Krokoba war ein junges, männliches Krokodil und noch ganz schüchtern. Er hatte außerdem eine Menge Geschwister, von denen die meisten aber viel draufgängerischer und mutiger waren als er. Und weil er so schüchtern war, hatte er auch keine Freunde, was ihn ganz traurig machte. Kein anderes Tier wollte mit ihm spielen oder herumtollen. Sie hatten alle große Angst vor ihm und hauten immer ab, wenn er kam.
Eines Tages ging er zu seiner Mutter und fragte sie, warum die anderen Tiere immer vor ihm davon liefen, wo er doch so gerne mit ihnen spielen wollte.
„Ach weist du Krokoba, das liegt wohl daran, weil sie ganz einfach Angst vor dir haben. Sie fürchten sich davor, dass du sie fressen könntest, weil du eben ein Krokodil bist.“
Der junge Krokoba konnte das einfach nicht glauben. Und weil heute so ein schöner Tag war, verließ er das flache Ufer des träge dahin fließenden Flusses und marschierte schnurstracks hinaus in die mit Bäumen und Sträucher bewachsene Graslandschaft.
Schon bald traf er auf eine Horde Wildschweine. Als sie Krokoba sahen liefen sie sofort davon und blieben erst wieder stehen, bis sie weit genug von ihm entfernt waren. Erst dann fühlten sie sich vor ihm sicher. Nur ein großes, kräftiges Wildschwein war stehen geblieben und blickte ihn böse an. Offenbar hatte es keine Angst vor ihm, wahrscheinlich deswegen, weil es riesengroße Hauer hatte, die scharf wie eine Speerspitze waren.
„Hallo Wildschweine“, rief Krokoba, „ich will mit euch spielen. Lauft doch nicht einfach vor mir weg. Ich tue euch nichts.“
Mittlerweile waren die anderen Wildschweine wieder zurückgekommen und hatten sich mutig hinter ihrem Anführer aufgestellt. Sie wollten ihm bei drohender Gefahr zur Seite stehen.
„Hau bloß ab, du blödes Krokodil. Wir kennen dich genau. Zuerst willst du mit uns spielen und dann frisst du uns. Also geh und verschwinde! Wir können Krokodile nicht ausstehen“, riefen einige Wildschweine erbost.
„Warum seid ihr so gemein zu mir?“ wollte Krokoba von ihnen wissen.
„Schau dir doch mal nur deine bösartigen Zähne an. Die sind groß und gefährlich. Du kannst uns damit in Stücke reißen. Und du willst mit uns spielen? Pah, wir sind doch nicht lebensmüde“, spottete der Anführer jetzt verächtlich. Dann drehten sich alle Wildschweine auf sein Kommando herum und liefen gemeinsam in einen nah gelegenen Wald.
Krokoba war jetzt wieder ganz allein. Traurig ging er zum Fluss zurück und schwamm eine Runde im kühlen Wasser. Plötzlich entdeckte er auf einer Sandbank eine Herde Flusspferde mit einigen Jungtieren, die lustig miteinander herumtollten.
Ich werde den Flusspferden einen Besuch abstatten und sie fragen, ob sie mit mir spielen wollen, dachte Krokoba so für sich, tauchte freudig runter ins Wasser und kam erst wieder zum Vorschein, als er die jungen Flusspferde direkt vor sich sah.
Eine Weile sah Krokoba ihnen beim ausgelassenen Spielen zu, dann gab er sich einen Ruck und fragte sie: „Hallo meine Freunde! Wollt ihr mit mir zusammen ein wenig im Fluss herumschwimmen? Das macht richtig großen Spaß“, rief er laut.
Die kleinen Flusspferdekinder schienen keine Angst vor dem Krokodil zu haben und freuten sich sogar noch darüber, dass er mit ihnen zusammen im Fluss schwimmen gehen wollte.
Doch dann stand auf einmal eine Flusspferdmutter vor den Flusspferdkindern und verbot ihnen ins Wasser zu gehen.
„Ihr spielt mir auf gar keinen Fall mit einem Krokodil! Das ist einfach zu gefährlich für euch. Es könnte euch nämlich fressen. Sie sind immer hungrig und ihr seid noch viel zu klein dafür, mit ihnen zu spielen. Bleibt schön bei euren Eltern, dann kann euch nichts passieren“, sagte die Flusspferdmutter mit mahnender Stimme und stampfte auf Krokoba zu, um ihn zu verjagen.
