Heinz-Walter Hoetter

Vier erstklassige Kurzgeschichten

Vorwort

 

Viele Menschen stellen sich heute die Frage: Gibt es andere Welten?

Überlegung darüber anzustellen von möglichem Leben auf anderen Himmelskörpern (Planeten) muss offenbar von der Tatsache ausgehen, dass es tatsächlich (für uns) zur Zeit nur einen einzigen Planeten gibt, auf dem Leben nachweislich existiert – nämlich auf der Erde (des Menschen).

Alles andere, so folgert man, muss als pure Spekulation abgetan werden oder ist bestenfalls als Wunschdenken anzusehen.

Doch so einfach ist es nicht, wie manche denken.

Es gibt Welten, die der Fantasie entspringen und in Geschichten und Erzählungen Eingang in unsere Realität (der uns erfahrbaren Gegenwart) finden. Auf diese Weise werden sie vorstellbar, ja im gewissen Sinne sogar wirklich.

Wer weiß das schon so genau?


(c)Heinz-Walter Hoetter


 


 

***

 

1. Die schöne Söldnerin ELLEN EIRIES


 

Draußen war es schon lange hell.

Mr. Morten Haskins, der alternde, wenig erfolgreiche Schriftsteller, wachte mit einem ziemlichen Brummschädel auf. Halb benommen langte er nach der Flasche Whisky vor sich auf dem Bett, bis ihm dämmerte, dass sie total geleert war.

So ein verfluchter Mist…! War ich das? – Diese verdammten Ablieferungstermine gehen mir echt auf die Nerven. Ich glaube, dass ich langsam zu alt für diesen Quatsch werde“, murmelte Haskins mürrisch halblaut vor sich hin. Er hatte das Gefühl, dass seine Augenlider schwer wie Blei waren. Sein flüchtiger Blick glitt zum Schreibtisch hinüber, der direkt vor dem großen Schlafzimmerfenster stand. Die schweren Vorhänge waren zugezogen und ließen deshalb nur wenig Tageslicht durchdringen. Neben der Schreibmaschine war ein Haufen Papier aufgestapelt, von dessen oberstem Blatt ihm mit einer ironischen Anspielung das Wort „ENDE“ entgegen prangte.

Langsam kam die Erinnerung wieder, wenngleich auch nur für einige kurze Augenblicke, dass er bis tief in die Nacht hinein an seinem Manuskript gearbeitet hatte und danach, überschwemmt vom Gefühl der Erleichterung über seine Fertigstellung, ein Glas Whisky nach dem anderen in sich reingeschüttet haben muss. Irgendwann hat er dann wohl mit letzter Kraft das Bett aufgesucht und ist, halb bewusstlos von der Sauferei, darin sofort eingeschlafen.

Ein Blick auf die Uhr genügte, dass das vor mehr als acht oder neun Stunden passiert war. Haskins reckte seine steif gewordenen Glieder und lehnte sich in halb gebückter Haltung an das hölzerne Kopfteil seines Bettes. Ein unbestimmter Würgereflex kam in ihm hoch, den er nur mühsam unterdrücken konnte. Das ganze Zimmer war von seinen alkoholischen Ausdünstungen erfüllt, weil die Fenster geschlossen waren.

Dann erstarrte er.

Er rieb seine verschlafenen Augen, ob er auch richtig sähe: Vorne auf der Bettkante saß eine ganz in Schwarz gekleidete junge Frau in hohen glatt polierten Lederstiefeln, eng anliegender, körperbetonter Strumpfhose und seidenen Rollkragenpulli, die ihn mit lasziv übereinandergeschlagenen Beinen aufmerksam beobachtete.

Mr. Haskins überlegte intensiv. Seiner Erinnerung nach war er mehr als acht oder neun Stunden schlafend und allein in seiner Wohnung gewesen. Auch davor hatte er niemanden reingelassen. Seine Eingangstür war aus Sicherheitsgründen gleich mehrfach verriegelt. In dieser gefährlichen Wohngegend musste das sein.

Schlagartig war der Schriftsteller hellwach und alarmiert schaute er sich im Zimmer um. Er warf seinen Blick nach links und rechts über die Schultern, auf der Suche nach weiteren Eindringlingen. Doch niemand sonst, außer der schönen Frau in Schwarz, war im Raum.

Wie von der Tarantel gestochen sprang Mr. Haskins aus dem Bett, wobei er den Stuhl vor sich mit den nackten Füßen anstieß, der daraufhin nach hinten kippte und krachend auf den Boden knallte. Heftig fluchend schrie er vor Schmerzen laut auf, humpelte mit kleinen Sätzen rüber bis zur Kommode, wo er alle Schubladen von oben nach unten bis zum Anschlag aufriss.

Irgendwo muss doch hier der Revolver sein“, zischte der Schriftsteller mit zusammengepressten Lippen und schon hatten seine zitternden Finger unter einem Stapel Socken die geladene Waffe ertastet, deren metallisch kühler Griff auf seine Berührung zu warten schien, um sich in seine Hand zu schmiegen. Noch nie hatte der alte Haskins ein Schießeisen auf einen anderen Menschen gerichtet. Mit schlotternden Armen zielte er damit auf den ungebetenen, weiblichen Gast.

Wer zum Teufel noch mal sind Sie?“ krächzte er mit verzerrter Stimme aus Angst trockener Kehle. „Wie sind Sie hier in meine Wohnung gekommen? Los, antworten Sie mir!“

Die Frau legte den Kopf entspannt zur Seite und starrte Haskins danach ungerührt und unbeweglich in aller Ruhe an. Sie beobachtete verwundert sein Tun. Dann sagte sie mit sanfter Stimme: „Was soll das denn? Ich finde, dass ist ein ziemlich eigenartiger Empfang, den du hier veranstaltest. Meinst du nicht auch, mein lieber Morten?“

Kommen Sie, kommen Sie…! Ich habe Sie etwas gefragt. Beantworten Sie meine Frage, junge Frau! Sofort!“

Die Frau in Schwarz zuckte die Schultern, wartete einen Moment und entgegnete ihm: „Tu nicht so unschuldig, Morten. Du hast mich gerufen und…, ja und hier bin ich, mein Guter.“

Ich soll Sie gerufen haben? Das habe ich bestimmt nicht. Was soll der ganze Unfug?“

Die Schöne stand auf und bewegte sich geschmeidig wie eine schwarze Pantherin auf Mr. Haskins zu. Das Spiel ihrer Muskeln unter der eng anliegenden Kleidung verriet weder weiche Kurven noch scharfe Kanten. Ihr Blick traf den seinen, ohne auch nur einen Millimeter auszuweichen. Haskins traf dieser selbstsichere Blick bis ins Mark. Unsicher, fast willenlos, ließ er den Revolver etwas sinken.

Sag mal Morten, welch verrücktes Spielchen treibst du eigentlich hier mit mir?“

Haskins begann zu stottern.

D…d…, das wüsste ich auch gern von Ihnen, junge Frau! Kommen Sie bloß nicht näher. Bleiben Sie, wo Sie sind…!“

Der Gesichtsausdruck der schwarz gekleideten Schönheit veränderte sich. Sie runzelte nachdenklich die Stirn und fragte Mr. Haskins schließlich mit betont befremdlicher Stimme: „Erkennst Du mich denn wirklich nicht? Weist Du denn nicht mehr, wer ich bin?“

Nein…! Ehrlich, ich kenne Sie nicht. Wirklich. Ich wüsste auch nicht woher.“

Die Frau schien plötzlich echt und ungekünstelt verwirrt zu sein, sodass der Schriftsteller sich dazu gedrängt sah, in seinen Erinnerungen nach dieser Schönheit mit den dunklen, katzenartigen Augen, der geraden Nase, dem schulterlangen, kastanienbraunen Haar und der betörend schönen Figur zu forschen. Umsonst. Er fand nicht einen einzigen vagen Hinweis, der auch nur annähernd auf diese Frau zutraf, obwohl Haskins als eingefleischter Junggeselle ein regelmäßiger Hurengänger war, dem viele schöne Frauen in seinem Leben begegnet sind. Diese jedoch nicht.

Etwas gefasster sagte Haskins schließlich: „Ich habe Sie noch nie in meinem Leben gesehen. Ich kenne ja noch nicht einmal Ihren Namen.“

Sie machte plötzlich einen Schritt auf ihn zu, blieb aber sofort wieder wie angewurzelt stehen als Mr. Haskins die Pistole hochriss und sie fest auf ihre Brust richtete.

Die Frau schien auf einmal sehr traurig zu wirken.

Ich kann es einfach nicht glauben, dass du mich aus deinen Erinnerungen gelöscht hast, Liebster. Ich kann und will es nicht glauben. Deine schönen blauen Augen verraten mir aber genau das Gegenteil. Du hast mich nicht vergessen. Sie sagen es mir ganz klar.“

Was? Was ist mit meinen Augen? Was soll damit sein?“ erkundigte sich Mr. Haskins total verblüfft bei der vor ihm stehenden Frau.

Ich sagte es doch schon. Es sind deine Augen. Sie sind noch immer stahlblau. Ich kenne sie genau. Niemand im ganzen Universum vermag es, selbst wenn er sein Gedächtnis verloren hat oder es bewusst ausschaltet, die darin enthaltene pigmentöse Bewunderung zu verheimlichen.“

Mr. Haskins fühlte sich plötzlich auf eigenartige Weise geschmeichelt. Die hingebungsvollen Worte des bildhübschen Weibes drückten eine tiefe Liebe zu ihm aus, wenngleich er nicht wusste warum sie das tat.

Ein Anflug von Lächeln kräuselte trotzdem seine Lippen.

Ich denke mal, dass Sie meine Geschichten mehr als nur aufmerksam gelesen haben.“

Welche Geschichten? Deine? Bist du jetzt ein Schriftsteller, Liebster?“ fragte sie ihn verdutzt.

Ja natürlich, meine Geschichten und Erzählungen haben es Ihnen angetan. In ihnen wandte ich mehr als ein Dutzend mal diese Art der Erinnerungsverdrängung oder Gedächtnisausschaltung an. Das ich nicht gleich darauf gekommen bin.“

Mit einer hastigen Handbewegung wies der Schriftsteller auf das fertige Manuskript hin, das auf dem Schreibtisch vor seinem Fenster lag und aus einem losen Blätterstapel bestand.

