Die beiden Kerle drängten die wehrlose Frau brutal in eine Ecke des großen Raumes, sodass sie keine Chance mehr hatte, zu entkommen.
Die Frau war noch sehr jung, hoch gewachsen, schwarzhaarig und ihre Haut war von einem leicht rötlichen Braun. Die Wangenknochen prägten das Gesicht, das von einer faszinierenden exotischen Schönheit war.
Sie versuchte aus der Ecke herauszukommen, aber die beiden Männer drängten sie immer weiter zurück. Sie stand jetzt mit dem Rücken zur Wand, und sie wusste, dass sie keine Chance mehr hatte, jetzt noch entrinnen zu können.
Trotzdem zeigte sie nicht die geringste Furcht.
Im Gegenteil.
Sie verschränkte ihre Arme demonstrativ vor der Brust und sah die beiden Männer voller Verachtung spöttisch an.
„Was seid ihr doch für erbärmliche Hurensöhne“, sagte sie mit kehliger Stimme. „Ihr denkt wohl, ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt, nur weil ich eine Halbindianerin bin. Aber ich kann euch jetzt schon sagen, ihr werdet es nicht fertig bringen, mich in die Knie zu zwingen. – Ihr verblödeten Schwachköpfe bestimmt nicht!“
Die beiden hageren Männer, die wie Cowboys aussahen, brachen fast gleichzeitig in höhnisches Gelächter aus. Einer der beiden schlug der Frau mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass der Kopf der Frau zur Seite wirbelte.
„Du glaubst wohl, wir würden mit dir nicht fertig, was? Und wenn wir dich möglicherweise nicht in die Knie zwingen können, so werden wir dich wenigstens auf den Rücken werfen. Du wirst schon sehen, du Schlampe“, brüllte einer der beiden Typen. „Aber wir sind Gentlemen’s und haben uns in der Gewalt, aber nur so lange, bist du uns endlich verrätst, wo dein Mann sich versteckt hat. Also, wo ist er, dieser Lex Bredfort?“
„Ich weiß es nicht..., wirklich! Wie oft soll ich euch das noch sagen?“ antwortete das Halbblut mit unheimlicher Ruhe. „Er ist weg, einfach verschwunden. Er hat mir nicht gesagt, wo er hin wollte. Ihr könnt mich also gehen lassen! Haut endlich ab und lasst mich in Ruhe.“
Die beiden Kerle verzogen jetzt wütend ihr Gesicht und machten beide einen Schritt auf die Frau zu, die dadurch noch mehr in die Enge getrieben wurde. Harte Fäuste packten sie plötzlich mit brutaler Gewalt. Zwei Hände krallten sich in den einfachen weißen Stoff ihres Leinenkleides und rissen es von oben runter in zwei Hälften.
Die junge Frau stöhnte auf. Die makellose braune Samthaut ihrer straffen Brüste kam zum Vorschein, dann die leichte Wölbung ihres Bauches, das schwarze Dreieck und zum Schluss ihre wohlgeformten Schenkel, die gazellenhaft aussahen.
Shania, so hieß die Halbindianerin, wehrte sich verzweifelt. Aber es hatte keinen Sinn. Die Männer waren einfach stärker. Es dauerte keine zwei Sekunden, da lag sie rücklings auf dem harten Bretterfußboden. Einer der Männer kniete hinter ihrem Kopf und hielt ihre beiden Arme fest. Der andere beugte sich über sie. Mit weit aufgerissen Augen und gierigen Blicken schienen sie ihren schönen Körper förmlich zu verschlingen.
Shania schloss die Augen. Tränen kullerten über ihre hohen Wangenknochen.
Sie wusste, was jetzt auf sie zukam.
Aber dann spürte sie plötzlich eine Veränderung in dem großen Wohnraum. Etwas war anders geworden.
Sie hörte eine männliche Stimme, die ihr irgendwie vertraut vorkam. Die beiden Kerle ließen schlagartig von ihr ab und schenkten ihr jetzt keine Beachtung mehr.
