„Sie sind schon wieder da? Das Gespräch hat aber nicht lange gedauert“, sagte der wissenschaftliche Assistent, als er den Raum betrat.
Der Professor stand am getönten Bürofenster des abgelegenen Institutsgebäudes und starrte in Gedanken versunken in die hereinbrechende Dämmerung. Sein wissenschaftlicher Assistent war gerade von einer Besorgungsfahrt zurückgekommen und hatte ihn dort entdeckt.
„Sie müssen was essen, Herr Professor Whitman. Wenn Sie es wünschen, werde ich Ihnen etwas zubereiten.“
„Vielen Dank, Meyer, dass Sie sich um mich Sorgen machen“, sagte der Professor, ohne sich von der Stelle zu bewegen. „Ich habe eigentlich noch gar keinen richtigen Hunger.“
Der Professor hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und wiegte sich auf Ballen und Zehenspitzen langsam vor und zurück. Es war seine Lieblingsstellung, und sein Assistent Alexander Meyer grübelte darüber nach, ob das nun ein Anzeichen von tiefer Konzentration war oder ob sein Professor dabei nur mit offenen Augen träumte. Als er ihn aber jetzt so stehen sah, wurde er das komische Gefühl nicht los, dass es wohl schwerwiegende Gedanken waren, die den gelehrten alten Mann beschäftigten.
Meyer nahm seinen Hut ab und hängte den dunkelgrünen Lodenmantel an die Garderobe.
„Ich nehme mal an, dass man von einem Gespräch reden kann, oder?“ fragte er besorgt und fuhr fort: „Ihr habt doch miteinander gesprochen, nicht wahr?“
„Doch, doch, haben wir. Wenigstens einige von uns, Meyer.“
Sein Assistent stand jetzt neben ihm. Dann sagte er: „Ich kann’s immer noch nicht so richtig glauben, dass ihr euch mit einem solchen Wesen unterhalten habt. Hat es gesagt, dass es aus dem Weltraum kommt?“
Er lachte etwas verlegen und schaute den Professor besorgt in die Augen. Dieser schwieg und wollte offenbar keine Antwort darauf geben.
„Ich denke mal, dass Sie nicht darüber reden dürfen. Selbst mit mir nicht. Alles streng geheim. Ich weiß schon…, die Sicherheitsvorschriften.“
Der betagte Professor dreht sich jetzt ganz herum und wandte sich seinem Assistenten zu.
„Bald wird man eine Sondermeldung durchgegeben. Alle Fernseh- und Radiostationen werden unser Gespräch mit dem Außerirdischen senden. Die Öffentlichkeit wird das Ergebnis unseres Gespräches erfahren. Vielleicht nicht alles, aber fast alles…, das hoffe ich jedenfalls.“
„Das hätte ich nicht erwartet“, sagte Meyer überrascht. Einen Moment lang schaute er den Professor schweigend an, und ein Gefühl des Unwohlseins stieg in ihm auf.
„Warum machen sie das?“
„Tja, es schien wohl das einzig Richtige zu sein“, sagte der Professor. „Ob es die beste Lösung ist, weiß ich nicht. Aber schließlich musste ja etwas geschehen. Ich denke mal, dass einige Leute in der Bevölkerung durchdrehen werden. Schlimmstenfalls könnte es eine Panik geben.“
Der Professor drehte sich wieder dem Fenster zu und schaute angestrengt auf die Straße herunter, als ob es dort etwas überaus Interessantes zu sehen gäbe. Seine Gesichtszüge verhärteten sich ein wenig, sein Blick war nachdenklich, ja schon fast geistesabwesend. Meyer kam es so vor, als hätte Professor Whitman resigniert.
Meyer schaltete das Radio ein, das allerdings keinen Laut von sich gab. Nichts war zu hören, kein einziger Sender war in Betrieb. Nach einer Weile schaltete er das Gerät wieder ab.
„Komisch…, Herr Professor“, sagte sein Assistent Meyer. „Überall Funkstille.“
„Eine Schaltpause, nehme ich mal an“, antwortete ihm der.
Meyer schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Schaltpause? Überall in der Welt? Auf jeden Kontinent soll eine Schaltpause eingetreten sein? Das ist doch nicht normal“, sagte er.
„Soll ich Ihnen sagen, was geschehen ist, Meyer?“ fragte ihn der Professor.
„Wissen Sie, es ist nicht einfach, das Ganze richtig zu erklären oder zu verstehen. Auch jetzt nicht. Es ist in der Tat erstaunlich…“ – Der Professor macht eine kurze Pause und sagte dann: „Erinnern Sie sich an Ronald Sinclair?“
„Ronald Sinclair?“ Assistent Meyer versuchte sich zu erinnern. Irgendwo hatte er diesen Namen schon einmal gehört. Er war sich aber nicht ganz sicher.
„Nun, dieser Sinclair war ein ziemlich berühmter Anthropologe“, belehrte er Meyer. Seine Worte klangen ein bisschen vorwurfsvoll.
„Ronald Sinclair ist vor zwei Jahren in einem unerforschten Gebiet im Süden Afrikas spurlos verschwunden und man nahm an, er sei verschollen. Glaubte man jedenfalls. Er hat sie gefunden, diese Wesen aus dem All.“
„Was sonst? Natürlich gibt es davon noch mehr“, antwortete ihm der Professor.
„Immerhin konnte das Wesen unsere Sprache sprechen. Sinclair muss es ihnen beigebracht haben. Wahrscheinlich auch unserem Exemplar. Wie auch immer, dadurch wurde die ganze Sache für mich im Nachhinein verständlicher.
***
Den Besucher aus dem All hatte man in eine große Holzkiste mit Gitterstäben gesperrt. Seine langen, schwarz beharrten Hände umklammerten die Eisenstangen, und die schlenkernden Bewegungen ähnelten denen eines großen Affen. Angesichts der faltigen Gestalt, eines hornigen Kiefers und seines mit hässlichen Warzen übersäten Gesichtes, nannte man das Wesen einfach „Kröte“.
Dass diese fremdartige Kreatur zudem noch die menschliche Sprache benutzte, war das einzig Unfassbare an der ganzen Sache. Es redete mit einer rauen fremdartigen Stimme.
Als es zum ersten Mal etwas sagte, waren die anwesenden Leute total überrascht gewesen. Nur zögernd hatte man sich schließlich getraut, und der Kreatur nach und nach die ersten Fragen gestellt.
***
Der Professor stand vom Käfig weiter weg als die anderen und beobachtete die Situation. Eine Weile lang drangen die Fragen und Antworten an sein Ohr, ohne das er den Sinn des Gesagten verstand. Je länger er das fremde Wesen beobachtete, desto mehr wurde er sich einer kalten, unbestimmten Furcht bewusst, die von der hässlichen Kreatur ausging. Er dachte sich, dass es unter diesen Umständen verständlich war, vor unbekannten Lebensformen Furcht zu empfinden. Das war eigentlich eine ganz normale menschliche Reaktion.
„Wie lange soll ich mir dieses Schauspiel noch ansehen?“ dachte der Professor halblaut vor sich hin. „Ich bin hier, um zu beobachten, um Schlüsse zu ziehen und um neue Erkenntnisse zu gewinnen, damit ich hinterher darüber berichten kann. Nur aus diesem Grunde hat man mir diese Aufgabe übertragen. Ich bin ein nüchterner Wissenschaftler, der vernünftig denken und handeln kann. Ich lasse mich nicht beeinflussen. Von nichts und niemanden. Auch nicht von dieser fremdartigen Kreatur“, machte er sich selber Mut.
