Heinz-Walter Hoetter

Verschiedene Horrorgeschichten

 

 

Ehrlich gesagt, habe ich ein Horror vor dem Leben.“

Heinz-Walter Hoetter
 

***


1. Das perfekte Verbrechen


 


 

Als die junge Sekretärin Laura Schmid aus dem Bus stieg, war es draußen bereits schon dunkel geworden. Sie war auf dem Weg nach Hause und hatte heute ein paar Stunden länger arbeiten müssen, weil sie für ihren Chef noch einige wichtige Unterlagen fertig stellen musste. Es war ziemlich spät geworden, als sie die Firma endlich verlassen konnte.


 

Der Bus setzte sich mittlerweile wieder mit laut aufheulendem Motor in Bewegung. Die junge Sekretärin stand nun allein an der Bushaltestelle und blickte hinüber zu dem kleinen Friedhof, der sich direkt gegenüber der Bushaltestelle befand.


 

Gleich hinter dem Friedhof lag eine neue Stadtrandsiedlung, wo sich Laura und ihr Freund Jochen letztes Jahr zusammen eine geräumige Eigentumswohnung gekauft hatten. Seit dem sie mit ihrem Freund hier in die neue Wohnung eingezogen war, versuchte sie immer rechtzeitig noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein, was allerdings oft nicht gelang.


 

Um zu ihrer Wohnung zu gelangen musste sie entweder den vor ihr liegenden Friedhof umrunden oder ihn direkt durchqueren. Laura grübelte einen Moment darüber nach, was sie diesmal machen sollte.


 

Der vor ihr liegende Gottesacker kam ihr stets unheimlich vor, obwohl sie eigentlich genau wusste, dass die Toten den Lebenden nichts mehr anhaben konnten. Es sind eben stets die gruseligen Gedanken über die Geister verstorbener Personen, die sich viele Menschen über die Orte derartiger Begräbnisstätten machten, die bei ihnen immer wieder tief sitzende Ängste auslösten.


 

Die junge Frau stand also nun vor der Entscheidung schnell nach Hause zu kommen und über den Friedhof zu gehen oder den längeren Weg um ihn herum zu wählen.


 

Laura entschied sich diesmal dafür, den Friedhof zu durchqueren, auch deshalb, weil sie endlich einmal ihre unterschwellige Angst vor diesem unliebsamen Ort besiegen wollte.


 

Als sie vor dem schmalen Eingang des Friedhofes, direkt unter dem schummrigen Licht der mit Efeu bewachsenen Laterne stand, konnte sie sogar von hier aus den düster wirkenden Ausgang auf der anderen Seite sehen. Der gerade Weg maß vielleicht nicht mal an die einhundert Meter. Was sollte also auf dieser kurzen Strecke schon passieren?


 

Also lief die junge Frau los. Doch schon nach ein paar Metern schien es ihr, als hörte sie plötzlich ein Geräusch hinter sich, das ausgerechnet von jenem Eingang kam, den sie gerade hinter sich gelassen hatte.


 

Laura blieb stehen und drehte sich um. Hatte sich da nicht gerade ein Busch bewegt? Oder war es vielleicht nur der Wind gewesen, der mit dem verzweigten Ästen des weit ausladenden Busches spielte?


 

Da, schon wieder.


 

Ein Schatten verließ den Busch und huschte an der Friedhofsmauer entlang. Dann war er auch schon wieder verschwunden. Das war mit Sicherheit nicht der Wind gewesen, dachte Laura.


 

"Da versucht man einmal, seine eigene Angst zu überwinden und dann passiert einem das", sagte die junge Frau ängstlich mit halblauter Stimme zu sich selbst, griff im gleichen Moment in ihre Tasche und holte ihr Handy raus. Schnell war die Nummer ihres Freundes gewählt.


 

Es knackte ein paar mal im Lautsprecher des Handys, dann sagte eine männliche Stimme: "Hier ist Jochen. Bist du es, Laura?"


 

"Ja, ich bin es. Ich musste heute länger arbeiten und habe die Abkürzung über den kleinen Friedhof genommen. Aber irgend etwas stimmt hier nicht. Ich habe den komischen Eindruck, dass ich verfolgt werde. Ich kriege echte Angst. Kannst du schnell kommen und mich abholen, Jochen?"


 

"Ja natürlich. Ich bin schon unterwegs, Laura. Mach', dass du von dem Friedhof runterkommst. Ich bin gleich bei dir", antwortete ihr Freund aufgeregt. Dann beendete er das Gespräch.


 

Die junge Frau rannte los, so schnell sie nur konnte. Kurz vor dem Ausgang hielt sie plötzlich inne. Eine schattenhafte Gestalt in der Dunkelheit versperrte ihr den Weg, der zum Friedhof hinaus führte.


 

Wahnsinnig vor Angst rief die junge Frau mit schriller Stimme: "Wer ist da? Was wollen sie von mir? Mein Freund kommt gleich und holt mich hier ab. Er muss jeden Moment hier sein."


 

Wortlos kam die ominöse Gestalt auf einmal direkt auf sie zu. Wie gelähmt vor Schreck stand Laura da, als zwei kräftige Hände wie eiserne Schraubstöcke nach ihrem Hals griffen und ihr die Luftröhre brutal zudrückten.


 

Wie aus weiter Ferne vernahm sie halb wahnsinnig vor Entsetzen die Stimme ihres Freundes.


 

"Ich bin es Liebling. Dein Freund Jochen. Endlich kann ich dich loswerden, ohne dass es einer merkt. Nach deinem Tod fange ich ein neues Leben mit einer anderen Frau an. Ja, auf diese günstige Gelegenheit habe ich schon lange warten müssen. Endlich ist es soweit. Alles läuft perfekt. Morgen findet hier auf dem Friedhof eine Beerdigung statt. Das Grab ist fast drei Meter tief und niemand wird bemerken, dass du da unten mit drin liegst. Ich werde dich da rein werfen und gut mit Erde zudecken. Es wird danach aussehen, wie eine ganz normale Grabsohle. Dann kommt später der Sarg oben drauf, was die ganze Sache dann noch perfekt abrundet. Niemand wird je vermuten, dass du da unten im Grab unter einer fremden Holzkiste liegst. Nicht einmal der Totengräber."


 

Der Mann lachte auf einmal leise vor sich hin wie ein Irrer.


 

Die junge Frau verlor nun gänzlich das Bewusstsein und bekam nichts mehr davon mit, als sie drei Meter tiefer auf dem harten Boden des offenen Grabes brutal der Länge nach aufschlug. Kurz darauf wurde ihr lebloser Körper mit schwerer, lehmiger Erde bedeckt.


 

Einige Zeit später.


 

Lauras Freund Jochen verließ mit einer Dreck verschmierten Schaufel in der Hand heimlich den kleinen Friedhof und verschwand wie ein Schatten in der Dunkelheit der Nacht.
 

ENDE


Heinz-Walter Hoetter


 

***


 

2. Das Geheimnis des schwarzen Turmes


 

***

Vorwort

Wenn ein erwachsener Mensch durch die schlechten Erinnerungen an seine Kindheit zutiefst unglücklich wird, ihm diese Zeiten des hilflosen Ausgeliefertseins und der Wehrlosigkeit seines kindlichen Daseins auch noch große Angst, Schrecken, Verzweiflung, Traurigkeit und dunkle Träume bringen, so ist das in der Tat ein furchtbarer Zustand, der ihn wohl früher oder später zerstören wird, es sei denn, er hat einen außergewöhnlich starken Charakter und lässt sich davon, trotz aller Entsetzlichkeiten, die er in seinem Leben ertragen musste, nicht geistig und seelisch zerbrechen.

Das schreckliche Los solch einer schweren Kindheit war mir beschieden, ja mir, dem Verwirrten, dem Haltlosen und eines von diesen negativen Auswirkungen jenes unbewältigten Lebensabschnittes heimgesuchten Menschen, als er noch klein, unschuldig, empfindlich und in jeder Hinsicht wehrlos war.

Oder war alles am Ende nur eine verrückte Einbildung, gar nur ein böser Traum, der mich seit Beginn meines Daseins wie eine Fata Morgana begleitend narrt?


***

Geboren wurde ich in einem kleinen, recht düsteren Dorf unterhalb eines sehr alten Burgschlosses, das auf einem hohen, zerklüfteten Berg stand. Meine Eltern arbeiteten bis zu ihrem Tode für die adligen Herrschaften, die hier ansässig waren, und nahmen mich schon als kleines Kind mit nach oben ins Schloss, wo ich die meiste Zeit von irgendwelchen alten Frauen aufgepasst und versorgt wurde.

Etliche Jahre später, als junger Mann, ging ich dann auf Entdeckungsreisen in den dunklen Kellergängen und Korridoren der angrenzenden Burganlage, wo es immer schrecklich kühl und feucht war. Überall lag ein modriger Geruch in der Luft, besonders in den abgelegenen, tief unter der Erde liegenden Kellerräumen, wo auch die vermoderten Skelette ehemaliger Gefangener verstreut herumlagen. Fürchterliche Szenen müssen sich hier unten abgespielt haben, dachte ich so bei mir, als ich an mumifizierten Leichen und fleischlosen Knochen vorbei stolperte.

Wie viele Jahre ich dort oben auf dem Burgschloss verbracht habe, weiß ich heute nicht mehr so genau, aber es muss eine lange Zeit gewesen sein. Dann starben meine Eltern, und ich war mittlerweile zu einem jungen Mann heran gewachsen.

Eines Tages ging ich wieder einmal auf Entdeckungsreise durch die alten Gemäuer der abseits gelegenen Burganlage. Dann traf ich plötzlich auf einen hohen, schwarzen Turm, der sich schon fast am Ende der Burgmauer befand. Seltsamerweise hatte ich ihn vorher noch nie gesehen. Ich wunderte mich zwar darüber, dachte aber nicht weiter darüber nach.

Es war bereits später Nachmittag. Im dumpfigen Dämmerlicht einer alten Steintreppe stieg ich den gespenstisch aussehenden Turm hinauf. Fledermäuse kamen mir entgegen und flogen aufgeregt nach allen Seiten davon. Ich ignorierte sie einfach.

Nach einer Weile kam mir der Aufstieg irgendwie schwerer und langsamer vor, denn so viel ich auch die Treppen weiter nach oben klettern mochte, lichtete sich die Dunkelheit über mir nicht, von der ich mittlerweile umgeben war. Ich musste meine aufkommende Panik mit aller Gewalt unterdrücken und fragte mich daher, warum ich das Licht des Turmendes dieser steinernen Wendeltreppe noch nicht erreicht hatte.

Mühsam ging ich Stufe für Stufe weiter und rutschte seitlich an der glitschigen, mit Moos bewachsenen Wand entlang. Ich wollte bei diesem gefährlichen Aufstieg auf gar keinen Fall leichtsinnig werden und wohl möglich noch abstürzen.

Ich schleppte mich also weiter nach oben, so gut wie es eben ging.

Irgendwann stieß ich plötzlich mit dem Kopf gegen eine alte Holzdecke. Meine Kletterei war fürs erste zu Ende, denn es schien mir so, als ob sich ein Teil der hölzernen Decke wie eine Klapptür nach oben anheben ließ.

 

Ich stemmte mich jetzt mit der rechten Schulter dagegen und drückte mit aller Kraft von unten gegen die schwere Holzplatte, die sich nur langsam nach oben bewegen ließ. Die verrosteten Scharniere quietschten dabei so laut, dass mir die Ohren weh taten. Schließlich kippte sie über ihren toten Punkt und krachte durch ihr eigenes Gewicht laut polternd auf den staubigen Boden. Als sich die Staubwolke wieder gelegt hatte, kroch ich mühsam durch die frei gewordene Öffnung.

Im festen Glauben daran, dass ich mich bereits schon jetzt ganz oben auf dem höchsten Punkt des schwarzen Turmes befinden würde, erhob ich mich vorsichtig vom Fußboden und tastete mich an der feuchten Wand entlang hinüber zu den Aussichtsöffnungen. Fahles Mondlicht drang durch die schmalen Sehschlitze und erhellte ein wenig den unheimlichen Raum. Trotz allem, von hier oben aus würde ich einen hervorragenden Blick über die weite Landschaft haben, dachte ich und wurde jedoch sogleich wieder enttäuscht. Plötzlich waren die Sehschlitze nicht mehr da.

Alles was ich fand, waren breite Nischen aus Stein, in denen eine große Menge Kisten untergebracht waren, die hier übereinander geschichtet überall herum standen.

Hatte sich der dunkle Raum des schwarzen Turmes, in dem ich mich gerade befand, unbemerkt verändert? Wieder kroch eine unbestimmte Angst in mir hoch, die ich nur schwer unter Kontrolle bringen konnte.

Zum ersten Mal machte ich mir Gedanken darüber, was für ein uraltes Geheimnis dieser abgelegene Teil des Schlosses wohl verbergen mochte. Plötzlich stieß ich mit meinen suchenden Händen auf eine Tür und rüttelte instinktiv daran. Staub fiel von der Decke, als ich sie mit einem kräftigen Ruck öffnen konnte. Ein kalter Windstoß kam mir entgegen.