„Hey ihr beiden Dreckskerle! Ich glaube das reicht!“ sagte der Mann, der soeben hereingekommen war.
Er stand mitten im Raum, war fast an die ein Meter fünfundachtzig groß, mit einem schwarzen Prinz-Albert-Rock und einem weißen Hemd bekleidet. Er wirkte eigentlich mehr wie ein Geschäftsmann, aber sein Gesicht drückte etwas anderes aus.
Shania Bredfort setzte sich rasch auf und griff hastig nach den zerfetzten Resten ihres Kleides.
„Riley“, flüsterte sie leise. „Ich kann es einfach nicht glauben. Du bist es wirklich. Was treibt dich nach Hill City?“
Riley hielt in seiner rechten Hand einen Strauß gelber Rosen.
„Es sollte eigentlich eine Überraschung für dich sein, Shania“, sagte er kühl, „und das ist es wohl auch tatsächlich geworden, wie ich sehe. Was soll ich mit den Bastarden machen? Sie durch den Fleischwolf drehen oder aus dem Fenster werfen? Was meinst du? Ich werde dir jeden Wunsch erfüllen, meine Liebste.“
Riley sprach ganz gelassen. Die beiden Typen schienen Luft in seiner Gegenwart zu sein. Er zeigte auch keinerlei Regung, als die Kerle ihre Colt-Revolver aus den Holstern zogen und sie bedrohlich auf ihn richteten.
„Was soll das denn werden, meine Herren? Wenn ihr mich schon erschießen wollt, dann lasst mich wenigstens der Lady vorher die Rosen in die Hand drücken. Vielleicht reden wir danach über alles, wenn euch noch daran gelegen ist.“
Riley war kaltblütig wie immer. Eigentlich wusste er gar nicht, was hier gespielt wurde, aber er war davon überzeugt, dass es ihm gelingen würde, die beiden Typen ein wenig zu verwirren.
Und nun stand er auf gleicher Höhe mit ihnen, genau zwischen den beiden Halunken, die ihn mit ihren seltsam verwirrten Blicken argwöhnisch verfolgten. Sie hielten ihre Waffen weiterhin auf ihn gerichtet, aber ihre Gesichter sahen dabei eher dümmlich und unsicher aus.
Vielleicht dachten sie aber auch nur, einen Verrückten vor sich zu haben.
Riley maß mit zwei unauffälligen Seitenblicken die Entfernung der beiden Revolvermündungen links und rechts von ihm, die ihn fast berührten. Er grinste zufrieden.
Die beiden Kerle machten auf Riley einen brutalen Eindruck. Es waren Typen, wie er sie schon zu Hunderten kennen gelernt hatte. Mit diesem Abschaum würde er kurzen Prozess machen, dachte er insgeheim für sich. Und das hatte er auch vor. Sie waren einfach ohne jeden Verstand und nur darauf bedacht, ihre egoistischen Ziele mit rigoroser Gewalt durchzusetzen.
Aber das war ihr großer Nachteil gegenüber einem Mann vom Schlage Riley.
Was er dann tat, musste auf die beiden Halunken wie ein Blitz aus heiterem Himmel wirken.
Rileys Hände zuckten mit unheimlicher Schnelligkeit nach oben, wobei seine Handkanten fast gleichzeitig von unten gegen die Handgelenke der beiden Revolvermänner krachten.
Es waren furchtbar intensive Schläge, die Riley im Schlaf beherrschte, und die er als Soldat während seiner Spezialausbildung bei den Cyber-Rangers erlernt hatte. Kurz darauf erfolgten zwei knackende Geräusche, die sich ziemlich hässlich anhörten. Sie wurden übertönt von den geradezu tierischen Aufschreien der beiden Schufte, deren Waffen in hohem Bogen durch die Luft wirbelten und schließlich polternd auf den Holzboden donnerten.
