In beinahe vollkommener Dunkelheit glitt eine Limousine durch den Wald. Heute
nacht zeigte der Mond nicht sein Gesicht. Auch gab es hier draußen keine
Straßenlaternen. Nur die Autoscheinwerfer erleuchteten den Weg. Wie Thomas
Bassl so aus dem Fenster sah, erblickte er hin und wieder Mal huschende Rehe im
Gebüsch.
„Der Kerl wohnt aber ganz schön
abgelegen.“, sagte der Fahrer und drehte sich kurz zu Thomas um.
„Ja, da haben sie Recht.“, antwortete dieser.
„Also ich
könnte mir das nicht vorstellen, so weit von allem entfernt zu sein. Das
kann doch kein normaler Mensch aushalten.“ Thomas nickte nur.
Die
Limousine fuhr immer tiefer in den Wald hinein, so tief, dass bald der Weg kaum
noch vom Dickicht zu unterscheiden war. Der Boden wurde matschiger und das
Vorrankommen schwerer. Mehrere Male mussten sowohl Thomas als auch der Fahrer
aussteigen, um den Wagen aus dem Schlamm zu schieben. 23:23 Uhr zeigte die Uhr
im Auto an. Thomas sollte eigenlich schon längst im Bett liegen. Hätte
der unebene Untergrund das Auto nicht so ins Schwanken gebracht, dann wären
ihm sicherlich die Augen zugefallen.
„Ach du grüne
Neune!“, schrie der Fahrer und riss Thomas damit aus den Gedanken, die ihn
gerade schon in die Welt der Träume entführen wollten.
„Wo
denn? Was ist denn los?“
„Na sieh doch mal.“ Der Fahrer
zeigte direkt nach vorne Da sah Thomas es auch. Die Brücke, die sie
eigentlich hätten überqueren müssen, war eingestürzt. Ohne
ein einziges Wort zu sagen stiegen die beiden aus. Vorischtig liefen sie kurz
vor die Bruchkante und sahen hinab. Tösendes Wasser strömte in
Windeseile entlang. Die schweren Betonteile, die dort hineingefallen waren,
musste der Fluss wohl schon fortgetragen haben.
„Na hier endet
unsere Reise wohl.“, sagte der Fahrer. „Ich nehme mal an, dass ich
sie jetzt einfach zurück in die Stadt bringen soll.“
„Nein danke. Sie können ruhig zurück fahren. Ich laufe von hier
aus weiter.“ Entgegnete Thomas. Er nahm seinen Mantel aus dem Auto und
legte ihn sich über.
„Sind sie sich da sicher Herr Bassl?
“
„Ja das bin ich. Machen sie sich da keine Sorgen.“
„Nagut. Wenn sie meinen. Dann viel Glück noch.“ Der Fahrer
stieg zurück in die Limousine. Er legte den Rückwärtsgang ein und
Thomas sah zu, wie das einzige Licht, das es hier draußen gegeben hatte,
langsam verschwand. Nun war es so dunkel, dass Thomas es wahrscheinlich nicht
gemerkt hätte, wenn er plötzlich erblindet wäre. Nur das
rauschende Wasser des Flusses diente zur Orientierung. Thomas war gezwungen
diesem zu folgen, denn er wusste, dass zwei Kilometer weiter die alte
Holzbrücke lag. So lief er eine ganze Weile lang am Ufer.
Da rutschte
er auf einem nassen Stein aus und stürtzte die Böschung herab. Er
landete im Wasser, wurde gegen einen Felsen gespült und verlor das
Bewusstsein.
Als er erwachte, steckte sein linker Arm in einem Biberdamm
fest. Wütende Biber kamen aus diesem herausgeschwommen und begannen an ihm
zu Nagen. Thomas stand schnell auf und zog seinen Arm heraus. Bevor die Biber
ihm noch mehr Schaden anrichten konnten, eilte er davon. Er schaffte es aus dem
Fluss zu klettern und rannte dann durchnässt weiter durch den Wald. Da
erblickte er ein Lichtlein, das zwischen den Ästen hervorstrahlte.
„Ein Glück.“, sagte er. Dann kämpfte er sich durch das
Gebüsch auf das Licht zu. Ranken zerrissen ihm die Kleidung, Zweige
peitschten sein Gesicht und Wurzeln wurden zu Stolperfallen, doch Thomas gab
nicht auf. Je näher er dem Licht kam, desto wilder sträubte er sich
dem Wald und der Kälte und der Dunkelheit. Erschöpft erreichte er
endlich eine Art Lichtung, auf der das Haus stand, aus dem das Licht drang.