Ach du liebe Güte! Glaubst du tatsächlich, dass ich, anstatt die Wohnung auszurauben, während du deinen Rausch ausschläfst, deine neue Geschichte durchgelesen habe?" sagte die Schönheit lachend, wobei sie mit der rechten Handfläche ihren herrlich roten Mund vornehm verdeckte. Mit einem Schlag hielt sie jedoch inne und fuhr mit ungeschminktem Ernst fort: „Ich bin weder eine Diebin, noch habe ich deine Geschichten gelesen. Was soll der ganze Blödsinn?“

Dann sagen Sie mir endlich, wer Sie sind!“ rief Haskins erregt.

Ich bin die „Zeitrose“, die Raumschiffkommandantin „Lora-Lin von Shandolar“, die mutige Freiheitskämpferin „Blue Dynamite“ vom Planeten Mysterium I im Raumquadranten Alpha Centauri. Alles deine Geschöpfe, mein lieber Morten. Sie stammen alle von dir und jede lebt in ihrem eigenen Universum. Und ich? Gegenwärtig diene ich am Hofe des Lord Admirals der intergalaktischen Sternenflotte Malcom Quint als Söldnerin „Ellen Eiries“. Ist es das, was du hören wolltest?“

Der Schriftsteller Haskins schien für einen Moment lang ehr belustigt zu sein. Doch dann riss er sich wieder zusammen und fragte mit einem müden Lächeln: „Was soll das denn werden, wenn’s mal fertig ist? Verraten Sie mir endlich, wie Sie hier in meine Wohnung gekommen sind und was Sie von mir wollen.“

Willst du das wirklich wissen? – Nun, der Lord Admiral Malcom Quint hielt gerade in seiner Residenz All-Vektoran auf dem Planeten Hooke One meine Abschiedsrede, als ich dich von weit entfernt rufen hörte. Ich wandte mich neugierig nach allen Seiten um und ging schließlich deiner Stimme entgegen. Je näher ich dieser kam, desto deutlicher hörte ich dich rufen. Der Lord Admiral und die anwesenden Ehrengäste sahen mit Entsetzen, wie sich plötzlich vor mir knisternd vor Energie eine Raumkrümmung auftat, die ich, wie magisch angezogen, passierte, um mich im nächsten Augenblick, nur eine Sekunde später, hier in deinem Zimmer wiederzufinden. Da du schliefst, beschloss ich,
dich auf keinen Fall zu wecken, sondern wartete geduldig darauf, so still und leise ich nur konnte, bis du von selbst aufwachtest. Was sollte ich auch anderes tun?“

Mr. Morten Haskins schüttelte verwirrt den Kopf. Er konnte nicht glauben, was ihm da zu Ohren kam.

Er fixierte die Frau jetzt mit skeptischen Blicken und fragte sich insgeheim, ob sie hier vielleicht nur eine verrückte Show abzog.

Sagen Sie mir jetzt ganz ehrlich, welche Absichten verfolgen Sie eigentlich mit diesem ausgemachten Schwindel?“

Was für ein Schwindel? Welche Absichten soll ich verfolgen? Ich verstehe nicht, was du von mir willst, Morten.“

Zum Kuckuck noch mal! Jawohl, ausgemachter Schwindel! Sie denken doch wohl nicht im Ernst daran, dass ich auch nur einen Moment lang geglaubt habe, einer meiner erfundenen Gestalten hat es fertiggebracht, aus meinen Geschichten sozusagen „zu entsteigen“, um mir dann einen Erdenbesuch abzustatten. Ha, ha, ha! Das ich nicht lache…! Ich selbst habe die schöne Söldnerin „Ellen Eiries“ erfunden. Deshalb muss ich doch wohl auch am besten wissen, dass sie in Wirklichkeit nicht existiert.

Bist du dir da so sicher? Sieh mich an! Bin ich nicht „wirklich“?

Also mir langt es jetzt, Schätzchen! Ich bin Morten Haskins, der Science Fiction Autor und befinde mich auf der Erde des Jahres 2007. Ich kenne Sie nicht und weiß auch nicht, was Sie von mir wollen oder was Sie möglicherweise mit mir vorhaben.“

Die schöne Frau vor ihm senkte langsam das Gesicht. Sie schien sehr bestürzt zu sein.

Wer hat dir das nur angetan?“ flüsterte sie traurig. „Wer hasst uns beide so sehr, dass sie in deinem Gehirn alle Erinnerungen an unser gemeinsames Leben auslöschen wollen?“

Wieder blickte sie Morten Haskins in die Augen. Tränen liefen über ihre leicht geröteten Wangen, als sie von tiefem Schmerz durchdrungen zu weinen anfing.

Jetzt hören Sie aber mal auf zu heulen, Süße! Sie sind die perfekteste Schauspielerin, die mir je begegnet ist. Sie haben wirklich Talent, das kann ich Ihnen nicht absprechen.“

Oh Morten, Liebster! Was tust du mir an? Bin ich hier in einem Irrenhaus?“

Ihre Blicke überflogen das Zimmer, als ob sie es zum ersten Mal richtig sähe.

Man hat uns beide hier eingeschlossen. Gib es zu! Wir sind gefangen genommen worden. Wo sind wir hier eigentlich?“

Haskins wurde zornig. Schnaufend vor Wut sagte er: „Wir sind weder gefangen, noch befinden wir uns hier in einem Irrenhaus. Sie befinden sich in meiner schäbigen Mietwohnung in einem herunter gekommenen Außenbezirk von New York und diese Stadt liegt in den beschissenen USA, auf dem unbedeutenden Planeten Erde im Sonnensystem Sol irgendwo am Rande der Milchstraße…! Sind Sie jetzt zufrieden, Lady?“

Was, wir sind auf der Erde, dem legendären Planeten der Menschheit? Ich dachte, dieser Planet existiert nicht mehr.“ Die Frau in Schwarz schien darüber sehr verblüfft zu sein, dass sie sich offenbar auf der Erde befand.

Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, Schätzchen! Jetzt hören Sie mal auf! Wollen Sie damit andeuten, dass ich nur jämmerlichen Mist verzapfe?“

Anstatt ihm zu antworten, blickte die junge Schönheit zum Fenster hinüber.

Sind die Fenster durchsichtig?“ fragte sie.

Wenn man die Vorhänge wegzieht, dann schon.“

Darf ich mal raus sehen?“

Von mir aus. Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber viel Aussicht werden Sie sowieso nicht haben.“

Sie zog die schmuddeligen Vorhänge beiseite und beugte sich vornüber, um durch die schmutzig trüben Scheiben nach draußen zu blicken. Man sah ihr an, dass sie über den Ausblick nachsann.

Nach einer Minute des Schweigens öffnete sie ihren Mund und fragte Haskins: „Bist du schon lange hier?“

Ja, solange ich denken kann. Nein, nicht ganz. Ich bewohne dieses verkommene Apartment erst seit ungefähr fünf Jahren.“

Sie warf ihm einen seltsam nachdenklichen Blick über die Schulter zu und sagte dann: „Du hast schon an vielen Orten im Universum gelebt, aber noch nie auf der Erde.“

Haskins schüttelte verständnislos den Kopf.

Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit sagen wollen. Wenn Sie meine Geschichten für wahr halten, dann ist das einzig und allein Ihre Sache. Ich halte das zwar für absolut verrückt, aber jeder kann tun und lassen was er will, auch Sie natürlich, meine Gnädigste. Andererseits: Wenn Sie mich für dumm verkaufen wollen, um einer möglichen Anzeige meinerseits wegen Einbruchs zu entgehen… Na schön, ich bin nicht nachtragend und schon gar nicht ein Freund der Polizei. Dort drüben ist die Tür! Ich werde sie öffnen. Sehen Sie zu, dass Sie fortkommen!“

Die Schönheit stand immer noch am Fenster und schaute neugierig nach draußen.

Plötzlich drehte sie sich um und sah Haskins mit durchdringendem Blick an.

Wir sollten einen Arzt aufsuchen, Morten“, sagte sie mit sanfter Stimme und fuhr fort: „Er wird dir bestimmt helfen können, Liebster! Er wird dich heilen! Ganz bestimmt!“

Mr. Haskins hob langsam wieder den Revolver, legte auf die Frau an und zuckte mit der Waffe mehrmals vor und zurück.

Es reicht jetzt! Ein letztes Mal! Verschwinden Sie aus meiner Wohnung so lange der Geduldsfaden bei mir noch nicht gerissen ist. Ich habe große Lust dazu, Sie zu erschießen.“

Die schöne Frau schob mit der Rechten den Ärmel des Rollkragenpullis vom linken Handgelenk zurück und enthüllte im nächsten Moment einen breiten Metallring.

Du brauchst dringend Hilfe! Lass mich dafür sorgen, dass du zu einem unserer Ärzte gebracht wirst. Ich rufe die örtliche Kommandantur an, um sie um Unterstützung zu bitten, Schatz.“

Womit denn? Mit diesem Armring vielleicht? Was ist das für ein Ding? Ein Hypersender? Eine Zeitmaschine? Ein Transmitter? So was gibt es nur in Science Fiction Romanen. Die Wirklichkeit lässt solche technischen Hirngespinste gar nicht zu.“

Es ist so was ähnliches. Warte ab, was passiert.“

Ach was? Ein Armring mit magischen Kräften? Den Trick möchte ich gern erleben.“

Die Frau in Schwarz griff plötzlich an ihr Armband und drehte es ein paar Mal hin und her. Sie runzelte die Stirn, flüsterte mehrmals hintereinander ihren Namen wie eine Beschwörungsformel. Doch nichts geschah.

Verärgert umklammerte sie den breiten Metallring mit der rechten Hand.

Wir müssen von einem Abschirmfeld umgeben sein. Es ist eine Falle.“

Ihr Trick klappt wohl nicht, oder?“ fragte Haskins hämisch.

Die Frau sah nach oben zur Zimmerdecke und rief: „Was treibt ihr mit mir? Wer immer dort oben ist und mich beobachtet…, was soll das?“

Unwillkürlich folgte der Schriftsteller dem Blick der Frau nach oben an die Decke. Im selben Augenblick hatte die Schönheit den trennenden Zwischenraum überquert und ihre Arme um Haskins Brustkorb geschlungen. Mit eisernem Griff hielt sie sich an ihm fest, gerade so, als ob er ihr einziger rettender Strohhalm kurz vor dem Ertrinken wäre.