Er beobachte dabei mit allergrößter Aufmerksamkeit die Menschen, die vor dem Käfig standen. Einige kannte er, die meisten waren ihm aber erst vor ein paar Minuten vorgestellt worden. Zwei Vertreter der Regierung waren anwesend, ein Major des Geheimdienstes, ein General mit zwei weiteren Offizieren, mehrere Wissenschaftler, eine Sekretärin mittleren Alters, sowie zwei ausländische Professoren, die man eingeladen hatte, und die anerkannte Spezialisten auf dem Gebiet der Anthropologie waren.
Irgendwie kam dem Professor die ganze Sache absurd vor. Er lächelte fast darüber. Sie waren typische Zeitgenossen, ganz normale Menschen eigentlich, wie man sie überall in der Stadt und auf dem Land antrifft. Nach einer Weile wandte er sich dem einsamen Wesen in dem Käfig zu, das sich aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen heraus in die Welt des Menschen begeben hatte.
„Ich habe etwas dagegen, wenn man mich einsperrt. Niemand hat das gerne“, sagte gerade diese unmögliche Stimme mit einem nachsichtigen Unterton.
„Ich bin doch kein wildes Tier. Außerdem: In eurer Gesellschaft sperrt man doch nur jemanden ein, der sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat. Ich bin aber völlig unschuldig. Sie müssen mich deshalb sofort auf der Stelle freilassen!“
Im Gesicht des Fremden aus dem All schien sich ein Grinsen breit zumachen, während es den bulligen Kopf hin und her wiegte. Das Grinsen bedeutete nichts; es war nur die Art, wie die fast Lippen losen Kiefer aufeinander lagen. Die glänzenden Augen musterten jedoch die vor dem Käfig stehenden Leute mit aufmerksamen Blicken.
Prof. Whitman empfand die Stimme des Wesens nicht passend zu seinem gedrungenen Tierkörper. Er scheute sich auch im Augenblick davor, es direkt in die dunklen Augen zu sehen. Irgendwie machte es ihm Angst.
Einer der Wissenschaftler sagte etwas mit leiser Stimme. Die Sekretärin schrieb eifrig mit und blätterte eine Seite ihres Blockes um. Während sie so da stand, hielt sie ihren Kopf ein wenig schief. Sie sah etwas bleich im Gesicht aus, aber sie lies sich durch nichts beirren. Der Professor war von ihrem Mut und ihrer Selbstbeherrschung beeindruckt. Auch die anderen anwesenden Personen zeigten nicht die geringste Furcht vor der unbekannten Kreatur.
„Sie kennen die Natur und ihre Gesetze nicht,“ murmelte Prof. Whitman vor sich hin. „Sie haben einfach verlernt, die richtigen Schlüsse aus ihrer Umgebung zu ziehen, die im Augenblick völlig unmöglich ist und in den Wahnsinn führen könnte, wenn man nicht aufpasst.“
Gerade hatte er das letzte Wort zu Ende gedacht, als er bemerkte, wie er von den schwarzen Augen des Fremdlings angestarrt wurde. Sie fokussierten ihn förmlich.
Prof. Whitmans Gehirn erstarrte in wortlosem Schrecken. Der konzentrierte Blick dieser Kreatur hätten ihn beinahe ohnmächtig werden lassen, aber er riss sich zusammen und überstand die Situation ohne sich lächerlich gemacht zu haben.
Die scharfe Befehlsstimme des Majors richtete sich urplötzlich direkt an den Fremden im Käfig, der darauf hin seinen durchdringenden Blick von dem wie angewurzelt da stehenden Professor Whitman löste.
„Was wollen Sie damit sagen, Herr Major?“ sprach die seltsame Stimme der außerirdischen Kreatur. „Dass Sie mich dazu zwingen können, etwas zu tun, was ich gar nicht will? Wollen Sie mich beeinflussen? Aus mir kriegen Sie keinen Ton heraus. Ich werde keine Dinge enthüllen, die ich nicht gewillt bin, zu enthüllen. Sie täuschen sich, wenn Sie der Meinung sind, das mit irgendeiner Droge bei mir erreichen zu können. Mein Körper absorbiert jedes Gift. – Glauben Sie mir.“
„Die Kreatur wird bestimmt auf Schmerzen reagieren“, sagte der Major kalt zu einem der beiden anderen Professoren.
Professor Whitman überraschten diese Worte. Ihm wurde zum ersten Mal bewusst, dass in Gegenwart dieses Wesens primitive Aggressionen und irrationale Gefühle frei wurden. Niemand der anwesenden Wissenschaftler, Regierungsbeamte, noch die Gastprofessoren oder die Sekretärin, und schon gar nicht die anwesenden Männer des Militärs, hatten sich über die inhumanen Worte des Majors beschwert.
Das Wesen starrte den Major jetzt einen Augenblick an.
Dann sagte es langsam und mit sorgfältig ausgewählten Worten: „Herr Major, dieser Körper wird nur auf Schmerzen reagieren, wenn ich das will. Ich bestimme über meine Gefühle und Empfindungen und nicht Sie!“
„Nun gut. Wir können Ihren Körper auch langsam zerstören. Würden Sie denn diesem Prozess der eigenen, schleichenden Vernichtung selbst zusehen wollen?“
Die Kreatur hielt sich jetzt mit beiden Händen an den Gitterstäben fest, hörte abrupt mit dem hin und her Pendeln des Körpers auf und kam dem Major gefährlich nahe. Der wich einen kleinen Schritt zurück.
„Fürchten Sie sich vor dem Tod, Herr Major?“ fragte sie fast flüsternd.
Niemand in dem Raum sagte etwas. Auch Prof. Whitman nicht.
Der Major glühte vor Erregung.
Mit langsamer und ruhiger Stimme sagte das Wesen weiter: „Der Tod ist etwas, das ich durch Ihre Hand nie erleiden werde. Ich warne Sie, Herr Major. Lassen Sie lieber Ihre Drohungen! Ich werde darüber hinaus keine Ihrer Fragen mehr beantworten, wenn mir danach beliebt.“
Die Kreatur machte eine kurze Atempause. Dann fuhr sie mit leiser Stimme fort, so leise, dass die übrigen Anwesenden neugierig, aber vorsichtig näher heran traten.
„Ich will Ihnen jetzt mal klar und deutlich sagen, was ich tun werde, Herr Major. Ich werde meine Begleiter darüber informieren, dass Sie und Ihre Rasse so sind, wie wir euch eingeschätzt haben, nämlich dumm, geistig beschränkt, zudem arrogant und durch und durch unfähig, dem Geringsten von uns überhaupt etwas anzuhaben. Eure Zivilisation ist für uns nur von sehr begrenztem Interesse. Allerdings muss ich zugeben, dass sie eine neue Welt ist, die viele von uns noch nicht gesehen haben. Nun, so wie ich meine Brüder und Schwester aber kenne, wollen sie eure Welt gewiss mit ihren eigenen Augen sehen. Deshalb muss ich Sie davor warnen, irgend einen von uns aufzuhalten. Wenn Sie das tun, werden Sie es bereuen. Das gilt für Ihre gesamte Rasse.“
„So? Werden wir das?“ schrie der Major plötzlich mit hochrotem Kopf und bebte förmlich vor Wut. „Werden wir das wirklich?“
Dann krachte ein fürchterlicher Pistolenschuss, der alle Anwesenden gleichzeitig zusammenfahren ließ.
Der Sekretärin glitt Schreibblock und Bleistift aus den Händen. Dann fasste sie sich mit der rechten Hand entsetzt an ihren weit aufgerissenen Mund.
Professor Whitman sah hinüber zum Käfig, wo das fremde Wesen tot auf dem Rücken lag, dessen Kopf aufgeplatzt war. Eine dunkelrote Flüssigkeit breitete sich auf dem Boden aus. Der Major steckte die Waffe wieder weg und blickte voller Verachtung auf den blutenden Körper, der noch im Todeskampf mit Händen und Füßen zuckte. Dann trat er einen Schritt zurück und wollte etwas sagen, wurde aber von dem beginnenden Tumult daran gehindert.