„Verschwinde bloß und lass’ dich hier nie wieder blicken! Das nächste Mal zertrete ich dich wie eine reife Banane. Wir mögen nämlich keine Krokodile. Ihr wollt eh nur unsere Kinder fressen. Also hau ab, aber schnell!“
Geknickt drehte sich Krokoba um, schwamm davon und suchte sich weiter unten am Flussufer ein sonniges Plätzchen. „Nur weil ich ein Krokodil bin, will kein anderes Tier mit mir spielen“, schluchzte er laut und fing bitterlich an zu weinen.
Plötzlich hörte der junge Krokoba eine leise Stimme hinter sich, die ihn neugierig fragte: „Was ist denn mit dir los, Krokoba? Du weinst ja. Ist irgendwas Schlimmes passiert?“
„Kein anderes Tier will mit mir spielen. Alle sagen nur, dass ich sie fressen will. Mich macht das ganz traurig. Ich fühle mich einsam und verlassen“, erwiderte Krokoba und heulte von vorne los. Diesmal noch lauter als zuvor.
„Warum sollte mit dir keiner spielen wollen? Ich hätte nichts dagegen. Also was ist? Willst du mit mir spielen oder nicht?“ fragte die unbekannte Stimme sanft.
Krokoba drehte sich nach allen Seiten um und entdeckte schon bald hinter einem Gebüsch ein anderes Krokodil, das genauso groß war wie er. Langsam kroch er auf das Gebüsch zu, blieb gespannt liegen und fragte mit schüchterner Stimme: „Und du willst auch ganz bestimmt mit mir spielen? Ich bin doch ein gefährliches Raubtier und fresse alles, was mir vors Maul kommt. Hast du denn wirklich keine Angst vor mir?“
„Siehst du denn nicht, dass ich auch ein Krokodil bin? Krokodile fressen sich nicht gegenseitig. Ach so, ich heiße übrigens Kralli und suche schon den ganzen Tag genauso wie du nach einem Freund, der mit mir spielt. Wenn du Lust hast, machen wir zuerst ein Picknick und spielen dann zusammen unten am Flussufer, wer von uns beiden schneller auf der anderen Seite des Flusses ist. – Und schau mal her, was ich hier habe! Vorhin konnte ich mir eine unvorsichtige Gazelle schnappen, die zu dicht am Wasser stand. Sie wollte doch tatsächlich mit mir spielen. Na ja, du kannst mitfressen, wenn du willst.“
„Gerne Kralli, mir knurrt eh schon der Magen. Ich freue mich wirklich, dass ich dich kennen gelernt habe“, sage Krokoba glücklich und schnappte sich von der toten Gazelle ein besonders großes Stück Fleisch, das er gierig herunterschlang.
Endlich hatte er einen Freund gefunden, mit dem er spielen konnte.
ENDE
©Heinz-Walter Hoetter
***
Es war noch ganz früh am Morgen. Langsam wurde es draußen hell. Der kleine Peter stand am Fenster seines Kinderzimmers im 1. Stock und schaute hinunter auf den still da liegenden Hof.
Verschlafen rieb er sich die Augen und konnte zuerst nicht glauben, was er da sah. Mitten auf dem Hof stand ein riesiger Baum mit dicken, weit ausladenden Ästen, die fast bis zum Boden hinunter reichten.
„Da stand noch nie ein Baum in unserem Hof. Wo kommt der denn so plötzlich her?“ murmelte Peter mit halblauter Stimme vor sich hin und strich sich ungläubig mit der rechten Hand die langen Haare aus der Stirn, um besser sehen zu können.
Peter verstand die Welt nicht mehr. Da stand dieser riesige Baum einfach so da und winkte ihm mit seinen Blättern beladenen Ästen zu.