Riley ließ nicht locker. Jetzt kam er so richtig in Fahrt. Sofort packte er die beiden Männer mit unwiderstehlicher Gewalt am Kragen ihrer karierten Baumwollhemden und stieß sie mit ihren Körpern hart zusammen. Zu hart, wie man deutlich hören konnte. Es gab ein ziemlich böses Geräusch, als sie mit den Köpfen zusammenstießen. Die Schädel der beiden Männer verformten sich für den Bruchteil einer Sekunde zu einer faltigen Masse. Gleich darauf erfolgte ein dumpfes gurgelndes Stöhnen, und die beiden Männer sanken mit glasigen Augen vor Riley in die Knie.
Die Kerle bluteten auf einmal aus Mund, Nase und Ohren wie aus einem aufgedrehten Wasserhahn. Dann fielen sie kurz darauf der Länge nach hin, wobei ihre Körper unkontrolliert hin und her zuckten, als würde man ihnen heftige Dauerstromschläge verpassen. Der stumpfe Holzboden war nach kurzer Zeit mit menschlichem Blut überschwemmt.
***
„Stop! Kamera aus! Sofort! – So geht das nicht mein guter Riley“, schrie der Regisseur plötzlich dazwischen, der ein korpulenter Androide war. „Die Szene ist einfach zu blutig. Wir Androiden sind doch keine sinnlosen Schlächter. Sei einfach ein bisschen rücksichtsvoller, sonst gehen uns irgendwann die menschlichen Schauspieler aus. Für diese Szene hat man uns von der Filmakademie nur insgesamt sechs Männer aus der menschlichen Zuchtanstalt genehmigt. Vier davon sind schon wegen dir draufgegangen. Geh’ also das nächste Mal etwas vorsichtiger mit ihnen um, auch wenn du diese stinkenden aufrecht gehenden Zweibeiner hasst, Riley. Sei so gut..., bitte! Immerhin haben sie uns erfunden. Du solltest ihnen gegenüber etwas mehr Respekt zeigen. Aber du bist ja unbelehrbar, mein Junge. – So..., wir machen in etwa zwei Stunden weiter, wenn der Drehplatz hier wieder sauber und neu hergerichtet ist. Und schafft mir diese beiden menschlichen Darsteller weg. Ich kann das viele Blut nicht mehr sehen. Die gehen ja schon in die Verwesung über. Das angeforderte Entsorgungsteam soll sie am besten gleich in die Verwertungsanlage bringen, wo man ihnen alle wichtigen Organe entnehmen wird. Vielleicht bekommen wir dafür ein paar Bonuspunkte für einen neuen menschlichen Darsteller. – Also bis später!“
Der dicke Androiden-Regisseur warf Riley einen mahnenden Blick zu und verließ dann eilig das Studio.
Riley, der Schauspieler-Androide vom Typ Nexus II, streckte dem davon eilenden Regisseur arrogant seinen Stinkefinger hinterher und ging hinüber zu seiner Schauspielerkollegin, der Halbindianerin Shania Bredfort, die ebenfalls eine weibliche Androidin war. Auch sie gehörte der gleichen Baureihe an, wie Riley.
„Ist bei dir alles in Ordnung“, fragte er sie liebevoll und setzte dabei eine besorgte Mine auf.
„Mir geht es bestens. Die beiden menschlichen Kerle haben ihre Rolle gut gespielt. Schade, dass sie dabei draufgegangen sind. Beim nächsten Mal schlage bitte weniger fest zu, sonst müssen wir diese Szene in der Tat wohl möglich noch mit Androiden besetzen, mein Guter.“
Der männliche Darsteller-Androide lächelte etwas verlegen und nahm seine Kollegin jetzt zärtlich in die Arme.
„Komm, wir machen jetzt einen kleinen Spaziergang und sehen uns im Zoo die Menschenfamilien an. Besonders lustig finde ich es immer wieder, wenn sie in aller Öffentlichkeit kopulieren. Ich könnte mich dabei totlachen. - Was meinst du, Shania? Hast du Lust darauf mitzugehen?“
„Das ist ein prima Vorschlag, Riley. Der Menschenzoo liegt ja gleich um die Ecke. Komm’ lass uns schnell hingehen! In weniger als zwei Stunden müssen wir wieder im Filmstudio zurück sein.“
© Heinz-Walter Hoetter
***
"Andere Welten, andere Sitten."