Dann schluchzte sie: „Morten, Liebster, ich will dich nicht verlieren. Ich liebe dich zu sehr.“

Mr. Haskins war wie zu einem Klotz erstarrt. Die Pistole fiel ihm aus der Hand. Polternd blieb sie auf dem Boden liegen. Die Frau drängte sich mit ihrem Körper an den seinen, ihr schönes kastanienbraunes Haar schmiegte sich weich an seine Wangen. Er war hingerissen von ihr. Sie roch unglaublich weiblich und für den Augenblick eines Herzschlages empfand der Schriftsteller, als wäre sie wirklich die leibhaftige Söldnerin „Ellen Eiries“ aus seinen Science Fiction Romanen. Sie war seine schöne Heldin in unzähligen interstellaren Abenteuern. Ihre roten Lippen waren jetzt ganz nah.

Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen“, verlangte er leise zu wissen, weil sie ihn küssen wollte.

Nichts weiter als meinen geliebten Morten“, flüsterte sie zärtlich.

Dann presste sie ihren Mund auf den seinen.

Sehr lange.

Ihr Kuss ließ Haskins nach eine Weile schwindelig werden. Es war schon lange her, dass eine weibliche Person ihn so innig und hingebungsvoll geküsst hatte. Er brachte es deshalb nicht fertig, die süße Berührung abzubrechen. Schließlich sorgte sie selbst dafür und löste sich von ihm, aber nur eine Handbreite.

Hab’ ich doch gewusst. Den Kuss kenne ich“, hauchte sie voll erotischer Hingabe. Dann zog sie ihn wieder fest an sich und sank mit ihm spontan aufs Bett.

Beide entledigten sich im aufkommenden Liebesrausch stürmisch ihrer Kleidung und eine lange, schweigende Vereinigung begann.

Danach schlief Morten Haskins in ihren Armen ein. Er träumte einen altbekannten Traum: Er befand sich in einer anderen Welt und wanderte in Finsternis umher. Er rief um Hilfe. Irgendwo am fernen Horizont hörte er eine Frauenstimme, die ihm antwortete, doch je näher er auf diese Stimme zulief, er erreichte sie nicht. Dann sah er diese schöne Frau im Schein zweier Monde, wie sie ihm zuwinkte. Als er ebenfalls seine Arme hob, verschwand sie plötzlich. Er wachte auf.

Die Schönheit neben ihm, die sich als „Ellen Eiries“ ausgab, lag nackt und mit weit ausgestreckten Beinen an seiner Seite. Ihre dunklen Augen waren geöffnet. Sie beobachtete jede seiner Bewegung. Sie richtete sich auf und küsste ihn abermals wild und ungestüm.

Morten Haskins studierte ihre glatte, weiße Haut und ließ seinen Blick über ihre sanften Hüften und prallen Brüste gleiten. Er streichelte sie zärtlich mit den Fingerspitzen, zog sachte die Kurven ihres unglaublich schönen Körpers nach. Sein Ärger und seine Bedenken waren wie flüchtiges Gas verflogen. Er hatte das seltsame Gefühl, dass ihm diese Frau irgendwie vertraut und bekannt vor kam. Er liebte sie. Er fühlte sich dabei wie in einem Liebestraum.

Die weibliche Person, die sich „Ellen Eiries“ nannte, lehnte ihren Kopf spontan an seine beharrte Brust.

Sie begann zu sprechen, wobei sie ihm nachdenklich einen Finger an die Lippen legte.

Morten“, sagte sie, „könnte es nicht sein, dass wir eine Reise durch Raum und Zeit gemacht haben? Ich versuche ja nur, eine Erklärung für dein Verhalten zu finden.“

Haskins lehnte sich etwas zurück und streichelte ihre Wangen.

Ich weiß nicht, was du vorher gemacht hast“, eröffnete er ihr. „Ich jedenfalls habe mein ganzes Leben hier auf der Erde verbracht. Tatsächlich bin ich noch nicht einmal mehr als hundert Kilometer aus dieser verfluchten Stadt rausgekommen.“

Aber Morten, erinnere dich! Du bist unzählige Lichtjahre von der Erde entfernt auf anderen Planeten gewesen und hast viele Sternensysteme besucht.“

Ellen, ich sage dir nochmals…, nein! Das kann nicht sein. Ich wüsste ja sonst davon.“

Liebling, du warst der Raumschiffkommandant eines gewaltigen Schlachtschiffes namens „Red Hot“ mit mehr als zehntausend Mann Besatzung und hast Kriege weit entfernt von diesem Sonnensystem, das du Sol nennst, geführt. Ich muss es doch wissen! Ich bin deine Frau!“

Die Erde hat keine Raumschiffe dieser Größenordnung. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich hoffe zwar darauf, aber wenn es mal soweit sein wird, werde ich mit Sicherheit nicht mehr leben und auch nie ein solch gewaltiges Raumschiff kommandieren.“

Ach Morten…!“

Tut mir leid, Ellen. Aber können wir trotz allem dieses Spiel jetzt nicht beenden?“

Langsam, wie unter einer zentnerschweren Last, senkte sie abermals den Kopf. Ihre schönen Augen starrten ins Leere. Sie schien diesmal wirklich noch bestürzter zu sein, als beim ersten Mal und bedurfte offenbar des Trostes.

Haskins sehnte sich danach, sie in seine Arme zu nehmen, sie an sich zu pressen, um sie fest zu umschlingen. Aber er brachte es nicht fertig.

Plötzlich befiel ihn das schauderhafte Gefühl, dass er sie die ganze Zeit falsch eingeschätzt hatte. Es war kein Spiel, sondern eine echte Wahnvorstellung, eine gutgebaute Täuschung, die auf seine erfundene, literarische Gestalt basierte, die er das Leben geschenkt hatte. Die Angst kroch wie eine bösartige Giftspinne in ihm hoch, weil er glaubte, der Suff habe ihn mittlerweile schon um den Verstand gebracht. Er wähnte sich bereits im Delirium.

Während er nachdachte, schaute sie ihn an.

Morten“, sagte sie, „was genau ist es, worüber du schreibst?“

Er lächelte über ihre Frage.

Nun ja, ich schreibe mal über mich, mal über andere oder erfinde einfach irgendwelche Geschichten, die in der Zukunft spielen. Science Fiction sagt man heute dazu.“

Gedankenvoll blickte sie ihn wieder an, nachdem sie kurz weggeschaut hatte.

Nein, Morten, nicht Science Fiction. Ich existiere wirklich. Wir beide liegen in diesem Zimmer und haben uns noch vor wenigen Minuten geliebt und körperlich vereinigt. Ich bin genauso real wie du. Ich denke mal, dass du mit der Zukunft irgendwie auf unerklärliche Art und Weise über unglaublich weite Distanzen in Verbindung treten kannst. Du holtest mich hierher – also kannst du mich auch wieder zurückschicken.“

Wie bitte? Ich soll dich zurückschicken? Aber wohin?“

Sie schmiegte sich wieder an ihn und küsste ihn zärtlich auf die Wange. Sein Arm schlüpfte um ihre Taille, passte sich ihr an, als wäre er dafür geformt.

Das finden wir schon irgendwie heraus, Liebster. Versteh mich bitte: Ich muss wieder zurück und ich werde dich mitnehmen.“

Eng umschlungen legte sie sich auf ihn und liebte ihn ein zweites Mal voller Hingabe.

Haskins schloss die Augen und genoss die Nähe und das Innere ihres Körpers.

Dann wachte er wieder auf. Sie saß noch immer nackt auf ihm.

Morten, ich kann hier nicht bleiben“, sagte sie mit leiser Stimme zu ihm. „Wenn ich bleibe, könnte ich niemals mehr die Schönheit der Sterne aus nächster Nähe sehen. Es ist ein großartiges Erlebnis, wenn man eine Galaxie aus dem Panoramafenster eines gewaltigen Schlachtschiffes betrachten kann. Du musst das Tor wieder öffnen und eine Raumkrümmung erzeugen!“

Haskins griff nach ihrer Schulter und fasste sie hart an.

Es gibt kein Tor, Ellen. Es hat niemals eins gegeben. Ich kann auch keine Raumkrümmung erzeugen. Wie soll ich das können? Ich erfinde diese Dinge nur in meinen Science Fiction Romanen. Weiter nichts.“

Sie starrte ihn an.

Doch Liebster, du kannst es. Du musst dich nur intensiv darum bemühen. Du musst es von ganzem Herzen wünschen, dass du und ich gehen. Dein Wille allein hält dich und mich in dieser Dimension gefangen, wo wir beide eigentlich nicht hingehören.“

Unter diesem beschwörenden Blick fielen seine Hände von ihr ab. Sie erhob sich von ihm und stellte sich breitbeinig vor das Bett.

Du möchtest also unbedingt, dass es dein Wunsch ist, mich hier zu behalten“, erklärte sie ruhig. Sie ging plötzlich in einem weiten Bogen um das Bett herum und durchquerte in zwei großen Sätzen das Zimmer. Bevor Morten Haskins überhaupt begriff, was sie beabsichtigte, hatte sie auch schon den auf dem Boden liegenden Revolver in beide Hände genommen, wirbelte um die eigene Achse und zielte mit der Waffe auf ihn. Haskins streckte schützend beide Arme von sich, als wolle er den tödlichen Schuss abwehren.

Dann schrie er heiser: „Ellen, mach’ keine Dummheiten!“

Liebling, ich will nicht auf der Erde bleiben. Wir werden einen Weg aus dieser Welt finden, um von hier weg zu kommen. So versteh’ mich doch!“

Haskins war verzweifelt.

Das glaube ich dir ohne weiteres, Schatz. Aber nicht so. Du wirst mich umbringen. Ich will nicht sterben, bitte!“

Beherrscht wies sie mit dem Lauf des Revolvers auf ihn.

Morten, du bist es, der uns beide hier gefangen hält. Dein Wunsch und dein Wille sind es, die uns hier an diesem Ort binden. Wenn du ablehnst, beides aufzugeben, bleibt mir keine andere Wahl, als diesen, deinen Willen zu brechen. Auch deinen Wunsch kann ich nicht in Erfüllung gehen lassen. Ich werde beides verhindern.“

Der Schriftsteller wähnte sich in einem Albtraum. Er fand keine Zeit mehr, seinem grenzenlosen Entsetzen durch einen Schrei Ausdruck zu verleihen, als mit einem blendenden Lichtblitz das Projektil den stählernen Lauf der Pistole verließ und klatschend in seine Brust einschlug. Noch während sich Morten Haskins im Todeskampf aufzurichten versuchte, hörte er einen zweiten Schuss und sah mit gebrochenem Blick, wie Ellen nach vorne aufs Bett fiel und sich langsam aufzulösen begann. Sie verschwand einfach vor seinen Augen wie ein durchsichtiges Gespenst.

