Gisela Welzenbach

Leben in den 60er Jahren

Es war einmal in den 60ern im Münchner Stadtviertel Lehel


Am 23. April 1957 erblickte ich als Münchner Kindl das Licht der Welt.

Es ist der Tag des Bieres, als ein paar Jahrhunderte vorher (anno 1516) das Herzogtum Bayern per Landesverordnung das Reinheitsgebot erlassen hat, also am „Tag des Bieres“. Passt doch für ein Münchner Kindl, gell?

Und es ist auch der Tag des Buches. Ein paar Jahrhunderte zuvor wurden nach einer katalanischen Tradition am Namenstag des Volksheiligen St.Georg Rosen und Bücher verschenkt. Die UNESCO hat nach dieser Tradition 1995 einen weltweit eingerichteten Aktionstag für das Lesen, die Bücher und auch für die Rechte ihrer Autoren eingerichtet. Hinein geboren wurde ich auch in eine Zeit des Wirtschaftswunders der noch jungen Bundesrepublik Deutschland und neun Jahre nach der Währungsreform 1948. Im Jahr 1957 wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bestehend aus den Ländern Deutschland, Frankreich, Italien und den Beneluxstaaten gegründet.

Das Wirtschaftswunder allerdings kam bei meinen Eltern erst mal nur sehr bedingt an. Meine Mutter war Straßenbahnschaffnerin und mein Vater bei der Bereitschaftspolizei. Um heiraten und einen auch nur einigermaßen bewohnbaren Hausstand schaffen zu können, musste er erst mal Schulden machen. Er bekam einen Kredit von 300,-- Mark. Mein Papa verdiente damals als junger Polizist sehr wenig. Er hat mir mal gesagt, dass es so um die 50,-- DM waren. Meine Mama verdiente als Schaffnerin etwas mehr. Aber beide waren gezwungen zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Zudem mussten sie auch Schicht arbeiten. Also hatten sie sehr unterschiedliche Arbeitszeiten.

Eine Wohnung konnten sie sich noch nicht leisten geschweige denn auch die dazugehörige Einrichtung. Sie wohnten daher in einer Villa in Milbertshofen in einem Zimmer zur Untermiete. Vorher wohnte meine Mutter noch bei ihrer ältesten verheirateten Schwester, der Tante Friedl. Sie schlief (meine Mutter) damals in der Wohnküche. Und ich kam dann auch noch so mehr oder weniger unverhofft dahergepurzelt bevor sie noch geheiratet haben. Wie es halt oft zu dieser Zeit der Fall war. Es blieb ihnen nun bei diesen Verhältnissen nichts anderes übrig als mich nach meiner Geburt erst mal in einer Münchner Kinderheim zu geben. Dieses Heim wurde von Ordensschwestern geführt und die Kleinen wurden wirklich rührend umsorgt.

Nach den Erzählungen gab es eine Ordensschwester – Schwester Alma - die sich meiner ganz besonders angenommen hat, weil sie mich so gerne mochte. Man hat mir erzählt, dass ich, als ich drei Wochen alt war, so krank war, dass man mich schon aufgegeben hat. Ich lag sogar schon im sogenannten „Totenkammerl“, also in einem separaten Raum. Natürlich wurde ich weiterhin versorgt. Meine Eltern wussten zwar, dass ich krank war. Aber man hat sie im Unklaren darüber gelassen, wie schlecht es tatsächlich um mich stand. Keiner wusste so genau, was mir denn eigentlich fehlte. Selbstverständlich hofften sie inständig, dass ich wieder gesund wurde.