Die Sekretärin begann auf einmal damit, sich wie wild die Kleider vom Leib zu reißen.
Professor Whitman beobachtete sie mit vor Schrecken weit aufgerissenen Augen. Der Wahnsinn schien den Höhepunkt erreicht zu haben. Er wünschte sich in diesem Augenblick, er wäre nicht hier her gekommen. Die Absurdität der Wirklichkeit raubte ihm jeden vernünftigen Gedanken.
Trotzdem fragte er sich zur gleichen Zeit, wie wohl die anderen reagieren würden, wenn sie erführen, was er bereits schon jetzt wusste.
Nicht auszudenken.
Das Stimmengewirr steigerte sich ins Unerträgliche, bis mit einem Schlag Ruhe einkehrte, gerade so, als hätte man dem Major und die anderen Männer die Hand vor den Mund gepresst.
„Ich habe Sie alle gewarnt“, hörte der Professor die junge Sekretärin sagen. „Für mich gibt es keinen Tod.“
Dann ging sie langsam auf den Major zu, der vorsichtshalber seine Waffe in die Hand nahm und damit auf die Frau zielte.
„Stecken Sie Ihre Waffe weg, Major! Wir wollen keinen Streit. Kommen Sie endlich zur Vernunft! Es hätte jeder von Ihnen sein können“, sagte die nackt da stehende Frau mit klarer Stimme. „Aber dieser Körper gefiel mir nun einmal.“
Im nächsten Moment krachten mehrere Schüsse kurz hintereinander aus einer Maschinenpistole und sowohl die junge Frau, als auch der Major stürzten tödlich getroffen zu Boden, wo sich langsam eine große Blutlache um beide toten Körper herum ausbreitete.
Einer der begleitenden Offiziere des Generals hatte in Panik seine Waffe durchgeladen und von hinten auf die nackte Frau geschossen. Die abgefeuerte Geschosssalve erwischte auch den Major ungewollt.
Entsetzt schauten die übrigen Männer auf die leblos daliegenden Körper.
Danach kehrte eine unheimliche Stille ein.
***
Der alte Professor Whitman schaltete das Radio ab, das vor ihm auf einem kleinen Holzregal stand. Dann schaute er wieder zum Fenster hinaus.
„Nun wissen es alle. Es wird sich wie ein Lauffeuer um die ganze Welt verbreiten. Es ist gleichgültig, ob es die Menschen glauben oder nicht…“
Er wollte eigentlich noch etwas sagen, beendete den Satz aber, weil ihm nicht danach war, noch mehr zu reden. Es hatte ja sowieso keinen Sinn.
Mittlerweile war es im Zimmer dunkel geworden. Professor Whitman schaute zu seinem Assistenten hinüber, der jetzt mit bleichem Gesicht auf dem Ledersessel hinter dem Schreibtisch Platz genommen hatte.
„Es wird schon nicht so schlimm werden, Herr Professor“, erklärte Meyer, „vorausgesetzt, wenn nicht zu viele von ihnen kommen. Wir wissen nicht einmal, ob sie überhaupt kommen. Hoffentlich gibt es nicht Milliarden von ihnen. Das wäre allerdings eine echte Katastrophe.“
Er schwieg einen Augenblick und dachte nach. Der Tod des jungen Majors und der jungen Sekretärin waren in den Nachrichten nicht erwähnt worden. Inoffiziell hatte der Major Selbstmord begangen, die junge Frau, so ließ man verlauten, sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Damit war die Sache ein für allemal aus der Welt geschafft worden. Man wollte kein Aufsehen erregen und die fremde Spezies nicht unnötig provozieren. Um jeden Preis würde jetzt jeder Mensch versuchen müssen, jedwede Auseinandersetzung mit den Besuchern aus dem All zu vermeiden.
Dann sagte Meyer zu seinem Professor: „Die Körperspringer sind eigentlich friedlich, solange von uns keiner einen Streit mit ihnen anfängt…“
Müde schaute Professor Whitman seinen Assistenten an.
„Damit liegen Sie absolut richtig, Meyer. WIR, die Körperspringer, wollen wirklich keinen Streit. Natürlich können WIR nie sicher sein, ob uns unsere neuen Körper nicht besser gefallen werden, als jene, mit denen wir hier bei euch angekommen sind.“
© Heinz-Walter Hoetter
***
„Nicht das Leben eines Menschen rettet die ganze Menschheit, sondern sein Tod.“
***
Plötzlich hatte ich wieder diese schrecklichen Bilder vor meinen Augen. Ich war erstaunt darüber, wie leicht es doch war, mir jetzt, hier in der Einsamkeit der Nacht, die Gräuelszenen vorzustellen. Ich konnte die verzweifelten Schreie der Verletzten und Sterbenden hören und die lodernden Flammen sehen, als die unbekannten Wesen wie aus dem Nichts über das idyllisch daliegende Dorf herfielen und ihrer Zerstörungswut ungehemmt freien Lauf ließen. Nur eine alte, Ruß geschwärzte Mauer mit einer einfachen Gedenktafel darauf war als stumme Zeugin jener Grausamkeiten übriggeblieben, die sich hier einmal vor sehr langer Zeit ereignet haben und so vielen unschuldigen Menschen den Tod gebracht hatten.
Ich kam zu dieser Mauer, die mal einen großen Besitz umgab. Sie sah immer noch sehr imposant aus, doch an vielen Stellen war sie abgebröckelt und rissig geworden.
Ich parkte den geklauten Schwebegleiter, manuell steuernd, direkt unter einer uralten Eiche mit enorm dicken Ästen, die an etlichen Stellen Merkmale von Kampfspuren trugen und stark verkohlt waren. Offenbar stammten diese schrecklichen Narben an der Rinde vom zerstörerischen Angriffsfeuer der gnadenlosen Angreifer aus dem All. Je länger ich den knorrigen Baum allerdings betrachtete, desto mehr verstärkte sich bei mir der seltsame Eindruck, nicht ich, sondern er würde mich beobachten und seine geschundenen Äste und Zweige bewegten sich auf mich zu, um mich Hilfe suchend zu umarmen. Wie lange war an diesem Ort wohl kein Mensch mehr gewesen? Wehmütig verlor ich mich in meinen Gedanken und Erinnerungen, die wie reale Bilder vor meinem geistigen Auge vorbeizogen.
Dann riss ich mich schlagartig zusammen. Vielleicht hatte ich einfach nur zu wenig geschlafen, aber Halluzinationen konnte ich jetzt am wenigsten gebrauchen. Trotz allem: Ich öffnete geräuschlos die breite Fahrertür, stieg aus und verließ den räderlosen Antigravitationsgleiter, der sich kurz darauf perfekt der Umgebung anpasste, sodass man ihn nicht mehr sehen konnte. Niemand würde ihn hier vermuten.
In der pechschwarzen Finsternis holte ich die ausziehbare Leichtmetallleiter aus meinem Rucksack und wollte eben die öde daliegende Dorfstraße überqueren, als ich zu meinem Entsetzen keine hundert Meter über mir eine Suchdrohne auf dem kleinen Scannermonitor erblickte, die mit ihren Hitzesensoren die umliegende Gegend nach irgendwelchen Lebewesen abtastete. Glücklicherweise war meine Tarnvorrichtung eingeschaltet, die mich davor schützte, dass mich dieses fiese, robotartige Ding entdecken konnte.
Der Schreck ließ mich am ganzen Körper zittern. Mein Pulsschlag dröhnte mir in den Ohren, während ich versuchte, keinen Mucks von mir zu geben. Dann verschwand die Suchdrohne endlich wieder. Meine Tarnvorrichtung hatte mich schon mehrmals in der Vergangenheit davor bewahrt, von den Wächtern der brutalen Aliens entdeckt zu werden. Eine wohltuende Stille kehrte ein und es kam mir so vor, als wäre überhaupt nichts geschehen.
