Heinz-Walter Hoetter

Fünf unterschiedliche Kurzgeschichten


1. Aarons kurze Geschichte

 

 

Der siebzehnjährige Aaron Schwarzfeld wusste nicht, was er an diesem Tag machen sollte. Er langweilte sich fast zu Tode. Außerdem hatten erst kürzlich die großen Schulferien begonnen, und die meisten seiner Schulfreunde, die mit ihm das Gymnasium besuchten, waren mit ihren Familien zusammen in den wohlverdienten Urlaub gegangen und irgendwo hin gereist, wo sie sich, völlig losgelöst von der Tretmühle des gewöhnlichen Alltags, endlich mal nach Lust und Laune so richtig entspannen und ihren persönlichen Vergnügungen nachgehen konnten. Aaron war wohl einer der wenigen Schüler, die ihre Ferien zuhause verbringen mussten, was natürlich, je nach Lage der Dinge, bei dem einen oder anderen so seine entsprechenden Gründe hatte, wie bei ihm auch.

 

Weil fast keiner seiner Bekannten mehr da war, gammelte Aaron jetzt nämlich die meiste Zeit in den Ferien einfach so herum, ging mal hier oder da hin und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein. Er fand das eigentlich ganz prima so. Große Alternativen gab es für ihn sowieso nicht.

 

Andererseits wusste der junge Mann nur zu gut, dass seine geschiedene Mutter, die jeden Tag von früh bis spät in einer kleinen Cafeteria arbeitete, nicht das nötige Geld für einen Urlaub aufbringen konnte, denn sie verdiente nicht viel. Ihr karger Lohn reichte gerade mal aus, um sie beide einigermaßen vernünftig über die Runden zu bringen. Seinen Vater hatte er schon lange nicht mehr gesehen, aber auch dafür gab es seine ganz bestimmten Gründe, die bei ihm, wenn er daran dachte, nur Bauchschmerzen verursachten.

 

Nachdem sich Aarons Eltern voneinander getrennt hatten, kam sein Daddy fast jeden Monat mindestens einmal zu ihm nach Hause, um ihn zu besuchen. Und weil Mutter mit ihren Finanzen streng haushalten musste, ließ sein Vater oft reichlich Taschengeld für ihn da, das der junge Mann allerdings eisern sparte und auf die hohe Kante legte. Er wollte nicht immer von seiner Mom abhängig sein, wenn er mal Geld brauchte.

 

Etwa zwei Jahre ging das so, bis eines Tages seine Mutter zu ihm sagte, dass sein Vater wegen schweren Betruges von einem Gericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei und Daddy ihn deswegen nicht mehr besuchen könne. Aaron war von dieser überaus schlechten Nachricht völlig überrascht worden und zutiefst schockiert. Das hätte er ausgerechnet von seinem Vater nicht erwartet, der für ihn in vieler Hinsicht immer ein großes Vorbild gewesen war. Nie hatte sich sein Daddy vorher derartiges zuschulden kommen lassen, jedenfalls nicht in der Zeit, als die Familie noch intakt gewesen war.

 

Aarons schulische Leistungen ließen daraufhin, aufgrund der vielen negativen Ereignisse, die über ihn hereinbrachen, schon bald merklich nach, doch er konnte sich, trotz aller schicksalhaften Widrigkeiten, im Laufe der Zeit glücklicherweise soweit fangen, dass seine Noten nach und nach langsam wieder besser wurden. Darüber freute sich besonders seine Mutter, die sich schon wegen seines allgemeinen Leistungsabfalls in der Schule große Sorgen gemacht hatte, und sie nahm an, dass er vielleicht aufgrund der vielen Probleme, denen er durch das schlechte Beispiel seiner Eltern ausgesetzt war, nun möglicherweise auf die schiefe Bahn geraten könnte. Sie machte sich deshalb große Vorwürfe und tat alles, was in ihren Kräften lag, ihrem einzigen Jungen ein liebevolles Zuhause zu geben, was ihr allerdings nicht immer im vollen Umfange gelang.

 

Aber Aaron war einer dieser unentwegten Kämpfer, die nicht so schnell aufgaben, und er wollte die ganze Sache eben nicht noch schlimmer machen, als sie insgesamt schon war. Trotz seiner erst siebzehn Jahre war er dennoch ein überaus vernünftiger junger Mann, der zuerst nachdachte, bevor er handelte. Es war gerade diese besondere Eigenschaft, die ihm in jeder Hinsicht zugute kam, so auch in der Schule.

 

***

 

Es war früher Vormittag. Draußen schien die Sonne von einem herrlich blauen Himmel herab.

 

Aaron stand einfach nur so da und schaute jetzt ein bisschen in der Gegend herum. Viel zu sehen gab es hier draußen am schwach besiedelten Stadtrand allerdings nicht, der schon nach ein paar hundert Metern nach und nach in eine schöne, bis zum Horizont reichende Wald- und Wiesenlandschaft überging.


Nach einer Weile der Unentschlossenheit entschied sich der junge Mann dazu, an diesem herrlichen Tag seine Mutter in der Cafeteria zu besuchen. Das schicke Lokal lag mitten in der Stadt an der stets belebten Hauptstraße. Das Geschäft lief eigentlich recht gut, wie er wusste. Besonders in der Mittagszeit war die Cafeteria immer voll besetzt, weil viele Angestellte aus den umliegenden Büros hierher zum Essen kamen.

 

Auch Aaron dachte in diesem Augenblick an eine kleine Mahlzeit, die er sich von seiner Mutter kostenlos geben lassen wollte. Das tat sie immer, wenn er bei ihr vorbeischaute. Vielleicht würde er sich diesmal einen heißen Kaffee und ein leckeres Stück Apfelkuchen von ihr geben lassen, denn gerade Apfelkuchen mochte er besonders gern. Der Gedanke daran gefiel ihm und deshalb marschierte Aaron auch gleich los, hinunter in die nah gelegene City, wo es unter anderem eine Reihe großer Kaufhäuser gab, die er sich heute vielleicht mal wieder von innen ansehen wollte. Besonders die Sportabteilungen der Kaufhäuser interessierten ihn ganz besonders, weil es dort immer wieder interessante Neuigkeiten für Skatboarder wie ihn gab.

 

***

 

Einige Zeit später. Es war bereits kurz nach Mittag.

 

Der junge Mann verabschiedete sich von seiner Mutter und verließ die kleine Cafeteria wieder. Er war gut gelaunt. In der rechten Hand hielt er noch einen halbvollen Becher dampfenden Kaffees, den er lieber draußen weiter trinken wollte.

 

An der mit vielen schönen Kuchen und Torten ausgestatteten Selbstbedienungstheke hatte er sich gleich zwei ziemlich große Stücke eines extra für die Gäste bereit gestellten Apfelkuchens ausgesucht und auf einen großen Pappteller legen lassen, aber am Ende nur ein Stück davon gegessen. Das andere Teil hatte seine Mutter für ihn eingepackt, denn sie sollte es nach Ende ihrer Arbeit später mit nach Hause nehmen. Bestimmt bekam er abends wieder Hunger.

 

Aaron dachte jetzt darüber nach, wo er den Rest seines Kaffees in aller Ruhe zu Ende trinken konnte, bevor er ins Kaufhaus gehen wollte, das sich nicht unweit der Cafeteria seiner Mutter nur ein paar Häuserblocks weiter unten auf der gleichen Straßenseite befand. Da es ganz in der Nähe einen schönen Stadtpark mit vielen schattigen Plätzen gab, trabte er los, um dorthin zu gehen.