Was man damals eben noch nicht wusste war, dass meine Eltern eine Blutunverträglichkeit hatten und dass dies für ein Kind lebensgefährliche Auswirkungen hat. Schwester Alma, welche sehr an mir hing, ist jeden Tag in die Kapelle gegangen und hat für mich zur Muttergottes gebetet, damit ich wieder gesund werde. Das hat offensichtlich geholfen, denn ich wurde wieder gesund. Eigentlich wie ein kleines Wunder.Da meine Mutter durch ihren Schichtdienst bei der Straßenbahn leider nur an wenigen Sonntagen im Jahr frei hatte, konnte sie mich nicht oft besuchen, ähnlich ging es auch meinen Vater durch seinen Beruf. Und die Besuchszeiten im Heim waren eben nur am Sonntag. So fuhr also die älteste Schwester meiner Mutter, die Tante Friedl – zusammen mit meinem Cousin Werner, der damals ja noch ein Schulbub war – des öfteren zu mir ins Heim zu Besuch. Darüber war Werner allerdings nicht so begeistert, weil sich meine Tante halt mehr um mich kümmerte bei diesen Besuchen als um ihn. Sie hat es mir mal erzählt und ich musste darüber lachen.
Mit neun Monaten kam ich dann zu meinen Großeltern mütterlicherseits in den Bayerischen Wald, worüber ich später noch erzählen werde. Im Jahr 1961, als ich knapp vier Jahre alt war, konnten meine Eltern eine 3-Zimmer- Wohnung in der Lerchenfeldstraße nahe am Englischen Garten im Lehel beziehen und mich endlich zu sich holen. Mein Opa war leider verstorben und da meine Oma so ganz allein gewesen wäre im Bayerischen Wald, zog sie zusammen mit mir nach München. Was gut war, da meine Eltern ja weiterhin arbeiten mussten und meine Oma auf mich aufpassen konnte. Im Laufe der Zeit wurde ich dann bei meinen Eltern und im Lehel heimisch und wuchs dort auf.
Meine Oma teilte mit mir das dritte Zimmer, wo sie sich mit ihren alten Schlafzimmermöbeln, die sie aus dem Bayerischen Wald mitgebracht hatte, einrichtete. Ich schlief mit ihr in dem alten Doppelbett.

Ich blieb kein Einzelkind. Als meine Schwester Sigrid im Dezember 1965 geboren wurde, sollte das dritte Zimmer zu einem Kinderzimmer umfunktioniert werden. Das Problem war allerdings, dass meine Oma nicht mehr die Jüngste und zwei Kinder, also ein Schulkind und ein kleines Baby ihr zum Beaufsichtigen einfach zu viel war. Und man hat auch festgestellt, dass der Platz ohnehin nicht ausreichte mit den Möbeln von der Oma. Sie zog in den Bereich eines großen Gärtnereigeländes in der Schleißheimer Straße, wo auch ihr Sohn, mein Onkel Walter, mit seiner Frau Anni wohnte, von denen ich später auch noch a bisserl was erzählen werde. Die Oma war froh, dass sie in deren Nähe sein konnte.

Leider war auch Sigrid so wie ich durch die Blutunverträglichkeit unserer Eltern schwer krank. Zum Glück war die Medizin dann soweit, dass sie das erkannte und meine Schwester bekam gleich nach ihrer Geburt einen Blutaustausch. Sigrid war sechs Wochen in der Klinik und erholte sich zum Glück.Da die Oma nicht mehr bei uns wohnte, ich zur Schule ging und meine Mutter, so gern sie daheim geblieben wäre, weiterhin ganztags im Schichtbetrieb wegen der sonst sehr knappen finanziellen Mittel als Schaffnerin arbeiten musste, kam auch meine Schwester zeitlich begrenzt in dasselbe Kinderheim wie ich. So bewohnte ich quasi das Kinderzimmer erst mal allein. Damals wie heute müssen viele zu zweit arbeiten, weil es sonst nicht zum Leben reicht.Kindergeld gab es zu der Zeit erst ab dem zweiten Kind in Höhe von damals 25,-- Mark. Ab dem Jahr 1975 gab es dann Kindergeld auch für das erste Kind. Da wurde ich aber bereits volljährig und arbeitete bei der Stadtverwaltung München. Mein Vater verdiente damals einfach zu wenig, um den Lebensunterhalt alleine stemmen zu können mit einer Familie mit zwei Kindern. Nach ca. einem Jahr in dem Heim erboten sich mein Onkel Walter (der Bruder von meiner Mama) und Tante Anni, die Sigrid während der Woche bei sich aufzunehmen.

Dies war möglich, weil Anni wegen ihres kleinen Sohnes Jürgen, der ein Jahr jünger als Sigrid ist, Heimarbeit machen konnte. Am Wochenende war meine Schwester regelmäßig daheim. Es war für etwa für eineinhalb Jahre. Da die Familie in der Gärtnerei wohnte, war das auch schön für die Kinder. Am Ende des Gärtnereigeländes war auch ein Zugang zum anschließenden Park. Unter der Woche hatte ich den Hausschlüssel um den Hals gehängt und ging nach der Schule nach Hause, wo ich meistens erst mal allein war. Man nannte dies ein „Schlüsselkind“. Ich machte meine Hausaufgaben und spielte danach entweder draußen mit meinen Freundinnen oder bei schlechtem Wetter daheim. Zwischenzeitlich war dann schon auch mal meine Mutter zu Hause wenn es der Dienst erlaubte. Als meine Schwester zweieinhalb Jahre alt war, war sie ganz zu Hause und kam in den Kindergarten.