„Hallo Peter“, rief der Baum plötzlich, „zieh’ dich an und komm doch runter zu mir! Auf mir kannst du ganz toll herum klettern. Na, wie wär’s?“
Peter dachte ein Weile nach. Er fragte sich, woher der Baum wusste, dass er so gerne auf ihnen herum kletterte? Er wunderte sich zwar darüber, aber er wollte ausgerechnet jetzt nicht darüber nachdenken. Das Klettern auf den Bäumen machte ihm nämlich echt viel Spaß. Und, wenn es möglich war, stieg er jedes Mal bis nach ganz oben in die Krone, von wo aus er weit in die Landschaft sehen konnte. Hier oben wehte ihm der Wind um die Nase, und er verspürte jedes Mal ein herrliches Gefühl dabei ganz oben zu stehen. Seine Eltern hatten ihm zwar das Baumsteigen verboten, weil erst vor ein paar Tagen ein Nachbarsjunge von einem Baum runter gefallen war und mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden musste, was aber dem Peter völlig egal war, denn er war ein guter Kletterer. So etwas würde ihm bestimmt nicht passieren.
Dann schaute er wieder aus dem Fenster. Der Baum winkte immer noch nach ihm.
Peter zögerte nicht lange, zog sich so schnell er konnte an und schlich sich ein paar Minuten später die Treppe runter nach draußen auf den Hof, wo schon der Baum auf ihn wartete.
„Na, da bist du ja endlich. Komm und steige auf meine Äste. Ich bin groß und stark. Und wenn du ganz oben bist, dann kannst du sogar die Sterne sehen“, sagte der Baum zu ihm.
Peter konnte es jetzt auf einmal nicht mehr aushalten. Er ging auf den mächtigen Baum zu und stieg auf den erstbesten Ast, der fast den Boden berührte. Es war wirklich einfach. Schon bald befand er sich im Dickicht aus grünen Blättern, Ästen und dünnen Zweigen und stieg höher und höher. Als er mal für einen kurzen Moment nach unten sah, konnte er den Boden nicht mehr sehen.
Plötzlich hatte Peter das komische Gefühl, dass sich der Baum bewegen würde. Irgendwas stimmt hier nicht, dachte er sich. Auch wurde es wieder dunkler anstatt heller. Neugierig stieg der Junge vorsichtig den Baum wieder herunter. Unten angekommen musste er erstaunt feststellen, dass er sich in einem Wald befand.
Das machte ihm Angst. Wieso befand er sich plötzlich in einem Wald? Peter bereute es jetzt, auf den Baum geklettert zu sein. Er fragte sich verzweifelt, wie er wohl wieder nach Hause zurückfinden könne. Aber alles, was er sah, waren große, mächtige Bäume, die den Himmel über ihn verdeckten. Nur fahlgraues Licht erreichte den Boden. Peter kam sich vollkommen verloren vor.
Gerade wollte er zu weinen anfangen, als er eine sanft rollende Stimme hörte.
„Hey Peter, komm schnell zu mir rüber! Ich bin es, der weise Uhu. Es könnte nämlich sein, dass schon bald der böse Zauberer Riesenbart hier vorbeikommt und dich mitnimmt. Dann hast du keine Chance mehr. Also, beeile dich und komme so schnell du kannst zu mir!“
Peter sah sich nach allen Seiten um. Schon bald entdeckte er den Uhu, der ihm genau gegenüber auf einem dicken Ast saß. Er lief sofort los.
„Wieso kannst du sprechen? Verstehst du uns Menschen?“ fragte Peter den Uhu, als er vor ihm stand.
„Natürlich kann ich sprechen. Auch mit dir. Das können übrigens alle Tiere hier im Wald. Aber ich muss dir sagen, dass du in großer Gefahr bist. Du darfst jetzt keine Zeit mehr verlieren, wenn du dich aus diesem Wald retten möchtest. Der böse Zauberer Riesenbart lockt immer wieder kleine Kinder hier hin, um sie zu verwandeln, wenn er sie zu fassen bekommt. Also musst du dich jetzt ganz schnell beeilen, um von hier wieder zu verschwinden. Ich kann dir dabei helfen, Peter“, sagte der weise Uhu.
„Und warum will mich der böse Zauberer Riesenbart verzaubern? Ich habe ihm doch nichts getan“, jammerte Peter und wollte schon gleich wieder losweinen.
„Na, jetzt hör' endlich mal auf zu heulen! Das bringt dich auch nicht weiter. Warum bist du auch auf den Baum gestiegen? Du hättest auf deinem Zimmer bleiben sollen. Der Zauberer Riesenbart kennt genau deine Vorlieben. Er weiß, dass du gerne auf Bäume steigst. Deine Eltern habe dir das aber verboten. Trotzdem machst du das immer wieder. Deshalb hat der Zauberer Riesenbart ja auch den Baum zu dir geschickt, der dich dann mit in den Wald genommen hat.“
„Verwandelt der böse Zauberer die gefangenen Kinder in Tiere?“ fragte Peter ängstlich.