Dann löste sich alles um ihn herum auf. Die gesamte Umgebung verschwand im Nichts, noch bevor ihn Finsternis umhüllte.


 

***


 

Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt in einer anderen Galaxie.


 

Morten kommt wieder zu sich, Ellen“, sagte der Arzt des Operationsteams. „Wir hätten ihn beinahe verloren. Er war zwar schwer verletzt, aber er wird wieder völlig gesund werden. Der Kerl hat ein Riesenglück gehabt, dass er die verheerende Explosion seines Schlachtschiffes in der Rettungskapsel überhaupt überlebt hat. Fast alle seine Männer sind tot. Ein großer Verlust für die intergalaktische Flotte, aber sie wird es verkraften. Dein Mann hat trotzdem den Krieg gegen die Xeraner für sich entscheiden können, indem er vorher den von ihnen benutzten Zeitsprungkorridor rechtzeitig mit Antimaterieminen unpassierbar gemacht hat. Die Xeraner sind mit ihrer gesamten Raumkampfflotte in diese Falle getapst und vernichtet worden. Du kannst froh darüber sein, dass du dich zur gleichen Zeit beim Lord Admiral Malcom Quint auf Hooke One befunden hast. Vielleicht wärst du jetzt tot, wenn du zusammen mit ihm an diesem Kampf gegen die Xeraner teilgenommen hättest.“

Die schöne schlanke Frau im schwarzen, eng anliegenden Raumanzug lehnte sich liebevoll über ihren Mann und küsste ihn auf seine zitternden Lippen, als er gerade die Augen wieder aufschlug. Verschwommen erkannte Morten Haskins, der etwas in die Jahre gekommene Raumschiffkommandant des zerstörten Großraumkampfschiffes „Red Hot“ seine hübsche junge Frau.

Matt streckte er seine beiden Arme nach ihr aus und fragte sie flüsternd: „Ellen, wo bin ich?“

Bei mir…, in Sicherheit, Liebster.“

Ellen Eiries“ streichelte ihren Mann über die schweißnasse Stirn und legte ihren rechten Zeigefinger vorsichtig auf seinen leicht geöffneten Mund.

Schsch…, du musst dich schonen, mein Schatz. Man hat dir einen Zellgenerator eingepflanzt, der deine schweren Verletzungen schneller ausheilen wird. Ich werde auf jeden Fall bei dir bleiben, bis du wieder völlig genesen bist.“

Morten sah seine Frau Ellen zufrieden an.

Ach Ellen, was würde ich ohne dich machen? Wenn ich wieder auf den Beinen bin, werde ich dir von meinem seltsamen Traum erzählen müssen, der mir so real vorkam, wie dieser Augenblick mit dir jetzt. – Stell dir vor, ich war irgend so ein alter Science Fiction Romanschreiber auf einem Planeten, den man Erde nennt oder so ähnlich. Und weist du, was das Seltsame an diesem Traum war? Du hast mich dort auf diesem Planeten besucht und…“

Ich weiß, ich weiß, Morten“, unterbrach ihn seine Frau. „Aber Träume sind Schäume und haben nichts zu bedeuten. Die Schwester wird gleich kommen und den Zellgenerator auf halbe Leistung stellen, damit du in Ruhe einschlafen kannst. Ich werde solange bei dir bleiben und mich in deiner Nähe aufhalten.“

Als die Krankenschwester in das Zimmer kam und ans Bett des verletzten Raumschiffkommandanten trat, hatte dieser bereits seine Augen wieder geschlossen, immer noch die Hand seiner schönen jungen Frau, der ehemaligen Söldnerin „Ellen Eiries“, fest umschlossen haltend.


 

ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter


 

****


 


 

2. Die Prinzessin vom Planeten WANDERER


 

Draußen war es bitterkalt. Die Nacht klirrte vor Kälte. Hoch droben am pechschwarzen Himmel glitzerten die Sterne wie kleine Diamanten.

 

Es schneite schon seit Tagen und niemand konnte vorhersagen, wann es wieder aufhörte.

 

Die junge Soldatin Riva Meridian stand auf Wacht hoch droben hinter den steinernen Zinnen einer mächtigen, ausgedehnten Festungsmauer und fröstelte.

 

In der rechten Hand hielt sie eine Lanze. Ein brauner Ledermantel, der ihr bis zu den Knien reichte, schlank sich um ihren üppig geformten Körper. Um nicht noch mehr zu frieren, ging sie jetzt einige Schritte auf und ab, wobei ihre blonde Mähne unter dem Eisenhelm trotzig hervorlugte und im eisigen Wind wild hin und her flatterte.

 

Eigentlich war das momentane Wetter für sie nichts ungewöhnliches. Sie war hier zwar nicht geboren, aber mit Wölfen, Bären, Waldkatzen und allerlei anderen wildlebenden Tieren kannte sie sich dennoch gut aus.

 

Auch die gewaltigen Kräfte der Natur, angefangen vom heulenden Wind über die weite, schneebedeckte Ebene, bis hin zu den hohen, aufwirbelnden Schneefontänen schreckte sie nichts. Das langgezogene Heulen der nach Nahrung suchenden Wölfe, das gefährliche Knistern der Eisdecken auf den zugefrorenen Seen und das Ächzen der Bäume unter der Last der hohen Schneemassen konnte Riva nicht ängstigen.

 

Sie sog die eiskalte Luft tief in ihre Lungen, blieb kurz stehen und ging schließlich langsam weiter. Die junge Frau war eine echte Abenteurerin. Am östlichen Ende der Festungsmauer traf sie auf den Soldaten Flynn Wanen.

Flynn war ein hünenhafter Krieger, mit freundlichen Augen zwar aber mit scharf geschnittenen, furchterregenden Gesichtszügen, die jedem Gegner tödliche Verwegenheit und wilde Entschlossenheit signalisierten.

 

Als er sie sah, lächelte er lüstern.

 

Der jungen Soldatin zitterten plötzlich die Knie. Hier oben war sie mit diesem kräftigen Kerl allein und niemand könnte ihr helfen, wenn er zudringlich würde. Sie fragte sich, ob die Kraft seiner Lenden und Arme auch der seines Geistes und seines Verstandes entsprachen.

 

Riva räusperte sich ein wenig.

 

Ist bei dir alles ruhig, Flynn?“ fragte sie ihn zögerlich.

 

Der nickte nur mit dem Kopf und schaute sie dabei von unten bis oben interessiert an. Sie konnte seine Gedanken erraten. Er begehrte sie. Seine Stimme klang schleppend.

 

Bei mir ist nichts los, außer, dass ich langsam kalte Füße bekomme. Hoffentlich ist bald die Wachablösung da“, antwortete er mürrisch und verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Dabei entblößte er seine ebenmäßigen Zähne, die in der Dunkelheit weiß wie Schnee leuchteten.

 

Für Riva Meridian war die Welt wieder in Ordnung. Sie umfasste ihre Lanze noch fester und marschierte den gleichen Weg auf der Festungsmauer wieder zurück, den sie vorher gekommen war. Während sie sich umdrehte, warf sie einen Blick über die nächtliche Schneelandschaft.

 

Plötzlich hielt sie abrupt inne, schob sich in die nächste, zugeschneite Zinne, beugte ihren Körper über den Mauerrand und schaute mit halb zugekniffenen Augen in die Finsternis hinein. Ihr war eine Bewegung im Schnee aufgefallen.

 

Schon stand Flynn ganz nah neben ihr.

 

Was ist?“ fragte er sie flüsternd.

 

Da! Hast du das gesehen?“

 

Riva deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf eine hohe Schneeverwehung, keine hundert Schritte vom Haupttor entfernt.

 

Auch Flynn kniff jetzt die Augen zusammen und starrte mit angestrengtem Blick in die Dunkelheit hinein.

 

Ein großer Schatten huschte herum, der näher kamen.

 

Vielleicht ist es ein Tier, dachte sich Riva und blickte abermals hinüber zur Schneeverwehung.

 

Was meinst du, Flynn? Schlagen wir Alarm?“

 

Warte noch ein bisschen, Riva! Ich glaube...“

 

Dann erschreckte er. Flynn erkannte plötzlich deutlich eine riesenhafte Gestalt, die gleich neben der hohen Schneeverwehung stand.

 

Riva duckte sich instinktiv. Nur Flynn blieb stehen und blickte mit nervös flackerndem Blick über die verschneiten Zinnen.

 

Wer ist dieser Kerl? Will der uns angreifen?“ fragte er mit heiser gewordener Stimme und schaute hinüber zu der jungen Soldatin, die nur ratlos mit den Achseln zuckte.

 

Langsam verrann die Zeit. Riva hatte das komische Gefühl, dass sich da draußen etwas Unheimliches anbahnte. Etwas, das ausschließlich sie allein betraf.

 

Flynn fuhr zurück, duckte sich ebenfalls und gesellte sich zu Riva.

 

Vielleicht gehört der Kerl zu einer Vorhut. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man uns bei diesem Wetter angreifen will.“

 

Ich gehe runter, um die Bereitschaft zu wecken“, sagte Riva leise. Sie spürte auf einmal die Kälte nicht mehr und ihr Puls schlug ihr bis zum Hals. Der Fremde neben der Schneeverwehung interessierte sie so sehr, dass sie sich noch einmal in eine Zinne schob und angestrengt in die Nacht blickte.

 

Das Schneetreiben nahm zu. Genaues war deshalb nicht zu erkennen. Die Gestalt war irgendwohin verschwunden. Die Soldatin schüttelte verwirrt den Kopf.

 

Mittlerweile hatte Flynn vorsichtshalber die Bereitschaft selbst alarmiert. Ein ziemlich hochgewachsener Hauptmann kam mit einigen seiner Bereitschaftssoldaten auf die Mauer. Ihre Ledermäntel flatterten im Wind, als sie leise wie Raubkatzen zu den Zinnen der mächtigen Festungsmauer heraufschlichen. Nur keine Geräusche machen. Der Feind sollte nicht wissen, wo sie sich aufhielten. Ein anderer Teil der Bereitschaft hatte sich schwer bewaffnet unten am Tor in der Nähe der Seilwinde versammelt und wartete auf neue Befehle.