Der dämonische aller Schrecken ist wohl der, wenn man auf das zutiefst Unerwartete trifft und zwar an einer Stelle, wo man etwas ganz anderes erwartet hätte, als das, was ich im nächsten Moment erblickte. Anstatt eines schwindelerregenden Ausblicks aus erhabener Höhe stand ich plötzlich auf einem Kiesweg, der links und rechts von einer großen Anzahl schlanker, hoch aufragender Marmorsäulen flaniert wurde.

Halb bewusstlos stolperte ich voran und folgte dem Kiesweg bis zu einer alten, halb verfallenen Kirche, die sich gespenstisch im diffusen Mondlicht vor mir erhob. Ich wusste im ersten Moment einfach nicht, wo ich war. Wilde Gedanken schossen durch meinen Kopf. Waren meine Erlebnisse an diesem seltsamen Ort nur ein schlechter Traum oder etwa nur ein böser Zauber, dem ich verfallen war?

Ich torkelte benommen auf den dunklen Torbogen der alten Kirche zu und befand mich plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, in einer völlig anderen Gegend.

Zuerst war ich geschockt, dann stellte ich mit Erstaunen fest, dass vor mir offenes Land lag. Ich folgte einer breiten Straße, die ich immer wieder verließ, um querfeldein über grüne, saftige Wiesen zu gehen. Einmal kam ich sogar an einen träge dahin fließenden Fluss und überquerte ihn auf einer schmalen, moosbewachsenen Brücke, die offenbar schon sehr alt sein musste, denn ihr Mauerwerk war brüchig und bröckelte an vielen Stellen langsam vor sich hin.

Wie lange ich in dieser wunderschönen Gegend herum gelaufen bin, weiß ich nicht mehr so genau zu sagen, bis ich ganz plötzlich vor einem weitläufigen Park mit hohen Bäumen und vielen, schnurgeraden Wegen stand. Am hinteren Ende des wunderschönen Parks stand ein großes Schloss, das hell erleuchtet war und mir seltsamerweise irgendwie bekannt vor kam.

Mit festen Schritten marschierte ich darauf zu, bis ich schließlich eine hohe Glastür erreichte, die sich als Eingang in das innere des Schlosses entpuppte.

Ich öffnete behutsam die Glastür und sah mich immer wieder nach allen Seiten um. Kaum war ich hindurch geschritten, drang auch schon im gleichen Augenblick der Lärm einer fröhlichen Festlichkeit in meine Ohren.

Ich ging einfach weiter und stand kurz danach vor einem langen mit glänzenden Marmorplatten ausgelegten Gang, der offenbar zu einem prächtig erleuchteten Saal führte. Lautes Lachen schallte durch alle angrenzenden Gänge. Hoffnungsvoll schritt ich auf den Saal zu und erreichte bald eine kurios bekleidete Gesellschaft, die sich anscheinend ausgelassen vergnügte.

Was dann folgte, konnte schlimmer nicht sein. Denn als mich die feiernden Leute sahen, wurde die ganze Gesellschaft von einem jähen Entsetzen ergriffen, das von einer unglaublichen Intensität war. Jedes einzelne Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze und grässliche Schreie drangen aus den weit aufgerissenen Mündern. Viele der Anwesenden bedeckten ihre Augen und einige Frauen fielen sogar in Ohnmacht.

Dann geschah es ohne Vorwarnung.

Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin brach Panik aus, und die ganze Partygemeinde wandte sich laut schreiend kopflos zur Flucht. Sie warfen Tische und Stühle um und rannten blind und tölpelhaft den rettenden Ausgängen entgegen, wo bereits alle Türen weit offen standen. Die Dienerschaft hatte sie unverzüglich aufgerissen.

In kürzester Zeit war der große Saal menschenleer geworden. Nur hier und da fielen noch ein paar Gegenstände von den wackelnden Tischen. Dann trat eine fürchterliche Stille ein.

Ich konnte meinen eigenen Atem hören und schritt jetzt langsam auf die Mitte des Saales zu, wo ein übergroßer Spiegel aufgestellt worden war. Als ich direkt vor ihm stand, erschrak ich sogleich bis ins letzte Mark meiner Knochen. Doch bald beruhigte ich mich wieder, ohne eigentlich zu wissen, welchen Grund es dafür gab.

Im Spiegel sah ich nämlich eine schreckliche Lebendigkeit, ein unvorstellbares und unbeschreibliches Scheusal, das durch sein bloßes Erscheinen eine fröhlich feiernde Gesellschaft in einen kopflosen Haufen flüchtender Wesen verwandelt hatte.


Dieses Scheusal war ich.

 

Ich war zu einer Mischung aus allem Unreinen, Unangenehmen, ja Abnormen und Unheimlichen geworden, etwas, das vom Verfall, modrigem Alter und stinkender Entblößung gekennzeichnet war.

Obwohl ich meinen zerfressenen Körper und die vermoderten Klamotten irgendwie gefühllos und ohne Furcht betrachtete, empfand ich dabei überhaupt keine Abscheu vor mir selbst. Ich schrie noch nicht einmal über diesen höllischen Zustand auf, obwohl ich mich doch in ein abstoßendes Monster verwandelt hatte.

Im nächsten Augenblick brachen sämtliche Erinnerung über mich wie eine Lawine herein. Ich wusste in dieser Sekunde alles, was in meinem bisherigen Leben geschehen war. Meine Reise in die Vergangenheit ging zurück bis zu meiner Geburt, die ich glotzend beobachtete. Ich sah schließlich auch, wie meine Eltern mich nach oben in ein schreckliches Schloss brachten, wo ich von alten Frauen entgegen genommen wurde, die wie Hexen aussahen und mich in einen satanischen Kreis legten. Überall brannten große und kleine Kerzen. Sie hielten offenbar irgendein böses Ritual ab.

Von diesem Augenblick an wusste ich jetzt, dass ich eine Ausgeburt der Hölle war. Mir wurde auch schlagartig klar, dass ich nie wieder ein Mensch sein würde, sondern mich in ein Monster verwandelt hatte, das in einem schwarzen Turm hauste, um sich von dort aus in mondhellen Nächten zu den Menschen zu schleichen, um ihr Blut zu trinken, von dem ich lebte.

***

Ob die Träume möglicherweise das Fieber brachten oder umgekehrt, das Fieber die Träume, konnte der alte Simon Goldberg nicht sagen. Er wusste nur, dass er einen fürchterlichen Traum geträumt hatte, der sich tief in sein verunsichertes Bewusstsein eingebrannt hatte.

Jetzt, wo es ihm wieder etwas besser ging, verließ Mr. Goldberg das warme Bett und trat schlurfend ans Fenster seines Schlafzimmers. Draußen war es noch dunkel. Der Mond warf sein fahles Licht über die von langen Schatten überzogene Landschaft.

Er schob den Vorhang ein wenig beiseite und blickte hinaus auf ein altes Dorf, das sich unterhalb eines uralten Schlosses befand, das einmal im Mittelalter von adeligen Leuten bewohnt worden war, die während der Inquisition als Teufelsanbeter auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind. Danach stand das Schloss und alle anderen Gebäude auf dem hohen Berg leer. Man fürchtete sich vor diesem Ort des Bösen. Das Schloss und die Burganlage zerfielen alsbald langsam zu einer einzigen, großen Ruine, die schließlich von knorrigen Bäumen, stacheligen Sträuchern, feuchtem Moos und hohem Gras zurück erobert wurde.

Es gab auch das böse Gerücht, dass dort oben in einem schwarzen, unsichtbaren Turm ein Ungeheuer wohnen soll, das von dort aus in die Welt des Menschen zieht, um in den hellen Mondnächten das Blut der Menschen zu trinken. Die meisten Leute glaubten zwar nicht daran, aber dem Fremdenverkehr tat es gut, denn die Besucher liebten solche gruseligen Geschichten.

Draußen an der Eingangstür seines Hauses klopfte es plötzlich. Der alte Simon Goldberg schaute verwundert auf seine Armbanduhr und ließ den Vorhang des Schlafzimmerfensters mürrisch zurückfallen. Er dachte darüber nach, wer ihn um diese Zeit noch besuchen wollte. Es war ja schon fast Mitternacht. Trotz aller Bedenken ging er behäbigen Schrittes hinüber zur Tür, die er vorsichtig öffnete. Dann lugte er durch den sich öffnenden Spalt der Eingangstür.

Draußen stand eine sonderbar aussehende Gestalt, die ihn auf Anhieb einen ziemlich Schrecken einjagte. Sie trug einen modrigen, nach Verwesung stinkenden, schwarzen Umhang, der bis zum Boden runter reichte. Die Augen glühten blutrot und starrten den alten Mann fixierend an.

Plötzlich schoss die krallenartige Hand des Monsters durch die halb geöffnete Tür und grub sich tief in den Körper bis zum Herz des alten Mannes hinein, der im gleichen Moment lautlos zusammenbrach und bereits tot war, noch bevor er auf die kalte Treppe seines Hauseinganges dumpf aufschlug. Eine hohe Blutfontäne spritzte aus seiner noch zuckenden Brust. Das Monster stürzte sich jetzt wie von Sinnen auf den leblos am Boden liegenden Körper und trank begierig den herausquellenden Lebenssaft.

 

Als man am nächsten Tag die blutverschmierte Leiche des alten Simon Goldbergs fand, ordnete man sofort die schreckliche Tat einem perversen Mörder zu, der hier in der Gegend sein Unwesen treiben musste, aber von der Polizei niemals gefunden wurde. Also legte man den Fall irgendwann zu den Akten und vergaß ihn bald.

***

Ein Albtraum schüttelte mich. Schlagartig und noch ganz benommen erwachte ich in meinem Bett und sah im gleichen Augenblick hinüber zum Fenster. Draußen schien bereits die Morgensonne, die mit steigender Intensität ihre hellen, wärmenden Strahlen über das weite Land warf.

Ich verließ das Bett, ging hinüber zum Schlafzimmerfensters, schob die Vorhänge beiseite und blickte durch das offene Fenster nach draußen zum fernen Horizont, wo sich auf einem hohen, felsigen Berg ein wunderschönes Schloss in den blauen Himmel erstreckte.

Ich hörte, wie meine Frau unten in der Küche das Frühstück vorbereitete. Unser kleiner Junge schlief noch, den ich aber bald wach machen würde, weil wir ihn mit zur Arbeit auf das Schloss nehmen mussten.

Vor einiger Zeit hatte man das Schloss zu einem vornehmen Hotel ausgebaut. Bei den anstehenden Renovierungsarbeiten fand man in den dunklen Kellergängen und angrenzenden Korridoren eines alten Turmes einen vermoderten Sarg mit einer gut erhaltenen, aber stark mumifizierten Leiche darin. Wie man bald feststellen konnte, musste sie hier unten schon sehr lange gelegen haben. Sie stammte wohl aus dem Mittelalter. Nach eingehenden Untersuchungen durch ein Institut für Altertumsforschung führte man die sterblichen Überreste später der Verbrennung zu.

Während der Einäscherung meinten die Mitarbeiter des Krematoriums, die bei der Verbrennung der Leichenreste zugegen waren, fürchterliche Schreie aus dem Ofen gehört zu haben.

Aber wahrscheinlich hatten sie sich nur geirrt.

Tote können doch nicht mehr schreien. Wer glaub denn an so etwas?

***

Nach dem gemeinsamen Frühstück nahm meine Frau unseren kleinen Jungen auf den Arm und zusammen gingen wir hinüber zur Garage, wo unser Auto stand.

Fünf Minuten später befanden wir uns auf den Weg zur Arbeit.

 

Seltsamerweise war heute unser Kleiner sehr unruhig und schrie die ganze Zeit wie am Spieß herum. Er ließ sich auch von seiner Mutter einfach nicht beruhigen. Als wir oben am Schloss ankamen, schlief unser Junge allerdings glücklicherweise schon wieder. Vorsichtig übergab meine Frau den friedlich schlafenden Wonneproppen zwei sehr alten Damen, die hier schon seit einer Ewigkeit in einem schwarzen Turm des Schlosshotels wohnten und heute den ganzen Tag auf ihn aufpassen würden. Es ging das komische Gerücht um, die zwei alten Weiber seien in Wirklichkeit Hexen, worüber wir nur lachen konnten.

Meine Frau und ich waren eigentlich sehr froh darüber, dass sie sich so hingebungsvoll um unseren kleinen Jungen kümmerten, damit wir beide hier oben auf dem Schloss unserer Arbeit ungestört nachgehen konnten.


 

 

ENDE


(c)Heinz-Walter Hoetter



 

 

***

 

 

 

3. Das Monster ist wieder da


 

Ja, ja, die Arbeit. Niemand kann sich ihr entziehen, oder? Vom einfachen Arbeiter, Angestellten, Beamten und Unternehmer bis hin zu den mächtigsten Herrschern dieser Welt. Sie alle müssen jeden Tag ihre Arbeit machen. Habe ich nicht recht, Stella?“

 

Der lange Gang zu den riesigen Fracht- und Lagerhallen, die gleich hinter dem Raumhafen INSPIRION I. lagen, schien einfach kein Ende zu nehmen.

 

Stella Hill ging genervt neben ihrem Kollegen her, dem Gruppenleiter Marc Cliffort und musste sich den unaufhaltsamen Redeschwall von ihm anhören.

 

„Ich hätte doch lieber die Personenbeförderungskabine nehmen sollen“, dachte Stella halblaut vor sich hin und tat so, als ob sie das Gespräch mit Marc Cliffort interessieren würde.

 

„Was hast du gerade gesagt? Ich habe dich nicht verstanden, Stella“, mokierte sich der Gruppenleiter und blieb einfach stehen.