Als ich mich sicher glaubte, zog ich die Leichtmetallleiter vorsichtig auseinander, lehnte sie an die Mauer gleich neben einem verfallenen Wachturm und stieg hinauf. Oben angekommen zog ich die Leiter hoch und stellte sie auf der anderen Seite wieder ab. Dann stieg ich hinunter und stand plötzlich im Dunkeln einer riesigen Park ähnlichen Anlage, die mittlerweile total mit allen möglichen Büschen, Bäumen und sonstigen Pflanzen zugewachsen war. Mein Scanner verriet mir auch die ungefähre Richtung zu meinem angestrebten Ziel, das ich so schnell wie möglich erreichen musste, wenn ich meine Mission erfolgreich zu Ende bringe wollte.
Ich riskierte es, für ein paar Sekunden die Taschenlampe einzuschalten. In ihrem spärlichen Schein konnte ich allerdings nur dürre Bäumchen erkennen, von denen hier scheinbar eine ganze Menge herumstanden. Bis wohin sie standen, konnte ich leider nicht erkennen, aber was ich im Moment dringend brauchte, war eine gute Deckung, falls die Wächter ihre Suchdrohnen ein weiteres Mal losschicken sollten.
Ich schob die Leiter zusammen. Das Aluminium glänzte stark. Ich ärgerte mich darüber, dass ich nicht daran gedacht hatte, das helle Metall mit einer dunklen Farbe einzustreichen. Ich beschloss daher, die Leiter einfach irgendwo im dichten Gestrüpp zwischen den Bäumen liegen zu lassen. Ich brauchte sie sowieso nicht mehr.
Vorsichtig bewegte ich mich in der Dunkelheit weiter. Mehrmals stolperte ich durchs hohe Farnkraut, das überall im Gelände wuchs. Irgendwo vor mir musste die alte Gebäuderuine sein.
Immer wieder blieb ich stehen, um mich neu zu orientieren. Ich schleppte mich mit meiner schweren Ausrüstung zwischen den nun dichter und höher werdenden Bäumen hindurch. Lieber langsam, aber dafür unbemerkt kam es mir in den Kopf. Und da! Plötzlich schimmerte vor mir der feste Belag einer an vielen Stellen mit Moos überwucherten Straße. Ich war also auf dem richtigen Weg.
Ich schlich weiter. Kein Laut war zu hören. Ich hatte Glück und lief auf dem Grasstreifen neben der Straße weiter, immer nah genug am Wäldchen, um notfalls darin untertauchen zu können.
Endlich ragte der verschwommene Umriss einer gewaltig aussehenden Gebäuderuine vor mir auf. Kaum zu glauben, dass ich hier früher mal gewohnt habe, schoss es mir in den Kopf. Ich duckte mich unter ein paar tiefhängenden Ästen hindurch und schlich auf den offenen Eingang des mittleren Gebäudes zu. Ich kam dem rettenden Ziel Schritt für Schritt näher.
Was in Gottes Namen ist aus meinem Besitz geworden? Bevor die Außerirdischen unsere Welt überfielen, lebte ich hier mit meiner Familie glücklich und zufrieden. Sie hatten mit ihren tödlichen Waffen schon bald die gesamte Erde unter ihre Kontrolle gebracht und auf ihren schrecklichen Raubzügen fast die ganze Menschheit ausgerottet. Nur wenige von uns blieben am Leben und vegetierten danach verstreut auf allen Kontinenten im Untergrund weiter, stets die Angst im Nacken, entdeckt zu werden.
Die fremden Wesen aus den unergründlichen Tiefen des Alls nahmen rigoros Besitz von der Erde und schufen sich eine neue Zivilisation auf ihr. Bald gab es Milliarden von ihnen. Für die Menschen gab es keinen Platz mehr. Aber der Tag der Rache war gekommen! Heute Abend würde ich gnadenlose Vergeltung an denen üben, die Tod und Vernichtung über die gesamte Menschheit gebracht hatten. Damals, am Grab meiner getöteten Familie schwor ich dies für den Rest meines Lebens.
Etwa fünfzig Meter vor dem düsteren Gebäude blieb ich in geduckter Haltung stehen. Ich legte einen Teil der Ausrüstung ab, richtete mich schließlich wieder auf und lauschte. Nichts regte sich. Alles war vollkommen still, als wäre alles Leben ausgelöscht worden und die Erde nur noch ein toter Planet.
Mein Herz klopfte wie wild, als ich den Eingang erreichte. Nur der Gedanke an meine Rache zwang mich weiterzugehen. Vorsichtig schlich ich mich in den zerfallenen Innenhof des Gebäudes und erinnerte mich gleichzeitig daran, dass auf der gegenüber liegenden Seite ein Nebengebäude stehen müsse, das im hinteren Teil durch einen kleinen Abstellraum begrenzt wurde. In dieser Kammer gelangte man über einen geheimen Zugang zu einem unterirdisch angelegten Laboratorium, das ich mir vor langer Zeit einmal selbst eingerichtet hatte, um dort ungestört meine privaten Experimente auf dem Gebiet der Virenforschung durchführen zu können. Meine Arbeit war sehr erfolgreich gewesen, die ich aber wegen des Krieges mit den Angreifern aus dem All abbrechen musste.
Nun war ich an der Ecke des Nebengebäudes angekommen. Vorsichtig schaute ich durch eines der zerschlagenen Fenster, dessen Holzrahmen zerrissen auf dem Boden lag. Nachdem ich um die Ecke gebogen war, sah ich die geschlossene Holztür hinter der ein Gang lag, der direkt zur Abstellkammer führte.
Ich drückte die verrostete Klinke der Tür, die sich mit einem knirschenden Geräusch öffnen ließ. Aus dem dunklen Gang hinter der Tür schlug mir ein fauliger Geruch entgegen, der mir fast den Atem raubte. Der Gestank war fürchterlich. Einige Wände waren in sich zusammengestürzt. Ich zwang mich dazu ruhig zu atmen und schaltete die Taschenlampe ein, deren gebündelter Lichtstrahl über die herumliegenden Steinbrocken huschte. Im hellen Lichtkegel am Ende des Korridors konnte ich eine unscheinbare Wand erkennen, von der ich wusste, dass sie sich mit einem kleinen versteckten Hebel im Fußboden zur Seite bewegen ließ. Ich ging auf die rechte Ecke zu, hob die schmutzige Fußleiste hoch, fand augenblicklich den besagten Hebel und drückte ihn vorsichtig nach unten. Der Mechanismus war noch in Ordnung. Die Wand bewegte sich plötzlich wie von Geisterhand mit einem kratzenden Geräusch von mir weg und gab einen noch dunkleren Kellergang frei, der weit nach unten in den Boden führte. Dort lag mein geheimes Labor. Zufrieden stellte ich fest, dass es niemand in den vielen zurückliegenden Jahren entdeckt hatte. Ich betrat vorsichtig die glitschige Treppe und schloss hinter mir den geheimen Zugang. Krachend und staubend fiel die bewegliche Wand in ihre ursprüngliche Lage zurück. Ich hatte es geschafft und kurze Zeit später stand ich in meinem Labor tief unter der Erde.