 

Schon bald saß der junge Mann auf einer abgelegenen Parkbank der innerstädtischen Grünanlage und machte es sich dort bequem. Gleich neben der hölzernen Bank stand eine mit einer grünen Schicht Moos überwachsenen Großskulptur, die den römischen Gott Mars darstellte, der im antiken Rom ein Gott des zerstörerischen Krieges und der Schlachten gewesen war.

 

Während Aaron genussvoll den restlichen Kaffee trank, betrachtete er von der Seite her die in Marmor gehauene antike Gottheit, die auf ihn einen ziemlich lebensechten Eindruck machte, trotz des überall wuchernden Mooses, das sogar schon das Gesicht der Skulptur mit seiner dunkelgrünen Farbe überzogen hatte. Aaron bewunderte auf seine ganz persönliche Art und Weise die meisterliche Kunst des unbekannten Bildhauers, der diese faszinierende Bildsäule vor langer Zeit mal geschaffen hat. Sie erschien ihm einfach vollkommen. Darüber hinaus genoss der junge Mann die wohltuende Stille einer absolut ruhigen Umgebung und beinahe wäre ihm der Becher Kaffee aus der Hand gerutscht, weil ihn plötzlich die Müdigkeit zu übermannen drohte.

 

Ganz unerwartet wurde Aaron von einem lauten, aufdringlichen Geräusch gleich hinter dem wuchtigen Sockel der Statue aufgeschreckt. Es hörte sich fast so an wie der Klingelton eines Handys, nur dass dieser in einer ziemlich seltsam anmutenden Melodie erfolgte, die Aaron bis dahin noch nie gehört hatte. Es klang fast so, als würde jemand auf einer Holzflöte spielen.

 

Aarons Neugier war schlagartig geweckt worden. Er trank hastig den Becher Kaffee leer und warf ihn in den Abfallkorb gleich rechts neben der Parkbank, auf der er saß. Dann stand er mit einem Ruck auf und folgte der seltsamen Melodie. Unmittelbar hinter der wuchtigen Statue entdeckte er zu seiner großen Überraschung einen blinkenden Gegenstand, der aussah wie der schlanke Joystick eines Spiele-PC’s. Oben, auf der oval geformten, wuchtigen Oberfläche des handlich geformten, metallisch glänzenden Griffes, leuchtete allerdings ein kleines blaues Licht, das sich wie im Kreis um einen Mittelpunkt herum zu bewegen schien.

 

Verwundert und vorsichtig näherte sich Aaron dem silbrig farbigen Objekt und stieß es mit dem rechten Fuß etwas an. Der schlanke Griff rollte dabei nach hinten und legte die andere Seite frei, die vorher noch dem Boden zugewandt war. In der Mitte befand sich ein runder, erhabener Knopf mit geheimnisvoll aussehenden Zeichen darauf, die kunstvoll eingraviert worden waren. Die Symbole machten auf Aaron einen sehr abstrakten Eindruck, und sie sahen wirklich überaus geheimnisvoll aus. Der junge Mann hatte so etwas in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.

 

Vielleicht hatte irgend jemand das komische Ding hier ja nur verloren. Möglicherweise stammte es sogar aus dem Gerätekoffer irgendeines Messtrupps der Feuerwehr, der Gas- und Stadtwerke oder irgendeiner anderen staatlichen Einrichtung, die derart ungewöhnlich aussehende Apparate wohl besaßen, um Messungen irgendwelcher Art damit durchzuführen, dachte sich Aaron so, nahm den etwa zwanzig Zentimeter langen, stabförmigen Griff vorsichtig in die rechte Hand und trug ihn behutsam zur Parkbank zurück, wo er noch vor wenigen Minuten ganz entspannt gesessen und den heißen Kaffee seiner Mutter genussvoll getrunken hatte. Abermals nahm er Platz und betrachtete jetzt ausgiebig das leicht gekrümmte Objekt in aller Ruhe, das überraschender Weise total griffsicher, schon fast wie angepasst, in seiner Hand lag, als wäre es ausschließlich nur dafür gemacht worden, es so und nicht anders zu halten. Nur den auffälligen Knopf versuchte er nicht zu berühren. Er kannte ja seine Funktion nicht. Jedenfalls noch nicht.

 

Ein leichter Windstoß kam plötzlich auf und eine rücksichtslos weggeworfene Zeitung rutschte an Aarons Platz vorbei. Rein zufällig schaute der junge Mann der Zeitung hinterher und erblickte dabei gleichzeitig ein buntes Foto mit den ägyptischen Pyramiden von Gizeh auf einer der ihm zugewandten Seite.

 

Verursacht durch die ruckartig drehende Bewegung seines Körpers berührte Aaron ungewollt den erhabenen Knopf in der Mitte des geheimnisvollen Gegenstandes, wobei sich sogleich das Leuchten des blauen Lichts oben auf dem verdickten Griff intensivierte, das kurz darauf unaufhaltsam stärker und stärker wurde, bis es den jungen Mann schließlich von Kopf bis Fuß völlig erfasst hatte und ihn bald wie eine große Seifenblase komplett umhüllte.

 

Aaron konnte wegen der sich überstürzenden Ereignisse nicht sofort begreifen, was da mit ihm geschah. Schon im nächsten Augenblick gab es einen lauten Knall und der junge Mann war mit dem Ding zusammen verschwunden, als hätte er sich von einer Sekunde auf die andere einfach so in Luft aufgelöst. Sein Platz auf der Parkbank, gleich neben der römischen Gottheit, war leer und nichts deutete darauf hin, dass er hier noch vor wenigen Sekunden gesessen hatte. Nur die alte Zeitung, erneut erfasst von einer leichten Windbö, trieb auf dem geteerten Gehweg weiter und blieb bald im dichten Geäst eines Strauches hängen.

 

***

 

Für Aaron veränderte sich die Umgebung schlagartig. Plötzlich stand er mit dem Ding in der Hand vor den ägyptischen Pyramiden. Heißer Wüstensand rieselte in seine ausgetretenen Halbschuhe. Noch völlig benommen schaute er sich um. Er kannte diese gewaltigen, steinernen Monumente, die hier wie selbstverständlich in der Wüste standen und zu den sieben Weltwundern gehörten. Ein ägyptischer Pharao Namens Cheops ließ sie sich als ein Denkmal für die Ewigkeit bauen, eben diese unfassbaren Bauwerke, die Pyramiden von Gizeh in Ägypten, die zu den bekanntesten und ältesten erhaltenen Bauwerken der Menschheit gehörten.

 

Aaron bekam es mit der Angst zu tun, als er in der Ferne einen aufkommenden Sandsturm erblickte, der den Tag zur Nacht machte. Außerdem war die Luft unerträglich warm, und er fing am ganzen Körper heftig an zu schwitzen. Er war dieses trockenheiße Klima einfach nicht gewöhnt, obwohl er in einer ziemlich guten körperlichen Verfassung war. Dann bemerkte er eine Karawane, die direkt auf ihn zuhielt. Er konnte schon die aufgeregten Stimmen der Kamelreiter hören, die lauter und lauter wurden, je näher sie kamen. Sie klangen hektisch und aufgebracht. Hatte man ihn möglicherweise entdeckt? Aaron geriet in Panik. Fast instinktiv drückte er auf den halbrunden Druckknopf in der Mitte des schlanken Gegenstandes und noch im gleichen Augenblick umgab ihn wieder diese seltsam bläuliche Aura, die sich schnell zu einer mannshohen Blase ausformte. Es knallte abermals fürchterlich, dann verschwand er von der Bildfläche und tauchte nur Sekunden später wieder gleich neben der Parkbank auf, haargenau an dem Ort, wo er vor seinem Sprung nach Ägypten gestanden hatte.