Ding. Dong.
Er klingelte an. Einige Minuten lang war es still, doch
endlich hörte Thomas Schritte. Die Tür öffnete sich. Dahinter
stand ein großer Mann im Bademantel. Vor jedem Auge trug er Monokel, die
von den Enden seines Schnurbarts fixiert waren. Aus seinem Mund hing eine
zwiegespaltene Pfeife.
„Guten Abend.“, sagte der Mann.
„Guten Abend.“ Antwortete Thomas. „Sind sie Friedrich
Wünscheltang?
„Genau der bin ich. Und wer sind sie, wenn ich
fragen darf?“
„Mein Name ist Thomas Bassl.“, sagte
Thomas.
„Ach, der Name kommt mir doch bekannt vor. Sind sie der
Thomas Bassl, der mir in letzter Zeit so viele Briefe geschickt hat?“
„Meine Briefe sind also doch bei ihnen angekommen.“, wunderte
Thomas sich. Dann hätte er ja gar nicht hierher kommen müssen. Was
für eine Zeitverschwendung.
„Ja ja. Die Briefe hab ich
erhalten. Gelesen hab ich sie natürlich nicht.“
„Was?
Wieso denn nicht?“
„Ich glaube nicht an Post. Wenn jemand was
mit mir besprechen will, dann kann diese Person gerne persönlich
vorbeikommen, so wie sie es getan haben.“, sagte Friedrich
Wünscheltang und zog selbstgefällig an seiner Doppelpfeife.
„Kommen sie doch außerdem mal herein. Ich möchte nicht, dass
sie noch krank werden.“ Thomas folgte dem Mann ins Wohnzimmer, wo die
beiden sich an den Esstisch setzten. Ein Schimpanse kam auf Rollschuhen herein
und schenkte den beiden Tee ein. Dann verneigte er sich und verschwand wieder in
der Küche. Thomas nahm einen Schluck und spürte wie sein Körper
sich sofort von Kopf bis Fuß aufwärmte. Hastig trank er das
süße Getränk auf.
„Nun sagen sie mir doch, warum sie
überhaupt hier sind.“, sagte Friedrich Wünscheltang. Thomas
kramte kurz in seiner Manteltasche und holte dann ein Buch heraus. Es war sehr
vom Fluss durchnässt worden. Die Seiten waren zerknittert und verknickt.
Das Bild auf der Vorderseite war ganz verwaschen.
„An diesem Buch
habe ich zwei jahrelang geschrieben. Es hat mich viel Zeit und Mühe
gekostet und die Geschichte musste noch oft überarbeitet werden, doch nun
bin ich endlich zufrieden mit dem, was ich geschaffen habe. Bald wollte ich
dieses Buch auf den Markt bringen. Ich hatte mich schon sehr darauf gefreut.
Doch dann ging ich eines Tages in die Buchhandlung, um mir mal anzusehen, was
sich so schönes finden ließ. Ich guckte die Regale durch, da sah ich
plötzlich ein Buch mit dem Titel ‚König Rhodo und die
Jünger des Dendron‘. Ich war schockiert, da dies auch der Titel
meines eigenen Buches sein sollte. Also griff ich das Buch und begann darin zu
blättern. Und siehe da: Da wurde mir die Geschichte geschildert, an deren
Erzählung ich zwei jahrelang gearbeitet hatte. Zutiefst
erschüttert und absolut verdutzt guckte ich nach, von wem das Werk denn
geschrieben worden sei. Und da las ich zum ersten Mal ihren Namen. Ich erkundete
mich bei verschiedensten Autoren mit denen ich befreundet bin. Zu meinem
Erstaunen kannten viele Ihren Namen. Auch sie hatten Ideen gehabt, die sie dann
in Ihren Büchern fanden, bevor sie sie noch selbst veröffentlichen
konnten.
Daher habe ich Sie hier aufgesucht. Wie ist es Ihnen gelungen mir
mein Buch zu klauen?“ Fragte Thomas seinen Gegenüber. Friedrich
Wünscheltang lehnte sich zurück und lachte herzlich. Er lachte und
lachte und lachte. Tränen flossen ihm durch das Gesicht während seine
Zähne seltsam vor sich hin klapperten. Wieder kam ein Affe auf Rollschuhen
angefahren. Diesmal trug er Beruhigungstabletten bei sich. Er steckte seinem
Meister drei davon in den Mund und zog sich dann zurück.