„In Tiere nicht“, erwiderte der Uhu, „aber in Bäume, damit sein Zauberwald größer werden kann. Der Zauberer Riesenbart kann die Angst der Kinder spüren und weiß sofort, wo sie sind. Deshalb musst du den Ort hier wieder verlassen und zwar so schnell wie möglich.“
„Und wie komme ich von hier weg?“ fragte Peter den Uhu.
„Wir müssen ganz nach oben bis zur Spitze des Baumes klettern. Der Wald ist so dicht, dass ich hier nicht fliegen kann. Wenn wir ganz oben sind, steigst du auf meinen Rücken und ich bringe dich raus aus diesem Wald. Ich fliege dich dann nach Hause zurück zu deinen Eltern“, sagte der Uhu freundlich und deutete nach oben.
Dann kletterten beide los, immer höher und höher, bis in die Krone des Baumes. Endlich standen sie auf dem letzten Ast, der gefährlich hin und her schwankte.
„Es ist soweit, Peter. Setz dich auf meinen Rücken! Halte dich an meinen Federn fest und schon geht’s los!“ rief der Uhu dem ängstlichen Jungen zu.
Peter tat alles, was der Uhu von ihm wollte. Schon bald flogen sie beide hoch am dämmrigen Himmel dahin, genau in die Richtung einer seltsam geformten Wolke, die wie ein riesiges Fenster aussah. Sein gefiederter Freund flog direkt in die Fensterwolke hinein. Kurz danach hatte plötzlich Peter das komische Gefühl, dass er nach unten fallen würde.
„Tschüss Peter! Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder“, hörte er noch den Uhu laut rufen. Dann fiel der Junge mit einem lauten Plumps auf den weichen Boden eines Rasens.
Kurz darauf muss er wohl wieder eingeschlafen sein.
***
Draußen wurde es langsam hell, und Peter wachte gerade auf. Als er noch ganz verschlafen seine Augen öffnete, fand er sich in seinem Bettchen wieder, das direkt neben dem Fenster seines Kinderzimmers stand. Sofort warf er die Bettdecke zurück, ging zum Fenster hinüber und schaute runter in den still da liegenden Hof. Der mächtige Baum mit seinen großen, weit ausladenden Ästen war nicht mehr da.
„Hier hat ja auch noch nie ein Baum gestanden. Ich habe alles nur geträumt“, murmelte Peter so vor sich hin und sah dabei zufällig hinüber zur geschlossenen Toreinfahrt, die links und rechts durch einen Jägerzaun begrenzt wurde.
Gleich neben der Einfahrt entdeckte Peter zu seiner großen Überraschung einen kauzigen Vogel, der fast bewegungslos auf einem der dicken Holzpfosten des Jägerzaunes saß und mit seinen großen Augen zu ihm herüber schaute. Es war ein Uhu, und dazu noch ein besonders großer. Mit ein paar kräftigen Flügelschlägen erhob dieser sich plötzlich in die Luft und flog nur wenige Augenblicke später ganz dicht an Peters Fenster vorbei.
„War das der Uhu aus meinem Traum gewesen oder alles nur ein Zufall?“ fragte sich Peter leise und schaute dem Nachtvogel noch lange hinterher, der mit weiten Flügelschwingen gleich hinter dem nächsten Wiesenhügel in einem großen Wald verschwand.
Was glaubt ihr, meine lieben Kinder? Hat Peterchen das alles wirklich nur geträumt?
ENDE
©Heinz-Walter Hoetter
***
Eine schöne Geschichte für Kinder
Benny hatte Geburtstag.
Am Morgen war er in aller Früh aufgestanden und als er noch ganz verschlafen ins Esszimmer kam, standen auf dem Tisch schon eine Menge eingepackter Geschenke, die in buntem Papier eingewickelt waren.
Kleine Geburtstagskärtchen waren an gold- oder silberfarbenen Flügelschleifen angebracht. Auch Vater und Mutter waren schon auf und warteten auf ihn.
Eine schöne Kindertorte mit insgesamt zehn brennenden Kerzen stand auf der Anrichte. Seine Eltern hatten sie mit Girlanden und Luftballons geschmückt. Benny war richtig aufgeregt.