 

Der Hauptmann und einige seiner Offiziere, die man eilig herbei gerufen hatte, berieten sich gerade im Schutze eines Festungsraumes. Ein Melder kam herein.

 

Herr Hauptmann“, sagte er mit leiser Stimme, „der Fremde wurde wieder gesichtet. Er trägt einen halbkugelförmigen Helm mit einem durchsichtigen Visier, hinter dem sich unentwegt ein rotes Licht bewegt. Offenbar ist er völlig nackt. Unsere Späher konnten nichts an ihm entdecken, was nach Bekleidung ausgesehen hätte. Eigentlich müsste der Mann schon längst erfroren sein. Kein normaler Mensch hält die Kälte da draußen in dieser dürftigen Aufmachung aus.“

 

Der Hauptmann blickte den Melder missmutig an. Dann sagte er mit skeptischem Gesichtsausdruck: „Lasst zwanzig Männer durch den geheimen Nebenausgang nach draußen gehen. Sie sollen sich an den Fremden heranschleichen und ihn überwältigen. Der Kommandant will, dass sie diesen Kerl in die Festung zu ihm bringen. – Führen sie den Befehl sofort aus und erstatten sie mir umgehend Bericht, wenn die Truppe mit dem Gefangenen zurückgekehrt ist!“

 

Jawohl, Herr Hauptmann!“ bestätigte der Melder mit leiser Stimme, verließ die Mauer und verschwand in der Dunkelheit des Hofes. Die junge Soldatin Riva und der Soldat Flynn folgten ihm auf dem Fuß.

 

Als sie zusammen im Hof angekommen waren, hatte der Melder bereits dem anwesenden Offizier die Anweisungen des Hauptmannes vollständig überbracht. Wortlos gab er den Soldaten ein Zeichen, die daraufhin ihre Schwerter zückten und einen geheimen Nebeneingang auf der gegenüberliegenden Seite des weitläufigen Hofes zielstrebig ansteuerten. Einer nach dem anderen verließen sie das Innere der schützenden Festungsanlage durch das mannshohe Tor, das aus massiver Eiche bestand und mit eisernen Riegel bestückt war.

 

Flynn und Riva waren die letzten, die hindurch huschten. Sie versanken draußen sofort bis an die Knie im tiefen Schnee. Beide stießen sie stille Verwünschungen aus und eilten dem vorausgehenden Offizier und seinen Männern hinterher.

 

Das schaurige Heulen einer hungrigen Wolfsmeute ertönte. Doch weder Flynn noch Riva machte das Angst, auch wenn die Schneewölfe um diese Jahreszeit besonders gierig nach Fleisch waren.

 

Der Offizier, sein Name war Flavius Strabo, streckte plötzlich seine rechte Hand aus, indem er das Schwert in eine ganz bestimmt Richtung hielt. Die Klinge deutete auf ein verschneites Gebüsch hin, das auf einer leichten Anhöhe lag.

 

Von dort oben aus können wir den Fremden beobachten. Wir schleichen uns ins Unterholz und rühren uns erst wieder, wenn ich es sage. – Ich will keinen Ton hören! Also, vorwärts mit euch, Leute!“

 

Die Soldaten schlichen geduckt weiter, und die Soldatin Riva fragte sich insgeheim, warum der Fremdling so verstohlen tat. Schließlich erreichten sie alle gemeinsam die kleine Anhöhe und krochen ins Unterholz. Das Gebüsch war total zugeschneit und bot ihnen deshalb eine hervorragende Tarnung. Der Offizier suchte die vor ihm liegende Umgebung ab. Bald entdeckte er die unheimlich aussehende Gestalt, die wie angewurzelt keine dreißig Meter vor ihm im tiefen Schnee stand. Aus seinem Kopf ragten dünne Stangen hervor und in seiner rechten Hand hielt er einen länglichen Gegenstand, der aber nicht aussah wie ein Schwert oder eine Lanze.

 

Der Fremde schien sie nicht bemerkt zu haben. Noch nicht.

 

Der Offizier gab plötzlich einen leisen Pfeifton von sich. Das war der vereinbarte Befehl zum Angriff. Gemeinsam huschten er und seine Soldaten wie lautlose Schatten aus der Deckung hervor und gingen von hinten auf die unheimliche Gestalt zu, die sich immer noch nicht rührte. Das Heulen des Windes verschluckte das verräterische Knirschen ihrer Schritte.

 

Als sie etwa nur noch sechs oder sieben Meter hinter ihm standen, drehte sich die Gestalt behäbig um. Ein leichtes Surren ging von ihr aus. Offenbar handelte es sich um einen Mann, dessen Körpergröße wohl an die drei Meter maß. Er hatte die heranschleichenden Soldaten anscheinend schon längst entdeckt, vor denen er nicht die geringste Angst hatte. Jedenfalls zeigte er sie nicht.

 

Der Offizier blieb stehen und seine Soldaten taten es ihm nach. Fassungslos standen sie da und vor Grauen ließen sie die Waffen sinken, als sich der Fremde schlagartig in die Luft erhob und vor ihren Augen in Richtung der Festungsanlage davon schwebte.

 

Ein lautes Donnern erschallte, als er die Mauer überflog. Schreie wurden dahinter laut und die aufwachenden Menschen in der Festung gerieten in Panik.

 

Flynn und Riva liefen so schnell sie konnten den gleichen Weg zurück ins Innere der Festungsanlage.

 

Als sie drinnen angekommen waren, stand der Fremde bereits in der Mitte des Hofes und bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle. Wie eine in Beton gegossene Säule stand er da. Eine große Menschenmenge hatte sich mittlerweile um ihn herum versammelt. Offenbar war die anfängliche Furcht vor dem Riesen gewichen und hatte jetzt einer aufkommenden Neugierde Platz gemacht.

 

Ein lauter Kampfschrei erschallte über der Mauer, als plötzlich ein versteckter Bogenschütze auf die wie erstarrt da stehende Gestalt zielte und einen Pfeil abschoss, der allerdings wirkungslos von der Haut des Fremden abprallte. Ein erstauntes Raunen ging durch die verblüffte Menge.

 

Flynn stand jetzt zusammen mit Riva direkt vor dem Riesen. Mit mörderischer Kraft lief Flynn wie von Sinnen auf den Mann zu, prallte aber einen Schritt vor ihm in einem weiß blauen Blitz ab und fiel in den festgetretenen Schnee. Die Menge floh schreiend auseinander, als der Fremdling den länglichen Gegenstand in seiner rechten Hand hob und ihn auf den am Boden liegenden Soldaten richtete.

 

Ein gleißend heller Strahl verließ die Waffe des Ungetüms und traf Flynn direkt in der Mitte des Körpers, der mit einem hässlichen Geräusch zerplatzte, wie ein zu stark aufgeblasener Luftballon. Seine Fleischfetzen flogen nach allen Seiten durch die Gegend.

 

Riva übergab sich und versteckte sich vorsichtshalber hinter einem großen Holzwagen, der mit etlichen Strohballen beladen war.

 

Dann meldete sich der Hauptmann zu Wort. Sein Blick suchte den Fremden, der wie ein Roboter aussah.

 

Was wollt ihr von uns?“ schrie er mit lauter Stimme.

 

Der Blick der riesenhaften Gestalt wanderte zum Hauptmann, der sich daraufhin ängstlich zwischen seine Soldaten mischte.

 

Ich suche jemanden, der sich in eurer Festung aufhält“, sagte die hünenhafte Gestalt mit lauter Stimme. „Es handelt sich um jemanden, der meinem Herrn gehört und seit etwa fünf Sonnenumläufen verschwunden ist. Ich aber habe die Person gefunden und muss sie unbedingt zurückbringen. Koste es, was es wolle. Seid also vernünftig und euch wird kein Haar gekrümmt.“

 

Die junge Soldatin Riva Meridian empfand plötzlich eine eisige Kälte. Verschüttete Erinnerungen kamen zurück, von denen sie eigentlich nichts wissen wollte. Aber sie drängten sich unaufhörlich in ihr Bewusstsein. Sie konnte nichts dagegen tun.

 

Sie war die einzige, die nicht aus dieser Umgebung stammte oder hier geboren worden war. Sie wusste auch auf einmal, wer dieses Ungetüm war, das hier mitten im Hof der Festungsanlage stand und bereits einen Mann getötete hatte. Es war ein Such- und Kampfandroide ihres Vaters, des Herrschers vom Planeten WANDERER, der eines seiner interstellaren Sternenschiffe geschickt hatte, um sie, die Sternenprinzessin, Miss Riva Meridian, nach Hause zurückzuholen.

 

Wie ist der Name der von euch gesuchten Person?“ fragte der Hauptmann mit lauter Stimme.

 

Ihr Name ist Riva Meridian. Ich habe sie bereits geortet und möchte die Prinzessin darum bitten, sich zu zeigen.“

 

Die junge Soldatin hatte keine andere Wahl. Der Androide würde die Menschen hier töten, wenn sie persönlich nicht bald seiner unmissverständlichen Aufforderung folgen würde. Langsam und nur zögerlich trat sie hinter dem Holzwagen hervor. Als sie frei stand, wurde sie im gleichen Augenblick von einem Tracktorstrahl eingehüllt und festgehalten. Dann verschwand sie auf der Stelle im Nichts, als hätte sie der Boden mit Haut und Haaren verschluckt.

 

***

 

Miss Meridian? Können Sie mich hören? Wie geht es ihnen jetzt?“ fragte ein Mann im weißen Kittel, der sich weit zu ihr heruntergebeugt hatte. Riva lag auf einer breiten, beheizten Liege, die gerade aus einer gläsernen Röhre rollte.

 

Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste sie, als sie sich abrupt aufrecht hinsetzte und ihr einfiel, wo sie sich befand.

 

Dr. Martin Rockwell zuckte verlegen die Achseln. Er war der Betreiber des Traumstudios und musterte die junge Frau lächelnd.

 

Meine liebe Miss Meridian. Das war die erste Folge. In der zweiten geht es dann weiter, natürlich nur dann, wenn sie es ausdrücklich wünschen. Dort können sie dann herausfinden, welches Geheimnis die Sternenprinzessin umgibt und warum sie vor ihrem Vater, dem Herrscher von WANDERER, geflohen ist.

Wissen Sie, das kann eine unendliche Geschichte werden...“

 

Die junge Frau zuckte mit den Schultern. Verlegen schaute sie sich um, als käme ihr das Scheinweltenspiel selbst ein wenig kindisch vor.