***
„Na was ist? Wollen wir ein bisschen spazieren gehen, mein kleines Fräulein?“
Rosh Mundine stand auf und sah mit ihren acht Augen den alten Herrn freundlich an, der direkt vor ihr stand. Sein Kopf war dicht behaart.
„Und wohin führt uns der Weg heute?“ fragte Vholo Hath, kratzte sich mit seinen haarigen Hinterbeine am langgestreckten Körper und tat so, als ob er es eilig hätte.
„Zur Fleischfabrik..., wie immer“, antwortete Rosh Mundine kichernd.
Wenn der alte Herr gute Laune hatte, war er wirklich sympathisch. Dann ging sie besonders gern mit ihm raus, um sich von ihm unterhalten zu lassen und frische Luft zu schnappen.
Fast täglich gingen Rosh Mundine und ihr Großvater Vholo Hath zur nah gelegenen Fleischfabrik, die am Ende einer Allee ähnlichen Straße lag und von großen grün blättrigen Bäumen gesäumt wurde. Für einen kurzen Spaziergang war diese Strecke ideal geeignet.
„Erzähl mir was“, bat Rosh Mundine den alten Mann.
„Der Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“, zitierte dieser auf einmal.
„Frühling? Was ist das?“ fragte sie erstaunt.
„Keine Ahnung. Ich habe es mal bei einem Besuch in der Fleischfabrik aus einem der vielen dort angebrachten Lautsprecher gehört. Es soll angeblich ein Gedicht der Menschen vom Planeten Erde sein, wie ich erfahren konnte. Damit werden sie kurz vor ihrer Schlachtung beruhigt“, sagte Vholo Hath, blickte mit seinen acht Augen hinüber zu den gewaltigen Gebäuden am Ende der Allee und versuchte sich auf die zweite Zeile zu besinnen. Es gelang ihm aber nicht.
„Da war ein Mensch!“ rief Rosh Mundine plötzlich. Sie blieb abrupt stehen, legte die behaarte Hand ans Ohr und hielt sich mit der anderen die Nase zu.
„Was? Wovon sprichst du? Ich habe niemanden gesehen.“
„Ich habe ihn gerochen“, erläuterte Rosh Mundine.
„Gerochen? Das kann nicht sein. Das ist unmöglich“, sagte Vholo Hath mit erregter Stimme.
„Doch, ich habe einen Menschen gerochen. Ich konnte ihn ganz deutlich riechen“, erwiderte Rosh Mundine und sah den alten Herrn beleidigt an. Jedenfalls tat sie so.
Vholo Hath grinste auf einmal belustigt, wie Rosh Mundine so vor ihm stand und erklärte, sie könne Menschen riechen.
„Du willst doch nicht behaupten“, sagte er schließlich etwas ängstlich zu ihr, "dass du hier draußen auf der Straße einen Menschen gerochen hast. Niemand von ihnen kann unbemerkt die Fleischfabrik verlassen, wenn sie erst einmal dort drinnen sind. Du musst dich getäuscht haben, mein Kind.“
Rosh Mundine schüttelte auf einmal ihren Kopf laut lachend hin und her.