Zwei volle Tage brauchte ich, um alles wieder in Gang zu setzen. Der Stromgenerator machte anfangs noch etwas Schwierigkeiten, lieferte aber nach einer gründlichen Reparatur wieder zuverlässig Strom. Außerdem standen mir noch meine chemischen Batterien zur Verfügung, die ich zur Not hernehmen konnte. Dann war es endlich soweit! Am dritten Tag konnte ich mit der Herstellung des Todesvirus beginnen, um ihn als biologische Massenvernichtungswaffe gegen die Eindringlinge aus dem All einsetzen zu können. Eigentlich machte ich nur dort weiter, wo ich bei meinen gefährlichen Experimenten mal aufgehört hatte. Damals konnte ich noch nicht ahnen, welch schicksalhafte Wendung meine geheime Virenforschung später einmal nehmen sollte, eine verloren geglaubte Menschheit vor dem Untergang zu retten.
***
Die Roboterwächter der Außerirdischen umstellten die verlassene Gebäuderuine. Draußen stand die Sonne hoch am blauen Himmel. Man hatte mich also ausfindig gemacht. Ein rot leuchtendes Alarmsignal blinkte über dem Eingang zum Fluchttunnel auf und zeigte mir an, dass einige dieser Bastarde bereits im Gebäude waren. Sie würden noch einige Zeit brauchen, bis sie mein unterirdisches Labor entdecken würden. Eile war geboten. Dann öffnete ich die Stahltür zum Fluchttunnel und verschwand darin.
Der Ausgang befand sich in einem kleinen Wäldchen, etwa 250 Meter entfernt hinter der Ruine. Ich konnte das Stimmengewirr der Wächter hören, die nach mir suchten. Vorsichtig schlich ich in fast kriechender Haltung durch das dichte Unterholz. Ich musste irgendwie zu meinem getarnten Gleiter gelangen, der ihnen bisher nicht aufgefallen war.
Plötzlich spürte ich den Luftzug einer riesigen Klinge über mir. Ich richtete mich auf. Im gleichen Augenblick erkannte ich den dunklen Schatten eines dieser außerirdischen Wesen neben mir, das mit seiner klobigen Kombinationswaffe nach mir schlug. Das hässliche Gesicht dieses Monsters war raubvogelartig, gelb, schlitzäugig, ausdruckslos und unwirklich.
Ich lief, als wäre der Teufel hinter mir her, griff in meine linke Hosentasche, packte den elektronischen Schlüssel und rannte so schnell ich konnte direkt auf den Gleiter zu, der sich langsam vor mir enttarnte.
Ein lauter Ruf hallte durch die Gegend: „Wir haben ihn! – Alle zu mir!“
Ich sprintete weiter. Ein Mannschaftstransporter mit vier der außerirdischen Monster und zwei ihrer Roboterwächter schwebte über das Gelände. Er verringerte seine Geschwindigkeit soweit, dass die Besatzung herunterspringen konnte. Dann schossen sie auf mich.
Ich ging in Deckung. Vor mir befanden sich eine Reihe halb verfallener Garagen und ein niedriges Backsteingebäude. Das genügte. Ich rannte mit großen Schritten auf eine schmale Lücke zwischen ihnen und den Bäumen dahinter zu.
Geschafft! Ich hörte, wie die fremden Wesen sich gegenseitig zuriefen. Den Stimmen nach mussten es bereits mehr als vier von ihnen sein. Wozu quälte ich mich eigentlich? Die Beine trugen mich fast nicht mehr. Sollte ich nicht lieber einfach aufgeben? Aber das Serum wirkte noch nicht. Ich musste noch etwas mehr Zeit gewinnen.
Ich lief über die mit Moos bewachsene Straße und rannte in den angrenzenden Wald hinein. Hier würden sie mich nicht so schnell finden und wenn, dann wäre das Schicksal der Fremden aus dem All schon besiegelt.
Gigantische Bäume schienen mir den Weg zu versperren, ein weiteres Vordringen in den Wald wurde langsam unmöglich. Wie ein Wall türmten sie sich unter dem azurblauen Himmel auf, und als sich ein leichter Wind erhob und die Äste der hohen Bäume anfingen, rauschend zu schwingen, bemerkte ich zum ersten Mal, dass sich eine Veränderung im Innern meines Körpers vollzog.
Jetzt wusste ich: Das tödliche Virus in mir war endlich voll entwickelt. Die Veränderung war abgeschlossen. Es würde bald Billionen und Aberbillionen von Sporen freisetzen und die gesamte Atmosphäre des Planeten Erde damit infizieren. Für die übrig gebliebenen Menschen war es ungiftig und völlig harmlos, aber für die fremden Wesen aus dem All war das Virus absolut tödlich. Ihr Metabolismus war dafür nicht widerstandsfähig genug. Das Virus wird sie elendig zugrunde gehen lassen. Ihr Gewebe wird sich unaufhaltsam zersetzen und schließlich ganz auflösen. Nichts wird von ihnen übrig bleiben als eine blasig schäumende Masse ihres unansehnlichen, gelben Fleisches.
Ein Opfer allerdings brauchte das Virus für seine Verwandlung, aber mein Tod wird der übrigen Menschheit eine neue Zukunft geben.
Ich legte mich hin und schlief ein. Die Sporen drangen bereits durch meine Haut. Ich wusste, dass ich nie wieder aufwachen würde.
(c)Heinz-Walter Hoetter
***
Wahrheit und Lüge liegen oft dicht beieinander
und hinter List verbirgt sich oft eine noch größere Hinterlist.
Unbekannter Verfasser
***
Wie ein gigantisches Auge starrte die rote Sonnenscheibe auf die uralte Metropole des kleinen Planeten herab, auf dem die Luft kalt, dünn und trocken geworden war. Man musste sie mit hastigen Zügen in die Lungen einsaugen, um genug von dem lebenswichtigen Sauerstoff abzubekommen.
Schon vor etwas mehr als zweihundert Jahren stellten einige skeptische Atmosphärenwissenschaftler mit Entsetzen fest, dass der Sauerstoffgehalt in der Luft des Planeten Meridian I langsam aber sicher abnahm. Niemand konnte sich anfangs dieses lebensbedrohliche Phänomen erklären, bis man schließlich herausfand, dass sich die Sauerstoff produzierenden Planktonorganismen in den Meeren dramatisch verändert hatten. Den Grund dafür sah man unter anderem auch darin, dass sich die empfindliche Ozonschicht in der Hochatmosphäre ihres Planeten stark verdünnte, sodass sie bald keinen Schutz mehr vor der harten Sonneneinstrahlung bot, was dazu führte, dass die Mikroorganismen ihre geschädigte Erbinformation (DNA) nicht mehr schnell genug reparieren konnten. Sie starben einfach ab.
Die meisten Bewohner von Meridian I ließen sich trotz der drohenden Gefahr, in der sie schwebten, nicht aus der Ruhe bringen, weil sie fest davon überzeugt waren, dass die Elite ihrer Wissenschaftler, denen eine hochentwickelte Supertechnik zur Verfügung stand, schon rechtzeitig alle Probleme, auch jenes der geschädigten Atemluft ihres Planeten, in den Griff bekommen würden.
Aber die mächtige Zentralregierung hatte anders entschieden. Niemand wollte gegen ihre Pläne und Entscheidungen ernsthaft opponieren. Es wäre sowieso zwecklos gewesen.
Durch ein ausgeklügeltes Losverfahren legte die Regierung in regelmäßig wiederkehrenden Zeitabständen ein ganz bestimmtes Kontingent an Auswanderern fest, die irgendwo da draußen in der unendlichen Weite des Universums in gut ausgestatteten Raumschiffen ganz allein auf sich gestellt nach einer neuen, lebensfreundlichen Welt suchen sollten. Wenn es wieder einmal so weit war, dass mehrere hundert Tausend Meridianer ihren geliebten Heimatplaneten unter großer Anteilnahme der übrigen Bevölkerung verlassen mussten, veranstalteten sie eine lange Abschiedsprozession.