 

Ich glaube nicht, dass ich das herausfinden will, Dr. Rockwell. Der Androide hat angefangen zu töten. Das ist mir zu phantasielos. Ich dachte, das grausames Töten nicht in ihren Traumangeboten vorkommt. Das war ja richtig widerlich, was ich da erleben musste. Zerfetzte Körperteile flogen mir um die Ohren. Ich hatte richtige Angst um mich.“

 

Ich habe sie vorher gewarnt, Miss Meridian. Das Traumspiel heißt nun mal „Die Prinzessin von Wanderer“. Es ist ein Stück mit allem, was ein Abenteuer dieser Art zu bieten hat, inklusive Intrigen, mit Krieg, grausamen Kämpfen, mit Mord und Totschlag. Das gehört einfach dazu. Sie wollten doch knisternde Spannung – oder habe ich mich da etwa falsch ausgedrückt, als sie mich danach fragten?“

 

Ist ja schon gut, Doktor Rockwell. Ich bin die ungezogene Tochter eines Sternenkönigs, die immer wieder von zu Hause abhaut, ihre königliche Herkunft vergisst und sich überall im Universum herumtreibt, um neue Abenteuer zu erleben, aber ihrem Vater das Leben dabei schwer macht. Ich muss mich dabei außerdem mit Barbaren herumschlagen und werde von einem Androiden verfolgt. – Wie spannend.“

 

Meine Kunden sind jedenfalls ganz verrückt danach“, sagte Dr. Rockwell fast schon beleidigt und setzte eine Unschuldsmiene auf.

 

Ich nicht, auch wenn das Medium vielleicht seine gewissen Reize für manche meiner Zeitgenossen hat. Ich wollte es eben auch mal ausprobieren. Ist halt modern...“

 

Die junge Frau gähnte. Sie fühlte sich merkwürdigerweise wie zerschlagen. Sie rührte sich deswegen auch nicht, als Dr. Rockwell die Stirnkontakte löste, die sie mit dem Traumgenerator im Hintergrund verbanden.

 

Prinzessin von Wanderer hin oder her – ich hab wohl keine Ader für so was. Aber immerhin kann man sich damit prima die Zeit totschlagen“, sagte sie schnippisch.

 

Der Doktor nickte höflich. Er schaute nebenbei auf die Uhr, denn seit einer halben Stunde hatte er eigentlich schon Feierabend.

 

Aber was tut man nicht alles für eine junge hübsche Frau, die die verzogene Tochter seines Arbeitgebers war, der über ein Heer von über 300 000 Angestellte und Arbeiter weltweit verfügte.

 

Doktor Rockwell schaltete den sanft brummenden Traumgenerator ab, verließ den Raum und verabschiedete sich von seiner Kundin Miss Riva Meridian.

 

Er war froh, endlich nach Hause gehen zu können.

 

 

ENDE

 

©Heinz-Walter Hoetter

 

 

***

 

3. Die Plasmakrake aus den Tiefen des Alls


 

Sie kommt, um alles zu zerstören.


***


Ein gigantisches Etwas schwebte seit undenklichen Zeiten schwerelos durchs Tinten schwarze Universum.

Dank der besonderen Beschaffenheit seines einzigartigen plasmatischen Körperaufbaues überlebte es sogar in der absolut tödlichen Umgebung des Alls.

Es schlief nicht, denn es kannte keinen Schlaf; aber es ruhte und absorbierte die kosmische Strahlung im Weltall, die überall anzutreffen war. Sie wurde von seltsam geformten Höhlungen in seinem langen, Patronen förmigen Rumpf aufgefangen und ins Innere seines gewaltigen Körpers geleitet, wo sie in lebenserhaltende Energie umgewandelt wurde und als Nahrung für das monströs aussehende, Kraken ähnliche Gebilde diente. Auf diese Weise konnte es sich, ohne je richtigen Hunger zu leiden, durch die endlosen Weiten des Alls treiben lassen.

Es hatte acht gigantische Riesententakel, die sich wie geschmeidige Arme bewegten und normalerweise nicht zu sehen waren. Wenn diese seltsame Kreatur jedoch von irgend etwas bedroht wurde oder aus Mord- und Fressgier in wilde Ekstase geriet, schossen seine bläulich leuchtenden Fangarme wie riesige Torpedos hervor, die alles, was sie einmal umklammerten, nicht mehr losließen.

Es kannte keine Feinde. Daher betrachtete es alle anderen eventuell vorhandenen Lebewesen im Weltall als potenzielle Beute. Es gab nicht eine einzige Lebensform im Kosmos, die von ähnlicher Angriffslust beseelt war, wie diese unwirklich aussehende Kreatur aus plasmatischer Energie, die eine Ausgeburt der Hölle zu sein schien.

Wäre die Außenhaut mit dem menschlichen Auge sichtbar gewesen, so hätte man die Farbe dieser außerirdischen Monsterkrake als Violettbraun bezeichnen können, allerdings nur in einem Zustand der Ruhe. In der Erregung konnte es alle möglichen Farben annehmen.

Die einzige Beschaffenheit des Universums, die von dem Sinnesapparat des unheimlichen Wesens beständig überwacht wurde, war das gleißend helle Licht der vorbeiziehenden Sterne. Und während es wie ein einsamer Komet durch die unendlichen Weiten des Alls trieb, bewegte es sich, einzig und allein beeinflusst von der unterschiedlichen Strahlungsintensität der jeweiligen Sonne, entweder darauf zu oder driftete einfach an ihr achtlos vorbei, wenn es in dem System keine Planeten registrierte, auf denen sich Leben entwickelt hatte. Denn es trachte seit Urzeiten danach, alles was nicht unbelebten Ursprungs war, zu vernichten .

Doch jetzt spürte es eine aufregende Veränderung. Urplötzlich war das helle Licht eines unbekannten Gestirns am kosmischen Hintergrund aufgetaucht und hatte die empfindlichen Solarzellen in Unruhe versetzt. Außerdem registrierten die Sensoren einen blauen Planeten, auf dem sich üppiges Leben entwickelt hatte.

Der gigantische Oktopus wechselte abrupt die Farbe, seine schrecklichen Tentakel waren ausgefahren und trieben ungestüm tastend nach allen Seiten wie Suchantennen aus ihren zuckenden Vertiefungen hervor.

Zwei Instinkte trieben das Plasma-Ungeheuer jetzt an – der Mordinstinkt und seine animalische Fressgier auf alles, was man der lebendigen Materie zurechnen konnte.

Der Angriff auf die Erde begann. Ihr Untergang war in diesem Moment besiegelt.

Die Tatsache, dass die Natur des Universums ihre geheimnisvollen Seiten hatte, konnte man an der gewaltigen Größe dieses Monsters erkennen, das den anvisierten Erdplaneten um ein Vielfaches übertraf.

Das intergalaktische Mordungeheuer schwebte am Erdtrabanten vorbei und raste auf die Erde zu. Als es nahe genug war, drehte es sich in die Richtung seiner planetarischen Beute und holte mit seinen riesigen Tentakeln zum tödlichen Schlag aus. Die knotigen Enden durchschlugen die explodierende Atmosphäre und trafen mit erschütternden Donnerschlägen die auseinanderbrechende Erdoberfläche. Die übrigen Tentakeln griffen ebenfalls an und taten das Gleiche. Ein Inferno setzte ein. Die sterbende Erde barst zuerst etwas auseinander, hob sich in einem verzweifelten Todeskampf leicht nach oben und kollabierte kurz darauf schlagartig nach innen, als die wütenden Tentakel des gigantischen Monsters aus dem All den Planeten von allen Seiten fest umschlossen. Dann begann es damit, die glühenden Fragmente der rauchenden Kontinentalkrusten Stück für Stück in sich hinein zu schieben.

Die sich darbietende Apokalypse war unbeschreiblich.

Bald waren auch die letzten Reste des Planeten Erde im Schlund des kosmischen Plasma-Monsters verschwunden, das jetzt langsam weiter schwebte, den schrecklichen Ort der totalen Vernichtung hinter sich lassend, bis es bald irgendwo in den unendlichen Weiten eines Sternen übersäten Weltalls verschwunden war.

Zurück blieb ein einsam dahin torkelnder Mond, der, nun seines fesselnden Heimatplaneten beraubt, irgendwann in die Sonne stürzen würde.

 

ENDE


©Heinz-Walter Hoetter

 

 

***

 

 

4. Das Adam und Eva-Prinzip


 

An der tiefsten Stelle der Höhle befand sich ein kleiner See, dessen Oberfläche teilweise mit einer dicken Schicht aus gelbbraunen Flechten und grünen Moosen bedeckt war. Besonders in Ufernähe. Hier und da blubberten Gasbläschen aus der Tiefe, die, wenn sie zerplatzten, das trübe Wasser wellenförmig kräuselten.

 

Die abgeschiedene Ruhe des urzeitlichen Höhlensees wurde schlagartig unterbrochen, als sich in der Nähe des steinigen Ufers plötzlich laut schäumend die Seeoberfläche teilte und der Kopf eines Mannes erschien.

 

Das Gesicht des Tauchers war mit weit geöffnetem Mund steil nach oben gerichtet. Gierig nach Luft schnappend hielt er sich mit heftigen Schwimmbewegungen nur knapp über Wasser und schaute sich hastig dabei um. Nach einer Weile schwamm er schließlich an den glitschigen Rand des Höhlensees.

 

Nur schwaches Licht drang irgendwo von weit oben in die Höhlenraum, sodass nicht einmal das Wasser schimmerte. Es war aber immer noch hell genug, um alles einigermaßen gut erkennen zu können.

 

Der Mann, der Jimmy Denveron hieß und etwa dreißig Jahre alt war, tastete sich jetzt vorsichtig bis zum steinigen Seeufer vor, bis er schließlich eine flache Stelle gefunden hatte, wo er stehen konnte. Keuchend und halb gebückt verließ er das brackige Wasser. Sein ganzer Körper war mit abgerissenen Flechten- und Moosfetzen überzogen, die einen fäulnisartigen Geruch verbreiteten. Angeekelt schüttelte er das widerliche Zeug ab.

 

Obwohl eigentlich keine echte Gefahr für ihn bestand, suchte er dennoch instinktiv nach seiner Laserpistole, die sich in einer Spezialhalterung griffbereit an seinem rechten Hüftgürtel befand. Als er ihren kalten Metallknauf in der Hand spürte, erhöhte das gleich sein Sicherheitsgefühl, denn diese Waffe war sehr wirkungsvoll.