„Ach Großvater, ich finde es lustig, wenn ich dir ein bisschen Angst einjagen kann. Du bist immer so leichtgläubig. Sei bitte kein Spielverderber!“
„Es wird langsam Zeit meine kleine Dame, dass du endlich damit aufhörst, solche dummen Späßchen mit mir zu machen. Die Menschen sind gefährliche Tiere, die uns wie wilde Bestien angegriffen haben und vernichten wollten. Aber wir Arachnophilen konnten sie besiegen und haben dann festgestellt, dass ihr saftiges Fleisch für uns besonders nahrhaft ist und noch dazu überaus gut schmeckt. In der Fleischfabrik werden sie geschlachtet und zu Qualitätsfleisch für unsere Bevölkerung verarbeitet. Jeden Tag holt unsere Raumflotte neuen Nachschub von ihrem Planeten, auf denen unzählige von ihnen herumlaufen. Da sie sich äußerst schnell vermehren, kennen wir seitdem keine Nahrungsprobleme mehr.“
Rosh Mundine schaute den alten Mann jetzt mit respektvollem Blick von der Seite an. Dann sagte sie zu ihm: „Im nächsten Jahr werde ich volljährig. Dann gehe ich mit dir in die Fleischfabrik und lasse mir bei einer Führung alles genau zeigen. Ich wollte schon immer wissen, wie das menschengerechte Schlachten so vor sich geht.“
Noch während Rosh Mundine gesprächig neben Vholo Hath, ihrem Großvater, herging, schaute dieser plötzlich auf seine Uhr und deutete in eine bestimmte Richtung.
„Ich glaube, wir müssen langsam umkehren. Das Mittagessen wird schon fertig sein und deine Mutter hat es nicht so gerne, wenn wir zu spät zu Tisch kommen. Heute gibt es leckeres Menschenfleisch, saftig roh und dünn geschnitten. Lass’ uns also kehrt machen und schnell nach Hause gehen, mein kleines Fräulein.“
„Na gut, gehen wir! Lassen wir Mutter nicht warten“, sagte Rosh Mundine, drehte sich auf ihren behaarten acht Beinen vorsichtig auf der Stelle um und ging ihrem Großvater brav hinterher.
ENDE
©Heinz-Walter Hoetter
***
Früher war es schön. Wir hatten noch einen blauen Himmel mit weißen Wolken, die am weiten Firmament dahinzogen wie leise vorbeifahrende Segelschiffe. Manchmal waren die Wolken aber auch grau und schwarz aus denen es dann regnete. Wisst ihr eigentlich, was dieses Wort überhaupt bedeutet – Regen?
Jaaa..., wir genossen es, wenn er plötzlich als frischer Platzregen herunter kam und wir das kühlende Nass auf unserer trockenen Haut verspürten. Und nicht nur das! Wir konnten das saubere Wasser der Wolken sogar noch trinken. Es schmeckte einfach köstlich. Die ganze Landschaft veränderte sich nach solch einem grandiosen Naturereignis wie auf wundersame Weise. Sie verwandelte sich überall in ein gewaltiges grünes Pflanzenmeer. Doch, doch, es stimmt wirklich! Wir konnten es tatsächlich noch selbst erleben, wie sich das ganze Land veränderte. Es kam uns oft so vor, als würde die Erde mit ihrem gewaltigen Odem neues Leben in uns alle einhauchen. Und dann dieser feuchte Dunst am Morgen, der über dem gesamten Tal lag und die Sicht zum fernen Horizont versperrte. Ach ja, Nebel nannte man das…, jetzt fällt es mir wieder ein.
Später kam die Sonne. Ja, ihr habt richtig gehört! Ich sagte SONNE! Sie durchbrach mit ihren wärmenden Strahlen die sich langsam nach und nach auflösende Wolkendecke und bald darauf leuchtete das ganze Land unter ihrem hellen Licht wie ein bunt blühender Garten Eden.
Wir haben auch noch echtes Gras kennen gelernt. Wenn der Wind blies, wogte es hin und her und die Wasserperlen darauf schimmerten in allen Farben des Regenbogens. Ach, war das schön! Einfach herrlich dieses glitzernde Spiel mit den Farben.
Niemand von euch hat jemals den Duft von frischem Gras oder feuchter Erde gerochen. Oh Kinder, es tut mir ja so Leid für euch.