Unsere Familie vergrößerte sich noch um meinen Bruder Andreas, der im Februar 1968 auf die Welt kam. Dieser war vollkommen gesund. Natürlich fiel mir die Aufgabe zu, auf meine viel jüngeren Geschwister aufpassen zu müssen. Das mochte ich nicht immer, da dadurch meine freie Zeit eingeschränkt war.Später kam einmal im Jahr für eine Weile immer meine Oma väterlicherseits aus Wunsiedel und kümmerte sich um uns Kinder. Das war dann für mich eine schöne freie Zeit, ohne Aufpassen auf meine Geschwister. Meine Mutter hörte nach der Geburt meines Bruders als Schaffnerin auf, um halbtags bei der Hauptpost zu arbeiten. Sie legte ihre Arbeitszeit auf den Nachmittag bis in den Abend hinein, damit sie zumindest bis über Mittag hinweg zuhause sein konnte bis ich von der Schule nach Hause kam. Zum Glück war dies dann möglich.

Meine Spielsachen in den 60erJahren.

Womit ich z.B. gerne spielte war meine Barbiepuppe. Ich bekam sie zu meinem neunten Geburtstag geschenkt. Zu der Zeit waren diese Puppen noch etwas neu auf dem Markt (schwappte von Amerika rüber). Ich hatte eine schöne Puppe mit kurzen dunkelblonden Haaren und sie sah aus, als käme sie aus einem Sonnenstudio. Im Laufe der Zeit kamen neue Kleider und Accessoires dazu. Meine beste Freundin Katrin durfte keine Barbiepuppe haben, weil ihre Mutter dagegen war. Sie hatte dafür eine etwas größere aber auch schöne Puppe mit langen roten Haaren. Und die Mutter Katrins nähte und strickte schöne Kleidung für sie. Ich spielte gerne mit dieser Puppe und Katrin mit der Barbie. Haben die Puppen also immer mal ausgetauscht und beschäftigten uns oft stundenlang damit. Ich hatte auch eine Puppenküche mit zwei Räumen gefüllt mit Möbeln, die nicht aus Plastik waren. Ich kann mich z.B. an den schönen Herd erinnern, der wie eine Verkleinerung eines echten Herdes aus früherer Zeit war. Auch das Inventar wie Kochtöpfe und sonstiges Geschirr war beinah echt nur eben in Miniatur.
Schön war es auch, wenn man von Freundinnen zum Kindergeburtstag eingeladen wurde. Das war immer aufregend. Man brachte ein kleines Geschenk mit und die Mütter der Freundinnen backten einen leckeren Kuchen, den man mit Wonne verzehrte. Es wurden Spiele gespielt wie z.B. „Topfschlagen“ und man freute sich über das, was unter dem Topf lag, in der Regel was zum Naschen. Dann ein Spiel mit
Schokolade. Wie das Spiel nun genau hieß, weiß ich beim besten Willen nicht mehr. Jedenfalls brauchte man dazu Mütze, Schal und Handschuhe, Messer und Gabel, einen Würfel und das Wichtigste: Eine Tafel Schokolade original verpackt, zusätzlich noch in einem Geschenkpapier und mit einem Band drumherum noch obendrein. Wer eine „Sechs“ gewürfelt hatte, der musste sich ganz schnell die genannten Dinge anziehen und versuchen, die Schokolade aus der Verpackung rauszuwurschteln. Wer inzwischen wieder eine „Sechs“ würfelte, musste alles schnell an den anderen ausgehändigt werden. Und das gab oft ein heilloses Durcheinander und die Mütze oder die Handschuhe flogen sonst wohin. Wer Glück hatte, bekam dann die ausgepackte Schokolade und schnitt sich solange ein Stück runter und verspachtelte es, bis das nächste Kind dran kam. Das war alles ungemein lustig.

Natürlich haben wir auch so miteinander gespielt, was uns die Fantasie so eingab.

Da es noch keine Computer, Playstation und sonstigen elektronischen Kram gab, zum Glück muss ich sagen, wurde auch viel und gern gelesen. Bei den meisten Kindern und Jugendlichen war es jedenfalls so. Am liebsten spielte ich zusammen mit meiner besten Freundin Katrin. Ich denke, dass es ihr genau so ging. Wir waren wirklich sehr oft zusammen und in unserer Teenagerzeit haben wir uns fast täglich getroffen. Bis heute sind wir beste Freundinnen.