 

Auch Stella hielt abrupt inne.

 

„Ach was, ich habe nur laut gedacht. War nicht so wichtig. Gehen wir lieber weiter, sonst schlagen wir hier noch Wurzeln.“

 

Die Miene Clifforts verzog sich unwillig, er schwieg aber. Dann hustete er ein paar Mal gekünstelt und setzte seinen Weg wieder fort. Die junge Frau zog nach, hielt sich auch weiterhin auf seiner Höhe und hoffte, dass ihr Kollege bald Ruhe geben würde.

 

Ihr war auf einmal warm. Der Geruch irgendeines ätzenden Reinigungsmittels drang in ihre Nase. Die Reinigungs- und Dekontaminationsroboter waren offenbar wieder unterwegs. Außerdem verspürte sie eine leichte Müdigkeit, weil sie in der letzten Nacht schlecht geschlafen hatte und früher zum Dienst angetreten war, als üblich. Dafür gab es einen wichtigen Grund, wie sie wusste.

 

Gerade wollte ihr Gruppenleiter seine Rede fortsetzen, als Stella ihm sofort dazwischenfuhr.

 

„Lieber Marc! Deine philosophischen Allgemeinbetrachtungen in allen Ehren, aber kannst du nicht mal deinen Mund halten?

 

Cliffort blieb abermals stehen und sah Stella jetzt direkt ins Gesicht. Er fragte sich bisweilen, wer hier wohl wessen unmittelbarer Vorgesetzte war. Er oder seine Kollegin hier? Doch Stella war eine bildhübsche junge Frau, noch sehr klug und eigenwillig dazu, die sich nicht so schnell aus der Fassung bringen ließ. Sie verfügte darüber hinaus über eine ziemlich große Portion Selbstbewusstsein, was natürlich bei Männern in der Regel eine gewisse Zurückhaltung auslöste.

 

Trotzdem wollte Marc Cliffort diesmal nicht nachgeben, obwohl er wusste, dass er auch jetzt wieder den Kürzeren ziehen würde.

 

„Was soll das denn schon wieder?“ kam es vorwurfsvoll aus seinem Mund. „Ist irgendwas mit dir, Stella? Mache ich was falsch? Bitte entschuldige, wenn ich dich gelangweilt habe.“

 

„Ich wäre froh, wenn du dich endlich mal auf deine Arbeit konzentrieren würdest..., mehr verlange ich nicht von dir. Wer ist hier eigentlich der Gruppenleiter – du oder ich?“

 

Cliffort blickte etwas pikiert zur Seite und ging ohne ein Wort zu sagen weiter. Stella folgte ihm und sagte ebenfalls nichts mehr.

 

Nach einer Weile betraten sie durch eine kleine Nebenschleuse die riesenhafte Fracht- und Lagerhalle, die heute das Ziel ihrer Inspektionsarbeit war.

 

Die beiden kamen an einer geräumigen Nische vorbei, in der einer dieser robusten Multifunktionsroboter stand. Dieser Robottyp konnte auch als Lade-, Desinfektions- oder Reinigungsroboter in den weitläufigen Lagerhallen eingesetzt werden. Ein Wartungstechniker hantierte in Höhe seines rechten Oberschenkels hinter einer geöffneten Klappe an einer kompliziert aussehenden Elektronik herum. Als er den Gruppenleiter bemerkte drehte er sich schwerfällig herum und musterte Clifforts Uniform der staatlichen Raumfahrtbehörde. Marc und Stella hielten kurz an.

 

„Auf Kontrollgang?“ fragte der Techniker unfreundlich.

 

„Ich suche Morrison. Haben sie ihn gesehen?“ fragte der Gruppenleiter den Mann im eng anliegenden blauen Arbeitsanzug.

 

„Morrison ist wohl nach Hause gegangen. Heute Morgen war er noch da. Er hatte es plötzlich sehr eilig. Seit zwei Wochen redete er nur noch von seiner „neuen Errungenschaft“, wie er sich auszudrücken pflegte. Was er damit meinte, ist mir schleierhaft. Vielleicht hat er ein neues Mädchen kennen gelernt. Wer weiß das schon. Dann würde mich sein seltsames Verhalten nicht mehr wundern.“

 

Der Techniker lachte jetzt schmutzig, drehte sich wieder herum und konzentrierte sich auf seine Arbeit am Roboter.

 

Bevor Marc Cliffort mit seiner Kollegin Stella Hill weiterging, ermahnte er den Techniker, die Lagerhalle rechtzeitig zu verlassen. Wenn erst mal alle Container drin sind, würde die Energiebehörde wenige Sekunden später die Lichter ausschalten, um Strom zu sparen.

 

„Ich weiß Bescheid. Das geht doch hier jeden Tag so. Ich bin sowieso gleich mit dem Auswechseln der Platine fertig. Wenn ihr beide auf mich warten würdet, begleite ich euch bis zur Schleusentür“, sagte der Mann etwas mürrisch, auf dessen Namensschild „J. Smith“ zu lesen war.

 

Ein paar Minuten später gingen sie zu dritt Richtung Ausgang und gelangten an eine große Stahltür, deren Umrisse den Maßen der Laderoboter entsprachen.

 

„Wir sind da“, sagte der Techniker und nahm seine Codekarte aus der Brusttasche. Ein leises Knacken ließ erkennen, dass der Mechanismus der Ausgangsschleuse nun entriegelt war.

 

Cliffort streckte seine Hand aus, um die Tür zu öffnen. Nebenbei bemerkte er, dass der Mann ihm anscheinend noch was sagen wollte.

 

„Was ist?“ fragte der Gruppenleiter den Techniker. „Die Zeit wird knapp. Sie müssen hier raus.“

 

„Keine Panik! Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob wirklich soviel verschwindet. Na, Sie wissen schon, was ich meine...“

 

Cliffort sah zu seiner Kollegin hinüber, die aber nur mit den Schultern zuckte, sich ganz bewusst zurückhielt und die Ahnungslose spielte.

 

Dann sah er Smith direkt in die Augen.

 

„Wer sagt das?“

 

„Jeder sagt das hier. Ich meine die Sache mit dem geheimnisvollen Energiekristallen. Die Förderung läuft auf Hochtouren, und trotzdem scheint es immer weniger davon zu geben...“

 

„Ich habe ebenfalls davon gehört. Große Mengen des geförderten Energiekristalls verschwinden, aber niemand weiß, wohin. Die beste Gelegenheiten für den Diebstahl der Kristalle wären die Förderstationen auf den Monden selbst oder, was wohl eher unwahrscheinlich ist, nehme ich jetzt mal an, die vielen Fracht- und Lagerterminals hier, für die unsere Teams verantwortlich sind, zu denen Sie ja auch gehören, Mr. Smith.“

 

Der Techniker zuckte plötzlich unwillkürlich zusammen. Cliffort beruhigte ihn gleich.

 

„Es gibt allerdings nicht die kleinsten Anhaltspunkte dafür, dass hier was fehlt. Vielleicht verschwinden die Frachtcontainer von den Transportschiffen während ihres langen Fluges durchs All.“

 

Der Mann nickte heftig mit dem Kopf.

 

„Wir haben hier nichts damit zu tun. Aus diesen Lagerhallen verschwindet nicht ein Gramm von den hier gelagerten Energiekristallen.“

 

"Das glaube ich Ihnen gerne, mein Guter. Dazu wären die Leute aus meiner Abteilung wohl auch nicht fähig. Ich habe großes Vertrauen in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn manche erst seit wenigen Wochen hier arbeiten.“

 

Dabei sah er Stella an, die ihm daraufhin einen bösen Blick entgegen schleuderte.

 

Das Gesicht des Technikers bot nach Clifforts Worten ein Anblick der Erleichterung.

 

„Danke“, erwiderte er, „auf mich können Sie sich immer verlassen. Ich erstatte Ihnen sofort Meldung, sollte ich etwas Auffälliges in dieser Fracht- und Lagerhalle bemerken. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, Mr. Cliffort.“

 

Der Mann hatte kaum seinen Satz zu Ende gesprochen, da öffnete sich auch schon das schwere Schleusentor. Er huschte durch den sich öffnenden Spalt und verschwand kurz darauf irgendwo auf der anderen Seite im Schatten der hohen Gebäude des Raumflughafens.

 

Marc Cliffort und Stella Hill schauten ihm noch hinterher, bevor sie das Tor wieder mit Unterstützung des hydraulischen Motors schlossen und dann verriegelten. Sie waren jetzt allein in der weiten Fracht- und Lagerhalle.

 

„Hast du genug Energie für die Lampen?“ fragte Stella Hill ihren Kollegen Marc Cliffort.

 

„Keine Sorge“, antwortete der Gruppenleiter knapp, „die Batterien sind randvoll“, sagte er noch und ging zurück in die Halle.

 

Das fahle Licht der weit oben hängenden Beleuchtungsketten, die sich jetzt im Dämmerlichtmodus befanden, tauchte die riesigen Frachtcontainer vor ihnen in einen unwirklichen Schein. Die Laderoboter waren mit ihrer Arbeit fertig und standen wie erstarrte Statuen auf den dafür vorgesehenen Warteplätzen. Nur ihre Augen leuchteten in einem schwachen Rot. Ein Zeichen dafür, dass man sie über Funk abgeschaltet und in den Energiesparmodus versetzt hatte.

 

Zu dieser Zeit herrschte in der kühlen Frachthalle hinter dem gewaltigen Raumflughafen totale Einsamkeit. Unendlich weit schienen die Schritte von Marc und Stella zu hallen.

 

Die explosionssicheren Frachtcontainer waren in zwölf Reihen zu je acht Stück gestaffelt. Obwohl die Halle nur etwa zur Hälfte gefüllt war, versprach es ein gutes Stück Arbeit zu werden, sie alle zu überprüfen.

 

Stella griff seufzend zum Verschluss des Prüfgerätes, das an ihrem breiten Kettengürtel in einer Metallbox hing und das in der Lage war, sehr genau den Inhalt der Container zu analysieren und deren Menge bis auf wenige Gramm Differenz genau zu schätzen.

 

Angesichts des Zeitdrucks überwand sie ihre Unlust und machte sich an die Arbeit. Zusammen mit ihrem Gruppenleiter trat sie an den ersten Großbehälter und richtete das Gerät auf die metallene Außenhaut des Frachtcontainers, dessen Länge an die fünfzig Meter betrug. Seine Breite war mit fünf, seine Höhe mit acht Metern angegeben.

 

Sobald das Prüfgerät damit fertig war, den Inhalt richtig erfasst zu haben, gab es ein akustisches Signal von sich und zeigte auf einem kleinen Monitor die gewonnen Daten an. Gleichzeitig verglich ihr Kollege Cliffort den beim Start von den Monden und bei der Landung eingegebenen Werten mit dem gewonnen Messergebnis vor Ort.

 

Hier beim ersten Container stimmten die Werte, weshalb Marc und Stella gleich weiter zum zweiten gingen. Die gleiche Prozedur wiederholte sich mit nahezu identischen Werten. Wegen der winzigen Gewichtsunterschiede, die durch den Einfluss der unterschiedlich starken Gravitationsfelder der Fördermonde herrührten, von dem Prüfgerät aber zuverlässig umgerechnet bzw. mit einkalkuliert wurden, hatte der Gruppenleiter den Auftrag, nur bei offensichtlich groben Missverhältnissen eine Öffnung des jeweiligen Frachtcontainers durchzuführen.

 

Marc und Stella wollten gerade auf den dritten Container zugehen, als sie plötzlich ein Geräusch hörten. Sie hielten beide inne und lauschten.

 

Wieder hörten sie das Geräusch. Sie konnten sich nicht erklären, woher es kam. Stella schaltete das Prüfgerät ab, als es damit anfing, ununterbrochen nervige Pieptöne von sich zu geben.

 

In der Halle war es auf einmal wieder so still, dass man sogar das leise Brummen der elektrischen Dimmer an der Beleuchtung unter dem hohen Bogendach hören konnte.

 

„Was kann das für ein Geräusch gewesen sein, Stella?“ fragte Cliffort seine Kollegin.

 

„Kann ich nicht sagen. Es ist eigentlich unmöglich, dass sich in der Halle jetzt noch jemand außer uns hier aufhält.“

 

Der Gruppenleiter wurde sich bewusst, dass die Zeit ablief. Er hatte seine Vorgaben und er durfte den Zeitplan nur minimal überschreiten. Cliffort musste sich nun entscheiden, ob er dem vermeintlichen Geräusch nachging oder so schnell wie möglich seine Arbeit zusammen mit seiner Kollegin Stella Hill erledigte.

 

In diesem Augenblick wiederholte sich das Geräusch. Da war also wirklich etwas. Stella befestigte das Prüfgerät wieder an ihrem Gürtel, sah dann mit einem skeptischen Blick auf den Chronometer an ihrem linken Handgelenk und wies Marc darauf hin, dass sie es kaum noch schaffen würden, mit der Inspektion fertig zu werden, wenn sie jetzt nachsehen, was hier los war.

 

„Wir können morgen früh vor Öffnung der Fracht- und Laderäume die restliche Arbeit erledigen“, gab der Gruppenleiter zur Antwort. Seine Kollegin Stella war damit einverstanden.