Oft lag’ ich mit meinen Freunden mitten in diesem Pflanzenmeer aus Grün, und gemeinsam lauschten wir dem Rauschen eines nah gelegenen Waldes. Es war irgendwie seltsam, wisst ihr. Da lag man dann einfach so herum, alle Viere von sich gestreckt und fühlte sich vollkommen schwerelos dabei. Das Ächzen der Bäume klingt mir heute noch in den Ohren, wie auch das Zwitschern der Vögel, die es damals in unendlicher Zahl gab. Lebend habt ihr keines dieser seltsamen Geschöpfe je zu Gesicht bekommen. Mich betrübt das sehr! Heute kann man sie nur noch ausgestopft in den Museen oder als Computeranimation betrachten. Mit wildem Flügelschlag stießen sie hoch bis zu den weißen Wolken und segelten tatsächlich wie kleine Miniaturflugzeuge in der Luft herum. Manche dieser scheuen Tiere fraßen uns aus der Hand, wenn man nur genug Ausdauer zeigte und ihnen das richtige Futter anbot.
Dann gab es da aber auch noch Insekten. Habt ihr eigentlich schon mal lebende Insekten gesehen?
Nein?
Das dachte ich mir!
Wie konnte ich nur so dumm fragen.
Im Verhältnis zu den Vögeln waren zum Beispiel die Mücken sehr, sehr klein. Ihr Summen war allerdings überaus lustig. Dann wussten wir, dass sie schon ziemlich nah bei uns waren und uns stechen wollten.
Wisst ihr Kinder..., Mücken haben einen schlanken Körper mit zarten, durchsichtigen Flügeln. Direkt am Kopf trugen sie einen kleinen Minirüssel mit dem sie das Blut ihrer Opfer aussaugen konnten. Und wenn sie sich mit Blut voll gesogen hatten, waren sie doppelt und dreimal so dick wie vorher, sodass manche von ihnen nicht mehr dazu fähig waren, richtig zu fliegen. Meist tauchten sie in großen Schwärmen auf oder tanzten über der sonnigen Landschaft im Zickzackkurs hin und her. Ja, selbst diese kleinen Biester haben wir bewundert. Sie waren überaus filigrane Geschöpfe, die von Mutter Natur in unendlicher Zahl hervorgebracht wurden. Aber wer weiß das schon von euch. Wer weiß das schon...
Noch interessanter dagegen waren die vielen verschiedenen Käfer und Schmetterlinge. Im Naturmuseum gibt es eine Menge Nachbildungen von ihnen. Wir haben früher diese Tierchen noch gefangen. Ja, ehrlich! Ich weiß aber nicht mehr, wann ich zum Beispiel zuletzt einen Maikäfer oder einen bunten Schmetterling lebend gesehen habe. Muss ungefähr 2025 gewesen sein. Da war ich gerade mal 12 Jahre alt.
Nun ja, meine lieben Kinder, so war das damals. Ich erzähle euch hier keine Märchen. In den Ferien sind wir draußen unter freiem Himmel herum gelaufen, haben in den Wäldern Räuber und Gendarm gespielt oder sind an warmen Tagen an den Badesee gegangen. Den ganzen Tag waren wir an der frischen Luft gewesen. Der Wind ist uns noch durch die zerzausten Haare gefahren, wenn wir im Herbst Drachen aufsteigen ließen.
Das alles haben wir gemacht, meine Kleinen. Leider ist das schon so lange her. Ich kann es mir selbst beinah nicht mehr vorstellen. Oder bin ich einfach nur vergesslich geworden? Muss wohl am Alter liegen!
Könnt ihr euch das überhaupt vorstellen, dass wir damals keine Schutzanzüge tragen mussten und auch noch ohne Atemschutz nach draußen gehen konnten? So sauber war die Natur, bevor die große Katastrophe über uns hereinbrach und der Himmel sich verdunkelte. Siebzig Jahre ist das schon her. Mein Gott, wie die Zeit vergeht! Jetzt bin ich alt und grau und besitze nur noch meine Erinnerungen an eine schönere Zeit.
Ja, ja, so war es! Niemand von euch kann sich eine grüne Landschaft vorstellen, nicht wahr? Das kann man eben nur dann, wenn man sie selbst mit eigenen Augen gesehen hat. Alles war wunderschön.
