Klaus Mattes

Am Ende gibt es keine Belohnung / 9586

Er ist etliche Jahre ein Schwuler in unserem Park gewesen und wir hatten kein einziges Mal was miteinander. Nicht zuletzt, weil von ihm so etwas wie fortwährende Anschuldigung auszugehen schien. Vom Schicksal würde er beschissen. Das schien er uns allen vorzuwerfen. Klarer Fall, dass er mich keinen Augenblick mochte, auch wenn er sich stets höflich gab und in meiner Gegenwart mich niemals angriff, sondern es dabei beließ, gewisse Gruppen pauschal zu diffamieren, mit denen ich mehr oder weniger Ähnlichkeiten zu haben schien. Mit verschiedenen Unterbrechungen lebte ich mein halbes Dasein vom Sozialgeld. Er musste jeden Tag in die Fabrik, Schichten.

Ich weiß nicht wie, aber irgendwie war er an einen Freund in Namibia gekommen. Er hat erwähnt, dass er einige Jahre in Hamburg gelebt hatte, vielleicht deswegen. Jedenfalls war dieser Neger, wir alle nannten ihn damals so, der Magnet, der alle Späne seines Lebens in die Zukunft ausrichtete, zu einem Haus, das sie angeblich gemeinsam abzahlten.

Ich hielt das erst mal für ein Märchen; dann war ich überzeugt, dass es scheitern werde, bevor er sein Rentenalter erreicht hätte. Aber der Schwarze, der übrigens seltsam ockerfarben, also hell, aber doch kein Mischling war, kam mehrfach auf Besuch nach Deutschland und lebte bei ihm und sie gingen gemeinsam ins schwule Lokal. Dieser Afrikaner war - zumindest für den Eingeweihten - auf Anhieb als schwul kenntlich, dabei hübsch, weich und feminin. Man konnte ihn tuntig nennen, also weibisch, und er flirtete wild über Kreuz, was unserem Sauertopf wohl nicht guttun konnte.

Als er mich erblickte, ging ein Ruck durch den Freund und, ohne ein Wort gesprochen zu haben, schien sein gesamtes Wesen mir zeigen zu wollen, dass er jederzeit seine Beine für mich breit machen würde. Aber vielleicht war das ja seine Art. Vielleicht hatte er dieses forcierte Flirten als eine Manier erkannt, wie man mit älteren Schwulen gut umgehen konnte. Übrigens war er mir schon auch etwas zu alt; er wurde allmählich grau. Mir war klar, dass er demnächst wieder weg sein würde und der Eingeschnappte lange noch mir auf mehreren Wegen begegnen konnte. Wo ihm unentwegt übel mitgespielt wurde, ich wollte das nicht verschlimmern.

Um es vorwegzunehmen, der Verbiesterte, die Kneifzange, der Nussknacker, er hat sein Rentnerdasein gar nicht mehr erlebt. So gegen sein sechzigstes Jahr hin ist er am Krebs gestorben. Sein mittlerweile von den Chinesen übernommener Betrieb ist der Einzige gewesen, der eine Gedenkanzeige aufgegeben hat. Man konnte lesen, dass er Mitte der siebziger Jahre dort seine Lehre begonnen und dann das ganze Leben geschafft hat. Wie sich das mit Hamburg verhalten hat, war nicht ersichtlich.

Mir war im Park, wo er immer ungewöhnlich rasch gelaufen ist und unendlich viele immer-gleiche Runden drehte, kurz herübergrüßend, meist bei niemand verweilend, trotz all der Jahre, in denen das so war, nie aufgegangen, mit wem der es überhaupt trieb, also mit welcher Sorte Mann er sich sexuell eingelassen hat. Üblicherweise sieht man sie auch mal knutschen oder mit jemandem im Busch abtauchen. Oder dann steht einer hinter einem, mit dem man spinnefeind ist, tatscht an dir, weil du vom Prinzen der Neuzugänge gerade keinen Korb bekommen hast und der sich jetzt noch dranhängen muss. Nicht so der Heinz. Falls er sich je einmal in die Deckung hinein bewegt hatte, wo man zu Gange gewesen war, machte Heinu eilends Kehrt-um, sobald er einen erkannt hatte.

Wie war ich geplättet, als er mich eines Nachts emphatisch mit Beschlag belegte, wir wären nunmehr doch Schicksalsgeschwister.