Sie wohnte mit ihrer Familie in der Oettingenstraße in der Nähe des Tivoli zwischen Eisbach und dem Englischen Garten. Die Wohnung war im vierten Stock und sie hatte zweieinhalb Zimmer mit einem größeren Bad als unserem und eine kleine Küche. Im Gegensatz zu unserer – in diesem Fall etwas größeren Küche mit Essplatz - konnte man darin nur kochen. Es war also eigentlich keine große Wohnung für eine Familie mit zwei Kindern. Katrin hat einen zwei Jahre jüngeren Bruder und die beiden hatten trotz der eher beengten Wohnverhältnisse je ihr eigenes Zimmer. Auch wenn diese klein waren. Ich beneidete immer ein bisserl die Katrin um ihr eigenes kleines Zimmer. Ich musste ja zusammen mit meinen viel jüngeren Geschwistern einen Raum teilen. Die Eltern von Katrin schliefen im Wohnzimmer und es wurde darin auch gegessen. Den Wohnzimmertisch konnte man zu einem Esstisch hochkurbeln.

Die Wohnung hatte aber etwas, worum ich Katrin wiederum ein wenig beneidete, nämlich einen Balkon mit einem wunderbaren Blick auf den Englischen Garten. Der Eisbach fließt in unmittelbarer Nähe und man konnte auch auf den Tennisplatz schauen. Allerdings fuhr auch die Straßenbahn direkt an den Häusern vorbei, die manchmal in den Gleisen quietschte. Aber die Leute waren es gewöhnt und hörten dies oft schon gar nicht mehr. Und es war hell und freundlich im Wohnzimmer und Katrins Zimmer. Vor allem wenn die Sonne schien.

Wir hingegen hatten im Sommer und vor allem im Winter ein eher dunkles Wohnzimmer mit Blick auf den Hinterhof und Häuserreihen. Und der darüber liegende Balkon machte das Zimmer auch nicht heller. Der Vorteil allerdings war, dass es bei heißen Temperaturen angenehm kühl war, vor allem auch im Schlafzimmer auf derselben Seite. Und es war ruhig. Tja, so hat alles seine zwei Seiten.

Weil ich bereits in meiner Kinderzeit eine Leseratte war, war ich von Büchern umgeben. Märchenbücher wie z.B. von den Brüdern Grimm, Märchen aus 1001 Nacht und von Hans Christian Andersen habe ich förmlich verschlungen. Und ich hatte auch die typischen Mädchenbücher wie „Trotzkopf“, sämtliche „Pucki“-Bände (12 Stück) und auch die Internatsgeschichten von „Dolly“ und „Hanni und Nanni“. Sie alle führten mich in eine andere Welt und ich habe sie heute noch. Am liebsten las ich die Märchen, in denen Prinzessinnen vorkamen oder arme Mädchen Prinzessinnen wurden. Wie eben z.B. Aschenputtel. Oft träumte ich davon, selbst mal eine Prinzessin zu sein und von dem Prinzen, der mich auf sein Schloss führte. Meiner Fantasie waren da keine Grenzen gesetzt. Ich verkleidete mich gerne mit irgendwelchen Tüchern oder Decken, die ich mir umwickelte und klapperte mit den Stöckelschuhen meiner Mutter durch die Wohnung. Ich fand mich todschick!

Dann mein Fuhrpark. Ich kann mich noch gut an den schönen hellblauen Roller erinnern, den ich von meinem älteren Cousin Werner geerbt habe. Und an meine Rollschuhe, mit denen ich oft mit meinen Freundinnen unterwegs war. Diese Rollschuhe sind mit mir mitgewachsen, weil man sie entsprechend der Schuhgröße verstellen konnte. Soweit es halt möglich war.