 

Cliffort lauschte noch einmal nach dem Geräusch, das jetzt wieder in seine Ohren drang. Es kam ihm auf einmal so vor, dass es mehr nach einem schwachen Stöhnen klang. Auch seine Kollegin Hill rührte sich nicht vom Fleck. Vorsichtig machte Cliffort ein paar Schritte mal nach vorne, dann zur Seite und wieder zurück nach hinten, bis er einen weiteren akustischen Anhaltspunkt für die mögliche Richtung bekam, aus der das seltsame Geräusch am deutlichsten zu hören war.

 

Dann gab er seiner Kollegin Stella ein klar sichtbares Handzeichen, dass er jetzt weitergehen wolle.

 

Zusammen bewegten sie sich im Schutz der Frachtcontainer behutsam und lautlos auf das hintere Ende der riesigen Halle zu, das im diffusen Halbdunkel lag. Nur ein paar gelbrote Positionslichter an den hohen Wänden leuchteten die Umgebung schwach aus. Clifforts rechte Hand streifte über die kühle Metallhaut der Container neben ihm, die mit einem Dekontaminationsmittel überspritzt worden waren, was einen weiteren Kühlungseffekt auf der Metalloberfläche zur Folge hatte.

 

Gerade als Marc und Stella vorsichtig die vierte Containerreihe passierten und eine offene Fläche überqueren wollten, vernahmen sie wieder ein stöhnendes Geräusch, das diesmal nur lauter und schmerzvoller klang.

 

Rasch griff der Gruppenleiter nach seiner handlichen Stabtaschenlampe, die an seinem ledernen Schultergurt herunterhing. Er hatte sie gerade von der Halterung gelöst, als sie ihm aus der Hand glitt und mit einem lauten Klappern zu Boden fiel.

 

Mit einer schnellen Bewegung bückte sich Cliffort und tastete den kalten Betonboden nach der Stablampe ab. In diesem Augenblick war das Stöhnen wieder zu hören, aber diesmal schien es näher gekommen zu sein.

 

Clifforts Fingerspitzen jagten jetzt in hitziger Panik über den Boden. Er fing an zu schwitzen und der üble Gestank der Ausdünstungen des Dekontaminierungsmittels machte ihm zu schaffen, das sich wie ein feiner Dunstschleier mehrere Zentimeter hoch über den Hallenboden gelegt hatte. Nur seiner Kollegin Stella Hill schien der Gestank offenbar nichts auszumachen. Er wunderte sich darüber, dachte aber nicht weiter darüber nach. Sie stand noch immer am vierten Container und wartete darauf, dass er die Stablampe endlich finden würde.

 

Da. Seine linke Hand stieß gegen etwas Hartes, das daraufhin noch etwas weiter von ihm weg rollte. Mit hastigen Bewegungen griff Cliffort hinterher und plötzlich schmiegte sich der kalte Stahl der Lampe in seine Hand.

 

Stella verhielt sich weiterhin ruhig. Sie wollte sich anscheinend nicht ehr vom Fleck rühren, bevor Marc den Strahler einschaltete, weil sie sich nur so sicher sein konnte, das sich ihnen nicht irgend etwas genähert hatte. Vielleicht trieb sich doch noch jemand in der Halle herum, der hier nach einer Möglichkeit suchte, an die Energiekristalle zu kommen um sie zu stehlen.

 

Seltsamerweise war jetzt nichts mehr zu hören. Marc ging hinüber zu Stella, die sich eng an seinen Körper schmiegte. Nur mühsam konnte sie ihre Gefühle unter Kontrolle halten.

 

„Verflucht noch mal!“ flüstere ihr Marc leise zu. „In dieser Halle ist irgendwas, und ich hab’ keine Ahnung, was es sein könnte. Es wird wohl besser sein, wir verschwinden von hier und holen Verstärkung.“

 

Stella nickte bestätigend mit dem Kopf und deutete in Richtung des Ausganges, wo sich die schwere Schleusentor befand.

 

Als sich beide gerade umdrehen wollten, begann wieder das schmerzvolle Stöhnen, das sich nach und nach immer mehr in eine schreckliches Gewimmer verwandelte. Nur war es komischerweise weiter entfernt wie vorher. Jedenfalls klang es so.

 

„Wir gehen jetzt, Stella. Bleib’ dicht bei mir und wenn wir an dem Tor sind, deckst du mir den Rücken mit deiner Waffe. Wieder nickte Stella mit dem Kopf. Vorsorglich tastete sie nach ihrer Strahlenwaffe und als sie den schlanken Griff des Handimpulslasers spürte, vermittelte er ihr das wohltuende Gefühl von Sicherheit, obwohl die Anspannung in ihr damit keineswegs abflaute. Jedenfalls würden sie sich notfalls verteidigen können, sollte irgendjemand versuchen, sie anzugreifen.

 

Während Cliffort Stella fest an sich drückte, versuchte er logisch zu denken. Aber in dieser schummrigen Finsternis schienen die chaotischen Gefühle die Kontrolle über seinen Verstand übernommen zu haben. Trotzdem tastete er sich mit seiner Kollegin vorwärts. Er hatte vor, bis zum Ende der belegten Containerstellplätze ohne Licht auszukommen oder es erst dann einzuschalten, bis er genau wusste aus welcher Richtung die Geräusche kamen. Soviel wie er jetzt wusste, wurden sie offenbar von vorne an ihn herangetragen. Also ging er mit Stella zusammen auf die vermeintliche Quelle des Stöhnens zu, die sich irgendwo zwischen ihnen und dem Ausgang befinden musste.

 

Weiterhin vorwärts tastend überwanden sie die leeren Räume zwischen den riesigen Frachtcontainern. Nun standen sie, falls sie sich nicht verzählt hatten, vor dem letzten Container, hinter dem sich der Schleusenausgang befinden musste.

 

Cliffort schob seine Kollegin hinter sich und schaute um die Ecke. In diesem Augenblick waren kurze, schnell aufeinanderfolgende Schreie zu hören, die nur von panischen Versuchen, Luft zu holen, unterbrochen wurden. Dann trat von einer Sekunde auf die andere Stille ein, wie sie unheimlicher nicht sein kann.

 

Marc Cliffort hielt es nicht mehr aus und wollte das Risiko eingehen, den Strahler einzuschalten. Er drückte den Aktivierungsknopf und sofort schoss ein gebündelter Lichtstrahl aus dem breiten Kopfende der Stablampe. Vorsichtig leuchtete er um die Ecke des Containers. Er wusste nicht, was ihn dort erwartete. Er folgte jetzt mit seinen Blicken dem hellen Lichtkegel seiner Lampe, der gerade über einen Schrotthaufen aus irgendwelchen Metallresten wanderte. Von dort aus mussten die Schreie gekommen sein. Marc leuchtete in den Schrottstapel hinein, in dem sich einige abgeschnittene Stahlträger befanden, die kreuz und quer übereinander lagen und kleine Hohlräume bildeten.

 

Plötzlich sah er etwas. Der Lichtkegel seiner Stablampe huschte zurück auf eine Stelle, wo sich scheinbar noch etwas bewegte. Widerwillig lenkte Marc den Strahl seiner Lampe auf einen unnatürlich daliegenden Körper, dessen blutiger Kopf aus dem Metallgewirr heraushing.

 

„Ich habe etwas in dem Schrotthaufen liegen sehen. Vielleicht ist jemand verletzt, Stella. Nimm deine Strahlenwaffe in die Hand und bleib ein paar Schritte hinter mir. Sollte dir oder mir irgendwelche Gefahren drohen, dann zögere nicht abzudrücken. Ich gehe jetzt auf den Schrotthaufen zu und vergewissere mich, ob jemand dort vielleicht dringend Hilfe braucht oder nicht.“

 

„Sei vorsichtig, Marc. Wer weiß, was da zwischen den Metallresten liegt. Wir sollten lieber jetzt gleich Hilfe holen, bevor noch Schlimmeres passiert.“

 

„Trotzdem Stella, vorher möchte ich mich selbst davon überzeugen, was da los ist. Hilfe kann ich dann immer noch holen. Also..., ich gehe jetzt. Bleib’ mit deiner Waffe dicht hinter mir.“

 

Als Cliffort keine fünf Meter vor einem Gewirr aus allen möglichen Metallteilen stand, sah er einen Mann auf einem der wuchtigen Stahlträger liegen. Sein Körper war unnatürlich verkrümmt und an einigen Stellen hatte er tiefe Fleischwunden, sodass man teilweise die nackten Knochen erkennen konnte. Scheinbar hatte sich der Unglückliche noch bis dorthin geschleppt und sich bemerkbar machen wollen.

 

Von Ekel ergriffen lenkte Cliffort den Lichtstrahl von den Stiefeln aufwärts, der gerade auf dem blutigen Brustkorb ein Namensschild passierte auf dem „Morrison“ stand, und dann war ihm plötzlich so, als führe ein heftiger Schlag durch seine Glieder, als er in das Gesicht des Mannes leuchtete.

 

Das gesamte Gesicht war hässlich aufgequollen. Der Hals war mit Blut verschmiert und an einigen stellen waren offensichtlich Adern geplatzt, so dass sich große Hämatome unter der Haut gebildet hatten. Seine Augen waren blutrot unterlaufen und aus den Augenhöhlen getreten. Es sah fast so aus, als hätte man Morrison brutal gewürgt. Erschüttert wandte sich Cliffort von dem Mann ab, der bis vor wenigen Sekunden noch gelebt haben muss, da immer noch frisches Blut aus seinen schrecklichen Wunden floss.

 

Als Cliffort sich umdrehte, stand plötzlich Stella hinter ihm und hielt ihm die Laserpistole direkt ins Gesicht. Er erschrak so heftig, dass sein Hals trocken wurde, und er nach Luft schnappen musste.

 

„Was soll das denn, Stella? Lass’ diesen Unsinn! Willst du mich damit umbringen?“ stotterte der Gruppenleiter fassungslos vor Angst.

 

Cliffort trat instinktiv einen Schritt zurück. Stella folgte ihm wortlos mit erhobener Waffe. Ihr Gesicht sah aschfahl aus und machte einen verzerrten Eindruck auf ihn.

 

Er schluckte und spürte, wie sich seine Speiseröhre zusammenzog, als bekäme er einen Krampf. Die Furcht wuchs bei ihm ins Bodenlose. Die ganze Situation hatte etwas Unwirkliches an sich; etwas, das nicht hierher passte, weil dies die Realität war und kein Platz für Anormales zuließ.

 

Doch der nächste Schock ließ nicht lange auf sich warten. Marc Cliffort erschrak bis in seine Eingeweide. Er wollte weglaufen, doch seine Beine schienen seinem Wollen nicht zu folgen.

 

Stella, seine bildhübsche Kollegin, verwandelte sich schrittweise, fast wie in Zeitlupe, in eine schrecklich aussehende Echsen artige Kreatur mit riesigen Reißzähnen und grüner Schuppenhaut. Im nächsten Augenblick spie das Ungeheuer eine schwarze Flüssigkeit aus, die Cliffort mitten ins erschreckte totenblasse Gesicht traf. Er wollte noch schreien, brachte aber kein Ton mehr über die Lippen. Dann fiel er wie vom Blitz getroffen zu Boden, wo er zuckend nach wenigen Sekunden starb.

 

Das Monster grunzte zufrieden, als es die Leiche des Gruppenleiters gierig in Stücke riss und genüsslich bis auf die Knochen verspeiste. Dann war Morrisons Kadaver an der Reihe, den die Bestie in Gestalt von Stella Hill im Schrotthaufen versteckt hatte, als ein Wartungstechniker überraschend die Halle betrat und sie bei dem Versuch störte, Morrison zu töten um ihn zu fressen.

 

Eine neue Chance erhielt die schreckliche Kreatur, als sie in Gestalt von Stella Hill zusammen mit Marc Cliffort in die Fracht- und Ladehalle dienstlich zurückkehren konnte. Während die Roboter in der Fracht- und Lagerhalle arbeiteten, war jeder Zutritt für menschliches Personal strengstens verboten. Es bestand Lebensgefahr. Nur nach Arbeitsende und bei Wartungsarbeiten, wenn sie sich im Ruhemodus befanden, konnte man die Halle gefahrlos betreten. Und so kam es, dass schließlich das Ungeheuer alleine mit seinen beiden Opfern war, die in dieser Situation dem Monster hilflos ausgeliefert waren.

 

Als die Echsen artige Kreatur ihre Fressorgie endlich beendet hatte, materialisierte plötzlich zwischen den blutverschmierten Klauen ein silbrig glänzender Gegenstand, der aussah wie ein Bumerang. Wenig später drückte sie einige rot leuchtende, kryptische Zeichen auf der metallenen Oberfläche und im gleichen Moment war die blutrünstige Gestalt im Nichts verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Zurück blieb ein Ort des Grauens.

 

 

***

 

Unter den wenigen Passagieren eines gewaltigen interstellaren Großraumfrachters befand sich auch ein hager aussehender Mann in einer schwarzen Raumfahreruniform. In seiner rechten Hand hielt er ein silbrig glänzendes Artefakt, das aussah wie ein Bumerang. Der weite Flug durchs All ging zur Erde.

 

„Persönliches Eigentum“ stand als amtlicher Vermerk auf einem kleinen ovalen Zettel, den eine freundliche Stewardess der intergalaktischen Transportgesellschaft auf den Bumerang ähnlichen Gegenstand aufgeklebt hatte.