„Ich
habe dir diese Idee nicht geklaut.“ Sagte Friedrich Wünscheltang
indem er sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Er putzte seine Monokel
und sprach: „Folge mir, wenn du sehen willst, wie ich so vielen Autoren
Konkurrenz mache.“ Er stand auf und verließ das Zimmer, ohne auf
Thomas zu warten. Dieser überlegte kurz, stand dann auf und folgte ihm.
Seltsamerweise gab es in dem Haus einen Aufzug. Die beiden stiegen hinein.
Friedrich Wünscheltang drückte mit einem seiner langen Finger auf die
unterste Taste. Der Metallkäfig begann abwärts zu wandern.
Die
Fahrt kam Thomas so vor als dauere sie eine ganze Ewigkeit, doch endlich kam der
Aufzug zum stehen. Die Türen öffneten sich und Thomas fiel vor
Erstaunen beinahe um. In allen Richtungen sah er sie. Eine unendliche Anzahl an
Schimpansen umgab die beiden. Ein jeder saß an einem Schreibtisch und
hämmerte auf eine Schreibmaschine ein. Das Klackern der Tasten war
betäubend. Thomas musste sich die Ohren zuhalten, um nicht zum zweiten Mal
am selben Tag ohnmächtig zu werden. Überall sah er nur weiß.
Weiße Stühle, weiße Tische, weißer Boden, weiße
Decke und die Wände...
Ob die weiß waren konnte man nicht
sagen, denn die Wände waren nicht in Sicht. Nur das dunkle Fell der
Schimpansen unterbrach die endlose Weiße.
Abertausende Fragen
schoßen Thomas durch den Kopf, doch er konnte den Mund nicht öffnen,
um sie zu stellen. Zum Glück erklärte Friedrich Wünscheltang die
Situation von sich aus:
„In diesem Raum befinden sich unendlich
viele Affen, die an unendlich vielen Schreibmaschinen sitzen. Das sind meine
Schreiberlinge. Sie alle arbeiten Tag und Nacht und am Ende jeden Jahres sehe
ich mir das an, was sie geschrieben haben. Sie beherrschen
selbstverständlich nicht unsere Sprache, daher ist vieles von dem, was sie
produzieren mehr oder weniger wertlos, doch manchmal gelingt es ihnen durch
bloßes willkürliches rumhacken auf den Tasten, eine vollkommene
Geschichte zu verfassen. Und da es unendlich viele sind, werden sie früher
oder später jede Geschichte geschrieben haben, die jemals geschrieben
werden kann. Selbst das, was gerade geschieht haben sie bereits geschrieben.
Gestern Abend brachte meine Assistentin mir ein Manuskript, das besagte, dass
ein Mann namens Thomas Bassl bei mir eintreffen solle. Wenn man unendlich viele
Affen hat, dann hat man auch unendlich viele Geschichten. Bald schon wird es
außer diesen Schimpansen keine Autoren geben. Sie können das
Schreiben gänzlich übernehmen.“
Thomas war entsetzt.
„Aber ein Affe, ein Schimpanse, kann doch niemals ein solch emotional
tiefgründiges Werk verfassen, wie ein Mensch es könnte. Dafür
fehlt ihm ganz einfach die Menschlichkeit“, sagte er. Friedrich
Wünscheltang lachte.
„Du denkst man braucht Menschlichkeit
für sowas? Ach quatsch.“ Er ging herüber zu einem Regal, das
neben dem Aufzug stand und holte ein Blatt Papier heraus.
„Hier
steht, dass du dich mir widersetzen wirst und dass ich dich an meinen Gorilla
verfüttern muss, um zu versichern, dass niemand von meinem Geheimnis
erfährt. Glaubst du, diese Geschichte wird wahr?“
„N-
nein.“ Sagte Thomas. „Nein natürlich nicht ich- ich werde
niemandem davon erzählen.“
„Hatte ichs mir doch gedacht.
Meine Assistentin wird gleich eine Spritze mit Erinnerungstrank herunterbringen.
Möchtest du noch den Schimpansen sehen, der dein Buch geschrieben hat,
bevor du alles vergisst?“ Thomas nickte nur. Friedrich Wünscheltang
schnippste und grüne funken sprühten aus seinen Fingern. Eine Sekunde
später standen die beiden mitten unter den Affen. Thomas sah zu dem
Schimpansen, der neben ihnen saß. Ein Schild stand vorne auf seinem Tisch.
Nummer 55590 stand darauf. Thomas betrachtete den Affen, während er so mit
der Tastatur spielte. Er schien nichts von dem zu verstehen, was er da
niederschrieb. Da spürte Thomas eine Spritze an seinem Nacken und
vergaß all das, was er gesehen hatte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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