 

Ein absurder Gedanke schoss ihm schlagartig durch den Kopf, der ihm sagte, dass dieser seltsame Teleporterstab auf gar keinen Fall menschlichen Ursprungs sein konnte, sondern höchstwahrscheinlich ein Artefakt irgendwelcher Alien sein musste, die sich damit offenbar auf die gleiche Art und Weise durch Raum und Zeit bewegten. Er selbst hatte das ja durch einen dummen Zufall heraus gefunden. Dem jungen Mann wurde schwindlig, denn alles kam ihm bei weiterem Nachdenken doch irgendwie ein bisschen unheimlich und seltsam vor. Er wusste außerdem nicht, was dieses Ding noch alles so konnte.

 

Trotzdem wollte er das außerirdische Ding behalten und mit nach Hause nehmen, denn Aaron begriff sofort, welche Möglichkeiten es ihm bot. Er konnte hinreisen, wohin er wollte, bis ans Ende der Welt, wenn ihm danach war. Er brauchte sich offenbar nur ein schönes Bild oder irgendein buntes Foto, aus welcher Ecke der Erde auch immer, mit dem Blick seiner Augen genauer ansehen und fixieren, dann den Knopf auf dem Stab drücken und schon war er im nächsten Augenblick ohne Zeitverlust am Ort seiner Wünsche.

 

***

 

Als Aaron zu Hause angekommen war, ging er sofort auf sein Zimmer und schloss es hinter sich ab. Manchmal kam nämlich seine Mutter etwas früher zurück von der Arbeit und er wollte nicht, dass sie etwas davon erfuhr, was er da mitgebracht hatte. Dann suchte er in den Schubladen seines Zimmerschrankes nach irgendwelchen bunten Illustrierten und Büchern mit farbigen Fotos aus aller Welt. Schon bald stapelten sich mehre Zeitschriften und Bücher auf seiner bequemen Sofa Couch.

 

Darunter war auch ein Buch mit zahlreichen Bildern der NASA von allen Planeten des Sonnensystems. Doch an einer Reise zum Mond und zum Mars oder zu einem anderen Ort im näheren und ferneren Universum..., nein, daran war er nun wirklich nicht interessiert. Da draußen waren die Lebensbedingungen für einen Menschen auf einem fremden Planeten mit Sicherheit sowieso tödlich. Ihnen daher einen Besuch abzustatten, und sei er noch so kurz, erschien ihm sinnlos und mithin undurchführbar.

 

Aaron entdeckte auf einmal ein farbiges Bild, das einen Ausschnitt der Rocky Mountains zeigte. Sofort konzentrierte er seinen Blick darauf, drückte ohne lange zu zögern den Knopf des Alien-Teleporterstabes und im nächsten Moment verschwand er im Nichts. Nach weniger als einer Minute war er allerdings schon wieder zurück und landete etwas unsanft auf seiner Sofa Couch. Aaron wiederholte den Vorgang mehrmals hintereinander, jedes Mal mit einem anderen Bild. Das Teleportieren klappte bald vorzüglich und verursachte auch keinerlei gesundheitliche Probleme. Mal war Aaron für wenige Minuten in Moskau, dann wieder in Paris, Berlin oder London. Aus Versehen geriet er sogar mal in die Antarktis und wäre beinahe mit einem Eisbären zusammengestoßen, der plötzlich vor ihm stand und wohl genauso erschrocken war wie er. Routiniert hatte Aaron aber sofort auf den Knopf des außerirdischen Wunderstabes gedrückt und erschien wenige Sekunden später wieder in seinem Zimmer, wenngleich auch von der arktischen Kälte leicht unterkühlt.

 

Für diesen Tag hatte Aaron jedenfalls genug vom Teleportieren und warf das geheimnisvolle Ding achtlos auf sein Sofa. Von dem vielen Hin- und Herspringen durch Raum und Zeit war er total müde geworden. Außerdem roch er nicht gut, weil er oft heiße Länder besucht hatte, die ihm das Schwitzwasser aus den Poren getrieben hatten. Deshalb wollte sich Aaron erst einmal ausgiebig duschen und ein wenig frisch machen. Also ging er rüber ins Badezimmer und machte sich schon mal für die kommende Nacht fertig. Er hörte noch, wie seine Mutter nach Hause kam und mit lauter Stimme seinen Namen rief, aber da stand er schon längst unter der Dusche, drehte an der Mischbatterie herum und ließ alsbald das Wasser laufen. Mutter würde es schon bemerken, dass er da war, dachte Aaron so für sich.

 

***

 

Als der junge Mann mit allem fertig war, ging er zurück auf sein Zimmer, zog sich den Schlafanzug an, griff noch beim Anziehen desselben nach der Fernsteuerung seines kleinen TV-Gerätes, schaltete es ein und zappte sich durch die verschiedenen Programme. Dann erschien plötzlich eine BBC-Sendung, die sich mit den gewaltigen Sonneneruptionen beschäftigte, die von dem Hubble-Weltraumteleskop gemacht worden waren. Der riesige Glutball erfüllte den ganzen Bildschirm, und Aaron setzte sich interessiert auf seine Sofa Couch.

 

Im gleichen Augenblick spürte er noch, dass er sich wohl genau mit seinem Hinterteil auf den metallenen Teleporterstab gesetzt und dabei ungewollt seine Aktivierung ausgelöst hatte. Siedend heiß erkannte Aaron sofort die gefährliche Situation. Er versuchte noch verzweifelt den Blick seiner Augen vom Bildschirm zu lösen, auf dem immer noch die Bilder der gewaltigen Sonneneruptionen gezeigt wurden. Dann erhob er sich wie von der Tarantel gestochen von der Stelle auf der er saß und fingerte nach dem geheimnisvollen Stab, der irgendwo zwischen den vielen Illustrierten lag. Er bekam ihn noch zu fassen, doch da war es bereits zu spät. Das blaue Licht kroch schon an ihm hoch, erzeugte in sekundenschnelle eine seinem Körper angepasste Energieblase und im gleichen Moment war Aaron verschwunden.

 

Seit der Zeit wurde der junge Mann vermisst und bald gab man die Suche nach Aaron auf.

 

Und oben, am schönen blauen Himmel, leuchtete am nächsten Tag wie immer eine helle, Leben spendende Sonne, als wäre nichts geschehen.

 


ENDE

 

(c)Heinz-Walter Hoetter


 


 


 

2. Am See
mit

der „Gumpe und den Weidenbäumen“


 

"Umweltschutz" bedeutet vor allen Dingen zuerst Schutz der Umwelt vor dem Menschen.

***

Dieser Tag war ein guter Tag zum Fische fangen. Die rote Morgensonne lugte gerade am fernen Horizont hervor und der blaue Himmel war hell und klar. So gut wie keine Wolke war zu sehen.

Ich stand auf, ging in die Küche und nahm mir aus dem Regal der Speisekammer ein Stück von dem rohen Fisch. Noch während ich ihn aß, holte ich mir meine Anglerausrüstung samt Stiefel und das zusammengerollte Netz aus dem gegenüber liegenden Abstellraum. Dann zog ich mich an, öffnete leise die Haustür und ging zum See hinunter, von dem man sagte, er sei gefährlich.