Endlich war es soweit. Als Geburtstagskind durfte er die angezündeten Kerzen ausblasen und das erste Stück von der leckeren Torte anschneiden. Dann bekam er ein knallrotes Feuerwehrauto, eine Baseballkappe, ein wunderschönes Bilderbuch und einen bunten Teller voller Süßigkeiten. Er freute sich sehr darüber, doch irgendwie hatte er das komische Gefühl, dass seine Eltern noch ein Geschenk für ihn zurückhielten.
Plötzlich sagte seine Mutter zu ihm: „So, mein Junge, jetzt schließe mal die Augen! Wir haben da noch etwas für dich.“
Benny kniff beide Augen ganz fest zu und als er sie wieder öffnete, lag vor ihm ein großes Paket auf dem Boden. Er war so überrascht, dass er fast vor lauter Freude aufschrie.
Seine Eltern halfen ihm beim Auspacken. In dem Paket war eine elektrische Eisenbahn mit fünf Personanhängern, vielen Schienen, vier Weichen, einem Bahnhof, einer Brücke, einem Bahnübergang samt Verkehrszeichen und, in einer kleinen Schachtel extra gut verpackt, ein kompakter Transformator.
Benny holte alles vorsichtig aus der Verpackung, ging hinüber auf sein Zimmer und steckte die Schienen zusammen. Sein Vater half ihm dabei, der noch zuletzt die beiden Kabelsteckerchen des Transformators an das Gleissystem anschloss. Dann konnte es losgehen!
Zuerst ließ Benny nur die Lokomotive alleine fahren, dann stoppte er sie und kuppelte alle Anhänger an. Der Zug war komplett und fuhr schon bald danach eine Runde nach der anderen auf dem oval geformten Schienensystem mit einigen Nebengleisen. Das Geburtstagskind war hell begeistert. Sein Vater spielte den Bahnhofswärter und Weichensteller.
Plötzlich schoss der Langhaardackel Wendy laut bellend um die Ecke und stoppte den fahrenden Zug mit seiner Pfote. Aufgeregt schnappte der Hund nach der Lokomotive. Die Eisenbahn entgleiste und kippte aus voller Fahrt von den Schienen. Die Anhänger sausten hinterher. Es war ein richtiges Durcheinander.
„Wendy, lass das!“ rief Benny wütend, schickte den Hund aus seinem Zimmer und sammelte die Lokomotive und die verstreuten Waggons wieder ein. Zum Glück war ihnen nichts passiert, doch die Lok war gegen sein Bettchen gestoßen und vorne am Führerhaus ziemlich stark beschädigt worden.
Der Junge war todunglücklich darüber, dass das schöne Prachtstück jetzt eine hässliche Delle hatte. Außerdem war ein Fensterchen zersprungen. Er fing an zu weinen. Als seine Mutter ihn schluchzen hörte, ging sie zu ihm hin und beruhigte den Buben wieder.
„Wir lassen das wieder reparieren und bringen die Lokomotive morgen in den Spielzeugladen zurück. Dort gibt es einen netten Mann, der sich mit elektrischen Eisenbahnen bestens auskennt. Er wird alles wieder in Ordnung bringen.“
Der Junge war richtig froh darüber und drückte seine Mutter ganz lieb.
Später, bevor Benny schlafen ging, stellte er die beschädigte Lokomotive auf sein kleines Nachttischchen direkt unter die Tischlampe, damit er sie immer sehen konnte, wenn ihm danach war. Noch lange schaute er sie so an, bevor ihn der Schlaf übermannte.
Mitten in der Nacht wachte er plötzlich durch ein seltsames Geräusch auf. War da nicht irgendwas?
Verschlafen drückte er auf den Schalter des Nachttischlämpchens. Er traute seinen Augen nicht und glaubte tatsächlich im ersten Moment zu träumen, als er die Lokomotive zusammen mit den Waggons auf den Schienen stehen sah.
Der Zug fuhr ganz allein ohne dass ihn jemand in Gang gesetzt hätte. Wer hat das getan? War es sein Vater gewesen, der das angestellt hatte? Benny wusste aber, dass seine Eltern schon längst schliefen, denn im Haus war alles ruhig und still.