Was ich als Kind noch gerne gehabt hätte, war ein Fahrrad. Aber leider bekam ich keines. Ich durfte mir aber von einer Schulkameradin – sie hieß Angela - deren Familie in der Nähe in einem Haus entlang des Eisbaches wohnte, ihr Fahrrad ausleihen. Das war wirklich sehr nett von ihr und ihrer Mutter, die damit einverstanden war. Und so habe ich immer das Fahrradfahren geübt bis ich es konnte. Und auch Katrin lieh mir immer mal ihr Fahrrad. Mit 13 Jahren habe ich mir von meinem zusammengesparten Taschen- und Geburtstagsgeld ein gebrauchtes Fahrrad gekauft und dann konnte ich mit meinen Freundinnen endlich kreuz und quer durch den Englischen Garten fahren. Mit Angela, deren Schwester und ihrer Mutter waren wir des öfteren auch beim Baden im Müller'schen Volksbad. Die beiden Mädels hatten Schwimmunterricht und ich ging halt einfach so mit. Und brachte mir auch selber das Schwimmen bei. Hab es solange probiert bis ich es konnte. Ich war stolz darauf, dass ich das Radlfahren und das Schwimmen eigenständig gelernt habe. Meine Eltern hatten ja keine Zeit dazu. Na ja, ab und zu beneidete ich schon meine MitschülerInnen, deren Mütter zuhause sein konnten. Aber es war eben nicht bei allen der Fall. Manche von den Kindern waren auch im Kinderheim. Da hatte ich es wieder viel besser.

Unsere Wohnung in den 60ern

Die Wohnungen in unserem Haus in der Lerchenfeldstraße wurden zur Zeit unseres Einzuges nur an Staatsbedienstete vermietet. Auch damals war es schon schwierig, in München (wann eigentlich nicht) eine günstige Wohnung zu bekommen und mein Vater, der ja im öffentlichen Dienst als Polizeibeamter tätig war, bemühte sich immer wieder darum.

Die Miete damals kostete beim Einzug 139,80 DM Kaltmiete. Die Verbrauchskosten kamen natürlich noch hinzu. Mein Vater verdiente als junger Polizist nur so ca. 50,-- DM (vielleicht ein bisserl mehr). Ohne den Verdienst meiner Mutter als Straßenbahnschaffnerin, die zu dem Zeitpunkt ein wenig besser verdiente, wären die Kosten für Miete, Lebensunterhalt usw. nicht zu tragen gewesen.

Meine Oma, die ja mit mir zusammen aus dem Bayerischen Wald mit in die Wohnung gezogen ist, hatte nur sehr wenig Rente. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob sie finanziell noch etwas beisteuern konnte. Ich glaub es aber nicht.

Die 3-Zimmer-Wohnung in unserer Straße war im Hochparterre, mit einer Wohnküche und einem Badezimmer, das den Namen eigentlich nicht verdient. Nicht wegen der sanitären Anlagen, (die sind drin, Gott sei Dank!) aber der Raum war grad mal so lang wie die eingebaute Badewanne, insgesamt winzig klein, man konnte sich kaum umdrehen. Dieses Bad konnte wirklich nur als eine Nasszelle bezeichnet werden. Trotzdem hat es uns nichts ausgemacht, weil wir es halt so gewohnt waren. Aber immer noch besser ein Bad als kein Bad.

Bis zu meiner Hochzeit 1977 und auch noch einige Zeit danach, wurde das Bad mit einem Holzkohleofen beheizt. Man musste Kohlen und Holz aus dem Keller herauf holen. Ich kann mich erinnern, dass es in der Emil-Riedel-Straße noch eine Holz- und Kohlehandlung gab. Damit sich das Einheizen auch rentierte, war immer samstags Badetag für die ganze Familie. Ich weiß wirklich nicht mehr, wie das alles geklappt hat aber es war so. Man passte sich halt an die Gegebenheiten an, weil wir es auch nicht anders kannten. Einmal hat meine Mutter aus Versehen einen Geldschein im Ofen mit verheizt. Das war ein echt teures Bad. Wie der Geldschein da mit rein geraten war, kann ich leider heute nicht mehr sagen. Erst Ende der 70iger Jahre kauften meine Eltern einen großen Warmwasserboiler für das Bad. Somit fielen dann Holz und Kohle weg.