„Wie kann ein See gefährlich sein?“ murmelte ich halblaut vor mich hin. „Wenn man umsichtig ist, die Sache gut im Griff hat und Bescheid weiß, was soll einem dann schon passieren können? Die meisten Fische gibt es sowieso in Ufernähe, da muss man nicht unbedingt ins tiefe Wasser. Aber selbst da würde ich mich gut zurecht finden“, sinnierte ich weiter.

Auf dem Weg zum See machte ich einen kleinen Umweg um das Haus der Flints, einem älteren Ehepaar, das erst vor ein paar Jahren dort eingezogen war. Man bekam sie nur selten zu Gesicht, gingen auch zu keiner Bürgerversammlung, hatten sogar Fenster und Türen verriegelt und ein böses Gerücht machte die Runde, dass die Flints irgendwie anders waren als wir. Sie gehörten eigentlich nicht zu uns.
Unterwegs suchte ich im weichen Ackerboden nach einigen Regenwürmern. Diesmal fand ich besonders dicke. „Ihr gebt bestimmt einen guten Köder ab“, sagte ich zufrieden zu ihnen, bevor sie in der durchsichtigen Plastiktüte landeten. Im Gras einer kleinen Waldwiese fing ich dann noch ein paar große Heuschrecken, die man nur fest ins Netz zu stecken brauchte. Wenn man es ins Wasser warf, stürzten sich die Fische sofort darauf, was einen guten Fang garantierte.

Andererseits sagten die Leute aus der Umgebung, dass man die Fische aus dem See nicht essen sollte, weil sie ungenießbar seien und krank machen würden. Aber was wissen die Leute schon vom Fischen? Nämlich nichts! Ich habe sie immer schon gegessen und werde das auch in Zukunft tun, ganz gleich, was die Leute so reden. Mir war das egal.

Am See angekommen ging ich direkt zu einer Stelle, wo ein mündender, breiter Bach im Laufe der Zeit eine tiefe Gumpe ausgespült hatte. Auch standen hier direkt am Ufer mehrere alte Weidenbäume, deren dicht verzweigtes Wurzelwerk wie unheimlich aussehende Saugarme eines Tintenfisches tief ins Wasser der Gumpe hinein reichten. Ich schätzte nicht nur die ruhige Lage dieses Ortes, sondern wusste auch genau, dass sich im Schutz der vielen Weidenwurzeln immer eine große Menge Fische versteckten.

Ich zog die Anglerstiefel an, die mir fast bis an den Bauch reichten und ging vorsichtig ins Wasser, um die Fische nicht zu erschrecken. Ich watete bis in die Mitte der Gumpe hinaus, wo ich im hohen Bogen das Netz ins Wasser warf.

Als ich so im ruhigen Seeufer stand, so still und leise wie ich nur konnte, hörte ich plötzlich ein mordsmäßiges Gepolter und eine Menge Geröll rollte die angrenzende steile Uferböschung herunter, gefolgt von einem dieser Stadtmenschen, die sich überall sinnlos in Gefahr brachten, nur weil sie außerhalb der vorgeschriebenen Wanderwege spazierten. Hilflos nach Büschen und Zweigen greifend rutsche er in die Tiefe, bis er an einem dünnen Bäumchen hängen blieb, das ihn aufhielt. Mit seinen mitgerissenen Steinen und Erdbrocken jedoch hatte er das Wasser mächtig aufgewühlt. Er stellte sich ziemlich ungeschickt an, fuchtelte mit den Armen herum, fand anfangs keinen richtigen Halt und wäre beinahe noch weiter abgerutscht, bis er sich schließlich an dem kleinen Bäumchen einigermaßen festhalten konnte. Es dauerte eine knappe Minute, dann versuchte er, die steile Böschung wieder raufzukrabbeln.

Ich war wütend, weil er die Fische verscheuchte, und so schrie ich zu ihm rüber: „He da, lassen Sie das! Sie verderben mir den Fang, Mister!“
Der Kerl rutsche wieder zurück, hing an dem Bäumchen und kriegte einen fürchterlichen Schreck. Man hätte meinen können, ich wäre ein Gespenst oder was. Seine Augen waren vor Angst weit geöffnet, sein ganzer Körper zitterte, sodass ich ihn schon wieder abrutschen und ins Wasser fallen sah. Damit es nicht soweit kam hielt ich meinen rechten Arm in die Höhe und rief: „Ich stehe hier unten im Wasser und möchte Fische fangen. Sie sollten lieber da runter kommen, bevor noch Schlimmeres passiert.“

Der Mann hielt sich jetzt mit beiden Händen an dem dünnen Bäumchen fest, das sich gefährlich wie ein Bogen krümmte. Aber es brach nicht ab. Dann drehte er sein Gesicht zu mir rüber, und ich wartete einen Moment, bis er mich sehen konnte.

„Sie verscheuchen mir die Fische, Mister“, rief ich ihm noch einmal zu.

„Was, die Fische?“ schrie er zurück. Seine Stimme klang so, als ob Fische für ihn glitschige Ungeheuer wären.

„Ja…, Fische! Ich will welche fangen. Wenn Sie aber länger so ein Getöse machen, wird für mich nichts mehr daraus.“

Ich konnte sehen, wie er nachdachte. Schließlich zog er sich mit aller Kraft hoch, stemmte sich mit den Füßen gegen das Bäumchen und legte sich erschöpft der Länge nach rücklings auf die Böschung. Dann starrte er in den blauen Himmel und sagte: „Von mir aus. Warum nicht? Ich muss mich sowieso ein bisschen ausruhen.“

Ich fing insgesamt drei Fische mit dem Netz, die groß und fett waren. Ich stieß ihnen einen Stock durch die Kiemen und ließ sie in dem nahen Bach schlenkern, damit sie frisch blieben. Ich war gerade dabei, einen vierten Fisch zu fangen, als dieser Stadtmensch offenbar mit seiner Geduld am Ende war. Scheinbar wollte er nicht länger warten.

„Hör mal Junge“, rief er mir zu, „kannst du mir sagen, wo ich hier eigentlich genau bin?“

„Dieser Teil des Sees wird von den Einheimischen ‚Gumpe mit den Weidenbäumen’ genannt. Aber kommen Sie erst mal da runter! Ich kann nicht die ganze Zeit schreien. Reden macht weniger Lärm.“

Er hangelte sich bis zum nächsten Baum, der etwas größer war, ließ sich an den langen Ästen langsam herunter und erreichte nach einigem Hin und Her das sichere Ufer des Sees.

Ich verließ das Wasser und wartete im Uferbereich auf ihn.

„Hallo“, sagte er, als er bei mir war. „Mein Name ist Frank Hellester. – Und wer bis du? Ich darf doch du zu dir sagen – oder?“

Sein Gesicht war blass und seine Augen waren von dunklen Ringen umgeben. Er gab sich wirklich große Mühe, freundlich zu sein. Vor diesem Mann brauchte ich bestimmt keine Angst zu haben, denn von seiner schwächlichen Körperstatur her wäre ich mit ihm jederzeit leicht fertig geworden.

„Ist schon in Ordnung. Ich heiße Thomas Anderson“, sagte ich höflich. „Aber meine Freunde nennen mich nur Tommy.“

„Bist du gerne am See, Tommy?“ fragte er mich.

„Ja, ich bin sehr oft hier unten. Eigentlich die meiste Zeit.“

„Wohnst du hier in der Nähe?“

Mir fiel in diesem Augenblick ein, dass man niemals sagen sollte, wo man wohnt, für alle Fälle. Man konnte ja nie wissen, mit wem man es zu tun hatte.

