb. Eine Männergesellschaft aus Farmern und Militärs neben Bedienungen aus der Urbevölkerung. Alle umkreisen den Mittelpunkt: eine Farmersfrau, eine blondrote freundliche Endzwanzigerin. Sie wird von Männerblicken verzehrt, von Galanen umschwärmt, in der noch nötigen Zurückhaltung, denn sie trägt Schwarz.

Was will ich hier? (Wieder bin ich in zwei Rollen unterwegs, in der des Traum-Ichs und der des Beobachter-Ichs. Das Traum-Ich bewundert die schöne Witwe. Es fixiert ebenso die Konkurrenz aus dekorierten Offizieren und reichen Geschäftsleuten.

Das Beobachter-Ich macht sich kurzzeitig Gedanken um die Chancen des Traum-Ichs bei der Witwe.)

Mir fällt auf, dass sie ihr Personal mühelos im Griff hat, kein böses Wort, keine abfällige Geste.

Um die schöne Witwe macht sich wohl manch einer Gedanken! So sieht es das Beobachter-Ich! Die Rückkehr des Odysseus nach Ithaka schwirrt kurz im Kopf herum. Kolonialen Wünsche spielen eine Hauptrolle:  Herr über sehr viel Land, viel Personal, eine schöne Frau und ein schönes Leben.

Bin ich, ist er, deshalb auch vor Ort. Ich darf es annehmen.

 

 

In der Schlucht

 

Es brennt überall. Eine unheimliche aggressive Stimmung. Mord und Tod beherrschen das Bild. Eine Schlacht hat getobt. Ich selbst in wilder Wut. (Mein Beobachter-Ich sieht den irren Blick, die hektischen fahrigen Bewegungen, den Kopf in ständiger Bewegung, Rundumblick nach allen Seiten. Die Angst diktiert das Geschehen, kombiniert mit Rachegelüsten.) Meine Kameraden wurden von Pfeilen und Speeren getötet, die von den Rändern der Schlucht herabgeschleudert wurden. Mein Hund wurde von einem Felsbrocken erschlagen. Meine Munition ist verschossen. Mein Gewehr fast nutzlos, bis auf den Kolben. Aber ich lebe noch, ich bin übriggeblieben. Um mich herum Berge von Leichen, Versehrten und Verletzten. Der Furor treibt mich hin und her. In der Ich-Perspektive sehe ich, wie ich die erschlagenen und gefallenen Freunde durchsuche. Da lebt noch ein Stammeskrieger. Er lehnt an einem Felsen und jammert leise. Ich fasse ihn an und drehe seine Beine zurecht und breche ihm mit dem Gewehrkolben das Schienbein.

Diese barbarische Handlung an einem hilflosen Menschen als teils Handelnder und als Beobachter mitzuerleben, das führt mich an meine Grenzen. Das Beobachter-Ich ist entsetzt. Sowas kann man doch nicht machen!! Mir wird speiübel. Ein Schienbeinbruch, wie weh das tut!  Ich habe es selbst erlebt nach einem Ski-Unfall. Der Abtransport auf einem Akia hat mich an den Rand der Beherrschung gebracht. Und die Folgen des Beinbruchs haben mich Jahre lang verfolgt. Wie kann man jemandem so etwas antun.

Dann macht es Klick! Ein unheimlicher Gedanke bricht sich Bahn!

„Das, was ich vor meinem geistigen Auge gesehen habe, war kein Traum! Es war Erinnerung! Tief in meinem Bewusstsein gespeichert!

Aus meinem vorherigen Leben!“

 

Die Tragweite ist ungeheuerlich! Das, was ich einem Mitmenschen angetan habe, das fällt nun auf mich zurück!  Das kippt mein ganzes Weltbild. Meine Vorstellungen, wie die Welt funktioniert, wird hier umgeworfen!

„Und es kommt nichts nachher!“ – Das war Teil meiner Annahmen über Leben und Tod! Der andere Teil war christlich und traditionell geprägt und hieß: Christus wird es schon richten! Du musst nur daran glauben!

Die Gesetze des Karma so kennenzulernen, das hat schon etwas Verstörendes.

Mit dem Karma-Gedanken wird man nicht so leicht fertig.

„Nach dem Tod ist alles aus und vorbei!“      „Lebe jetzt, lass dir nichts entgehen!“   „Nach mir die Sintflut!“

Diese Lebenskonzepte funktionieren mit dem Karma-Gedanken nicht mehr.

 

 

Aber der Afrika-Zyklus war noch nicht beendet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.08.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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