 

Als der Mann in seiner Passagierkabine angekommen war, legte er die Rückenlehne seines bequemen Sitzplatzes zurück und verdunkelte den kleinen Raum, um sich vor fremden Blicken zu schützen.

 

Nach einer Weile war er eingeschlafen und manchmal war es so, als würde sich sein menschlich aussehender Körper, wenngleich auch unmerklich für wenige Sekundenbruchteile nur, in die hässliche Gestalt eines Echsen artigen Monsters verwandeln.

 

ENDE


© Heinz-Walter Hoetter

 

 

 

***

 

 

4. Das Monster treibt wieder sein Unwesen


 

 

Draußen herrschte ein erbarmungsloser Frost. Lange Eiszapfen hingen überall von den weit verstreut liegenden Gebäuden unterschiedlichster Bauformen und den Ästen der skurril aussehenden Bäume. Die weite Landschaft war mit einer dicken Schneeschicht überzogen, an einigen Stellen hatten die vergangenen, heftigen Schneegestöber die weiße Pracht meterhoch aufgetürmt.


 

Ich befand mich allerdings nicht auf der Erde.


 

Die wuchtige Schleusentür eines großen, igluartigen Hauses öffnete sich mit einem zischenden Geräusch. Warme Luft drang nach außen und kondensierte schlagartig zu einer flüchtigen Wolke aus feinen Eiskristallen.


 

Lazar Tarock hatte offenbar schon gewusst, dass ich kommen würde und den Öffnungsmechanismus der metallenen Haupteingangstür rechtzeitig in Gang gesetzt.


 

Wenn man einen Hundertjährigen besucht, erwartet man in der Regel einen alten Mann zu begegnen, der sich mehr oder weniger mit seiner Sterblichkeit bereits abgefunden hat und genau aus diesem Grunde eigentlich einen gewissen Grad an innerer Ruhe, Gelassenheit und schicksalsbedingter Resignation ausstrahlen sollte. Man spricht zwar nicht gern darüber, aber man kann zum Beispiel am leeren Blick der Augen und am gebrochenen Klang der Stimme hören, dass bei alten Menschen so eine Art Weltverdrossenheit oder das resignierende Gefühl von Lebensüberdruss vorherrschte, als gäbe es nichts, aber rein gar nichts mehr, was noch zu überraschen imstande gewesen wäre.


 

Lazar Tarock jedoch war zu meiner großen Überraschung ein reines Energiebündel, der jetzt mit entschlossenen Schritten zur geöffneten Schleusentür herauskam und zielstrebig durch den tiefen Schnee auf mich zuschritt. Sein eng anliegender, wärmender Ganzkörperanzug ließ ihn wie ein Raumfahrer aussehen.


 

Dann stand er vor mir. Bevor er sprach, atmete er eine kleine Nebelwolke aus und nahm mich konzentriert in Augenschein.


 

„Sind Sie der legendäre Mike Storm?“ fragte er mich mit fester, sonorer Stimme und hielt mir spontan die rechte Hand zum Gruß hin

„Ja..., Mr. Tarock, der bin ich. Aber das mit dem ‚legendär’ lassen wir lieber mal weg.“


 

„Na ja, auch gut. Nun kommen Sie schon herein junger Mann! Sie werden hier draußen noch erfrieren. Warum haben Sie keinen Thermoanzug an?“

Ich zögerte etwas.

„Ich kam mit einer Schneeraupe. Die sind innen gut beheizt und der Weg zu Ihnen war nicht weit. Der Raumflughafen Telstar One liegt ja gleich mehr oder weniger um die Ecke“, erwiderte ich ihm.


 

„Sie sind ziemlich leichtsinnig, mein Freund. Hier auf dem Planeten Lanthea sinken die Temperaturen bisweilen schon mal schlagartig auf Minus 60 Grad. Da sollten Sie so einen Ganzkörperanzug immer dabei haben. – Schon aus Sicherheitsgründen, wenn Ihnen was am eigenen Leben liegt.“


 

„So gesehen haben Sie das Recht auf ihrer Seite“, gab ich schnell etwas verlegen zu und ging an Mr. Tarock vorbei in das kuppelartige Haus, dessen gemütlich eingerichteten Räume mich überraschten. Als ich das Ende des langen Röhrenganges durchquert hatte, stand ich plötzlich in einem Wohnraum vor einem brennenden Kaminfeuer. Knisternd stoben rotglühende Funken nach oben in den Abzug.


 

Der alte Lazar Tarock war mir unmittelbar gefolgt, ging schließlich hinüber zu einem Schrank und öffnete eine kleine Minibar. Dann sah er zu mir hinüber.


 

„Nehmen Sie doch Platz, Mr. Storm! – Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“


 

„Unbedingt“, gab ich auf der Stelle zur Antwort.


 

Er förderte einen Dekanter mit dunkelrotem Landwein zutage und als ich ihm meine Hilfe anbot, beharrte Mr. Tarock darauf, dass ich sitzen bleiben und mich entspannen solle.


 

„Wie ich erfahren konnte, hatten Sie einen langen Flug“, sagte er mit Bestimmtheit und entfernte den Korken, schenkte zwei Gläser ein, reichte mir eins rüber und brachte ein Toast aus.


 

„Auf alle, die in der interstellaren Raumflotte Dienst tun“, rief er aus und trank einen kräftigen Schluck aus dem Glas. Dabei strahlte er mich an, um mir zu zeigen, dass er sehr genau wusste, was er einmal gewesen war, und das die Leute ihn dafür zu schätzen wussten, dass er sich nicht davor scheute, alles über den Haufen zu werfen oder alte, überkommene Zöpfe abzuschneiden, wenn es die jeweilige Situation erforderlich gemacht hätte.


 

„Also Mr. Storm“, fuhr Mr. Tarock fort, “es ist mir eine große Freude, Sie kennen zu lernen. Einen so großartigen Raumfahrer, noch dazu einen so jungen, hier bei mir zu Hause zu haben, kann ich kaum glauben. Ich kann Ihnen nur sagen, ich hätte einiges darum gegeben, dabei gewesen zu sein, als Sie Ihre Entdeckung gemacht haben. – Die Energiekristalle vom Planeten Cristall I. Alle Achtung! Eine großartige Entdeckerleistung, die die Raumfahrt grundlegend verändert hat. So jung und schon so erfolgreich. Man glaubt es kaum.“


 

Ich wehrte bescheiden ab. Die ganze Sache hatte sich sowieso anders abgespielt. Aber was soll’s? Die Leute erzählten die Geschichte immer wieder anders. Von Planet zu Planet. Ich hatte einfach keine Lust mehr dazu, sie wahrheitsgemäß zu korrigieren.


 

Mr. Lazar Tarock war ein gepflegter alter Herr, nicht groß, dafür aber sehr schlank und außerordentlich sehnig. Seine wachen Augen waren von einem tiefen Blau und er besaß die aufrechte Haltung einer Person, die halb so alt sein dürfte wie er. Seine Haut war braun und fast ohne Falten, sein Haar war weiß und seine Stimme klang klar und kraftvoll. Dieser alte Mann strahlte immer noch einen unbändigen Lebenswillen aus.


 

Lazar Tarock stellte den Dekanter auf einen kleinen Rolltisch ab, wo wir ihn alle beide erreichen konnten. Dann setzte er sich in einen bequemen Ledersessel, der gleich rechts neben mir stand. Der alte Mann räusperte sich ein wenig, blickte zu mir herüber und kam gleich zur Sache.


 

„Ich nehme mal an, Sie kommen wegen meines Sohnes Orpheus.“


 

„Richtig, Mr. Tarock.“


 

Auf einem Bücherregal und auf einem Nebentisch standen einige eingerahmte Fotos. Auf etlichen davon konnte man das Gesicht eines verwegenen Mannes mit weißem Backenbart erkennen. Wir sahen beide hinüber zu den Bildern und betrachteten sie eine Zeitlang.


 

„Ich verstehe“, antwortete er mir nach einer Weile des Schweigens. „Das ist schon in Ordnung und die ganze Sache ist auch gar nicht so kompliziert, wie Sie vielleicht denken mögen. Wissen Sie, mein Sohn hat die berühmten KI’s entwickelt, installiert und gewartet. Dreißig Jahre lang hat er für die intergalaktische Raumflotte gearbeitet, ehe er sich ein eigenes Raumschiff zugelegt hat und auf eigene Faust Erkundungsreisen zu unbekannten Planeten unternahm. – Aber ich denke mal, das wissen Sie bereits.“


 

„Ja.“


 

„Bitte erlauben Sie mir dennoch die Frage, Mr. Storm, warum Sie das alles interessiert? Hat es wohl möglich irgendwelche Probleme mit meinem Sohn Orpheus gegeben?“


 

„Nein“, antwortete ich ihm. „Ich versuche nur herauszubekommen, was seinerzeit auf der Trident II passiert ist.“


 

Mr. Tarock brauchte einen Augenblick, um diesen Gedanken zu verarbeiten. Er schien sich nach innen zu kehren.


 

„Das hat Orpheus sich auch immer wieder gefragt.“


 

„Davon bin ich überzeugt“, erwiderte ich.


 

„Das war eine ziemlich sonderbare Geschichte. Ich habe bis heute nicht verstanden, was genau passiert ist. Deshalb wüsste ich auch nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.“


 

„Der Wein ist sehr gut. Darf ich mir noch ein Glas einschenken?“ fragte ich Mr. Tarock. Ich wollte aber auch andererseits das Gesprächstempo etwas drücken.


 

„Aber natürlich. Nur zu, junger Mann. Tun Sie sich keinen Zwang an.“


 

„Danke. Der ist für Murphy.“


 

„Murphy war ein hervorragender Kommandant gewesen. Ein Vorbild für alle jungen Raumfahrer“, sinnierte der alte Mann.


 

„Das ist richtig. Er war auf dem ersten Schiff, das am Ort des Geschehens eintraf. Er und Lord Blake – Murphy war der 1. Kommandant auf der Poseidon - waren die Männer, die die Trident II nach den mörderischen Ereignissen entdeckt haben. Doch dann wurde Murphy ermordet. Seine Leiche wurde nie gefunden.“


 

Für einen kurzen Moment spiegelte sich Bedauern in den Augen des Hundertjährigen.


 

„Hat Ihr Sohn Orpheus je mit Ihnen darüber gesprochen oder Ihnen davon erzählt, was da draußen passiert ist? Die Trident II war sein Raumschiff.“


 

„Nein, einmal abgesehen von seinen persönlichen Gefühlen.“


 

„Was hat er gefühlt?“


 

„Anscheinend Angst. Nichts als reine Angst, die sich bei ihm bis ins schier grenzenlose Entsetzen steigerte.“

Ich bemerkte, wie der alte Mann den Kopf schüttelte und innerlich vor seinem geistigen Auge über die Jahre hinweg in die Vergangenheit zu blicken schien.


 

Ich weckte nur ungern schmerzhafte Erinnerungen, aber da gab es den Verdacht, dass Orpheus späterer Tod kein Unfall gewesen war.


 

„Was denken Sie, warum man Ihren Sohn möglicherweise ermordet hat? Hatte es möglicherweise was mit der Entdeckung auf seinem Schiff zu tun?“ fragte ich mit der gebotenen Zurückhaltung.


 

Der alte Mr. Tarock bemerkte meine Vorsicht.


 

„Ist schon in Ordnung. Ich bin über den Tod meines Sohnes schon lange hinweg. Sie wollen wissen, ob man ihn ermordet hat?“


 

Ich nahm einen Schluck Wein zu mir, setzte das Glas vorsichtig ab und sah Mr. Tarock direkt ins Gesicht. Seine Augen blinzelten plötzlich wie eine sprungbereite Katze. Diese Reaktion hatte ich eigentlich nicht erwartet. Ich tat so, als würde ich nichts bemerkt haben.


 

„Was denken Sie?“ fragte ich ihn mit gespielter Ahnungslosigkeit.


 

„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich weiß es ehrlich nicht.“


 

Ich hakte nach.


 

„Wer konnte durch seinen Tod etwas gewinnen?“


 

„Auch darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben, Mr. Storm. Mein Sohn war ein Abenteurer. Er kannte die Gefahren da draußen in den unendlichen Weiten des Alls. Er blickte dem Tod trotzig ins Antlitz. Ich bewunderte seinen Mut, der jedoch auch mit einer Portion Angst gepaart war. Er sagte immer, dass es keinen Mut ohne Angst geben würde. Ich machte mir auf der anderen Seite natürlich auch Sorgen um ihn. Wer tut das nicht als Vater?“


 

Der alte Mann machte eine kurze Pause, trank einen Schluck Wein und beendete seine Rede mit einer Frage.


 

„Darf ich fragen, ob der Tod meines Sohnes etwas mit dem Geschehen auf seinem Raumschiff zu hat?“


 

„Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber vor ein paar Tagen hat jemand die Zuleitungen der Antigravitationsspulen an meinem Gleiter sabotiert. Ich kann von Glück sagen, dass ich den Schleudersitz noch rechtzeitig bedienen konnte, bevor der trudelnde Gleiter auf dem Boden aufschlug und explodierte. Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe. Die Suchmannschaften fanden mich schließlich bewusstlos am Rande eines Eismeeres. Fast hätten mich die Eiswölfe gefressen.“


 

Mr. Tarocks Augen weiteten sich. Er sah mich an, ehe er wieder irgendwohin in weite Ferne zu starren schien. Seine Worte klangen etwas abwesend.