Unsere Wohnküche war ein länglicher etwas schmaler Raum und am Ende des Raumes führte noch eine Tür zu einer kleinen Speisekammer. Also das war schon wirklich sehr praktisch. Man hatte in der Küche auch Platz für eine Essecke, wo ich mich viel aufhielt. Die Küche war mit einem Gasherd ausgestattet und wir hatten so einen typischen 50iger Jahre Küchenschrank. Die Schrankschiebetüren waren in hellgelb und hellblau gehalten. Die Küchenspüle war aus Emaille und darüber war ein langhalsiger Wasserhahn. Dieser Wasserhahn wurde auch die „Langkrogede“ (langer Kragen) genannt. Wenn wir Durst hatten, dann hingen wir mit unserer Gosch'n (Mund) an dem Hahn und tranken das Wasser. Weil es bei uns auch oft hieß: „Wenn's ihr Durscht habt's, do is de Langkrogede.“ Aber schließlich hat München ja ein sehr gutes Wasser zum Glück. Kästen mit Getränken jeglicher Art waren nicht vorhanden. Das Bier für unseren Papa holten wir gegenüber in der Wirtschaft (solange diese noch existierte). In der Regel waren das immer zwei Flaschen Bier. Das ganze Jahr über stand auch immer eine Kanne mit Tee (frisch gekocht natürlich, wenn die Kanne leer war) am Küchenbuffet bereit (für uns Kinder). Aus dem Schnabel dieser Kanne tranken wir auch immer den Tee. Uns hat das alles nicht gestört, dass wir Kinder aus demselben Schnabel tranken. Man hat somit viel Geld für Getränke gespart.
Leider hatten wir auch noch kein Warmwasser und auch keinen Boiler. Den gab es in der Küche nie. Das Wasser wurde halt mit einem Wasserkessel auf dem Gasherd zum Abspülen oder sonstiges heiß gemacht.

In unserer 75-qm-Wohnung war es für fünf Personen schon a bisserl eng. Außerdem gibt es keinen Balkon. Wir verstehen bis heute nicht, warum in allen anderen Stockwerken Balkone angebracht wurden, nur nicht im Hochparterre. Aber meine Eltern waren heilfroh, sie zu bekommen. Aber auch nur deshalb, weil diese für andere nicht so attraktiv war. Hochparterre und kein Balkon waren für so manche Leute nicht der Hit. Die Wohnung wurde daher von vielen abgelehnt, obwohl es damals ein Neubau war.

Heute ginge diese Wohnung vermutlich weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Die Lage direkt am Englischen Garten und die damals schon gute Verbindung in die Innenstadt mit der Straßenbahn war/ist natürlich genial! Nun, nachdem meine Eltern nicht mehr leben, wurde unsere Wohnung, in der wir aufgewachsen sind und die für mehr als 50 Jahre immer so was wie ein Heimathafen war, renoviert und es war dann in der Tat so mit den „warmen Semmeln“. Es tat schon weh, in dieser leeren Wohnung zu stehen, nachdem alles abgewickelt war.

Meine Eltern jedenfalls waren damals glücklich, endlich eine Wohnung mieten zu können. Wichtig war ihnen auch, dass sie nun in der Lage waren, mich zu sich zu holen. Die Wohnung einzurichten ging erstmal ganz langsam voran. Meine Eltern wollten natürlich ihr Wohnzimmer gerne gemütlich einrichten aber das Geld war nun mal knapp. Da man bei dem wenigen Geld nicht auch noch was zurücklegen konnte, mussten meine Eltern mit Schulden anfangen. Und so bestand die erste Sitzgelegenheit aus Obstkisten, über die meine Mama Tischdecken darüber legte, um sie zu verhüllen. Sie haben dann wieder Geld aufnehmen müssen, um so nach und nach die Wohnung mit den wichtigsten Möbeln auszustatten. Aller Anfang kann schwer sein.

Ein eigenes Zimmer für mich, die älteste Schwester altersmäßig mit großem Abstand zu meinen Geschwistern, war der Traum meiner schlaflosen Nächte. Wir teilten uns zu dritt das Kinderzimmer. Meine Geschwister schliefen in einem Stockbett. Ich hatte immerhin mein Eck mit der damals typischen Bettcouch für Jugendliche und hatte ringsum meine Wand mit Starbildern aus der „Bravo“-Zeitschrift beklebt. Da hingen auch die „T.Rex“ in Großbild, die ja meine Lieblingsgruppe war.

Die Mutti hat meine „Tapezierarbeiten“ akzeptiert auch wenn sie gar nicht begeistert davon war. Und außerdem gab es ja zum Glück noch die Wohnküche, die mein erklärter Rückzugsbereich als Teenager war, wenn ich allein sein wollte. Mit meinem Tonband „bewaffnet“ und dem Radio, wo ich regelmäßig die Hitparade hörte und die Songs aufnahm, die mir gefielen, ging es ganz gut, wenn mich meine lieben Geschwister nicht gestört haben. Was natürlich öfters der Fall war.

Dann gab's mal wieder gehörig Zoff und eine Weile war Ruhe. Nichtsdestotrotz verstanden wir uns – auch wenn wir hie und da gestritten haben, was ja unter Geschwistern normal ist – sehr gut und hielten immer zusammen. Der Zusammenhalt ist heute noch genauso und wir verstehen uns prächtig.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.11.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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