Der Junge rieb sich die Augen und schlüpfte aus dem warmen Bett. Als er vor den Gleisen stand und den fahrenden Zug näher betrachtete, saßen am Fenster des Waggons kleine Winzlinge, die aussahen wie Zwerge. Sie trugen alle eine rote Zipfelmütze.
Am Bahnhof standen ebenfalls Zwerge und winkten ihm zu.
„Hallo!“, rief einer von ihnen. „Wir haben gesehen, dass die Lok kaputt war. Wir holten sie von dem Nachttisch runter und brachten sie wieder in Ordnung. Weißt du, wir wollten nämlich so gerne damit fahren. Du hast doch nichts dagegen – oder?“
Benny war total verblüfft und zugleich sprachlos vor Staunen. Er hätte nie daran geglaubt, dass es überhaupt Zwerge gibt und rieb sich noch mal die Augen. Er glaubte tatsächlich, dass er sich in einem Wachtraum befand.
Als der Zug im Bahnhof anhielt, stiegen auch die übrigen Zwerge mit ein, die dort gewartet hatten. Der Zwerg, der mit ihm gesprochen hatte, streckte plötzlich dem verwunderten Jungen die Hand entgegen und rief: „Komm’ Benny! Nimm meine Hand und fahr’ mit uns ins Märchenland. Da gibt es einen großen Jahrmarkt. Wir werden uns dort köstlich amüsieren.“
Wie in Trance ergriff der Zehnjährige die Hand des Winzlings und im nächsten Moment wurde er kleiner und kleiner und saß auf einmal im letzten Spielzeugwaggon des Zuges, der das Zimmer gleich nach der letzten Runde durchs offene Fenster verließ und hinausfuhr in die dunkle Nacht.
„Wo liegt denn das Märchenland?“ fragte Benny ganz erstaunt den Zwerg.
„Das weiß ich selber nicht. Aber ich denke mal im Land der Fantasie. Doch, doch, ganz bestimmt, denn nirgendwo gibt es so schöne Spielsachen wie im Land der Märchen!“ lachte der Zwerg mit breitem Mund. Seine rote Zipfelmütze wippte dabei rauf und runter.
Draußen veränderte sich die Landschaft. Plötzlich schien sogar die Sonne und der Zug fuhr einen Berg hinauf, der aussah, als sei er aus Kandiszucker gemacht worden. Oben auf der Bergspitze lag weißer Puderzucker. Die Fahrt ging dahin in eine grüne Ebene mit großen Schokoladenbäumen und vielen Häusern aus Plätzchen. Frau Holle saß ganz oben in den weißen Wolken und sah vergnügt zu, wie es dort unten zuging.
Dann hielt der Zug auf einmal an und alle Zwerge sprangen heraus.
„Komm’ mit Benny! Jetzt gehen wir spielen! Wir wollen uns schließlich vergnügen!“ riefen die kleinen Gesellen wie im Chor. Bald erreichten sie einen Rummelplatz. Es war mächtig was los. Benny hatte so einen Jahrmarkt noch nie gesehen. Alles was es an Spielzeug gab war hier echt, wie im wirklichen Leben..., nur viel größer.
Die Zwerge nahmen den staunenden Jungen überall mit hin. Sie fuhren mit ihm Karussell, gingen in die Geisterbahn und im Autoscooter gab es sogar richtige Autos. Zwischendurch aßen sie Zuckerwatte und Süßigkeiten aller Art. Dazu gab es heißen Kakao. Benny strahlte vor Freude und Glück. Er wäre gerne für immer im Märchenland geblieben.
Irgendwann rief einer der Zwerge: „Wir müssen alle wieder in den Zug und zurückfahren. Die Nacht ist bald vorbei und draußen wird es schon langsam hell.“
Der Zug hielt gleich neben dem Jahrmarkt und alle Zwerge stiegen ein. Kaum saß Benny auf seinem Sitz, verfiel er in einen tiefen Schlaf.
Als er am Morgen aufwachte, lag er in seinem Bett und gleich fiel ihm der schöne Traum wieder ein. Er lag einfach nur so da, starrte an die Decke und dachte an die winzigen Zwerge, die ihn ins Märchenland mitgenommen hatten.
Dort waren sie zusammen auf einen Rummelplatz gewesen und hatten viel Spaß miteinander gehabt.
„Schade, dass das alles nur ein Traum war“, sagte Benny zu sich selbst, schlug die Bettdecke zurück und verließ das Bett.