Dort, wo einst grüne Wiesen wuchsen, verschlungene Wildbäche rauschten und ausgedehnte Wälder bis zum weiten Horizont reichten, da ist heute nur noch tote Wüste. Was haben wir Menschen uns bloß damit angetan! Der Himmel ist nicht mehr blau, sondern schwarz und hässlich geworden. Die Sonne versteckt sich dahinter, als wolle sie mit uns nichts mehr zu tun haben. Und was ist aus den einst herrlich weißen Wolken geworden? Sie schauen jetzt dunkel und unheimlich aus und sind voller Gift. Ihr trübes, stinkendes Regenwasser verseucht noch immer das Land. Wie lange wird es dauern, bis sich Mutter Natur von diesem Frevel des Menschen wieder erholt hat? Ich kann es nicht sagen, meine lieben Kinder.
Der alte Mann hielt plötzlich mit dem Reden inne. Tränen liefen ihm über seine faltigen Wangen. Dann rief er die Kinder über die interne Funkeinrichtung der Schutzanzüge wieder alle zu sich heran und ließ durchzählen. Anschließend mussten sich seine Schützlinge jeweils zu zweit in einer Reihe hintereinander aufstellen. Es waren ungefähr zwanzig Kinder an der Zahl. Eine Zeit lang blieben sie in ihren unförmigen Schutzanzügen am gleichen Fleck stehen, bis der Greis schließlich das drei Meter hohe Schleusentor aus purem Edelstahl über einen versteckten Schalter in der Betonwand in Betrieb setzte.
Als es weit offen stand, gingen die Kinder in den dahinter liegenden Dekontaminationsraum, wo sie abermals warten mussten. Wieder drückte der Alte einen Schalter, diesmal von innen. Als das schwere Stahltor der Luftschleuse mit einem polternden Geräusch in die Verriegelung einrastete, schaltete sich das Raumlicht automatisch an. Eine weiße Dampfwolke strömte geräuschvoll von der Decke auf den alten Mann und die ruhig da stehenden Kinder herab. Das ging solange, bis plötzlich ein akustisches Signal ertönte und eine freundliche Frauenstimme aus dem Hintergrund sagte: „Die Messungen der Kontaminationswerte haben Null angezeigt. Die Reinigung ist abgeschlossen. Bitte betretet jetzt den nächsten Raum..., einer nach dem anderen! Dann legt den Schutzanzug ab! Anschließend begebt ihr euch in den Duschraum und wartet dort auf weitere Anweisungen. Vielen Dank!“
Alles verlief reibungslos wie immer. Der alte Mann kannte sich mit dieser Prozedur aus.
Draußen, in einer stillen Welt ohne Leben, wurde es bereits langsam Nacht, als die Kinder von ihren Eltern auf der anderen Seite des Schleusensystems im Innern der gewaltigen Anlage in Empfang genommen wurden.
Nach und nach stiegen sie alle in den bereitstehenden, leise surrenden Personentransporter ein, der von einem Androiden gesteuert wurde. Nachdem jeder seinen Platz eingenommen hatte, schlossen sich die seitlichen Einstiegstüren mit einem kurzen Zischen und das bullige Fahrzeug setzte sich langsam in Bewegung. Es fuhr dorthin, wo sich die hell erleuchtete, futuristisch aussehende Millionenstadt tief unter der Erde befand.
Ende
(c)Heinz-Walter Hoetter
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Der Beitrag wurde von Heinz-Walter Hoetter auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.11.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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32 ½ Wurzeln des gemeinen Alltagswahnsinns: Kleines Schwarzbuch des Furor cotidianus
von Jörg Greck
Alltagswahnsinn, das Auseinanderdriften von eigenen Wertvorstellungen mit der Realität, ist ein Phänomen, über das wir uns täglich wundern. Wenn das Wundern in Ärger umschlägt, wird es Zeit gegenzulenken. Die Identifizierung der Wurzeln, also der Ursachen, des Alltagswahnsinns, ist ziemlich lehrreich für denjenigen, der seine persönliche Situation insoweit verbessern will.
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