„Ja. Ich wohne auf dem großen Flint-Anwesen“, log ich, wohlweislich der Tatsache, dass sich unser komfortabel eingerichtetes Ferienhäuschen noch ein ganzes Stück davon entfernt befand.

„Wo liegt das?“

Ich zeigte ihm die Richtung und erklärte ihm, dass es ungefähr einen Kilometer von unserem Standort entfernt liegt.

„Wohnen da viele Leute? Ich meine auf dem Flint-Anwesen?“

„Etwa sechs oder sieben Leute“, log ich abermals. „Wollen Sie da etwa einziehen?“

Der hagere Mann lachte darüber, wobei sein Lachen ehr wie ein Weinen klang.

„Was ist daran so komisch, Mister?“

Im gleichen Moment fiel mir das grüne Zeug an seinen durchnässten Schuhen auf.

„Sie sollten sich den Dreck lieber wegmachen. Der schwimmt hier überall im See herum. Auch die Ufer sind voll damit“, sagte ich mit lauter Stimme zu ihm, um sein weinerliches Lachen zu übertönen.

Der Mann namens Frank Hellester hörte plötzlich auf zu lachen.

„Was für’n Zeug soll ich mir wegmachen? – Warum?“

Er wurde sichtlich nervös.

„Na, das grüne Zeug da an ihren nassen Schuhen und an den Hosenbeinen. Ich selbst bin damit schon mal in Kontakt gekommen. Es brennt auf der Haut wie Feuer.“

Mr. Hellester sprang plötzlich wie von einer Tarantel gestochen von einem Bein auf das andere.

„Was ist das?“ fragte er mich ängstlich.

„Das kann ich Ihnen auch nicht genau sagen. Aber auf der anderen Seite des Sees gab es mal eine Pumpstation und ein ziemlich großes Abflussrohr, das im See endete. Vor einigen Jahren hat man die gesamte Anlage in die Luft gesprengt, die Trümmer weggeräumt und alles wieder renaturiert. Das Rohr wurde nur mit Geröll zugeschüttet. Eines Tage quoll aus der Böschung so eine seltsam aussehende, grüne Flüssigkeit, die sich wie ein Algenteppich auf dem See verbreitete. Aber dieses Zeug wird Ihnen nichts tun, solange Sie damit nicht direkt in Berührung kommen.“

Mr. Hellester machte ein Gesicht, als wollte er wieder lachen. Ich versuchte das zu verhindern, indem ich ihn schnell fragte: „Sie sind einer dieser Forscher aus der Stadt, die den See untersuchen. – oder?“

„Warum fragst du mich das?“

Ich sah ihm an, dass er sich über meine Frage ärgerte. Warum, das konnte ich mir im Augenblick auch nicht erklären.

„Ist schon gut“, sagte ich zu ihm und ging wieder zum See runter, um Fische zu fangen.

Frank Hellester blieb am Ufer stehen und sah zu, wie ich diesmal nach ihnen angelte.

Dann fragte er mich: „Bist du hier geboren worden, Tommy?“

„Nein, hier nicht. Auf der anderen Seite des Sees…, in Lake Mountain. Auf einer Versuchsfarm für neue Pflanzenzüchtungen.“

„Es muss eine großartige Sache sein, auf einer Farm geboren zu sein. Da lernt man selbst als junger Mann ein ganze Menge.“

„Na ja“, antwortete ich ihm, „die meiste Zeit habe ich von der Arbeit meines Vaters nichts mitbekommen. War alles in Sperrbezirke aufgeteilt und streng geheim. Auch für Familienmitglieder gab es keine Sondergenehmigungen, um da irgendwie reinzukommen.“

„Dein Vater war also Pflanzenbiologe?“

„Mein Vater arbeitete damals noch in dieser Versuchsanlage, wo man mit genmanipulierten Pflanzen arbeitete. Die Pumpstation gehörte auch dazu. Eines Tages wurde das Projekt eingestellt, weil es zu viele Proteste dagegen gab. Kurze Zeit später wurde alles dem Erdboden gleichgemacht und die Landschaft in den Urzustand zurückversetzt. Wir zogen weg nach Kalifornien und mein Vater kaufte sich vor ein paar Jahren ein kleines Wochenendhäuschen auf dieser Seite des Sees, weil ihm der so am Herzen liegt. Ich verbringe jedes Jahr zusammen mit meinen Eltern die Ferien hier, und wir sind erst vor drei Tagen angekommen. So schlimm, wie es dieses Jahr mit dem grünen Zeug ist, so schlimm war es allerdings noch nie. Im Prinzip stört mich das aber nicht.“

Mr. Hellester schaute aufmerksam in der Gegend herum. Nachdenklich sagte er: „Mir ist aufgefallen, dass sich die Bäume um den See herum verändert haben. Die Kiefern zum Beispiel haben eine rötliche Nadelfärbung bekommen. Habt ihr das auch schon bemerkt?“

Ich watete wieder aus dem tiefen Wasser, ging ans Ufer und legte die Angel ab.

Skeptisch blickte ich mein Gegenüber an und sagte: „Nicht nur die Bäume haben sich verändert, auch die andere Vegetation. Manche Blumen erscheinen mir größer geworden zu sein. Andere wiederum haben ihre Blätter verändert. Vielleicht werden manche von ihnen absterben, vielleicht aber auch nicht. Angeblich soll der Smog daran Schuld sein, der aus dem zugeschütteten Boden der ehemaligen Versuchsanlage kommt…, das sagen jedenfalls die Leute hier aus der Umgebung.“

Aus Mr. Hellesters Augen drang auf einmal so ein seltsam scharfer Glanz. Ich wusste in diesem Moment, dass ich zuviel gesagt hatte. Deshalb versuchte ich so gut wie möglich, die Sache zu verharmlosen und fuhr fort: „Hier reden sie alle ganz normal über die Probleme mit der Umwelt. Auch meine Eltern haben mir gesagt, wenn ich mal erwachsen geworden bin, müssen wir selbst einen Weg finden, mit den Schwierigkeiten einer veränderten Umwelt fertig zu werden.“

Der Mann nickte.

Wie sieht es nördlich von hier aus“, wollte Mr. Hellester wissen.

„Nicht so schlecht. Es gibt jetzt nur mehr Geburten in der Gegend dort als früher. Aber warum fragen Sie mich das alles?“

Mr. Hellester sah mich jetzt ganz fest an, so von Mann zu Mann.

„Tommy, glaubst du, du könntest mir sagen, wie ich dorthin komme?“

„Sie können die alte Straße nach Norden nehmen“, sagte ich hilfsbereit. „Aber auf dieser Straße werden Sie unterwegs mit Sicherheit auf Polizei und Militär stoßen. Der beste Weg ist der zur Küste und dann einfach nach Norden. Wie gesagt, immer an der Küste entlang.“
„Dachte ich mir, dass sie die Gegend abgeriegelt haben“, sagte er grübelnd und rieb sich mit der rechten Hand übers Kinn. Nach einer Weile des Nachdenkens stellte er mir eine Frage, die ich für ziemlich seltsam hielt.

„Weißt du eigentlich, wie eine Gesellschaft funktioniert, ich meine so eine menschliche Gesellschaft, wie sie in den Städten existiert“, fragte er mich.

„Natürlich weiß ich das“, antwortete ich ihm. „Sie stellen mir schon die ganze Zeit so komische Fragen. Was soll das eigentlich?“

Er machte jedoch in dieser Art weiter.