***
Einige uniformierte Beamte der hiesigen Stadtpolizei drängten mehrere besonders neugierige Zuschauer mit drohend aufgerichteten Elektrostäben zurück auf den breiten Gehweg, wo eine bedrohlich wirkende Masse von Leibern dicht gedrängt und schweigend die Straßen säumten.
„Gehen sie zurück! Halten sie die Straße frei! Die Prozession muss jeden Augenblick eintreffen. Wer sich meinen Anweisungen widersetzt, der wird den Stromschlag meines Elektroknüppels zu spüren bekommen.“ schnarrte einer der Polizisten.
Die Leute wichen tatsächlich zurück. Offenbar war ihnen bewusst, dass der Elektroschocker ziemlich schmerzhaft und unangenehm sein konnte.
Plötzlich wurde es laut. Die bunte Prozession zog vorbei und erreichte den Rand des großen Raumhafens, wo mindestens an die dreißig oder vierzig kugelförmige Raumschiffe der gewaltigen A-Klasse warteten.
Dann wurde das Schweigen der stummen Masse jäh durchbrochen.
Einige Meridianer am Kopf der Prozessionsschlange drehten sich plötzlich um und fingen an zu schreien.
„Wir wollen Meridian I nicht verlassen. Dieser Planet ist unsere Heimat! Warum müssen wir gehen? Weil ausgerechnet das Los bestimmt hat? Die Regierung macht es sich zu leicht…!“
Ein alter Mann mit müden Augen am Straßenrand wandte sich den aufgebrachten Demonstranten zu und sagte: „Die „Große Lotterie“ hat euch durch Zufall ausgewählt. Ihr seid es nun einmal, die mit den Raumschiffen hinaus ins All müssen. Fügt euch eurem Schicksal! Oder wollt ihr, dass wir alle sterben?“
„Aber warum soll überhaupt jemand von uns Meridian I verlassen müssen? Unsere Zentralregierung hält diese verfluchte Lotterie ab und Tausende von uns werden dazu verurteilt in diese Raumschiffe zu gehen. Wir wissen noch nicht einmal, ob wir da draußen überhaupt eine neue lebensfreundliche Welt vorfinden werden. Was ist aus den anderen Schiffen geworden, die vor uns abgereist sind? Viele von ihnen sind nach langer Irrfahrt irgendwo in Raum und Zeit gestrandet und weder von der Besatzung noch von den Auswanderern hat man je wieder was gehört.“
Dann deutete der Wortführer der Protestler mit ausgestreckter Hand auf einige klobige, riesenhaft aussehende Bauwerke am fernen Rand des Raumhafens, die weit in den düsteren Himmel aufragten.
„Das sind doch die neuen Atmosphärenwandler, die bald frischen Sauerstoff produzieren werden, wenn sie nicht sogar schon welchen herstellen!“ erklärte er. „Sie sind längst erprobt und können auf jeden Kontinent eingesetzt werden. Sie werden unser Volk auf Meridian I retten und mit frischer Luft versorgen. Deshalb ist diese Zwangsevakuierung nichts weiter als reine Willkür der Regierung.“
Eine größere Gruppe von Stadtpolizisten eilte herbei. Ihre finster wirkenden Gesichter ließen nichts Gutes ahnen. Sie versuchten die Demonstranten zu beruhigen. Ein Polizeioffizier trat hervor.
„Wir verstehen, wie Ihnen zumute ist“, räumte er ein. „Aber die Zentralregierung von Meridian I weiß genau, was unter den derzeit gegebenen Umständen zu tun ist. Es gibt keine andere Lösung. Jedem von euch ist doch klar, was passiert, wenn die Bevölkerung nicht drastisch reduziert wird. Der Bau der Atmosphärenwandler auf allen Kontinenten, die für uns den neuen Sauerstoff produzieren, kann noch sehr lange dauern. Bis es soweit ist, dass alle in ausreichender Menge installiert worden sind und ihre Arbeit aufnehmen können, müssen Teile der Bevölkerung evakuiert werden.“
„Alles Unsinn!“ schrie ein Mann aus der Auswandererschlange. „Die Atmosphärenwandler funktionieren doch schon. Die Regierung will doch nur, dass wir andere Planeten besiedeln. Die hohen Herren wissen bestimmt ganz genau, dass sich keiner von uns für solche Himmelfahrtsreisen freiwillig melden würde. Wie können wir uns darüber hinaus sicher sein, dass die Reduzierung des Sauerstoffgehalts in unserer Atemluft nicht absichtlich herbeigeführt worden ist? Wem können wir denn in dieser Angelegenheit schon vertrauen? Wir Bürger kriegen doch nur die Messergebnisse unter die Nase gehalten, ohne sie kontrollieren zu können. Das ist Betrug!“
„Der Mann hat recht! Die Atmosphärenwandler arbeiten ja schon und überall entstehen neue. Wir weigern uns zu gehen! Wir bleiben hier! Wir müssen denen da oben klarmachen, dass wir uns nicht einfach so ohne weiteres abschieben lassen. Es muss Schluss mit der verdammten Lotterie sein! Zerstört die Raumschiffe, dann können sie uns nicht mehr wegschicken!“
Von überall her war plötzlich zustimmendes Geschrei zu hören. Nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die am Straßenrand stehenden Zuschauer, die der Abschiedsprozession beigewohnt hatten, gingen plötzlich solidarisch offen zur Ablehnung über.
Die Los bestimmten Auswanderer ließen jetzt wie auf ein geheimes Kommando hin ihre persönlichen Habseligkeiten fallen, griffen sich irgendwoher Knüppel oder andere Hieb- und Stichwaffen oder gruben Pflastersteine der Gehwege aus, um sie als Wurfgeschosse einzusetzen. Dann ging eine Flut von Leibern auf die wartenden Raumschiffe zu, die in gleichmäßigen Abständen auf der endlos langen Start- und Landebahn abgestellt waren. Eine schwache Linie sofort herbei georderter Stadtpolizisten versuchte noch, die wütende Menge zurückzuhalten, was aber nur mäßigen Erfolg zeigte.
Ein hoher Regierungsbeamter des Innenministeriums betrachtete vom nahen Tower aus die Szene. Er war äußerst beunruhigt. Er durfte seine Männer nicht anweisen, gegen die aufgebrachten Demonstranten mit Waffengewalt vorzugehen, was mit Sicherheit zu einer offenen Revolte geführt hätte. Andererseits war ihm klar, dass, wenn er diesen Aufruhr nicht unter Kontrolle brächte, die Regierung an Glaubwürdigkeit verlieren und von nun an von der Bevölkerung ignoriert werden würde. Das durfte aber nicht geschehen.
Über Lautsprecher forderte er in einem letzten, verzweifelten Appell die Auswanderer dazu auf, ihre Feindseligkeiten einzustellen. Er würde alles tun, um die Sicherheit der Raumschiffbesatzung zu gewährleisten. Dann gab er seinen unterstellten Beamten den Befehl, die Waffen durchzuladen.
Er wurde aber nicht beachtet. Die Menge strömte hinaus auf die Start- und Landebahnen des Raumhafens, wild dazu entschlossen, die Schiffe zu zerstören.
In diesem Augenblick fauchte ein silbrig glänzender Strahlenjäger heran, landete eine halbe Drehung machend zwischen den Emigranten und den wartenden Kugelraumern, stand da ein Weile einfach so herum, bis sich plötzlich leise surrend eine schmale Ausstiegsluke öffnete.
Heraus trat ein junger, muskulöser Mann mit brauner Haut, blonden Haaren und stechend hellgrauen Augen, die suchend hin und herfuhren. Sofort zog er die Aufmerksamkeit der Massen auf sich.
Nachdem er auf einen der imposanten Stummelflügel seines raumtüchtigen Jägers gestiegen war, ließ er seine voll tönende Stimme erklingen.