Plötzlich bemerkte er, dass sich die kaputte Lokomotive nicht mehr auf dem Nachttischchen unter der Lampe befand, wo er sie doch hingestellt hatte, sondern zu seiner großen Überraschung auf den Schienen stand. Die Waggons waren alle angekuppelt und es sah so aus, als wäre der Zug gerade eben erst in den Bahnhof eingefahren.
Benny beugte sich herunter und betrachte die Eisenbahn ganz genau. Aber die Zwerge aus seinem Traum waren nicht da. Die Waggons standen leer herum. Ganz hinten am letzten Wagen aber hing ein weißer Zettel, worauf mit feiner Schrift geschrieben stand:
„Lieber Benny,
wir Zwerge hoffen, dass dir die kleine Reise ins Märchenland gefallen hat. Deine schöne Lokomotive haben wir wieder in Ordnung gebracht. Verrate deinen Eltern nicht, dass wir da waren. Sie würden dir ja sowieso nicht glauben. Sie werden bestimmt darüber staunen und sich fragen, wer die Lok repariert hat. Lass’ sie einfach rätseln! Sie werden es bald vergessen haben, denn Erwachsene glauben nur an ihren Verstand. Wir aber kommen nur zu Kindern mit viel Fantasie und von der hast du reichlich. Behalte dir diesen Reichtum fürs ganze Leben, dann werden wir uns bestimmt wiedersehen.“
Herzliche Grüße
Deine Zwerge aus dem Märchenland!
ENDE
©Heinz-Walter Hoetter
***
4. Bellos Abenteuer
Es war an einem schönen Frühlingsmorgen, da kroch der Rehpinscher Bello munter und unternehmungslustig aus seiner kleinen, warmen Hundehütte und verließ still und leise durch das offen stehende Eingangstor heimlich den Hof seines Herrchens.
Als Bello eine Weile später auf einem kleinen Hügel stand, erblickte er vor sich plötzlich einen glänzenden Fluss, der kühl und verlockend aussah. Er kannte keine Angst vor dem feuchten Element und wasserscheu war er auch nicht. Deshalb rannte er laut kläffend vor Freude auf das träge dahinfließende Gewässer zu, sprang auch sofort vergnügt hinein und ließ sich ganz gemütlich abtreiben. Bellend grüßte er alle Tiere am vorbeiziehenden Ufer, denen er flussabwärts begegnete.
Während er so an grünen, saftigen Wiesen, an rauschenden Bäumen, weiten Äckern und dichten Wäldern vorbeiglitt, bemerkte Bello nicht, dass ihn die starke Strömung immer schneller mitriss. Er hatte jetzt jedes Zeitgefühl verloren und dachte auch nicht mehr an sein schönes Zuhause. Er genoss einfach nur die warme Sonne und schaute hinauf zu den weißen Wolken, die über ihn am tiefblauen Himmel wie kleine weiße Segelschiffchen dahinzogen.
Plötzlich kam ihm mit lautem Geschrei eine aufgeregte Möwe entgegen, die den Rehpinscher in geringer Höhe überflog und wie wild mit den Flügeln immer wieder in eine ganz bestimmte Richtung deutete.
„Mhm, was ist denn das für ein komischer Vogel? So einen habe ich ja noch nie gesehen“, sagte Bello verwundert zu sich selbst und schwamm einfach munter weiter.
Irgendwann machte der breite Fluss eine scharfe Biegung und von einer Sekunde auf die andere öffnete sich vor Bellos Hundeaugen ganz plötzlich das offene, silbrig glitzernde Meer, das sich bis zum fernen Horizont erstreckte, wo gerade ein großer Ozeanriese mit dumpf dröhnender Schiffssirene durch die hohen Wellen stampfte.
Bei diesem Anblick bekam es der kleine Rehpinscher mit der Angst zu tun. So was kannte er nicht und außerdem drohte ihn die Strömung auf die offene See hinaus zu treiben. Sein kleiner Körper fing auf einmal an zu zittern und vor lauter Schreck versuchte der Rehpinscher, ganz schnell wieder ans Ufer zurück zu paddeln. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen die heftige Strömung, die allerdings einfach zu stark für ihn war, sodass er nichts mehr ausrichten konnte.