„Und du verbringst einen großen Teil deiner Freizeit hier am See und fängst Fische und isst sie roh?“

„Klar doch. Sie schmecken roh richtig gut. Wir sind eine Familie von Fischessern. Meine Mutter steckt sie sogar in den Teig und brät sie, was ich persönlich nicht so gut finde. Ihr zuliebe aber esse ich den Fischkuchen und tue so, als würde er mir schmecken.“

„Ihr esst also nur Fische und nichts anderes?“ fragte mich Mr. Hellester, dessen Gesicht einen ängstlichen Ausdruck bekam.

„Ja natürlich! Was glauben Sie denn? Wenn ich wollte, könnte ich auch ins Wasser springen und die Fische so jagen. Ich bevorzuge allerdings die klassische Art des Fischfangs – mit Angel oder Netz.“

„Aber wie kannst du sie in diesem Wasser fangen, das schon nach wenigen Zentimetern milchig trübe wird?“

„Wenn ich unter Wasser sehen will, dann schließe ich dabei nicht die Augen, wie ein normaler Mensch, sondern lasse über meine Augen Nickhäute gleiten. Ich zeige es Ihnen mal…,etwa so. Schauen Sie her!“

Hellester trat auf einmal einen Schritt zurück. „Nickhäute...? Was ist denn das? Du bist ein Mutant! Ihr seid alle Mutanten. Dein Vater, deine Mutter, die ganze Familie. Deshalb seid ihr ans Meer gezogen. Ich habe es geahnt! Ihr seid aus dem Sperrbezirk ausgebrochen und habt euch unter die normalen Menschen gemischt“, stammelte er voller Entsetzen und rannte von mir weg, als ob ich ein Werwolf oder ein Außerirdischer von einem fremden Planeten wäre.

Ich musste mit dem Kopf schütteln, als ich Mr. Hellester wie ein gehetztes Wild die steile Böschung raufkriechen sah. Der Mann spielte den vom Wahnsinn Verfolgten.

Dann zog ich meine Anglerstiefel aus, nahm den Stecken mit den Fischen und machte mich auf den Heimweg. Meine Eltern würden sicherlich wütend auf mich sein, dass ich schon so frühmorgens zum See runter gegangen bin und alleine Fische gefangen habe. Nun, ich konnte nur hoffen, dass ich sie mit dem üppigen Fang besänftigen konnte. Schlimmer war allerdings die Tatsache, dass ich ihnen von meiner Begegnung am See erzählen musste. Es würde sie bestimmt mächtig aufregen, dass ich Mr. Hellester, woher der auch immer gekommen sein mag, meine kleinen Augenhäute gezeigt habe, so wie damals dem alten Ehepaar Flint, die uns seitdem wie die Pest meiden.


 

Ende

(c)Heinz-Walter Hoetter


 


 


 


 


 


 

3. Albtraum eines Bomberpiloten

 

Die Bomben fallen vom Himmel wie Schnee. Es riecht nach Brandgeruch. Aus den zerplatzten Metallzylindern kriecht der Tod. Er rafft die Menschen dahin. Sie verbrennen! Seht doch, wie sie sterben! Sie schreien und wimmern vor Schmerzen. Man könnte glauben, die Welt liegt in den letzten Atemzügen.

***

Später, viel später...


Hey aufwachen, McCorney!“

Im Schlafzimmer war es dunkel. Die Stimme kam von irgendwo her.

Wer ist da? Wie spät ist es? Wo bin ich überhaupt?

 

McCorney versuchte verzweifelt herauszufinden, wo er sich eigentlich befand. Er war vom Schlaf verwirrt. Er wähnte sich immer noch in seinem Schlafzimmer.

 

Wer ruft da?“ fragte er schließlich.

Ich, McCorney! - Siehst du mich nicht? - Hier bin ich!“

McCorney saß jetzt in seinem Bett und starrte ängstlich in die Dunkelheit hinein. Seine Gedanken wirbelten im Kreis herum.

Wo?“

Plötzlich sah McCorney einen kleinen Lichtpunkt am anderen Ende des Zimmers. Er kam näher und näher. Dann wurden die Umrisse einer schattenhaften Gestalt sichtbar. Das Licht schwenkte rauf und runter, als würde jemand schnell auf ihn zu gehen.

McCorney?“

Ja, hier! Ich sitze in meinem Bett.“

Der helle Lichtkegel fingerte unruhig über den kalten Fußboden. Dann leuchtete McCorney jemand direkt in die Augen.

 

Ach hier steckst du!“

Ja! – Ich kann nichts sehen. Bitte halte deine Taschenlampe nicht in mein Gesicht! Mir tun die Augen weh.“

Oh, entschuldige McCorney! Ich wusste nicht, wie empfindlich du geworden bist. - Rücksichtslosigkeit liegt mir eigentlich nicht!“

McCorney konnte auf einmal die Gestalt deutlich ausmachen. Sie stand direkt vor ihm, eingehüllt in einen langen, wallenden Umhang. Sie war schlank, sehr groß und hatte ein seltsam weißes Gesicht.

McCorney bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte nach seiner Frau Mary rufen, aber seine Stimme versagte.

Dann krächzte er: „Wer bist du? Was willst du von mir?“


Ja, ja, der alte Haudegen McCorney. Früher warst du cooler. Dachte ich’s mir doch! – Liegt hier in seinem warmen Bett und schläft sich gemütlich ins Vergessen.“

Die Gestalt kam noch näher. Eiskalt war der Hauch ihres Atem.

Kannst du dich denn wirklich nicht mehr an mich erinnern? Ich war doch schon öfters bei dir.“

McCorney wollte aus seinem Bett springen und aus dem Zimmer rennen, doch seine Beine waren wie gelähmt.

Tu mir nichts, bitte!“ schienen seine weit aufgerissenen Augen zu schreien.

Dann packte ihn die Gestalt, griff mit ihren langen, knöchernen Fingern nach seinem Hals und wollte ihn brutal zu sich heranziehen.

Hilfe! So helft mir doch!“ schrie McCorney wie wahnsinnig.

Er schlug plötzlich wild um sich, traf mit seinen zusammengeballten Fäusten das fahlweiße Knochengesicht der modrig stinkenden Gestalt und trat es mit den blanken Füßen. Dann rammte er, ohne es überhaupt richtig zu bemerken, seinen rechten Ellbogen in den holen Magen des Unbekannten, umklammerte dabei instinktiv mit der linken Hand die hölzerne Bettkante und hielt sich mit aller Kraft daran fest.

Die Gestalt in dem langen Gewand zerrte weiter an ihm herum, aber McCorney ließ die Bettkante nicht mehr los.

Aah..., helft mir doch! Bitte...!“

Sieh mich an, McCorney! Ich bin’s doch nur, Gevatter TOD! Mich schicken deine Napalmopfer zu dir, die du mit deinen schrecklichen Brandbomben im Krieg so grausam verstümmelt hast. Sie lassen mir einfach keine Ruhe und drängeln mich unablässig dazu, dich zu holen.“

McCorney ließ sich nach hinten zurückfallen, griff plötzlich zum Kissen und presste es vor sein schweißnasses Gesicht. Tränen liefen über seine faltigen Wangen. Bald schüttelte er sich vor hilflosen Weinkrämpfen.

Wieder dieser schreckliche Albtraum, dachte er voller Entsetzen.

Dann ging auf einmal das Licht im Schlafzimmer an. Seine Frau Mary stand in der Tür. Ihr weites Nachthemd wehte wie eine weiße Fahne im Durchzug leicht hin und her.