 

„Das ist alles schon sehr merkwürdig. Ich bin froh darüber, dass Sie den Absturz heil überstanden haben und es Ihnen gut geht, Mr. Storm.“


 

Der Hundertjährige füllte unsere Gläser nach und brachte diesmal einen Toast auf mich aus.


 

„Ich wünschte, Sie wären bei meinem Sohn Orpheus gewesen. Er würde bestimmt noch leben“, sagte er wehmütig und eine Träne rann über seine Wange. „Es ist viel über die Verbrechen auf der Trident II geredet worden. Sogar mein eigener Sohn geriet in Verdacht“, fuhr er verbittert fort und ich sah, wie er in seinen Erinnerungen wühlte.


 

Er machte wieder eine kleine Pause, bevor er weitersprach.


 

„Und Sie denken wirklich, es gibt einen Zusammenhang zu Orpheus Tod?“ fragte er mich schließlich.


 

Die Falten um seinen Mund und seine Augen schienen sich dabei noch tiefer in die Haut zu graben. Sein Gesicht veränderte ein wenig die Farbe.


 

„Aber sicher, Mr. Tarock“, antwortete ich ihm.


 

Er überlegte eine Weile, und was er auch immer sagen wollte, er sprach es jetzt nicht aus.


 

Ich machte mir ein paar Notizen. Ich hatte mir schon vor langer Zeit angewöhnt, dass es besser war, nicht die ganzen Gespräche aufzuzeichnen, weil das bewirkte, dass die Leute Hemmungen bekamen, frei zu sprechen.


 

„Hat es vor dem Tod Ihres Sohnes irgendwelche Drohungen oder Warnungen gegeben, Mr. Tarock?“


 

Er nippte an seinem Wein und stellte das Glas behutsam auf den kleinen Rolltisch zurück.


 

„Nein. Es gab nichts dergleichen. Es hat keinen Grund gegeben, dass ihm jemand ein Leid zufügen wollte. Nach dem Geschehen auf seinem Raumschiff Trident II allerdings schien er irgendwelche Geheimnisse zu verbergen. Er hatte sich verändert und wurde immer verschlossener. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“


 

Ich hatte das komische Gefühl, er wünschte sich sogleich, er könnte die letzten Bemerkungen zurückziehen; aber es war zu spät, und so zuckte er nur mit den Schultern.


 

„Mr. Tarock, warum glauben Sie, dass Ihr Sohn Geheimnisse hatte?“


 

Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und dachte über meine Frage nach.


 

„Wie ich schon sagte, er hatte sich verändert“, antwortete er schließlich.


 

„Inwiefern?“


 

„Ich kann das schwer in Worte fassen. Es kam mir so vor, als hätte jemand Besitz von ihm ergriffen. Er führte auch immer mehr Selbstgespräche, gerade so, als spräche er mit jemanden. Ich dachte anfangs, dass es nur eine vorübergehende Erscheinung bei ihm sei, aber da hatte ich mich geirrt. Es wurde noch schlimmer und bald stammelte er nur noch unverständliche Worte. Es klang wie eine fremde Sprache, die nur er verstand.“


 

Ich grübelte etwas.


 

„Die Veränderungen in seinem Verhalten sind also erst nach der Trident II-Geschichte eingetreten, sagten Sie?“


 

„Ja“, antwortete Mr. Tarock.


 

Für die nächste Frage wollte ich mir etwas mehr Zeit nehmen und überlegte mir, wie ich anfangen sollte. Schließlich legte ich spontan los.


 

„Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Geschehens auf der Trident II, Mr. Tarock.“


 

Der alte Mann erhob sich plötzlich, trat an den Kamin und stocherte ein paar Mal im Feuer herum.


 

„Ich war damals auf Indianapolis, einer Außenstation im Alpha System. Die liegt im Musari-Sektor, außerhalb des Andromeda Nebels. Mein Sohn hatte mich Monate vorher dort abgesetzt und vorübergehend da ebenfalls Station gemacht. Wir waren eine kleine Gruppe ehemaliger Veteranen aus dem technischen Support. Wir hatten gemeinsame Interessen, und wir haben uns alle recht gut verstanden.“


 

Ich machte mir abermals ein paar Notizen. Auch dort, auf der Außenstation Indianapolis, hatte es ähnlich schreckliche Morde gegeben.


 

„Wann haben Sie die Außenstation wieder verlassen, Mr. Tarock?“


 

„Ich bin schon am nächsten Tag irdischer Zeitrechnung wieder abgereist. Ich weiß nicht warum ich das tat. Ich hatte so ein komisches Gefühl, vielleicht deshalb, weil ich ahnte, dass ich wohl eine lange Zeit von meinem Sohn nichts mehr hören würde. Nun, Sie müssen bedenken, dass er sich da draußen in der Unendlichkeit an Bord der Trident II befand und schon vorher monatelang zusammen mit seiner Crew unterwegs gewesen war. Sie waren auf dem Weg zu irgendeinem Zielort, ich weiß nicht mehr, zu welchem, und Orpheus testete gerade eine neue Generation von KI’s an Bord seines Schiffes. Ich nahm noch während des Fluges zur Trident II Kontakt zu ihm auf und habe von ihm fast täglich gehört. Irgendwann hat er mir eine verschlüsselte Botschaft zukommen lassen und darin geäußert, dass irgendwas seltsames auf der Trident II passiert sei, aber dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Er schrieb, vermutlich wäre nur die Kommunikationsanlage ausgefallen. Dann hörte ich vorläufig nichts mehr von ihm.“


 

„Und als Sie schließlich die Trident II erreichten, hat er Sie da weiterhin auf dem Laufenden gehalten?“


 

„Nur bis auf das, was Sie schon wissen. Er wurde plötzlich von Tag zu Tag verschlossener und sprach nur noch mit sich selbst. Die ganze Crew bekam Angst vor ihm. Er wurde unberechenbar.“


 

„Während Ihres Aufenthaltes auf dem Schiff Ihres Sohnes sind sechs Passagiere der Trident II so gut wie spurlos verschwunden. Hat er Ihnen nichts davon erzählt? Nicht einmal andeutungsweise?“ fragte ich argwöhnisch und verzog dabei die Mine etwas säuerlich.


 

„Ja, ich habe davon gehört. Sozusagen auf Umwegen. Das war wirklich ärgerlich. Mein Sohn spielte die ganze Sache herunter. Er wollte wohl eine Panik verhindern. Immerhin befanden sich weit mehr als dreihundert Leute auf seinem Raumschiff. Er schien sich auch nicht sonderlich darüber aufgeregt zu haben. Einige andere Crewmitglieder haben mir später erzählt, dass irgendwas Furchtbares auf der Trident II passiert sein musste. Es gab anscheinend eine Reihe von bestialischen Morden an fünf oder sechs Besatzungsmitgliedern. Man fand lediglich nur noch einige verstreut herumliegende, blutverschmierte Knochen an den jeweiligen Orten dieser entsetzlichen Taten. Mehr kann ich darüber nicht sagen. “


 

Ich wusste auf einmal nicht mehr, wie ich meine nächste Frage loswerden sollte. Deshalb fragte ich Mr. Tarock, ob sein Sohn im Umgang mit anderen Leuten ehrlich gewesen war.


 

„Soviel ich weiß, hat sich Orpheus stets korrekt benommen. Aber Unehrlichkeit und Korruption kann man bei keinem Menschen ganz ausschließen“, gab er mir zur Antwort.


 

„Hätte er sich denn kaufen lassen? Was meinen Sie?“


 

„Um möglicherweise etwas Unmoralisches oder Böses zu tun? Orpheus? Nein, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Er war eine ziemlich starke Persönlichkeit und voller Selbstbewusstsein.“


 

„Aber ganz ausschließen würden Sie es nicht?“


 

„Ich sagte Ihnen doch schon, Mr. Storm, dass man Unehrlichkeit und Korruption bei keinem Menschen ganz ausschließen kann. Das gilt auch für das Böse. Es steckt in jedem als Keim in uns.“


 

Ich zog aus meiner wasserdichten Seitentasche sechs Bilder hervor auf denen die Gesichter einiger Crewmitglieder der Trident II zu sehen waren.


 

„Kennen Sie vielleicht zufällig einige dieser Personen, Mr. Tarock?“


 

Er studierte sie und schüttelte nach einer Weile den Kopf.


 

„Auf dem Langstreckenraumschiff meines Sohnes gab es eine eingeschworene Kernmannschaft, die für den sicheren Flugbetrieb der Trident II unerlässlich war. Die Gesichter dieser Männer und Frauen könnte ich unter Tausenden sofort herauspicken. Das übrige Mannschaftspersonal wechselte aber ständig, weil es entweder Kolonisten oder freie Raumfahrer waren, die manchmal nur für die Dauer einer einzigen Mission angeheuert wurden. Die Personen auf den Fotos kenne ich daher nicht. Sie sind mir unbekannt.“


 

„Sind Sie sich da ganz sicher, Mr. Tarock?


 

„Ja natürlich. Es müssen Leute sein, die auf den unteren Decks oder im Maschinenraum der Antimateriegeneratoren gearbeitet haben. Ich hielt mich in der Regel, wenn ich hin und wieder mal auf der Trident II war, meistens auf der Kommandobrücke meines Sohnes auf. Ich kam nur ganz selten mit der übrigen Mannschaft in Kontakt.“


 

„Hm, na gut. Ich glaube, das war’s dann, Mr. Tarock. Ich möchte Ihnen danken, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu reden“, sagte ich. „Auch für den Wein, der mir außerordentlich gut gemundet hat. Ich fühle mich wie neugeboren.“

„Ja, der Wein verändert oftmals den Charakter des Menschen. Und dieser Wein stammt vom Sonnenplaneten Ischcolon, im Raumquadraten Delta, falls dieser Ihnen ein Begriff ist. Aber schon gut, Mr. Storm. Ich habe mich sehr darüber gefreut, Sie mal ganz persönlich kennen gelernt zu haben. Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt.“

„Ach was, Mr. Tarock. Machen Sie sich wegen Ihres Alters keine allzu großen Sorgen. Unsere hervorragenden Biogenetiker können das Leben eines Menschen glatt verdoppeln.“


 

„Sie haben gut reden, junger Mann. Was wissen Sie schon vom Alter und Älterwerden?“


 

Ich erhob mich leicht benommen aus meinem Ledersessel. Mir wurde plötzlich etwas schwindlig und wäre beinahe über den kleinen Rollwagen gestürzt, der mir den Weg versperrte.


 

„Geht’s Ihnen nicht gut, Mr. Storm?“, fragte mich der Alte und grinste mich dabei herablassend an.


Irgendwas ging in mir vor, ich wusste aber nicht was. Ich kam nicht dahinter.


 

Mittlerweile war es draußen schon dunkel geworden.


 

Wir kamen zur offenen Schleusentür heraus, blieben für einen Moment in der frostigen Luft stehen und gingen dann schnurstracks zu meiner abgestellten Schneeraupe hinüber. Die Innenheizung hatte sich bereits automatisch eingeschaltet, die Front- und Seitenscheiben waren deshalb schnee- und frostfrei.


 

Ich verabschiedete mich von dem alten Mann, der sich Lazar Tarock nannte und wünsche ihm noch ein langes Leben. Dann setzte ich mich, noch immer leicht benommen, hinter den klobigen Steuerknüppel meines Schneefahrzeuges und fuhr damit zurück zum Raumflughafen Telstar One, der etwa acht Kilometer von meinem derzeitigen Standort in westlicher Richtung lag.


 

Als ich wieder im meinem Hotel war, ging es mir schon wieder viel besser. Ich stellte umgehend eine verschlüsselte Video- und Tonverbindung mit der Zentrale des Raumflottengeheimdienstes (RGD) her.


 

Nur wenige Sekunden später blickte ich in das Gesicht meines Führungsoffiziers Oberst Stanislav Poronovsky.