Nämlich war eine gewisse, aber nicht allzu lange Zeit vergangen, seitdem mich, nach mehreren Jahren wieder einmal, ein paar von diesem machtberauschten Jungmännern, vier waren es, aufs Korn genommen hatten, die vorzugsweise freitags oder samstags sehr spät in den Park kommen, weil gewiss noch vereinzelte Schwule dort sind, aber schon nicht mehr so viele, um sie zu Kleinholz zu hacken, wozu sie ihr Recht haben, weil sie gesund und nach den Gesetzen der Natur leben, während die Schwulen sich frech versündigen. Ich vermute, sie würden jeden anderen genauso gerne foltern oder totschlagen, sofern er männlich, erwachsen und ein Gegen-Mensch wäre. Nur bei Schwulen weiß man, wo man sie kriegen kann, ohne dass sie jemand schützt, kann sich recht gut drauf verlassen, dass sie hinterher nicht zur Polizei gehen, weil ihnen da auch keine übertriebene Achtung entgegenwuchert.

Das Bild will nun, dass es sich um Araber oder Nordafrikaner handelt, doch sind es ausnahmslos einheimische Deutsche gewesen, wann immer mir so was zuteil geworden ist. Dann sieht jeder gerne diese Kahlrasierten mit Springerstiefeln, weißen Schnürsenkeln und den Baseball-Schlägern. Doch waren es, wenn ich ihnen über den Weg lief, immer richtig hübsch und modisch und keineswegs ärmlich gekleidete Männer im jüngeren berufsfähigen Alter, die keine Stiefel trugen und niemals Schläger dabei hatten. Sie sahen fast so aus, wie Nazis inzwischen eben aussehen, nämlich wie absolut bürgerliche AfD-Wähler mit digitaler Vernetzung.

Diese vier Burschen waren herangetrabt und hatten Hallo gerufen und Wart doch mal. Wobei niemand stehenbleibt, der sich halbwegs auskennt, denn da rennt sonst nie einer aus dem Dunkel ins Licht hinaus, vier Leute auf einmal, ihre Hallos trötend. Wieder einmal wollte ich nicht gleich in Laufschritt verfallen, denn wenn man schon weiß, dass sie einem nicht wohlgesinnt sind, weiß man auch, dass sie nicht stoppen, wenn man rennt, sondern jeden Anschein von Freundlichkeit fahren lassen. Ich als vergleichsweise Alter rannte damals, schon vor der Herzgeschichte, nicht so toll wie vier Jungmänner. Jedoch musste ich rennen, denn schnell wurde die Sache rasant. Um den Park herum gab es eine Mauer, die keine Tore mehr besaß. Draußen parkten Autos und waren Lichter; allerdings keine Menschen; nach Mitternacht schlief man hier.

Ich schaffte es bis knapp hinters Tor, wo sie mich umzingelten, auf mich einschlugen, wieder Wangenknochen trafen, die dieses Mal nicht brachen, wieder eine Brille zerschlugen. Ich plärrte nonstop wie vom Teufel gehetzt. Das schien zu wirken. Von einem Moment zum anderen waren sie weg und ich konnte mich aus dem Gebüsch puhlen. Ein Fenster ging auf und ein Ausländer rief hinunter: „Polizei ist auf dem Weg.“

Diese Episode haben mir die vier Gesellen kurz vor ein Uhr nachts eingebrockt. Aber in dieser Nacht waren sie vorher schon unterwegs gewesen. Zirka um elf hatten sie den Metallschleifer eingekreist gehabt, der sich nur darum in den unterdessen vergangenen Tagen nicht an mich gewandt hatte, weil er im Krankenhaus liegen musste. Sein Arm war im Verband. Ihn hatte es schlimmer erwischt. Seine Schulter war gebrochen worden. Automatisch war die Polizei verständigt worden, mit der er seither verschiedentlich Kontakt gehabt und Täterbeschreibungen durchgegeben hatte. Im Zuge des Verfahrens hatte er gehört, dass noch jemand die Schlägergemeinschaft angezeigt hatte. Als er sich dann in den Park wieder hineingetraut hatte, war ihm mitgeteilt worden, um wen es sich handelte.

Gefasst wurden die Täter dann nicht mehr.

Es zeigt sich hier, wie das Leben wahllos mit uns würfelt. Dem, der ein Leben lang krampft und seinen Freund jenseits des Meeres warten hat, bricht das Leben eine Schulter und einem, der auf Kosten des Steuerzahlers lebt und sich an keinen binden kann, zerstört es bloß das Brillenglas.

Ich las diese Todesanzeige. 57 war er geworden. Im Jahr darauf hatte ich ihn überholt.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.11.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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