 

Noch vor wenigen Minuten hatte er sich unter Lebensgefahr durch einen engen Verbindungskanal zwängen müssen, der schließlich in diesem trüben See endete. Er war nur knapp dem Tod entkommen. Wäre der Wasser überflutete Tunnel nur ein paar Meter länger gewesen oder schmaler geworden, hätte er elendig darin ertrinken müssen. Er schaffte es gerade noch mal so und war trotz aller widrigen Umstände glücklich darüber gewesen, am Leben geblieben zu sein. Jetzt wollte er erst mal ein wenig verschnaufen.

 

Plötzlich vernahm er ein seltsames Geräusch. An seinem Gesicht schwirrte etwas laut surrend vorbei, das wie der schnelle Flügelschlag eines Vogels klang. Erschreckt schrie er auf, wobei er mit beiden Händen wie wild in der Luft herumschlug. Doch so schnell wie der Spuk gekommen war, so schnell verschwand er auch wieder.

 

Irgendwie kam ihm auf einmal der Gedanke, dass sich eigentlich kein Vogel in dieser schummrigen Dunkelheit orientieren konnte. Vielleicht war es so etwas ähnliche wie eine Fledermaus gewesen, überlegte der Mann weiter. Wenn er mit dieser Vermutung richtig lag, konnte er in gewisser Hinsicht sogar damit zufrieden sein, denn wo sich Fledermaus ähnliche Tiere aufhielten, führte mit Sicherheit auch ein Weg aus der Höhle wieder heraus. Hoffnung keimte in dem Raumfahrer auf.

 

Aufgrund des Echos nahm er weiterhin an, dass die Höhle gar nicht so klein sein konnte, wie er anfangs vermutet hatte.

 

Jimmy Denveron ging behutsam weiter, watete durch knietiefe Wasserpfützen und tastete sich schließlich in der diffusen Dunkelheit bis zu einer schroffen Felsenwand vor, die sich offenbar leicht schräg nach hinten neigte und dadurch nicht allzu steil war. Er begann ohne zu zögern damit, die Wand wie eine Katze hinaufzuklettern. Er hatte einen gut durchtrainierten Körper, der athletisch und sportlich aussah.

 

Zum Glück gab es genügend Löcher, Spalten und kleinere Vorsprünge, an denen er sich optimal festhalten konnte. Nach etwa fünfzehn Minuten erreichte der Kletterer eine kleine Felsennische hoch über dem Boden des Höhlenraumes, die gerade breit genug war, um darauf rücklings einigermaßen bequem sitzen zu können. Hinter seinem Rücken befand sich jetzt die kalte Felswand, direkt vor ihm gähnte der tiefe Abgrund.

 

Denveron schauderte, als er nach unten blickte. Er durfte jetzt keinen Fehler machen, sonst würde er den gesamten Weg zurückstürzen und unten auf dem harten Felsenboden mit zerschmettertem Körper liegen bleiben. Um Kraft zu sparen, ruhte er noch ein paar Minuten aus, bis er schließlich den gefährlichen Aufstieg fortsetzte. Jede seiner Bewegung erforderte eine hohe Konzentration, was seine Sinne aber nur noch weiter schärfte. Nach einer Weile spürte er auch hinter sich nur feuchtkalte Felsenwände, die ihm das Gefühl vermittelte, in das Innere eines sich nach oben hin verengenden Flaschenhalses zu klettern. Auch war es nicht mehr ganz so dunkel wie zuvor. Und tatsächlich wurde es immer heller, je weiter er nach oben kam. Nach dem langen Aufenthalt in der dunklen Höhle blendete ihn das Tageslicht so stark, dass er kurz inne halten musste, um für einige Augenblicke seine Augen zu schließen. Als er sie wieder öffnete und wenig später aus der schmalen Felsenspalte kroch, sah der Raumfahrer gerade noch die untergehende Sonne, die blutrot den fernen Horizont färbte.

 

Mit Bedacht bewegte sich der Mann Schritt für Schritt auf den Rand des kleinen Plateaus zu, beugte sich leicht vor und schaute vorsichtig hinab. Überall konnte er nur nackten Fels und einen klaffenden Abgrund entdecken, der ihm Respekt einflößte. Dann schaute er nach oben. Er schätzte, dass er mehr als die Hälfte der Strecke schon zurückgelegt hatte.

 

Obwohl der weitere Anstieg steil und gefährlich aussah, beschloss Denveron, die anstehende Kletterpartie unverzüglich ohne weitere Unterbrechungen fortzusetzen. Schon bald würde die fremde Sonne dieses namenlosen Planeten ganz verschwinden und die Dunkelheit hereinbrechen. Er wollte auch nicht die ganze Nacht in der unangenehm kühlen Bergwand verbringen.

 

Ohne nach unten zu blicken, begann er den weiteren Aufstieg. Nur keine übereilte Hast, dachte er für sich, als einige Male loses Felsgestein unter seinen Händen und Füßen zu bröckeln begann und polternd nach unten stürzte. Dann hatte er es endlich geschafft und erreichte ein gewaltiges Plateau, das einen ungehinderten Ausblick über die weite Landschaft gestattete. Erschöpft drehte sich der Raumfahrer auf den Rücken, als gerade in diesem Moment auch die letzten Sonnenstrahlen am fernen Horizont verschwanden. Dann brach die Dämmerung herein.

 

Denveron betrachtete nachdenklich den beginnenden Nachthimmel, an dem hier und da schon einige Sterne sichtbar wurden. Ein leichtes Lächeln huschte ihm übers verschmutzte Gesicht. Er käme von selbst nie auf den Gedanken, sich für einen besonders mutigen Mann zu halten, aber diesmal hatte er in der Tat eine Meisterleistung hingelegt und den gefährlichen Aufstieg ohne große Probleme geschafft. Vorerst war er damit gerettet.

 

Draußen wurde es langsamer noch dunkler. Bald stiegen zwei Monde am klaren Planetenhimmel auf und ihr seltsam anmutendes grauweißes Licht dehnte sich zusammen mit langen Doppelschatten über die ganze Wüstenlandschaft aus. Trotz seines eng anliegenden, gut wärmenden Spezialanzuges zitterte der Raumfahrer vor Erschöpfung immer noch am ganzen Körper. Deshalb setzte er sich jetzt hin, winkelte seine Knie soweit an, dass er in leicht nach vorn gebeugter Haltung seinen Kopf entspannt oben drauflegen konnte. In dieser bequemen Haltung ließ er seine Erinnerungen an die Landung ihres Raumschiffes auf diesem Planeten Revue passieren.

 

***


 

Jimmy Denveron befand sich gerade zusammen mit seiner Kollegin Betty Miller, einer jungen Kosmobiologin, auf einem der unteren Be- und Entladedecks, als ihr kugelförmiges Explorerraumschiff United Kingdom II, das auf einer weiten Geröllebene schutzlos am Rande der Wüste auf mächtigen Landefüßen stand, von den aggressiven Deluriern völlig überraschend angegriffen wurde, die überall im Universum herum zigeunerten und wie Piraten fremde Raumschiffe ohne Vorwarnung brutal überfielen. Ihre klobig aussehenden Schiffe besaßen raffinierte Tarnvorrichtungen, die sie allerdings kurz vor dem Angriff abschalten mussten, um die schweren Laserkanonen ihres Schiffes einsetzen zu können. Ihre Unsichtbarkeit verschaffte den Deluriern jedes Mal einen enormen taktischen Vorteil, weil sie durch den überraschenden Erstschlag den Angriffszeitpunkt selbst bestimmen konnten. Das war auch der Grund dafür, dass ihre Gegner bereits schon zu Beginn der Kampfhandlungen meist schwer getroffen oder gleich ganz außer Gefecht gesetzt wurden.

 

Die United Kingdom II war jedoch ein überaus modern konzipiertes Raumschiff und selbst gut bewaffnet. In Sekundenschnelle fuhr der Zentralcomputer das Verteidigungssystem hoch und aktiviert alle einsatzbereiten Lasergeschütze. Bald darauf begann ein wütendes Abwehrfeuer noch während das Raumschiff den automatischen Notstart einleitete, um aus der unmittelbaren Gefahrenzone des delurischen Piratenraumschiffes zu gelangen.

 

Der größte Teil der Besatzungsmitglieder der United Kingdom II schaffte es gerade noch bis zu den sicheren Notstartkabinen, die es überall in ausreichender Menge auf jedem einzelnen Schiffsdeck gab und mit Andruckkompensatoren ausgerüstet waren. Jene, die diese Dinger nicht mehr erreichten, wurden entweder aus dem startenden Raumschiff geschleudert oder ihre Körper zerschmetterten schutzlos an den inneren Metallwänden des Raumschiffes.

 

Die große Forschungsstation am Rande der fremden Planetenwüste musste komplett und voll einsatzfähig ausgerüstet zurückgelassen werden.

 

Denveron stand zusammen mit seiner Kollegin auf der weit ausgefahrenen Rampe des noch offenen Be- und Entladeschotts, das sich bereits langsam zu schließen begann, als der Start des Raumschiffes schon im vollen Gange war. Er selbst wurde kopfüber aus dem Schiff heraus katapultiert und stürzte aus großer Höhe in einen einsam gelegenen Kratersee, dessen Wände so steil waren, dass man nicht ohne entsprechende Bergsteigerausrüstung daran hochklettern konnte. Wie durch ein Wunder überlebte er den Sturz so gut wie unverletzt.

 

Seine junge Kollegin konnte sich mit einem waghalsigen Sprung von der einfahrenden Rampe des startenden Raumschiff retten und landete irgendwo im weichen Wüstensand. Was danach aus ihr geworden ist, wusste Denveron nicht. Vielleicht hatte sie den Absturz, so wie er, ebenfalls unverletzt überlebt.