Was ist denn mit dir los, Steve? Mein Gott, du bist ja kreidebleich im Gesicht. Hattest du wieder einen deiner schlimmen Albträume?“


McCorney hatte jetzt das Kopfkissen ganz fallen gelassen. Er blickte verstört zu seiner Frau rüber und nickte mit dem Kopf.

Mary, der Traum, ich hatte einen schrecklichen Traum..., einfach fürchterlich! ER war hier..., der TOD..., hier in meinem Schlafzimmer.“

Seine Frau Mary kam jetzt zu ihm herüber, setzte sich auf die harte Bettkante und streichelte ihren Mann über die nass geschwitzten Haare. Dann küsste sie ihn zärtlich auf die Stirn und umarmte ihn dabei.

Es tut mir leid Steve, aber es ist kein Traum...“ sagte sie auf einmal mit seltsam flüsternder Stimme, während sie sich langsam in die modrige Gestalt des kalt hauchenden Todes verwandelte.

Steve McCorney zuckte wie von einem Donnerschlag getroffen zusammen. Sein trockener Mund öffnete sich zu einem lautlosen, verzweifelten Schrei, dann sackte er wortlos in sich zusammen.


Sterbend röchelte McCorney nach Luft. Sein Körper verkrampfte sich wie zu einem zuckenden Fragezeichen. Noch einmal riss er die Augen weit auf, dann schloss er sie für immer.

 

Die vielen grässlich verbrannten Männer, Frauen und Kinder, die sich unterdessen an seinem Totenbett versammelt hatten und gierig nach seiner von Schuld beladenen Seele griffen, bemerkte er nicht mehr.

 

Ende


 

©Heinz-Walter Hoetter


 


 


 


 

4. Als sie sich wieder einmal trafen...


 


 

Eine lustige und etwas schlüpfrige Kurzgeschichte für Kenner und Nichtkenner

***

Jaaa, da schau her! Mein alter Penis! Schon lange nicht mehr gesehen. Wo warst du denn die ganze Zeit? Wie geht es dir so?“ sprach die Muschi und öffnete ein wenig ihre knallroten Schamlippen zu einem grinsenden, leicht lasziven Lächeln.

 

Mir geht es heute nicht so toll“, antwortete der schlaffe Penis. „Früher hatte ich viel mehr zu tun, als wir beide noch zusammen waren. Außerdem tat ich es immer gerne mit dir. Aber diese Zeiten sind ja schon lange vorbei und längst Geschichte. Ich liege jetzt meistens den ganzen Tag nur faul auf meinem Sack herum und langweile mich zu Tode. Nun ja, ab und zu sehe ich mal einen Baum und kann dann mal etwas frische Luft schnappen. Mein Nachbar, dieses blöde Arschloch, ärgert mich in letzter Zeit immer häufiger. Manchmal hat er einen fürchterlichen Dünnschiss, dann spritzt er mir absichtlich auf die Eichel, dieser Lump. Das macht er besonders gern, wenn ich in irgendwelchen dieser trüben Porzellanschüsseln herum hängen muss. Danach sehe ich aus, als hätte ich Sommersprossen auf dem Beutel. Ich könnte wirklich kotzen. Und stinken tut der! Mann oh Mann! Wie eine Leiche. Echt pervers, was ich alles aushalten muss“, antwortete der jetzt sichtlich erregte Penis, dem man aber in diesem Zustand sein Alter leider auch schon ansah. Wie ein schwach aufgeblasener Luftballon hing er da, genauso wie der faltige Sack, der nutzlos hin und her baumelte. Er war sporadisch durchsetzt mit grauen, stark gekräuselten Haaren. Tja, und die beiden Glocken, auch Eier genannt, hingen schon lange tiefer als das Seil.

 

Ehrlich gesagt, du tust mir richtig leid, wenn ich das ausgerechnet von dir hören muss. Du hast offensichtlich kein schönes Leben mehr. Wo du doch früher so ein strammer Max gewesen warst.“

 

Na ja. Was soll ich sagen? Ich werde eh selten gewaschen. Meine Vorhaut, sie nennt sich „Pelle“, beschwert sich immer häufiger bei mir, weil sie den Schmant auf ihrer Eichel nicht mehr aushalten kann. Echt ekelhaft, kann ich dir sagen. Manchmal ist die arme Eichel mit juckenden Pickeln übersät, die auch mich in den Wahnsinn treiben. Aber was soll ich machen? Ich leide ja ebenfalls darunter, wenn es den beiden schlecht geht. Meistens am Wochenende kommen auch noch die bösen Hände, die meine Vorhaut immer heftig bearbeiten. Dann rufen sie mit einem höhnischen Grinsen: 'Die Vorhaut ist die Haut, die immer vor und zurück haut!' Das alles ist ja noch zu ertragen, wenn es da nicht so manche Abende im Jahr gäbe, die zwar selten sind, aber es passiert eben doch noch hin und wieder. Da bekomme ich meistens einen Gummianzug übergezogen, in dem ich fast ersticke. In diesem Ding muss ich immer in ziemlich dunkle Kanäle abtauchen. Nur trübe erkenne ich, dass es offenbar Brüder von meinem Arschloch sind. Sie quälen mich echt brutal. Manche kneifen ihre Schließmuskel absichtlich ganz eng zusammen, sodass ich bisweilen schrecklich abknicke und dabei sogar schlimme Hämatome davon trage. Nach einer Weile muss ich mich meistens übergeben und bade für einige Zeit in meinem eigenen Erbrochenem. Es ist einfach zum Verzweifeln..., Muschi“, sagte der alte Schwanz betrübt und zuckte dabei ein wenig auf und ab, wobei ihm ein paar Tropfen Urin ungewollt wie Tränen aus dem Harnleiter schossen.

 

Du meine Güte! So schlimm ist deine Lage schon geworden? Was bist du bloß für eine arme Sau geworden!“ sprach Muschi sichtlich gerührt und befahl ihren beiden Schenkeln sich ganz weit zu spreizen. Das gefiel natürlich dem alten Penis nicht nur gut, sondern sehr gut.

 

Dann fuhr Muschi mit weit geöffneter Vagina fort: „So, mein alter Freund. Du kannst froh sein, dass wir uns getroffen haben. Komm her! Wir machen uns einfach ein paar schöne Stunden, so wie in früheren Zeiten. Du kannst mit mir machen, was immer du willst. Ich werde dich schon auf Trab bringen und dir zeigen, was noch in mir steckt, wenn du erst mal drinnen bist. Na, wie wär's? War ich früher nicht immer deine Stute? Mach' mir also den Hengst wie in alten Tagen! Auf geht’s! Lass' uns einen heißen Ritt hinlegen. Danach geht es dir bestimmt wieder besser. Denk' mal daran, was du damals immer zu mir gesagt hast. Na, fällt es dir wieder ein?“

 

Natürlich. Wie kann ich das vergessen“, sagte der alte Schwanz zu seiner Muschi und jodelte vor Lust: „Du bist noch immer die geilste Möse auf der Welt!“

 

ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter


 


 


 

5. Auf einmal macht alles Sinn


 


 

Das Problem des Leidens

 


 

Wie Leibniz lehrt, kann man ausgehend von drei Aussagen zeigen, dass jeweils nur zwei davon wahr sein können. Diese drei Aussagen lauten:

  • Gott/Allah ist allmächtig

  • Gott/Allah ist gut

  • Es existiert Böses auf dieser Welt

Alle drei Sätze sind Grundvoraussetzung der semitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam und werden durch die jeweiligen „Heiligen Bücher“ bestätigt (behaupten sie zumindest).