 

„Mein Gott, Storm! Ich dachte schon, es gibt Sie nicht mehr. Wo haben Sie bloß solange gesteckt? Sie sind mir vielleicht ein Draufgänger. Und was Ihre geheimen Daten anbelangt, habe ich diese bereits im Labor auswerten lassen. Sie sind eine einzige Sensation! Wir haben auch eine genetische Fernprobe von Mr. Tarocks Körperzellen gemacht. Es gibt keinerlei Zweifel darüber, dass Lazar Tarock nicht ‚der’ Lazar Tarock ist, den wir von früher her kennen. Wir haben aufgrund der biogenetischen Untersuchungsergebnisse der von Ihnen sichergestellten Gewebezellen nachweisen können, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um jenes Monster handelt, so eine Art Reptil oder ähnliches, das für die bestialischen Fressmorde auf der Trident II verantwortlich ist. Es mordet wohlmöglich überall, wohin es kommt. Dieses Biest hat unseren Ermittlungen nach offenbar sowohl den echten Lazar Tarock, als auch seinen Sohn Orpheus gefressen. Dann nahm es die Gestalt vom alten Tarock an, und konnte auf diese Weise unerkannt entkommen. Dieses Ding scheint jede x-beliebige Gestalt eines Menschen annehmen zu können und ist dazu in der Lage, jedes Individuum täuschend echt zu imitieren. Dabei infiziert es den befallenen Wirtskörper nach und nach mit seiner eigenen DNS und verändert ihn innerhalb nur weniger Minuten in seinen eigenen, ursprünglichen Körper. Das ist einfach phantastisch. Wir konnten es zuerst selbst nicht glauben, aber die Resultate der Biogenetiker sind eindeutig. Die Ergebnisse stellen einen gewaltigen Fortschritt in der Biogenetik dar. Wir wissen jetzt um das Geheimnis der Metamorphose dieses Monsters. Stellen Sie sich einmal vor, welche ungeahnte Tragweite diese neu gewonnenen Erkenntnisse für die gesamte Menschheit haben werden. Nicht auszudenken! – Ach übrigens, dass Sie den Mut hatten, in die Höhle des Löwen zu spazieren, macht Sie für eine neuerliche Beförderung reif. Ich schlage daher vor, Sie beenden die geheime Mission und zünden den ferngesteuerten Sprengsatz, den Sie in Tarocks Haus heimlich reinschmuggeln konnten. Der Körper des Monsters wird durch die Hitze des Thermosprengsatzes bis zur Unkenntlichkeit verbrennen. Bestätigen Sie diesen Tötungsbefehl und senden Sie uns den Code X, wenn Sie ihn ausgeführt haben. Ende der Übermittlung. – Oberst Stanislav Poronovsky, Raumflottengeheimdienst.“


 

Nur wenige Augenblicke später jagte ich Tarocks Kuppelhaus aus einer Entfernung von mehr als acht Kilometer mit einem ferngezündeten Sprengsatz in die Luft. Es war eine fürchterliche Detonation, die man noch bis Telstar One hören konnte. Danach stieg eine gewaltige Stichflamme hinauf in den dunklen Nachthimmel von Lanthea. Eine Weile betrachtete ich versonnen den hell lodernden Lichtschein am fernen Horizont und sendete kurz darauf den Code X an die Zentrale des Raumflottengeheimdienstes, der ihn umgehend verschlüsselt bestätigte. Dann wurde die Verbindung endgültig gekappt.


 

Nachdem ich mich etwas frisch gemacht hatte, ging ich zum Videophon und orderte eine Einzelkabine für einen einfachen Langstreckenraumflug zurück zum Planeten Terra im Sonnensystem SOL.


 

Mein neuer Körper fühlte sich noch etwas sonderbar an, denn er war im Vergleich zum alten Body von Mr. Tarock relativ jung und angenehm unverbraucht. Auch der Name Mike Storm ging mir noch etwas schwer über die Lippen. Aber ich würde mich schon noch daran gewöhnen. Auf dem Flug zur Erde war ja Zeit genug dafür.


***


Unter den zahlreichen Passagieren eines gewaltigen interstellaren Raumschiffes befand sich auch ein großer hager aussehender Mann in einer schwarzen Raumfahreruniform. In seiner rechten Hand hielt er ein silbrig glänzendes Artefakt, das aussah wie ein Bumerang.


 

„Persönliches Eigentum“ stand als amtlicher Vermerk auf einem kleinen ovalen Zettel, den eine freundlich lächelnde Mitarbeiterin der intergalaktischen Fluggesellschaft auf den silberfarbenen Gegenstand aufgeklebt hatte.


 

Als der Mann in seiner Passagierkabine angekommen war, legte er die Rückenlehne seines Sitzplatzes zurück und verdunkelte den kleinen Raum, um sich vor fremden Blicken zu schützen.


 

Nach einer Weile war er eingeschlafen und manchmal war es so, als würde sich sein menschlicher Körper, wenngleich auch für wenige Sekundenbruchteile nur, in die hässliche Gestalt eines echsenartigen Monsters verwandeln.

 

ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

 

***

 

5. Der Kampf um die Hölle

 

Wenn Hölle und Gottferne dasselbe ist, dann ist dies bereits die Hölle. Wir müssen uns keine Sorgen machen, dass wir dahin gelangen könnten, wo wir schon sind.


 

***


 

Der grausame Krieg tobte nun schon seit mehreren Jahren.

Abermillionen Menschen überall auf der Welt waren ihm bereits zum Opfer gefallen. Die grässlich verstümmelten Leichen lagen überall auf den düster wirkenden Schlachtfeldern herum, wo sie im blutgetränkten Boden ihres Planeten stinkend verwesten. Die entsetzlichen Massaker schienen einfach kein Ende zu nehmen. Aber der Hass und die Feindschaft der untereinander kämpfenden Völker währten schon seit Anbeginn ihrer Existenz, und deshalb gab es aus dieser Hölle kein Entkommen, man tötete selbst oder man wurde getötet.

Angestachelt von ihren finsteren Religionen, die den Verlauf ihrer dunklen, mörderischen Geschichte diktierten, kannten die Völker dieser Welt nur einen Frieden, nämlich den, der zur Vorbereitung neuer Kriege diente…

***

Mehrere Geistliche in langen Gewändern und seltsam aussehenden Kopfbedeckungen mit religiösen Motiven segneten laut betend die tödlichen Waffen der frisch aufgestellten Kampftruppen, bevor sie an die Front geschickt wurden, die nur wenige Kilometer weit weg vor ihnen lag. Am fernen Horizont waren gewaltige Explosionsblitze zu sehen und es dauerte eine gewisse Zeit, bis das dumpfe Grollen der heftigen Detonationen bis zu den wartenden Soldaten durchgedrungen war.

Ihr nahendes Sterben schien ihnen nichts auszumachen

Für einen Moment lang roch General Abbas Czion den penetranten Gestank des Todes, der über der brennenden Stadt lag, die bis zum fernen Horizont im beißenden Qualm eingehüllt war. Überall lagen rauchende Trümmer herum und die einstmals von Menschen bewohnten Häuser waren dem Erdboden gleichgemacht worden.

Über Funk wurde der Armee der Angriffsbefehl erteilt. Die Truppen setzten sich mit ihren Fahrzeugen in Bewegung, gefolgt von der Infanterie.

Die Schlacht begann.

Von allen Seiten hörte General Czion das chaotische Brüllen der sich gegenseitig abschlachtenden Soldaten und bemerkte dabei gleichzeitig, wie sich plötzlich direkt vor ihm das uralte Sonnenzeichen im Stein einer mächtigen Gebetsmauer langsam kreiselnd veränderte und sich schließlich wie ein heftig pochendes Herz zu einem hellen mannshohen Durchgang ausweitete.

Der völlig überraschte General trat neugierig näher und wurde kurz darauf von einem unwiderstehlichen Drang erfüllt, das Tor des Lichts zu durchschreiten.

Wie von magischer Hand geführt machte er einen Schritt nach vorn und verschwand kurz danach in dem pulsierenden, hell erleuchteten Kreis. Kälte umgab ihn hinter der flimmernden Wand aus reiner Energie. Dann wurde Abbas Czion von grenzenloser Dunkelheit eingehüllt, die ihn, trotz seines eiskalten Verstandes, erschaudern ließ. Der General verlor sein Bewusstsein, noch während er fallend in eine seltsame Zeitlosigkeit versank…

Als Abbas Czion wieder erwachte, schienen sich Tausend eisige Tentakel ähnliche Hände in seine hilflose Seele zu bohren. Sie kamen aus dem unendlichen Nichts und das Flüstern der Verstorbenen aus dem Totenreich drang in sein Gehirn, das zu zerplatzen drohte.

Planeten, Sonnen, Sterne und Galaxien tauchten vor ihm auf und verschwanden wieder.

Dann materialisierte ein Gang. Seine grau beleuchteten Wände, welche General Abbas Czion an gewebsartige undeutliche Konturen eines Spinnennetzes erinnerten, schienen aus Rissen und Spalten Blut und Wasser zu schwitzen.

Wie in einem Alptraum trugen ihn seine wankenden Schritte weiter. Abbas Czion war ohne eigenen Willen. Der Korridor dehnte sich im diffusen Licht endlos aus. Kein Ende war zu sehen. Der General zwang sich dazu, seinen Kopf nach hinten zu wenden…

Hinter ihm löste sich der Gang ins Leere auf. Ein schwarzer Abgrund zur Unendlichkeit, aus deren Tiefe weit unten die Sterne des Universums leuchteten. Ein Schwindelgefühl kam in Abbas Czion hoch, der erst wieder nachließ, nachdem er seinen Kopf nach vorne drehte.

Plötzlich war da etwas.

Der Angriff kam lautlos.

Das Wesen fiel aus dem Dämmerlicht der Korridordecke, wo es offenbar mit seinen Saugfüßen auf den General gewartet hatte. Im letzten Augenblick sprang Abbas Czion zur Seite und konnte gerade noch dem mörderischen Sprung ausweichen. Etwas, das sich wie geleeartiges Fleisch anfühlte, streifte seine Haut, die an der nackten Stelle jetzt wie Feuer brannte.

Eine stinkende, faulige Brühe verspritzend, zog sich das seltsame Wesen etwas zurück, wobei sich die elastische Form durch den Fall andauernd veränderte. Dann richtete es sich plötzlich auf und nahm die Gestalt eines Menschen an. Stumpfe Arme und ebenso stumpfe Beine endeten in einen wabernden erdbraunen, saugnapfbesetzten Körper, die sich wie übergroße Maden aus seinem schleimigen Unterleib bewegten und abwechselnd darin wieder verschwanden. Auf den mit ekelerregenden Warzen übersäten Schultern stieß der hals- und fleischlose Schädel wie der einer Kobra hervor. Die tiefliegenden, geschlitzten Augen glühten feuerrot und feindliche Intelligenz stach aus ihnen hervor wie zwei flammende Schwerter.

Die satanische Gestalt bewegte sich langsam auf General Abbas Czion zu. Er suchte auf dem glitschigen Gestein unter Wihm nach einem sicheren Halt. Im nächsten Moment schoss plötzlich der plumpe Körper des Wesens vor. Mit aller Macht wehrte der General das stinkende Fleisch der widerlichen Kreatur ab, wurde aber durch den heftigen Aufprall zu Boden geschleudert und riss das hässliche Ungeheuer dabei ungewollt mit. Es fiel auf ihn drauf und noch im Sturz bohrten sich die Hände von Abbas Czion wie zwei eiserne Speere durch die Haut hinein bis zu den Eingeweiden dieser abscheulichen Kreatur.

Bei dem Versuch, sich zu befreien, wühlte sich der General nur noch tiefer in den fauligen Leib, aus dem jetzt eine fürchterlich stinkende, Gülle ähnliche Flüssigkeit spritzte, die ihm, ohne es auch nur annähernd verhindern zu können, über das ganze Gesicht lief, sodass er dabei fast erstickte.

Das riesige, gezähnte Maul des Monsters suchte nach seiner Kehle, der kobraartige Kopf stieß herab und kam unaufhaltsam näher…

Abbas Czions Hände glitten aus dem Körper des schrecklichen Wesens, das ihn sofort mit seinen stumpfen Armen festhielt und seine haifischartigen Zähne in die Brust des Generals rammen wollte. Einen Augenblick quoll das Zahnfleisch rot hervor, als es zubiss.

Abbas Czion schrie vor Schmerzen auf.

Tausend scharfe Rasierklingen stießen in sein muskulöses Fleisch. Vor Zorn brüllend stemmte sich General Czion mit seiner ganzen Kraft dagegen. Es versetzte ihn trotz aller Pein in großes Erstaunen, als er bemerkte, wie er plötzlich stärker und stärker wurde, bis er es endlich geschafft hatte, das saugende und beißende Maul von seiner Brust zu reißen.

Dann sprang er hoch und stieß den taumelnden Satan von sich weg, dessen blutiges, weit aufgerissenes Maul einen spitzen Schrei von sich gab. Wie von Sinnen sprang der General die dämonische Kreatur an, welche offenbar in ihrem fauligen Nest von so vielen seiner Opfer dick aufgeschwemmt war.

Mit seinen kräftigen Händen griff der General schnell nach beiden Seiten des teuflischen Schlundes und zerrte ihn weit auseinander, bis dann mit einem Schlag das stinkende Lippenfleisch auseinander fetzte und den zertrümmerten Kiefer darunter frei legte. Schwarzes Blut stürzte wie ein Wasserfall aus einer geplatzten Aorta und bedeckte sowohl seine Arme, als auch seinen Oberkörper. Der schreckliche Dämon starb gurgelnd vor seinen Füßen, dessen massiger Leib noch im Todeskampf wild und unkontrolliert zuckend um sich schlug.

General Abbas Czion hatte den Kampf gewonnen. Doch im gleichen Moment des Sieges veränderte sich sein menschlicher Körper in die Gestalt jener hässlichen Kreatur, die er gerade getötet hatte. Eine flüsternde Stimme drang in sein pochendes Gehirn und rühmte ihn bald darauf laut rufend als neuen Herrscher der Hölle.

General Abbas Czion, oder was davon übrig geblieben war, watete in einem stinkenden Ozean aus Fäulnis und Blut. Er stieß jetzt ebenfalls einen gellend brüllenden Schrei des Sieges aus. Sein wahnsinniges Gelächter hallte wie ein sich vielfach vermehrendes Dauerecho durch die unendlichen Weiten eines Sternen übersäten Universums.

Dann setzte er seine modernde Körpermasse langsam in Bewegung, an der noch einige Fetzen seiner alten Generalsuniform baumelnd herunter hingen und ritt mit weit aufgerissenem Maul auf einem schwarzen Kometen durchs All…, auf der Suche nach der Erde, wo er sich ein neues Nest bauen wollte.

Denn dort, das wusste er, lag seine Heimat – die Hölle.