 

Die meiste Zeit verbrachte er im kalten Wasser. Die Situation wurde bald unerträglich. Er hatte schon mit seinem Leben abgeschlossen und sah sich bereits an schleichender Unterkühlung sterben, wenn er nicht durch Zufall bei seiner verzweifelten Suche nach einem Ausweg auf diesen offenen Felsspalt gestoßen wäre, der knapp unterhalb der Wasserlinie lag und zu einer Höhle ins Berginnere führte. Unter Lebensgefahr tauchte er ohne lange zu zögern in die dunkle Öffnung hinein und kam bereits schon nach wenigen Metern am anderen Ende in einem kleinen Höhlensee wieder zum Vorschein. Von dort aus erreichte er über einen nach oben führenden Felsenschacht die Oberfläche eines Bergplateaus, das nach hinten in mehreren Stufen sanft abfiel und sich irgendwo weit unten in einem riesigen Meer aus feinem Wüstensand verlor. Der Abstieg von dieser Hochebene würde sicherlich kein allzu großes Problem für ihn darstellen, dachte sich Denveron.

 

Das hellgraue Licht der zwei Planetenmonde machte die Nacht jetzt fast zum Tage. Trotzdem bot sich dem Raumfahrer ein prächtiger Sternenhimmel dar, der aussah wie ein schwarzer Vorhang mit glitzernden Lichtpunkten. Nach und nach erschienen immer mehr Sterne am nächtlichen Himmel. Er wunderte sich auf einmal darüber, dass er von dort oben mit einem gewaltigen Raumschiff gekommen war, von dem er nicht wusste, ob es den Überraschungsangriff der delurischen Piraten überhaupt heil überstanden hatte.

 

Das Universum erschien ihm plötzlich fern und unerreichbar zu sein.
Jimmy Denveron wollte trotz seiner prekären Lage nicht aufgeben, sondern würde jetzt erst recht zäh versuchen, das Forschungslager auf der anderen Seite der Wüste zu erreichen.

 

Während er sich mühsam aufrappelte, überkam ihn auf einmal eine grauenvolle Ahnung. Er wusste nicht, ob die United Kingdom II die Angreifer hat abwehren können oder ob das Schiff überhaupt noch existierte. Wenn nicht, hätte er ein ziemlich großes Problem. Niemand wusste dann nämlich, dass er sich noch auf diesem Planeten befand und am Leben geblieben war. Wenn dem so wäre, dann konnte er nur noch darauf hoffen, dass irgendwann ein Rettungsteam der Raumflotte ihr Außenlager finden und nach möglichen Überlebenden suchen würde. Das war auch schon alles, dachte sich Denveron, und viel war es nicht, sinnierte er weiter.

 

Plötzlich hatte der Raumfahrer furchtbare Angst davor, zu früh sterben zu müssen. Er empfand sein Leben, trotz seiner schrecklichen Situation in der er sich befand, irgendwie sogar als ein herrliches Geschenk. Er dachte daran, vielleicht nie wieder die Landschaft seiner Heimat auf der Erde, die saftigen Ufer ihrer Flüsse, die Wälder aus Kiefern und Tannen zu erblicken. Nie wieder seine Freunde sehen zu können, mit denen er schon auf der Raumfahrerakademie studiert hatte. Nie wieder die Umarmungen seiner Mutter zu spüren, mit seinem Vater zu reden oder seine jüngere Schwester zu necken, die ihn voller Stolz anhimmelte, weil er zur terranischen Raumfahrerelite gehörte.

 

Trotz allem hielt er seine aufkommende Panik unter Kontrolle und machte sich auf den Weg, den ehemaligen Vulkanberg über sein etagenartiges Plateau zu verlassen.

 

Nach mehr als fünf Stunden harter Abstiegsarbeit über schroffe Felsen und steinige Geröllebenen erreichte Denveron erschöpft aber zufrieden den Fuß des Kraterberges und schlug umgehend den vermuteten Weg zum Lager durch die offen vor ihm liegende Wüste ein. Er orientierte sich dabei nach den Sternen, die ihm den Weg vorgaben.

 

Der Marsch durch die nächtliche Wüstenlandschaft war für ihn irgendwie faszinierend, verlief aber problemlos, trotz der Gefahren. Hier und da glaubte Denveron nämlich die leuchtenden Augen einiger Wildtiere gesehen zu haben, die ihn anscheinend als willkommene Beute betrachteten und deshalb aufmerksam verfolgten. Aber irgendwann ließen sie ihn dann doch in Ruhe. In der kühlen Nacht kam er in der Wüste gut voran und bald hatte er sein Ziel erreicht.

 

Knapp einhundert Meter vor dem Lager erkannte er die ersten verwaist herum stehenden Container der Station. Er beschleunigte seine Schritte, und sah eine zeitlang später eines dieser imposant aussehenden achträdrigen Geländefahrzeuge, das verlassen im sandigen Gelände herum stand. Die Standbeleuchtung war eingeschaltet. Von der Besatzung war weit und breit aber nichts zu sehen.

 

Dann hörte er plötzlich ein verdächtiges Geräusch unmittelbar vor sich. Denveron zog seine Strahlenpistole aus der Halterung und beobachtete aufmerksam die Umgebung.

 

Jimmy!“ rief mit schriller Stimme eine junge rothaarige Frau, die wie ein Gespenst hinter dem bulligen Fahrzeug hervortrat und durch ein Nachtsichtgerät blickte.

 

Der Raumfahrer kannte diese Stimme. Es war die Stimme seiner Kollegin Betty Miller, der jungen Kosmobiologin. Auch sie hatte den Absturz ohne große Verletzungen überlebt. Ein Gefühl übergroßer Freude kam in ihm auf. Er war also nicht allein auf diesem unbekannten Planeten zurück geblieben. Fast hätte er deswegen geweint.

 

Großer Gott, Jimmy, du bist es wirklich! Ich dachte schon, ich sei die einzige Überlebende der Katastrophe“, sagte sie mit aufgeregter Stimme und rannte mit großen Schritten auf den ungläubig da stehenden Raumfahrer zu.

 

Nachdem sich beide überglücklich in die Arme gefallen waren, fragte Denveron sie nach dem Schicksal des Raumschiffes und wollte wissen, was aus den anderen Besatzungsmitgliedern geworden ist.

 

Die junge Frau mit den kirschroten Haaren und dem zerrissenen Raumanzug atmete erst einmal tief durch, bevor sie zu sprechen begann.

 

Das Bodenpersonal konnte das Basislager schnell und komplett räumen. Bis dahin hast du ja auch noch alles mitbekommen. Die meisten von uns erreichten das rettende Raumschiff und stiegen in die Kabinen mit den Andruckkompensatoren. Einige jedoch stürzten beim Notstart aus großer Höhe durch die sich schließenden Außenschotts und kamen dabei um. Es ist wie ein Wunder, dass wir beide noch am Leben sind. Leider wurde die United Kingdom II offenbar schon kurz nach dem Start in der Nähe des zweiten Mondes von den Deluriern mit konzentriertem Raketenbeschuss belegt und verglühte später in einer gewaltigen Explosion. Über unsere intakte Funkanlage im Basislager stand ich bis zum Schluss der Kampfhandlungen mit Commander Harrison in Verbindung, bevor das Schiff explodierte. Er gab mir noch in letzter Sekunde den gültigen Rettungscode durch, da die Delurier alle Hypersignale der United Kingdom II mit Störgeräuschen überlagerten. Somit konnte der Commander keinen klaren Hypernotruf absetzen. Aber auch das Raumschiff der Delurier erhielt ebenfalls einige schwere Treffer. So wie es scheint, treibt es jetzt ohne Antrieb führerlos auf die Sonne zu. Darauf deuten jedenfalls die Ergebnisse meiner Messinstrumente hin. Sie werden alle mitsamt ihrem Schiff in der Sonne verglühen. Mit unserer kleinen Funkanlage können wir später dann den Rettungscode ins Universum hinaus senden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Signal überhaupt von unseren Leuten jemals empfangen wird. Wir sind mehr als zwei oder sogar drei Lichtjahre von der nächsten Außenstation entfernt. Bis man uns finden wird, vorausgesetzt das Notsignal kommt in nächster Zeit bei ihnen an, werden wir beide schon alt und grau sein, Jimmy.“

 

Der Raumfahrer schaute sich um.

 

Wir können aber auf jeden Fall ohne Probleme überleben. Das Forschungslager ist sehr groß und bietet uns mannigfaltige Möglichkeiten, auch biologische, die Flora und Fauna dieses Planeten für unsere Zwecke nutzbar zu machen. Außerdem sind wir dazu in der Lage, jede Pflanze und jedes Tier genetisch zu verändern. Unsere Station erhält ihre Energie direkt von Sonne. Um die Energieversorgung müssen wir uns also keine Gedanken machen. Das Wasser auf diesem Planeten ist ebenfalls für uns Menschen genießbar. Unsere Möglichkeiten sind praktisch gesehen unbegrenzt. Und denk’ doch mal daran, dass wir sogar unsere eigenen Nachkommen produzieren können, sowohl auf künstlichem, als auch auf natürlichem Wege.“

 

Die überraschte Kosmobiologin schaute Denveron jetzt mit vielsagendem Blick an, zog ihn schließlich zu sich herüber und schaute ihm dabei tief in die Augen.

 

Ach Jimmy, auf der Raumfahrerakademie haben sie uns so viele gute Dinge beigebracht, aber nicht, wie man als Mann und Frau auf einem fremden Planeten überlebt. Lassen wir also der menschlichen Natur ruhig ihren freien Lauf. Der Rest erledigt sich meistens wie von selbst. Und ich sage dir, es ist mir ganz gleichgültig ob man uns jemals finden und von hier wieder abholen wird. Wir gründen einfach eine neue planetarische Rasse uns schaffen uns mit ihr zusammen eine neue Zivilisation. Wir fangen quasi noch mal ganz von vorne an, sozusagen als Adam und Eva. Die entsprechenden Mittel dazu befinden sich alle in den hochtechnisierten Biolabors unserer Forschungsbasis. Vor Inzucht brauchen wir also keine Angst zu haben.“

 

Das ist eine faszinierende Idee, Betty. Das Adam und Eva-Prinzip ist eben universal. Was meinst du, ob wir beide heute Nacht schon damit anfangen sollten?“

 

Ich hätte nichts dagegen. Je eher, desto besser“, antwortete sie ihm.

 

Beide sahen jetzt lachend zu der riesigen Forschungsstation hinüber, die nur schwach beleuchtet wie eine schwarze Festung im fahlen Licht der beiden Doppelmonde lag.

 

Die Zeit einer neuen menschlichen Zivilisation kündigte sich verheißungsvoll auf diesem erdähnlichen Planeten an, der Lichtjahre entfernt von ihrem eigenen Heimatplaneten, der Erde, zusammen mit zwei Monden um eine noch junge Sonne kreiste.


 


ENDE


 

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.11.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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