„Liebe Meridianer, liebe Auswanderer wider Willen! Hört mir zu, was ich euch zu sagen habe. Wollt ihr eure Frauen und Kinder sterben lassen?“
Die Vorhut der Demonstranten blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, denn die Frage verfehlte nicht ihre Wirkung, waren sie doch fast alle Ehemänner und treusorgende Väter. Sie hielten einer nach dem anderen inne und blickten mit Erstaunen zu dem jungen Mann hinüber, der ihnen so furchtlos entgegen getreten war und wegen seines Mutes die Menge wie magnetisch anzog.
Dann sprach er weiter.
„Wollt ihr denn wirklich, dass eure Familien langsam ersticken? Die Luft auf Meridian I wird zusehends dünner und die Atmosphärenwandler können noch nicht genug frischen Sauerstoff erzeugen. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung dieses Planeten muss zwangsevakuiert werden. Wenn das nicht geschieht, wird er zu einer Todesfalle für alle Meridianer werden. Wollt ihr das wirklich? Zuerst werden die Schwächsten unter uns sterben, dann die Alten und die Kinder.
Unterbrecht deshalb die angeordnete Auswanderung nicht und lasst die Raumschiffe unversehrt. Ihr Start ist für diesen Planeten lebenswichtig. Es werden euch noch andere Meridianer folgen, weil wir keine andere Chance haben.
Der Mann, der den Aufruhr angezettelt hatte, trat aus der vordersten Reihe der Demonstranten heraus und erwiderte: „ Warum sollte es denn soweit kommen? Die Atmosphärenwandler arbeiten doch zufriedenstellend und sind darüber hinaus äußerst leistungsfähig.“
Der junge Mann auf dem Stummelflügel des furchterregend aussehenden Strahlenjägers schüttelte den Kopf.
„Das mag alles richtig sein. Aber ihre Leistung ist abhängig von der Versorgung mit Rohstoffen, die aber von der Bevölkerung verbraucht werden. Es ist alles ein Rennen gegen die Zeit. Wir können mit unseren Raumschiffen nicht genug Rohstoffe für die Energieerzeugung heranschaffen, um diesen Mangel auszugleichen. Das wäre zudem auch unsinnig, da sämtliche Raumschiffe des Systems dafür nicht ausreichen würden. Daher ist im Augenblick nur dieser einzige Weg möglich einen Teil der Bevölkerung von Meridian I hinaus ins Weltall zu schicken, um andere lebensfreundliche Planeten zu bevölkern. Die Überlebenschancen sind sehr gut, wenngleich ich zugeben muss, dass einige unserer Raumschiffe verloren gegangen sind. Leider haben wir bis heute noch immer kein Lebenszeichen von den havarierten Schiffen erhalten. Wir wissen daher nicht, was mit ihnen wirklich geschehen ist.“
Für einige Sekunden unterbrach er seine kleine Rede und schaute hinüber zu den rumorenden Atmosphärenwandlern am Ende des gigantischen Raumflughafens. Dann sprach der junge Raumpilot weiter, dessen markantes Gesicht jetzt ernste Züge annahm.
„Und sollte es der Zentralregierung gelingen, das Rohstoffproblem ebenfalls zu lösen, könnte jeder von euch nach Meridian I zurückkehren.“
„Zum Teufel mit den Versprechungen! Wer bist du eigentlich, dass wir dir ein solches abkaufen sollen?“ schrie ein Vater, der ein kleines Kind auf seinen Armen trug.
„Ich bin Major Cyrix von Orion. Ich habe die Kämpfe von Malaha gegen die Selurier gefochten. Ich habe den Krieg damals gewonnen und euch damit die Freiheit erhalten.
Die staunende Menge vergaß für einen Augenblick ihre Wut und Verzweiflung. Sie konnten es einfach nicht glauben, so verblüfft waren sei.
Vor ihnen stand der Held von Malaha, Major Cyrix von Orion, den jeder auf Meridian I kannte, ob alt oder jung. Er war schon zu Lebzeiten eine Legende.
„Ja, ich bin auf Wunsch der Zentralregierung hierher gekommen, um euch von der Richtigkeit der Maßnahme zu überzeugen. Ich lüge euch nicht an. Geht zu euren Raumschiffen und tut, was euch gesagt worden ist. Irgendwie, irgendwann und irgendwo werden wir eine Lösung finden! Aber bis es soweit ist, müsst ihr den Anweisungen der Zentralregierung Folge leisten. Die zur Auswanderung Bestimmten müssen den Planeten Meridian I verlassen, um ihn und den Rest der Bevölkerung zu retten. Wir werden euch nicht vergessen und später wieder zurückholen. Das verspreche ich euch. – Helden lügen nicht!“
Zunächst überwog ein ungläubiges Schweigen. Doch langsam begriff jeder der stumm da stehenden Leute die Bedeutung der einfach gehaltenen Rede des legendären Kriegshelden, der trotz seines relativ jungen Alters den Planeten Meridian I im Krieg gegen die Selurier so tapfer verteidigt hatte, bis die Angreifer endlich im Raumquadranten Malaha entscheidend vernichtet werden konnten. Major Cyrix von Orion würde niemals die Unwahrheit sagen.
„Wir werden in die Raumschiffe gehen und vertrauen darauf, dass alles das eintreten wird, was die Regierung uns versprochen hat. Wir glauben auch Ihren Worten, Major. Enttäuschen Sie uns nicht! Es wäre mehr als schlimm. – Kommt Leute, es wird Zeit. Gehen wir an Bord.“
In weniger als zwei Stunde waren alle Emigranten in die jeweils ihnen zugeordneten, gewaltigen Kugelraumer eingestiegen. Kurz danach erhob sich einer nach dem anderen im sicheren Abstand in den dämmrig gewordenen Himmel hinein. Erst als sie den Orbit erreicht hatten, schaltete die Besatzung die mächtigen Antigravitationsplattformen ab und ließen im gleichen Moment die Antimateriereaktoren hochfahren. Fauchend stieß jeder einzelne Kugelraumer mit dröhnenden Antriebsmotoren hinaus in die unendlichen Weiten des Alls.
Irgendwo da draußen würde eine neue Welt auf die Auswanderer warten. Das jedenfalls hofften die meisten von ihnen.
***
In ihrem einzig verbliebenen geheimen Domizil, weit unter der Oberfläche ihres Mondes, hielten gerade die vier größten Wissenschaftler und sechs der ranghöchsten Generäle des selurischen Volkes eine Ratssitzung ab, als Major Cyrix von Orion den getäfelten Saal mit schallenden Stiefelschritten betrat.
General Falon Creck, der neu gewählte Oberkommandierende aller selurischen Streitkräfte, empfing den Major auf das Allerherzlichste.
„Ich grüße Sie, mein edler Freund. Bitte nehmen Sie doch Platz in unserer Runde und berichten Sie den werten Herren von unseren Geheimplänen. Sie können sich hier ganz sicher fühlen. Niemand wird uns zuhören.“
Die übrigen Generäle und Wissenschaftler begrüßten den Major ebenfalls sehr freundlich und manche hielten es sogar für nötig, ihm persönlich die Hand zu schütteln. Dann setzten sie sich alle wieder an den runden Tisch und nur Major Cyrix von Orion blieb hinter seiner schwebenden Sitzgelegenheit stehen.
„Nun ja, wo soll ich anfangen, meine Herren?“ fragte der Major und kratzte sich dabei nachdenklich hinter dem rechten Ohr.
Dann fuhr er konzentriert fort.
„Vielleicht an der Stelle, wo wir den absichtlich herbeigeführten Krieg gegen die Meridianer vom Zaun gebrochen haben. Ihr Anführer war ein gewisser Major Cyrix von Orion, ein ziemlich junger Heißsporn, den wir in einem Verteidigungsbunker gefangen nehmen konnten.