 

ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

 

***


 


 

6. Ralph Ascot zwischen Traum und Wirklichkeit


 

Ralph Ascot war ein kleiner Mann, fast ein Zwerg – ungefähr ein Meter sechsundfünfzig groß, sechzig Kilo schwer und sein Gesicht wurde von zwei wachen Knopfaugen und einer unförmigen Kartoffelnase beherrscht. Außerdem trank er gerne und war deshalb oft stockbesoffen. Vielleicht lag es genau daran, dass er keine allzu großen Chancen bei den Frauen hatte. Trotzdem träumte er davon, die Frau seines Lebens irgendwann einmal kennen zu lernen. Aber es blieb eben alles doch nur ein Traum. Nun ja, vielleicht.

 

Ralph Ascot schloss die Augen und schlief ein. Er konnte nichts dagegen tun, denn der Alkohol hatte ihn müde und schläfrig gemacht. Sein Kopf zuckte nervös hin und her. Im Nu hüllte ihn ein unbestimmbarer grauer Nebel ein, der ihn mit wachsender Stärke wie ein tosender Wirbelwind in sich hineinzog und ins Leere riss.

 

***

 

Als er seine Augen wieder öffnete, war er immer noch von einem wogenden Nebel umgeben. Tastend und unsicher auf den Beinen wanderte er vorsichtig durch die geheimnisvollen Schwaden.

 

Plötzlich drangen seltsame Schreie durch die geisterhaften Dämpfe. Von allen Seiten hörte er raue, kehlige Rufe, die nach kurzen Unterbrechungen weiter plärrten. Der kleine Mann blieb horchend stehend. Ein sich ständig wiederholendes Gewisper aus dem Nebel drang zu ihm durch, welches von einem unablässigen Murmel untermalt wurde. Er vernahm Worte, die mal hinterhältig, mal einschmeichelnd und häufig unanständig waren. Dann wiederum hallte aus den hin und her wogenden grauen Schwaden das Geheul wilder Tiere, gefolgt von dem grässlichen Geräusch, als würden sie an den Knochen eines Kadavers herum nagen.

 

Ralph Ascot ging trotzdem langsam weiter. Er fröstelte im aufwirbelnden Nebel und versuchte mühsam, sich in dieser Waschküche, so gut es ihm irgendwie möglich war, zu orientieren.

 

Mit einem Schlag teilte sich der Nebel und von einer Sekunde auf die andere stand er am Rande eines großen dampfenden Loches, das mit einer schwarzen, schleimig schäumenden Masse angefüllt war. Er erstarrte zu einer Säule, voller Angst, auch nur einen Schritt weiter zu tun. Die ekelhaft brodelnde Flüssigkeit schien sich in einem Gärungsprozess zu befinden. An manchen Stellen wallten groteske Formen Körper ähnlich aussehender Extremitäten an die Oberfläche, verweilten dort einen Augenblick und verschwanden wieder, während neue Formen an anderer Stelle auftauchten. Es roch nach Fäulnis.

 

Eine schwarze Hand formte sich direkt vor ihm aus der pechschwarzen Masse und versuchte ihn zu greifen. Die faule Mischung schien ihn verschlingen zu wollen. Ralph Ascot trat hastig einen Schritt zurück. Die Hand verschwand wieder.

 

Stinkender Dampf sprudelte dafür jetzt an der gleichen Stelle an die Oberfläche. Riesige Blasen stiegen hoch, auf dessen Oberfläche Bilder zorniger Gesichter glitzerten, die ihn mit böse aussehenden Blicken, aus denen der pure Hass funkelte, finster anblickten. Sie versuchten ihn zu beeinflussen und drängten unablässig in sein Bewusstsein.

 

Über den zwergenhaften Mann ergoss sich ein Kaleidoskop von Szenen und Lauten, die sich zu den verschiedenartigsten Eindrücken verschmolzen und Bilder des Horrors waren.

 

Hier wurde einem alten, schreienden Mann ein Bein abgesägt, das danach körperlos unablässig auf ein blutiges Gesicht eintrat. Dort wurden einige Frauen von Soldaten brutal vergewaltigt. Granaten explodierten, Menschen schrien in Todesangst. In einer anderen Szene entriss ein Mann in einer zackig aussehenden Militäruniform einen Säugling aus den schützenden Händen seiner Mutter. Der Soldat schleuderte das schreiende Baby gegen eine verkohlte Mauer, bis es mit zerplatztem Schädel in den rauchenden Trümmern liegen blieb.

 

Eine Gruppe von Skeletten erhoben sich aus dem wabernden Schlamm und begannen einen Totentanz. Sie versanken wieder darin, als sich ein wütender Mann in ein wolfsähnliches Ungeheuer verwandelte und kleine Kinder verfolgte, die er mit seinen riesigen Pranken erschlug.

 

Dann tauchte urplötzlich ein abscheulich aussehender, blutverschmierter Altar wie aus dem Nichts in der Mitte der brodelnden Flüssigkeit auf. Eine junge hübsche Frau mit platinblonden Locken lag nackt und in gespreizter Stellung auf einer mit Blut verschmierten Steinplatte. Ein Priester mit rotem Gesicht und kleinen Hörnern auf der Stirn hob gerade einen Dolch, um es seinem gefesselten Opfer ins Herz zu stoßen.

 

Die nackte Frau wendete abrupt ihren Kopf. Ohne ihre Lippen richtig zu bewegen flehte sie Ralph Ascot an, sie zu retten. Er konnte ihre ängstliche Stimme klar und deutlich vernehmen.

 

„Hilf mir! Rette mich!

 

Die Stimme rief abermals nach ihm.

 

„Rette mich! Spring! Ich kann nicht mehr länger warten. Er wird mich töten. Wenn du mich rettest, gehöre ich dir für alle Zeit.“

 

Ralph Ascot schwankte am Rande des dampfenden Loches entlang. Die Stimme war betörend eindringlich. Er fühlte, wie sie ihn langsam zu sich in den brodelnden Abgrund zog. Er kämpfte gegen den unwiderstehlichen Drang an, in die dunkle Flüssigkeit zu springen.

 

Mit dem letzten Rest seiner Willenskraft taumelte er zurück vom Rand des Höllenschlundes, bis er endlich weit genug von der schwarzen Masse entfernt war. Die schrecklichen Bilder in seinem Kopf verblassten daraufhin immer mehr.

 

Schlagartig war er wieder von dem unheimlichen Nebel umgeben. Ein abgehacktes Gelächter erfüllte die Stille aus, das zu ohrenbetäubender Lautstärke anschwoll.

 

Jemand stieß Ralph Ascot von hinten an die Schulter. Der wogende Nebel teilte sich und eine fünfköpfige Schlange kroch auf ihn zu, deren Schädel mit weit aufgerissenen Mäulern gierig nach ihm schnappten. Er konnte die Fäulnis, das Gift und das Böse förmlich riechen.

 

Wieder tauchte dieses entsetzliche schwarze Loch auf, das ihn wie magisch anzog. Die fünf Köpfe der Schlange bewegten sich auf ihn zu und ihre glühenden Augen kamen näher und näher.

 

Der kleine Mann fühlte sich umzingelt. Aber er war trotz allem zum Kampf entschlossen.

 

Dann hörte er wieder die Stimme der schönen Frau auf dem Altar, die nach ihm mit flehender Stimme rief: „Hilf mir! Rette mich, Ascot!“

 

Wieder trieb ihn ein innerer Zwang dazu, sich dem schwarzen Loch zu nähern.

 

***

 

„Du musst einen schlimmen Traum gehabt haben, Ascot“, sagte eine sonore Stimme zu ihm, die dem Wirt William Whinfleier gehörte. „Du bist an der Theke eingeschlafen und hast gekeucht und geschnauft wie ein Mann, der von Dämonen verfolgt worden ist.“

 

„Stimmt, William. Ich habe tatsächlich Dämonen und schlimme Dinge gesehen, die mir eine höllische Angst eingejagt haben.“

 

Ralph Ascot trank einen Schluck Bier, bevor er weiter redete. Er schilderte dem Wirt seinen seltsamen Traum.

 

„Ich reiste durch einen geheimnisvollen Nebel und fiel beinahe in ein schwarzes Loch, in dem sich Dämonen, Körperteile, Schlangen und alle möglichen anderen bösen Dinge tummelten. Dann tauchte urplötzlich ein abscheulich aussehender Altar wie aus dem Nichts in der Mitte der brodelnden Flüssigkeit auf. Eine junge hübsche Frau lag nackt und in gespreizter Stellung auf einer blutverschmierten Steinplatte. Ein Priester mit rotem Gesicht und kleinen Hörnern auf der Stirn hob gerade einen Dolch, um es seinem gefesselten Opfer ins Herz zu stoßen. Die Frau flehte mich an, sie zu retten. Ob ich das tat, weiß ich nicht. Ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern.“

 

„Du verwirrst mich, Ralph“, antwortete der Wirt. „Das ist aber ein seltsamer Zufall. Denn jedes Mal bringst du offenbar etwas anderes aus deinen Träumen mit. Da sitzt eine junge Frau am letzten Tisch hinten in der Wirtsstube, die erst vor ungefähr fünf Minuten, als du noch schliefst, hier reinkam und nach dir gefragt hat. Als ich auf dich deutete, sagte sie mir, dass ich dich nicht wecken soll und sie lieber warten würde, bist du aufwachst. Dann ging sie rüber zum Tisch hinten in der Ecke und hat seit dem kein Wort mehr gesagt.“

 

Ralph Ascot drehte sich behäbig um und erblickte in der letzten Tischreihe, ganz hinten in der Ecke des Lokals eine junge hübsche Frau mit platinblonden Haaren und roten Lippen, die ihm plötzlich lächelnd zuwinkte. Schließlich erhob sie sich von ihrem Sitzplatz und schritt direkt auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, schaute sie Ascot tief in die Augen und sagte: „Hier bin ich Ralph. Du hast um mich gekämpft wie ein Löwe. Ich habe dir dafür etwas versprochen. Ich werde ab jetzt nur noch dir gehören, Liebster.“

 

Ralph Ascot schaute die junge Frau ungläubig an. Sie schien es tatsächlich Ernst zu meinen. War sie die Frau gewesen, die er im Traum gesehen hat und die ihn so flehentlich um Hilfe bat, um sie zu befreien?“

 

Als wenn die schöne Frau seine Gedanken lesen konnte, flüsterte sie ihm plötzlich ins Ohr: „Es ist alles so gewesen, wie du es geträumt hast, Ralph. Ich bin es, die auf der blutverschmierten Steinplatte des Altars lag. Zuerst dachte ich, du würdest dich aus Angst davon stehlen, aber am Ende hast du dich überwunden, bist zurückgekommen und großen Mut gezeigt, um mir zu helfen. – Du warst so tapfer. Ich war beeindruckt davon, wie du um mich gekämpft hast. Schließlich hast du den rotgesichtigen Priester mit den kleinen Hörnern besiegt, der mich töten wollte. Jetzt gehöre ich nur noch dir. Ich hab’s versprochen. Ich halte immer mein Wort.“

 

Die Schönheit, deren Namen Ralph Ascot noch nicht einmal kannte, schmiegte sich jetzt wortlos wie eine Schlange eng an seinen Körper. Er ließ sie willig gewähren und genoss dabei ihre prickelnde Erotik.

 

Während sie ihren blonden Lockenkopf auf seine Brust legte, sah er zufällig über ihre Schulter. Für einen kurzen Moment dachte er, ein rotes, hämisch grinsendes Gesicht mit kleinen Hörnern auf der Stirn draußen am Fenster des Lokals gesehen zu haben. Auch der Himmel schien ihm viel dunkler geworden zu sein und wabernde Nebelschwaden zogen dort vorbei, wo er meinte, die unheimliche Gestalt gesehen zu haben.

 

Oder hatte er sich alles nur eingebildet?

 

 

ENDE

 

© Heinz-Walter Hoetter

 

 

***
 

7. Ungehörte Warnung

 

Ich konnte mich gerade noch aus der Kirche retten.

Als ich draußen mit keuchendem Atem vor dem großen, hölzernen Eingangsportal stand, kam mir eine alte Frau entgegen, die offenbar zum Beten gehen wollte.

Ich schrie ihr wie von Sinnen zu: "Passen Sie auf, die Kirche ist voller Gottesanbeterinnen. Gehen Sie da nicht rein!"

Im Vorbeigehen glotzte mich die Alte an und schüttelte nur verständnislos mit dem Kopf. Dann tippte sie sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und fragte mich: "Hast du Drogen genommen, mein Junge? Was redest du da für einen Blödsinn?"

Im nächsten Moment hatte sie auch schon den kleinen Nebeneingang erreicht, öffnete die fensterlose Tür und verschwand schließlich im dunklen Innern des Gotteshauses.

Dann, ein paar Sekunden später.

Ich hörte noch einen fürchterlich schrillen Schrei des Entsetzens, der echoartig nach draußen drang, aber sehr schnell wieder verstummte.

Kurz darauf konnte ich das genüsslich laute Schmatzen der Gottesanbeterinnen hören, die gerade dabei waren, die alte Frau bei lebendigem Leibe zu fressen.

Tja, ich konnte nichts mehr für sie tun. Meine Warnung an sie blieb eben ungehört.

Das hat sie nun davon.


 

ENDE



(c)Heinz-Walter Hoetter


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.10.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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