Gottes Allmacht wird z. B. im Christentum an verschiedenen Stellen betont, so zum Beispiel der Aussage:

Als nun Abraham neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der HERR und sprach zu ihm: "Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm."


Nachdem Gott selbst von sich mehrmals sagt, er sei allmächtig, gibt es für bibelgläubige Menschen keine Möglichkeit mehr, dies zu leugnen oder zu relativieren. Das üblicherweise vorgebrachte Argument, Gottes Allmacht sei eingeschränkt, zum Beispiel durch den freien Willen der Menschen, steht in diametralem Widerspruch zum Text der Bibel. Wenn Pfarrer Wilhelm Busch in einem Gleichnis andeutet, Gott könne nicht das in sich Widersprüchliche tun, als Arbeiter ihn fragten, ob denn Gott in seiner Allmacht einen Stein schaffen könne, der für ihn selbst zu schwer hochzuheben sei, verkennt er die Tatsache, dass ein allmächtiger Gott auch die volle Macht über die Gesetze der Physik hat und daher auch dieses Problem lösen könnte. Gottes Allmacht wird in der Bibel ausdrücklich betont und lässt sich nicht wegdiskutieren.


Die Güte und Liebe Gottes wird ebenfalls an etlichen Stellen beschworen, obschon sich diese Güte häufig dadurch einschränkt, dass sie ausschließlich dem jüdischen Volk zugute kommt und anderen Völkern versagt wird. Dennoch lassen sich in der Bibel Beispiele finden, die belegen, dass zumindest die Christen ihren Gott als gut und lieb betrachten, zum Beispiel

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

oder


HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen

(Psalmen 36.6)


Immer wieder taucht in der Bibel die Aufforderung auf, das Böse aus der Mitte zu entfernen. Viele Beispiele finden wir im Kapitel Deuteronomium, wie

[...]-, auf dass du das Böse aus deiner Mitte wegtust


Das Böse kann allerdings nur dort entfernt werden, wo es existiert. Die Bibel bejaht ganz klar Gottes Güte und Allmacht, sowie auch die Existenz von Bösem auf dieser Welt. Auch im Koran des Islam wird die Güte und Allmacht Allahs gepriesen und das Böse als ein Faktum in dieser Welt beschrieben.


Vorausgesetzt Gott/Allah existiert, führen obige Aussagen zu widersprüchlichen Folgerungen. Ist Gott allmächtig und gut, so lässt er Böses auf dieser Welt nicht zu, es dürfte nicht existieren. Ist Gott allmächtig und es existiert Böses auf dieser Welt, so ist er zwangsläufig nicht gut, denn er verwendet seine Allmacht nicht, um das Böse zu beseitigen. Ist Gott gut und es existiert Böses auf der Welt, so kann er nicht allmächtig sein, denn es fehlt ihm die Fähigkeit, das Böse zu beseitigen. Damit ist bewiesen, dass die Bibel/der Koran lügt.

Der Widerspruch zwischen Leid und Gottes Existenz taucht nicht nur im christlich-/ jüdischen Kontext auf.


Die Existenz von Bösem ist auch nicht notwendig, um die Kreaturen zu prüfen, denn ein allwissender Gott wüsste im Voraus, ob eine bestimmte Kreatur die Prüfung bestehen würde oder nicht. Dazu kommt noch, dass sich Allwissenheit mit freiem Willen schwer verträgt. Der Schluss liegt nahe, dass Gott, wenn es ihn gibt, nicht mächtig genug ist, das Böse zu entfernen, oder nicht gut genug, das zu wollen. In jedem Fall ist er entweder nicht allwissend oder wir Menschen haben keinen freien Willen. Es haben sich bereits Generationen von Theologen vergeblich bemüht dieses Problem zu lösen. Meist folgen als Antwort auf dieses simple, in drei Sätzen formulierbare Problem dicke Bücher mit den haarsträubendsten Verdrehungen. Am Ende überzeugen solche Bücher höchstens weil man ihnen nicht mehr folgen kann. Mit Argumentation hat das nichts mehr zu tun, sondern nur noch mit Rhetorik. Aber nur weil etwas schön gesagt wurde, ist es noch lange nicht wahr.


Das menschliche Böse

 

Als das menschliche Böse bezeichne ich alle Formen menschlicher Gewalt. Das menschliche Böse entspringt dem freien Willen. Ein Gott, der den Menschen freien Willen zugesteht, darf nicht in das Handeln der Menschen eingreifen. Daher könnte man das menschliche Böse erklären. Allerdings muss ich gegen diese Ansicht den Einwand anbringen, dass es nicht nötig gewesen wäre, dem Menschen den Wunsch einzupflanzen oder die Fähigkeit zu geben, Böses zu tun. Irgendwoher muss doch der menschliche Drang Böses zu tun herkommen, und woher sollte in einer erschaffenen Welt etwas kommen, wenn nicht von Gott dem Schöpfer, wenn es einen gibt? Warum hat der Mensch die Fähigkeit, Böses zu tun, nicht aber die Fähigkeit ohne Hilfsmittel zu fliegen? Wenn jemand den Menschen erschaffen hat, so hat dieser dem Menschen seine Fähigkeiten und Unfähigkeiten gegeben. Niemand kann etwas schaffen, ohne die volle Verantwortung dafür übernehmen zu müssen, auch nicht ein Gott.


Was wir als Böse bezeichnen, ist meist nichts anderes, als simple Existenzangst. Wenn wir das Prinzip vom Kampf ums Überleben betrachten, stellt sich plötzlich die Frage, ob es das Böse an sich überhaupt gibt. Ist es nicht vielmehr so, dass das, was wir als Böse bezeichnen, nichts anderes ist, als eine falsche Einschätzung im Kampf ums Überleben? Ein übersteigerter Egoismus oder Selbstschutz? Es ist nichts anderes, als ein Urinstinkt, der jedem Lebewesen zugrunde liegt. Von der Warte der Evolution her betrachtet gibt es Böses gar nicht. Es gibt nur Dummheit, übersteigerten Egoismus und falsche Situationsbeurteilungen, und das wäre vermeidbar.


Das natürliche Böse

 

Das natürliche Böse ist im Gegensatz zum menschlichen Bösen die Form von Leid, die den Menschen ungewollt trifft, also nicht Ausdruck des freien Willens ist. Dabei handelt es sich um wilde Tiere, reißende Ströme, zerstörende Unwetter, Vulkanausbrüche, Erdbeben, Autounfälle, Zahnausfall, Hirntumor, um ein paar wenige Beispiele zu nennen. Diese Form des Bösen hat nichts zu tun mit dem freien Willen der Menschen. In einer gottgeschaffenen Welt macht derartiges Leiden keinen Sinn und der Schöpfer muss sich die Frage gefallen lassen, warum er in seiner angeblichen Güte dies nicht verhindert hat. Ein mächtiger Gott, er braucht nicht einmal allmächtig zu sein, hätte eine bessere Welt erschaffen können, als die uns vorliegende. Das natürliche Leid lässt sich in einer gottgeschaffenen Welt nicht rechtfertigen.


Es sind Dinge wie Zahnausfall, Geistesschwäche, Vulkanausbrüche, Raubtiere, die in einer göttlichen Welt nichts verloren haben. Dies lässt mich die Existenz eines Gottes verneinen, egal aus welcher Religion er stammen mag. Eben diese Dinge sind aber plötzlich selbstverständlich, wenn man die Evolutionstheorie zugrunde legt.

Ja, so gesehen macht auf einmal alles Sinn.



(c)Heinz-Walter Hoetter


 


 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.10.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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