Dann kam uns eine Idee, die so neu gar nicht ist.
Unser Plan war nämlich der, den meridianischen Offizier durch einen völlig identischen Klon zu ersetzen. Eben durch mich.
Ich muss ihnen dazu sagen, dass wir schon seit langem über diese unglaubliche Technik des Duplizierens von Lebewesen verfügen, die wir in den zurückliegenden Jahrhunderten immer weiter perfektioniert haben und vor den neugierigen Meridianern bisher geheim halten konnten.
Also..., wir legten den Klon anstelle des echten Majors in den zerstörten Bunker zurück, wo er später von seinen eigenen Leuten gefunden wurde und ließen es absichtlich zu, dass seine meridianischen Truppen über unsere Armee siegte. Dadurch wurde er, bzw. ich, der Klon natürlich, zu einem der größten Volkshelden in ihrer Geschichte, dem dadurch faktisch jede nur denkbare politische und geheimdienstliche Tür offen stand.
Genau das war auch unsere Absicht.
Das war aber schon Teil 2 unseres groß angelegten Planes.
Teil 1 ist da schon wesentlich älter.
Vor etwas mehr als zweihundert Jahren fingen unsere Wissenschaftler damit an, die Ozonschicht des Planeten Meridian I chemisch sukzessive zu manipulieren. Sie wurde sozusagen „schleichend ausgedünnt“. Sie verlor damit automatisch immer mehr ihre schützende Funktion gegenüber der harten Sonneneinstrahlung aus dem All, was natürlich nicht ohne Folgen blieb.
Das Sauerstoff produzierende Plankton der Meere wurde zusehends geschädigt und konnte sich nicht mehr aus eigener Kraft regenerieren. Die kontinentale Flora und Faune auf Meridian I kümmerte dahin und begann zu vertrocknen. Der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre sank rapide von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und liegt heute bei ca. 13 Prozent. Das ist zu wenig für eine technisch hochentwickelte Zivilisation. Die Bevölkerung auf Meridian I wird langsam ersticken, da ändern auch die von ihnen installierten Atmosphärenwandler nichts mehr, die wir jederzeit zerstören können, wenn wir nur wollten. Aber das ist auch gar nicht unser Ziel, denn diese Anlagen könnten später von uns selbst genutzt werden.
Und nun zu Teil 3 unseres planerischen Vorhabens.
Ich konnte als sog. Volksheld auf äußerst wichtige Entscheidungen der meridianischen Zentralregierung starken Einfluss nehmen. Ich überredete die Regierung dazu, einen Teil ihrer riesigen Flotte für die Evakuierung der Bevölkerung abzustellen, was sie auch tat. Sie führten schließlich eine sog. „Große Lotterie“ ein, um die Bürger auf die sanfte Tour zu evakuieren und schickten in den letzten zwanzig Jahren mehr als 80 ihrer kugelartigen Raumschiffe mit insgesamt zehn Millionen Meridianern an Bord hinaus ins Weltall.
Diese Raumschiffe sind von eingeschleusten Klonen manipuliert worden und treiben nach etwa einem halben Lichtjahr energie- und steuerlos im Weltall herum, wo wir sie dann gefahrlos entern bzw. einsammeln können. Die Besatzung samt Emigranten werden gefangen genommen und als Zwangsarbeiter in unseren Bergwerksminen überall im Raumquadranten eingesetzt.
Zur Zeit bewohnen noch etwa fünfzig Millionen Meridianer ihren dahin siechenden Planeten ohne zu wissen, dass wir sie immer weiter dezimieren. Ihre Kriegsraumflotte ist zwar noch immer im Kern vorhanden und sehr gefährlich, aber wir haben schon sehr viele unserer Klone in den oberen und unteren Führungsebenen etablieren können, die nur auf ein Zeichen von uns warten, um endlich in Aktion treten zu können.
Aber alles zu seiner Zeit. Wir wollen ja schließlich auch noch ein bisschen Spaß an der ganzen Sache haben und den Exodus von Meridian I solange hinauszögern, bis wir keine Lust mehr an diesem Rachespielchen haben.
Nun denn, meine Herren, so sieht also unser langfristig angelegter Plan aus. Die Strategie lautet dabei: „Verliere eine Schlacht, um den Krieg gewinnen zu können.“
Aber bitte entschuldigen Sie mich jetzt! Ich muss mich leider wieder an die Front begeben, um einen neuerlichen Aufruhr renitent gewordener, emigrationsunwilliger Meridianer unter Kontrolle zu bringen. Wer kann das nicht besser, als ein Volksheld wie ich?“
Dann drehte sich der Klon Cyrix von Orion auf der Stelle um und schritt dem Ausgang zu.
Die selurischen Generäle und Wissenschaftler erhoben sich begeistert von ihren schwebenden Sitzgelegenheiten und applaudierten noch, als der falsche Major plötzlich stehen blieb und seltsame Verrenkungen machte, die ihn aussehen ließen wie einen tanzenden Clown. Im nächsten Augenblick explodierte die versteckte Mini-Fusionsbombe im Innern seines Körpers, die den selurischen Mond in seinen Grundfesten erbeben ließ und sogar eine kleine Abweichung der Umlaufbahn verursachte.
Das Hauptquartier der selurischen Raumflotte gab es nicht mehr und viele ihrer Großraumkampfschiffe ebenfalls nicht, die in den zahllosen Mondhangars untergebracht waren und wie in einer Kettenreaktion gleich mit detoniert waren.
***
Auf Meridian I saßen in einem Geheimbunker tief unter dem Regierungsgebäude etwa ein Dutzend Ratsmitglieder der Regierung zusammen und besprachen gerade die aktuelle Lage, als ein Informationsdiener hereinkam und dem grauhaarigen Präsidenten eine elektronisch gespeicherte Nachricht auf einem 3D-Medium zukommen ließ, die er gleich in eines der bereit stehenden Monitore steckte, um die Information abspielen zu lassen. Nach einigen Sekunden erschien der selurische Mond auf dem Anzeigegerät, wie er von einer gewaltigen Explosion geschüttelt und in einer dichten Staubwolke eingehüllt fast aus seiner Bahn geworfen worden wäre.
Im gleichen Augenblick wurde eine kleine Nebentür des Konferenzraumes leise geöffnet und herein trat der legendäre Major Cyrix von Orion, dem die Störung offenbar sehr peinlich war.
Dann ging er auf den Präsidenten zu, der sich jetzt von seinem Platz erhoben hatte und den Major freudig begrüßte.
„Der große Held von Malaha. In diesem Raumquadranten wurde unser Schicksal entschieden. Was täten wir ohne Sie, mein Freund? Wir wären schlichtweg verloren gewesen, das muss ich offen zugeben. Doch dank Ihrer ausgefeilten Kriegslist hat sich das Blatt zu unseren Gunsten gewendet. Können Sie mir eigentlich sagen, der wievielte Klon das war, der für sie gestorben ist, Major Cyrix von Orion?“
„Nun, mein Präsident, mindestens zwei gehen auf mein Konto, was aber nicht heißen soll, es müssten noch mehr werden. Jetzt, wo wir hinter die schmutzigen Machenschaften der Selurier gekommen sind, wird es langsam Zeit wieder ein normales Leben zu beginnen.
Der Planet Meridian I wird sich bald wieder regeneriert haben und in voller Pracht erblühen. Dann lösen wir unser Versprechen ein und holen alle Meridianer zurück, ganz gleich, wohin es sie auch immer verschlagen hat.“
Kurz bevor der junge Major den Konferenzraum verließ, schaute er zurück und sagte mit leiser, aber nachdrücklicher Stimme:
©Heinz-Walter Hoetter
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Der Beitrag wurde von Heinz-Walter Hoetter auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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