Hilflos trieb er jetzt schon in der Mitte der Flussmündung auf das vor ihm liegende, weite Meer zu. Ich werde bestimmt da draußen ertrinken oder von großen Fischen gefressen, dachte sich der Rehpinscher ängstlich und wollte sich seinem Schicksal schon willenlos ergeben.
Doch genau in diesem Augenblick tauchte neben ihm eine lange glatte Schnauze aus den sich immer höher auftürmenden Wellen hervor. Es war Nelli, der Delphin, der ihn mit großen, hilfsbereiten Augen mitleidig ansah.
„Was machst du denn hier? Willst du vielleicht nach Amerika? Du bist aber ein sehr mutiger Hund. Schwimmt einfach hinaus aufs offene Meer und denkt sich nichts dabei. – Wie heißt du eigentlich?“ fragte Nelli den kleinen Hund bestimmt aber freundlich.
„Ich heiße Bello, bin ein Rehpinscher und wollte doch nur einmal ein bisschen was von der Welt sehen. Aber jetzt bin ich wohl in Schwierigkeiten geraten und weiß nicht mehr, wie ich mir helfen soll“, jaulte der kleine Hund erbarmungswürdig vor sich hin.
„Na ja, Bello, ich kann dich hier draußen ja nicht einfach so ertrinken lassen. Da hast du aber noch mal Glück gehabt. Wir Tiere müssen schließlich zusammenhalten. Klettere auf meinen Rücken und ich bringe dich sicher zurück...“
Als Bello mit freudig wedelndem Schwanz auf Nellis Delphinrücken saß, ruderte der auch schon mit kräftigen Flossenschlägen der starken Strömung entgegen flussaufwärts und brachte den immer noch zitternden Rehpinscher sicher an jene Stelle zurück, wo er am Flussufer so leichtsinnig ins Wasser gesprungen war.
„Ich danke dir, lieber Nelli! Ohne dich wäre ich bestimmt mutterseelenallein auf hoher See elendig ertrunken. Du bist ein wahrer Freund! Ich werde dich nie vergessen.“
„Nichts zu danken, Bello. Und sei das nächste Mal ein bisschen vorsichtiger. Abenteuer sind schön, aber mitunter auch sehr gefährlich.“
Nach diesen mahnenden Worten drehte sich der Delphin im Wasser des Flussufers langsam herum, tauchte unter und war im nächsten Moment in dem trübe dahinfließenden Fluten verschwunden. Eine Weile später war er wieder zu sehen und winkte Bello mit seiner breiten Schwanzflosse aus der Mitte des Strömung zu. Schließlich konnte man ihn nur noch als kleinen, springenden Punkt in der Ferne ausmachen.
Bello, der Rehpinscher, schaute ihm noch lange nach, dann rannte er so schnell er konnte zurück nach Hause.
Die hölzerne Gartentür stand immer noch weit offen, als er endlich da war. Vorsichtig schlich er zurück in seine kleine Hundehütte, legte sich erschöpft hin und schlief schon bald tief und fest ein. Unruhig zuckten seine vier dünnen Beinchen hin und her, denn Bello, der Rehpinscher, träumte gerade von seiner abenteuerlichen Reise auf dem großen Fluss und von Nelli, dem hilfsbereiten Delphin, der ihm das Leben gerettet und sicher zurück nach Hause gebracht hatte.
Wie sagt man doch so schön? Ach ja! Ende gut, alles gut!
ENDE
©Heinz-Walter Hoetter
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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Heinz-Walter Hoetter).
Der Beitrag wurde von Heinz-Walter Hoetter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.11.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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75 Tage Donnerstag (Gedichte)
von Edith van Blericq-Pfiffer
Der Liebe kann man immer und überall begegnen, auch donnerstags; sie kündigt sich nicht an.
Sie ist von einer auf die andere Sekunde da. Sie kennt weder Gesetze noch Grenzen. Sie stellt augenblicklich alles und jeden auf den Kopf. Alter hat für sie keine Bedeutung. Allerhöchstens die von ihr Getroffenen fühlen sich mitunter in ihre Teenager-Zeit versetzt, verstehen sich selbst am wenigsten und fragen mit einem
Kribbeln im Bauch und ziemlich verwirrt: „Warum?“
Die poetische Antwort der Autorin, die hierbei auf Erlebtes zurückgreift, lautet hingegen: „WARUM NICHT!“
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